Über die Siche­rung der Markungs- und Eigentumsgrenzen

Ursprung
Das Problem der Grenz­schei­dung und Grenz­si­che­rung ist so alt wie die Mensch­heits­ge­schich­te. Es liegt auf der Stufe der Jäger und Sammler in der Kolli­si­on der schwei­fen­den Horden und erlangt seit der Zeit der Seßhaft­wer­dung eine ständig steigen­de Bedeu­tung. Die Grenzen der aleman­ni­schen Landnah­me­zeit stellt man sich nicht als feste Linien, sondern als Grenz­land­strei­fen vor, die oft siedlungs- und nutzungs­feind­lich waren. Der unbegeh­ba­re Sumpf und der wenig genutz­te Nieder­wald waren herren­los. Mit der fortschrei­ten­den Siedlungs­ver­dich­tung sind allmäh­lich die linea­ren Gemar­kungs­gren­zen entstan­den. Es sind Weide­be­zirks­gren­zen, die man im kommu­nal­po­li­ti­schen Bereich oft auch jetzt noch mit verbis­se­ner Zähig­keit hütet, wie die mühsa­me Gemein­de­ge­biets­re­form der letzten Jahre gezeigt hat. Die allmäh­li­che Ausbil­dung des Grund­ei­gen­tums führte zur Eigen­tums­gren­ze. Sie erhielt frühzei­tig ihre eigene Bedeu­tung, obwohl die Rechte aus dem Eigen­tum das ganze Mittel­al­ter hindurch weit schwä­cher waren als Nutzungs­be­fug­nis­se und andere Berechtigungen.

Der straf­recht­li­che Schutz der Grenzen ist uralt und war früher außer­ge­wöhn­lich streng. Der Grenz­frev­ler (Grenz­ver­rü­cker) ist den Mördern, Brand­stif­tern und Dieben gleich­ge­ach­tet worden. Neben diesem Schutz durch Andro­hung hoher Leibes­stra­fen entstand im Hochmit­tel­al­ter allmäh­lich ein vorbeu­gen­der Grenz­schutz, dessen Mittel zunächst der Grenz­be­gang war. Die Grenz­fin­dung oder Grenz­schei­dung fußte auf der dörfli­chen Einung (Einigung, Verein­ba­rung) und dem altrecht­li­chen Schieds­ver­fah­ren (Schieds­ge­richts­ver­fah­ren). Grenz­be­gang und Grenz­schei­dung oblag der Gesamt­heit der Dorf- oder Markge­nos­sen: sie waren zum Unter­gang berufen. Im genos­sen­schaft­li­chen Unter­gang manifes­tiert sich die Zwing- und Bannge­walt der Gemein­de, die in jahrhun­der­te­lan­ger Entwick­lung zur gemeind­li­chen Selbst­ver­wal­tung geführt hat. Daß die Vielzahl von Betei­lig­ten die Proze­dur schwer­fäl­lig machte, ist kaum zu bezwei­feln. Allmäh­lich wurde die Mitwir­kung der ganzen Gemein­de selte­ner, man bestell­te bei Bedarf einige kundi­ge Leute, die für die Gesamt­heit handel­ten. Aus diesem ad hoc gewähl­ten gemeind­li­chen Ausschuß ging seit dem 14. Jahrhun­dert der Unter­gang als ständi­ges kolle­gia­les Gemein­de­or­gan hervor.

Oberkochen

Rechts­quel­len
Aus dem Dämmern der frühmit­tel­al­ter­li­chen Geschich­te taucht der Unter­gang als etwas Bestehen­des auf. Seine erste schrift­li­che Erwäh­nung findet sich in einer Urkun­de des Klosters St. Gallen aus dem Jahre 806. Wo er deutli­cher faßbar wird, beruht er auf Herkom­men und Rechts­brauch­tum. Späte­re Rechts­quel­len sind lokale Statu­tar­rech­te (Satzun­gen). Aber auch die frühes­ten Stadt­rech­te, Weistü­mer (Rechts­bü­cher) und Dorford­nun­gen setzen das Vorhan­den­sein des Unter­gangs voraus und regeln nur seine Zusam­men­set­zung, Bestel­lung und Verfah­rens­wei­se. Das nach der Erhebung der Grafschaft Wirtem­berg zum Herzog­tum im Jahre 1495 allmäh­lich entste­hen­de Landes­recht geht davon aus, daß der Unter­gang in allen Gemein­den vorhan­den ist und statu­iert deshalb keine beson­de­re Rechts­pflicht der Gemein­den, die Einrich­tung zu schaf­fen und zu unter­hal­ten. Das erste Landrecht von 1555 regelt die schrift­li­che Fixie­rung der »under­gäng­li­chen Sprüche, für die »ein jeder Statt­schrei­ber ein eigen Buch halten soll« und den Appel­ati­ons­gang (Rechts­mit­tel­weg). Die Landes­ord­nun­gen, deren ältes­te 1495 erschie­nen ist, erwäh­nen die Unter­gän­ger im Zusam­men­hang mit Melde­pflich­ten und Straf­dro­hun­gen: »Wer wist, daß jemand außer­t­halb der geschwor­nen under­gen­ger marck­stein gesetzt, verrückt, verdöckt oder ausge­worf­fen hat, … der soll das rügen und anbrin­gen, … dann dadurch mag einer sein leib, eere und gut verwürcken.« Die Commu­n­ord­nung (Gemein­de­ord­nung) von 1758 widmet den Unter­gän­gen und Feldbe­sich­ti­gun­gen« einen eigenen Abschnitt mit der Weisung, »die bestell­ten Unter­gän­ger sollen allent­hal­ben mit einer ausführ­li­chen schrift­li­chen Anlei­tung oder Staat (Vorschrift) verse­hen werden, wie sie sich bey solch ihrem Amt zu verhal­ten haben«. Schon vorher waren in vielen Gemein­den beson­de­re Unter­gän­ger­ord­nun­gen entstanden.

Ursprüng­lich ausschließ­lich auf Gewohn­heits­recht beruhend, ist die Regelung des Unter­gangs haupt­säch­lich der gemeind­li­chen Satzung, dem Ortsrecht, vorbe­hal­ten. Soweit sich das Landes­recht mit der Materie befaßt, geschieht es gewis­ser­ma­ßen beiläu­fig im Gerichts- und Gemeindeverfassungsrecht.

Rechts­stel­lung
Die Organi­sa­ti­on des Unter­gangs zeigt etwa seit der Mitte des 14. Jahrhun­derts ein im wesent­li­chen einheit­li­ches Bild. Es ist ein Kolle­gi­um von drei, fünf oder sieben Bürgern, das von der Gemein­de, in den Städten von Gericht und Rat, gewählt wird. Meist sind es sieben Mitglie­der, daraus erklärt sich die Bezeich­nung »Siebe­ner«, die in einigen Landstri­chen auftaucht und für das gesam­te Gremi­um wie für das einzel­ne Mitglied verwen­det wird. Die Amtsdau­er beträgt im allge­mei­nen ein Jahr, jedoch ist Wieder­wahl durch­aus die Regel: wer als Unter­gän­ger gewählt ist, bleibt es meist lebens­läng­lich. Vielfach zeigt sich Selbst­er­gän­zung des Kolle­gi­ums unter Ausschluß des Wahlrechts der Gemeinde.

Die Weistü­mer und Dorford­nun­gen werden nicht müde, die Eigen­schaf­ten hervor­zu­keh­ren, die den Unter­gän­ger auszeich­nen sollen: Unpar­tei­lich­keit, Sachkun­de, Ortskennt­nis, Beson­nen­heit, Mäßigung, Mut, »Under­gen­ger sollen dapfer unver­le­umbt (gut beleu­mun­de­te) menner sein«, sie sollen hohes Ansehen und unein­ge­schränk­te Autori­tät genie­ßen. Die große Erbit­te­rung, mit der meist nachbar­li­che Grenz­strei­tig­kei­ten geführt werden, erfor­dern eine korrek­te Auswahl. In ihrem Eid geloben die Unter­gän­ger, nach Fug, Recht und Gerech­tig­keit mit bestem Verständ­nis und Wissen zu verfah­ren, verschwie­gen zu bleiben und nieman­den weder zu Lieb (zu Gunsten) noch zu Leid (zu Unguns­ten) zu handeln »auch darin nit ansehen Freund­schaft, Feind­schaft, Forcht (im Sinne von Schwach­heit vor Vorge­setz­ten), Miet (Bestechungs­geld) oder Gab (Geschenk)«.

Die Stellung des Unter­gän­gers ragt aus den übrigen gemeind­li­chen Ämtern heraus. In den Städten ist er meist Gerichts- oder Ratsmit­glied, in der dörfli­chen Ämter­hier­ar­chie steht er unmit­tel­bar hinter dem Schult­heiß. Der Weg zu den höchs­ten städti­schen und dörfli­chen Ämtern führt oft über das Amt des Unter­gän­gers. Seinem Ehren­amt entspricht die grund­sätz­li­che Unent­gelt­lich­keit der Tätig­keit, er erhält nur das übliche, nicht als Entloh­nung, sondern als Auszeich­nung anzuse­hen­de Essen und den Trunk. Für die Grenz­schei­dung ist er Richter, für die Grenz­si­che­rung Beamter.

Oberkochen

Hermann Neuffer, Stuttgart

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte