Das immer­wäh­ren­de Problem war das personelle

– wo findet man Bäcker? Für die jungen Leute und ihre Wander­jah­re war Oberko­chen nicht attrak­tiv, der Gesel­le aus Günzburg ging bald wieder in die alte Heimat, der Lehrling wurde Stapler­fah­rer beim Zeiss. Über die bayri­sche Fachzei­tung gelang es, einen Bäcker aus Augsburg einzu­stel­len, der einige Jahre in Oberko­chen war, bis er sich selbst­stän­dig machte. Über Crails­hei­mer Bekann­te konnten dreimal Gesel­len aus Jagst­heim und Blaufel­den für uns gewon­nen werden. Es war aber immer ein mühse­li­ges Unterfangen.

Nach einigen Monaten war die Firma Carl Zeiss unser größter Kunde. Die Werks­kü­che (damals noch im Martha-Leitz-Haus) und die Kanti­ne waren auf kurzem Wege mit dem Handwa­gen zu belie­fern. Schwie­ri­ger war es, die Lebens­mit­tel­ge­schäf­te „Goldmann“ und „Paff“ in der Brunnen­hal­de, im Winter mit dem Schlit­ten, anzufahren.

Ich erinne­re mich an ein „Carl-Zeiss-Fest“ im Kochsta­di­on, für das 10.000 Brötchen gelie­fert wurden. Alles von Hand geform­te Schrip­pen! Bedingt durch die Bauart (Stahl­ske­lett mit gemau­er­ten Wänden und Wärme­über­tra­gung durch ölgefüll­te Rohre, die in den Feuer­raum ragten), war allein schon das „Einschie­ßen“ in den Ofen eine körper­lich schwe­re Arbeit. Nur der mittle­re Herd war in leicht gebück­ter Haltung zu beschi­cken. Vor dem unteren Herd war eine „Fußgru­be“ in die man über eine Stufe abstei­gen musste. Diese Fußgru­ben waren der Grund für viele Unfäl­le in Bäcke­rei­en; vergaß man nach der Beschi­ckung des unteren Herdes die Grube zu schlie­ßen, war ein Unfall vorpro­gram­miert. Der dritte, der obers­te Herd, war nur über einen zweistu­fi­gen Tritt einseh­bar, der immer davor oder wegge­scho­ben werden musste. Dieser Herd hatte niedri­ge­re Tempe­ra­tu­ren und wurde vor allem für Kuchen genutzt. War die Tempe­ra­tur für Brot in den unteren Herden etwas zu hoch (die Tempe­ra­tur konnte nur über die Anzahl der Briketts und über Züge gesteu­ert werden), musste es nach halber Backzeit in den obers­ten Herd umgesetzt werden. Eine schweiß­trei­ben­de Angele­gen­heit, vor allem aus dem unteren Herd.

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Die alte Molke in Oberko­chen am Kocher gelegen (Archiv Rathaus)

Im Oktober 1959 begann ich eine zweijäh­ri­ge (wegen meiner „Mittle­rer Reife“ um 1 Jahr verkürzt) Bäcker­leh­re im elter­li­chen Betrieb. Zu meinen tägli­chen Aufga­ben gehör­te es, Milch und Sahne für den Folge­tag in der „Molke“ am Kocher­ka­nal zu holen.

Dabei hingen zwei große Kannen am Fahrrad­len­ker, auf dem Rückweg konnte ich nur schie­ben. Im März 1960 hatte ich den Führer­schein und nicht nur den Weg in die Molke, sondern auch in die Berufs­schu­le nach Aalen, durfte ich nach der morgend­li­chen Liefer­tour, mit dem Auto fahren. Ab 1. 05. 1961 war ich wieder Lehrling im Café „Ströbe­le“ in Ulm.

Der Pacht­ver­trag wurde auf 10 Jahre abgeschlos­sen und wir überleg­ten, wie es danach weiter­ge­hen könnte. Meine Eltern wollten in Oberko­chen bleiben. Es gab eine langjäh­ri­ge Kegel­run­de, bestehend aus den Ehepaa­ren Fritscher (Elektro­ge­schäft), Lebzel­ter (Wäsche­rei), Abele (Instal­la­teur), Wingert (Glase­rei), Fried­le (Metzge­rei) und später Hurler (Friseur­ge­schäft). Über zwei Jahre setzte ich am Samstag­abend für diese Runde die Kegel in der Grube auf. Das Ehepaar Fried­le hatte einen Bauplatz an der Ecke Blumenstraße/Goethestraße gegen­über der damali­gen Metzge­rei Schlipf. Den Bauplatz hätten meine Eltern überneh­men können, das Ehepaar Fried­le zog wieder in ihre alte Heimat, nach Bruch­sal. Leider verhin­der­te ein Wettbe­werbs­ver­bot im Pacht­ver­trag diese Möglich­keit: „Beim Betrieb einer Bäcke­rei in Oberko­chen muss ein Abstand von 700m Luftli­nie einge­hal­ten werden“.

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Schlan­ge-Stehen für gutes Brot im Katzen­bach; an einem Karsams­tag kamen da schon mal 600 Kunden (Archiv Fichtner)

Die Jahre im Katzenbach.

In der Katzen­bach­stra­ße 70 wurde vom Ehepaar Holz, ein von der Größe her passen­des Grund­stück angebo­ten, am damali­gen Ortsrand. Oberko­chen war im Aufwind, es gab Gerüch­te über die tolls­ten Projek­te. Mein Vater wollte bei einem Termin mit Bürger­meis­ter Bosch Näheres erfah­ren. Als er erwähn­te, der Platz sei am Ortsrand und zu abgele­gen, meinte BM Bosch:

„Das hätten in Oberko­chen schon viele gedacht und waren plötz­lich mitten­drin. Es sei geplant den Guten­bach zu einem Stadt­see anzustau­en und an dessen Ufer ein Plane­ta­ri­um zu errich­ten, dessen Kuppel sich im See spiegelt, außer­dem würde das Spitz­tal bald bebaut“. (Typisch Oberkoch­ner Höhen­flü­ge :-). Den See hat’s in manchen Jahren nach der Schnee­schmel­ze auf natür­li­che Weise gegeben).

Am 8. August 1961 wurde der Kauf des Grund­stücks in der Katzen­bach­stra­ße 70 beurkundet.

Als die Baugru­be in der Katzen­bach­stra­ße ausge­ho­ben war, wurde bekannt, dass die Plane­ta­ri­um­plä­ne nicht verwirk­licht werden würden. Nun war es zu spät, der Bau musste weiter­ge­hen. Am 1. Oktober 1964 wurde die Bäcke­rei eröff­net. Es war damals die moderns­te handwerk­li­che Bäcke­rei weit und breit. Im Dachge­schoß waren vier Perso­nal­zim­mer und im 1. OG befan­den sich zwei Wohnun­gen. Wegen der Ortsrand­la­ge wurde die Laden­flä­che größer gewählt, damit ein Lebens­mit­tel­sor­ti­ment Platz hatte. Am 1. 04. 1964 hatte ich meine Kondi­tor­leh­re in Ulm beendet. Auf meinen Wunsch hin wurde neben dem Laden ein kleines Tages-Café einge­rich­tet, wie sich später heraus­stell­te eine Fehlinvestition.

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Café und Bäcke­rei unter einem Dach im Katzen­bach (Archiv Fichtner)

Anmer­kung vom Billie: „Oberko­chen und sein Wunsch nach Cafés. Sobald sich jemand traute eines zu eröff­nen, war das Ende abzuse­hen. Die meisten tranken und trinken ihren Kaffee auswärts und vom Rest kann man nicht leben.“

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Bericht zur Eröff­nung im Katzen­bach am 1. Oktober 1964 (Archiv Schwäpo)

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Bericht zur Eröff­nung im Katzen­bach am 1. Oktober 1964 (Archiv Schwäpo)

Ab und an wurde für kleine Gesell­schaf­ten abends geöff­net. Zum Beispiel gab eine sogenann­te „Offene Runde“, gedacht für junge Leute, ins Leben gerufen von einem Vikar der ev. Kirche. Man disku­tier­te über aktuel­le Themen, hier lernte ich meine späte­re Frau kennen. Ohne das Café hätte ich sie wahrschein­lich nie getrof­fen, sie hatte einen großen Anteil an unserem späte­ren geschäft­li­chen Erfolg.

Neben Laden­ge­schäft und Café war alles vorhan­den, was wir in der Dreißen­tal­stra­ße schmerz­lich vermisst hatten: Ein Lager für den Laden, ein Büro und große Küche sowie ein Esszimmer/Aufenthaltsraum, ein Lager zur Backstu­be und eine Kondi­to­rei mit Kühlraum. In der Backstu­be stand ein moder­ner, ölbeheiz­ter vierher­di­ger Backofen mit 8 qm Backflä­che, der mit Abzieh­ap­pa­ra­ten beschickt wurde. Das Mehlla­ger war nun im Keller, die Mehlsä­cke gelang­ten über eine Rutsche direkt vom Lastwa­gen ins Lager. Von dort wurde das Mehl über eine Förder­schne­cke zur Siebma­schi­ne in die Backstu­be trans­por­tiert. Neben einem moder­nen Sanitär­be­reich für die Mitar­bei­ter gab es mehre­re Lager­räu­me, eine Wasch­kü­che, einen Hausar­beits­raum, einen Heizraum und einen 33.000 Liter Öltank. Das Öl koste­te damals 8 ‑10 Pfenni­ge pro Liter. Sogar an einen Kohlen­kel­ler ist gedacht worden, falls einmal der Ölhahn zugedreht werden würde!

Alles war super, nur die Lage nicht. Die Hoffnung ruhte auf der geplan­ten Bebau­ung von Langert­stra­ße und Heide. Es waren schwe­re Jahre. Neben der Firma Zeiss wurde nun auch der Spar-Markt „Weller“ in der Aalener Straße, das Edeka-Geschäft „Nagel“ im Adalbert-Stifter-Weg und das Progym­na­si­um (mit Pausen­ge­bäck) beliefert.

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Lehrling Erwin Ficht­ner, mein Vater, Gesel­le Anton Bezler (Archiv Fichtner)

Die frühe­re Bäcke­rei in der Dreißen­tal­stra­ße betrieb nun Anton Bezler jun. und dann verän­der­te sich die Situa­ti­on in Oberko­chen grund­le­gend. in der Blumen­stra­ße baute Bäcker Dicken­herr und in der Lerchen­stra­ße eröff­ne­te die Bäcke­rei Engel. Etwa um diese Zeit übernahm auch der Kondi­tor Weidl das Café „Gold“ am Turmweg – so viel Konkur­renz hatten meine Eltern sicher nicht erwartet.

1966, nach dem Besuch der bayeri­schen Bäcker­fach­schu­le, legte ich an der Handwerks­kam­mer München die Meister­prü­fung im Bäcker­hand­werk und ein Jahr später an der Handwerks­kam­mer Ulm die Meister­prü­fung als Kondi­tor ab.

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Alfred Fichtner’s Meister­stück­le (Archiv Fichtner)

1969 heira­te­te ich meine Renate. Sie leite­te einen Kinder­gar­ten in Manzell am Boden­see und kam schon Monate vor unserer Hochzeit jeden Samstag nach Oberko­chen, um sich einzu­ar­bei­ten. BM Gustav Bosch wohnte in der Nachbar­schaft meiner Schwie­ger­el­tern im Jäger­gäß­le, kannte die Familie und ließ es sich nicht nehmen uns standes­amt­lich zu trauen. „Er wird dir dein Leben versü­ßen“ sagt er in der Traure­de zu meiner jungen Frau. Sicher hat er dabei nicht an ihre 60 Stunden-Woche und an maximal 2 Wochen Urlaub im Jahr gedacht.

1968 heira­te­te meine Schwes­ter, meine Eltern zogen in die kleine­re Wohnung im 1. OG. und überlie­ßen uns die große Wohnung, die bald von 3 Kindern belebt wurde. 1970 kam Eva-Maria, 1971 Eckhard und 1974 Ulrich zur Welt.

Die Umsät­ze im Laden waren zu dieser Zeit noch nicht so, wie man sich das einmal vorge­stellt hatte. An der gewerb­li­chen Berufs­schu­le in Ulm war die Stelle eines Fachleh­rers für den Werkstatt­un­ter­richt für Bäcker und Kondi­to­ren ausge­schrie­ben. Ich bewarb mich und hätte die Stelle sofort antre­ten können, hätte aber nach Ulm umzie­hen müssen. Auf meine Frage an den Schul­lei­ter, wie das bei dem Anfangs­ge­halt mit einer fünfköp­fi­gen Familie zu schaf­fen ist, wusste auch er keine Antwort und so blieben wir in Oberkochen.

1976 übernahm ich mit meiner Frau den Betrieb. Durch die Bautä­tig­keit im Langert und auf der Heide kam langsam mehr Leben in den Laden. Trotz­dem war der Start nicht einfach, wir mussten erst einmal den Waren­be­stand ablösen und außer­dem 8 Jahre Pacht bezah­len. Meine Frau hatte etwas gespart, ich hatte nichts außer einem Auto. Die Lebens­leis­tung meiner Eltern verdient auch heute noch Bewun­de­rung. Nachdem sie noch 2 ½ Jahre mithel­fen konnten, zogen sie 1979 in ihre oberfrän­ki­sche Heimat, nach Speichersdorf.

1975 war mein Schwie­ger­va­ter verstor­ben, meine Schwie­ger­mut­ter war uns, nach dem Wegzug meiner Eltern, über viele Jahre eine große Hilfe. Sie machte die Einkäu­fe für die große Familie, hütete die Kinder und kochte oft für uns und die Mitar­bei­ter. Auch Tante Elise, ihre Schwes­ter aus Schnait­heim, war oft in Oberko­chen, um zu helfen.

Meine erste Inves­ti­ti­on war eine leistungs­fä­hi­ge Dampf­ab­zugs­an­la­ge, die den austre­ten­den Dampf direkt am Backofen absaug­te. Vorher gab es nur einen Venti­la­tor, vor allem im Sommer war das Klima in der Backstu­be oft unerträg­lich. Die Umsät­ze stiegen, das Café hatten wir aber nicht mehr in Betrieb genom­men, denn es war schon vor unserer Übernah­me oft nicht zu schaf­fen, während der Kaffee­zeit im Laden und im Café zu bedienen.

1980 entschlos­sen wir uns, das Lebens­mit­tel­sor­ti­ment aufzu­ge­ben und den Laden umzubau­en. Bei einem Termin an der Handwerks­kam­mer in Ulm wurden mir Möglich­kei­ten aufge­zeigt über eine Gewer­be­för­de­rung günsti­ge Kredi­te zu bekom­men, aber die Handwerk­sam­mer schick­te kur und knackig folgen­den Bescheid: „….wir müssen das Unter­neh­men als gefes­tigt betrach­ten und können aufgrund der Mittel­la­ge leider kein Existenz­fes­ti­gungs­dar­le­hen mehr gewähren…..“

Perso­nal­pro­ble­me in der Backstu­be gab es ständig, denn die Firma Carl Zeiss zog „alle jungen Leute an die etwas arbei­ten wollten“. Wir hatten immer wieder Meister­söh­ne ausge­bil­det, das erwies sich aber als Fehler. Sie waren zwar motiviert und die Arbeit mit den Lehrlin­gen machte Freude, aber sie wurden nach der Lehrzeit im elter­li­chen Betrieb erwartet.

Ich versuch­te viermal durch die Einstel­lung von Bäcker­meis­tern etwas vom Mehlstaub wegzu­kom­men und mich mehr in der Kondi­to­rei aufzu­hal­ten. Zwei Kandi­da­ten waren ihr Geld nicht wert, einer machte sich selbst­stän­dig und einer wurde von der Backmit­tel­in­dus­trie abgewor­ben. Ich hatte viele Ideen in der Schub­la­de, aber das Tages­ge­schäft, die Perso­nal­si­tua­ti­on und meine Aller­gie koste­ten viel Kraft.

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Alfred Fichtner’s berühm­te Hochzeits­tor­te – (Archiv Fichtner)

Als Bäcker und Kondi­tor muss man auch immer mal wieder etwas Neues bieten. Zum einen liefen meine kitsch­frei­en Hochzeits­tor­ten recht gut und Dietrich Bantel zeigte mir eines Tages den Abdruck einer Hunde­pfo­te aus dem Römer­kel­ler. Ich fertig­te aus Gießharz einen Stempel, mit dem man einen Abdruck auf Marzi­pan herstel­len konnte. Abgeflämmt wurde die „Hunde­pfo­te“, herge­stellt aus Königs­ber­ger Marzi­pan, 600 Mal verkauft. Erfolg­reich waren auch die Laugen­schlag­gen und die Süßen Schlag­gen, ein Hefege­bäck in Form des Oberko­che­ner Fastnachts­sym­bols. Da immer Konditoren/innen ausge­bil­det wurden gab es an Ostern Schoko­la­de­ha­sen und Schoko­ei­er gefüllt mit Prali­nen aus eigener Herstel­lung. An Weihnach­ten stell­ten wir Weihnachts­män­ner als Hohlfi­gu­ren und Mandel­split­ter-Bäumchen her sowie an Sylves­ter Marzipanschweinchen.

Wir inves­tier­ten auch ständig: Nach dem Laden­ge­schäft kam ein neuer Backofen (gasbe­heizt mit 10 qm Backflä­che und Wärme­rück­ge­win­nung über die Abgase). Der Kühlraum wurde abgebro­chen und durch Kühlbo­xen ersetzt, jetzt gab es auch die Möglich­keit der Gärun­ter­bre­chung. Auch die Abwär­me der Kühlma­schi­nen wurde für die Warmwas­ser­ver­sor­gung des Betriebs genutzt. Eine Eisma­schi­ne mit Eis-Theke (es gab Zwetsch­ge­n­eis und Heidel­beer­eis aus frischen Früch­ten), neue Knetma­schi­nen (eine für 100kg Mehl und eine für 10kg Mehl), jetzt mit Deckel, damit während des Misch­vor­gangs weniger Mehlstaub austritt. Ein Silo mit 6 Tonnen Fassungs­ver­mö­gen, eine neue Teigaus­roll­ma­schi­ne, Rührma­schi­ne und Hörnchen-Wickel­ma­schi­ne. Eine Dusche und einen Umklei­de­be­reich für das weibli­che Perso­nal sowie einen Liefer­wa­gen mit dem Firmen­lo­go „Frisch von Ficht­ner.“ All das war notwen­dig und musste auch finan­ziert werden.

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Der Bäcker-Liefer­wa­gen von Alfred Ficht­ner (Archiv Fichtner)

1986 beschlos­sen wir im bisher nicht genutz­ten Teil des Dachge­schos­ses eine kleine Wohnung auszu­bau­en, das Dach zu isolie­ren und neu zu decken.

Ich versuch­te bei einer Heilprak­ti­ke­rin über Eigen­blut­be­hand­lun­gen der Aller­gie Herr zu werden, aber ohne Erfolg. 1985 und 1986 war ich in Behand­lung bei einem Arzt in Heubach, der mich mit alter­na­ti­ven Metho­den, unter anderem einer Diät, behan­del­te. Es ging mir besser und ich hatte sogar schon Pläne die Backstu­be zu vergrö­ßern: Ein kleiner Backofen, um Brezeln in Topqua­li­tät direkt auf dem Herdbo­den backen zu können, eine Brötchenanlage…

Aber immer, wenn ich die Behand­lung absetz­te, ging es mir wieder schlech­ter, inzwi­schen hatte ich Asthma, war abgema­gert und ohne Spray ging gar nichts mehr.

Ein paar Anmer­kun­gen zur „Bäcker­krank­heit“:

Oft beginnt es mit einer „laufen­den Nase“ und einer Binde­haut­ent­zün­dung am Auge. Aller­gien und Asthma sind dann die nächs­te Stufe, die dann oft in einer Berufs­un­fä­hig­keit endet. Die Ursache für die hohe Anfäl­lig­keit der Bäcker liegt in der hohen Staub­kon­zen­tra­ti­on in der Backstu­be. Neben dem Mehlstaub enthält er oft noch andere Aller­ge­ne aus Backmit­tel­zu­ta­ten wie Backhe­fe, Eipul­ver oder Gewür­zen. Aber auch die Alpha-Amyla­se aus Pilzen sowie Mehlmil­ben und Mehlmot­ten könnte zum Auslö­ser werden. Jedes Jahr müssen mehr als 500 Bäcker und Kondi­to­ren umschu­len, weil sie eine Aller­gie auf Mehlstaub oder andere Backpro­duk­te entwi­ckelt haben. Selbst­stän­di­ge Bäcker, die oft schon seit mehre­ren Genera­tio­nen eine Famili­en­tra­di­ti­on fortfüh­ren, stellt dies vor große wirtschaft­li­che und oft auch psycho­so­zia­le Probleme.

Und so blieb auch mir nach einer drasti­schen Einschät­zung meines Facharz­tes keine andere Wahl.

Er meinte nur ganz trocken: „Wenn Sie nicht aufhö­ren, schau­en sie die Radies­chen bald von unten an“. Nachdem eine Berufs­krank­heit festge­stellt war, musste ich schnellst­mög­lich aufhö­ren, andern­falls würde ich den Versi­che­rungs­schutz verlie­ren. Ich wurde nach Mannheim zitiert, nur um mir mitzu­tei­len, dass ich für eine Umschu­lung zu alt sei und somit keiner­lei Unter­stüt­zung erwar­ten könne.

Einige Monate überleg­te ich nun, nur noch Kondi­to­rei­wa­ren herzu­stel­len und alles, was mit Mehl (vor allem Roggen­mehl) zu tun hat, liefern zu lassen. Das hätte aber weite­re größe­re Inves­ti­tio­nen erfor­dert und der Betrieb, einschließ­lich der Backofen, war dafür einfach zu groß.

Die Pacht­jah­re.

Nun begann die Suche nach einem Pächter und nach einem Haus für die Familie, denn die Berufs­ge­nos­sen­schaft machte Druck. Die Suche gestal­te­te sich schwie­rig. Nach einem Inserat in der Fachzei­tung melde­ten sich einige Kandi­da­ten als Pächter. Nachdem wir uns deren Bäcke­rei­en in Thüngers­heim und in Aschaf­fen­burg angese­hen hatten war klar, das geht schief. Ein Bäcker­meis­ter aus Stutt­gart zeigte Inter­es­se, kam mit schwe­rem Daimler, aber ohne eine gschaf­fi­ge Frau. Das war in unseren Augen auch keine anzustre­ben­de Lösung.

Es folgten dann die Pächter „Jäger“ (1989 bis 2003), „Bonci­um“ (2004 bis 2007 ohne Backstu­be, nur Laden­ge­schäft) und der „Schloss­bä­cker“ aus Essin­gen 2007 bis 2009 ebenfalls ohne Backstu­be, nur Laden­ge­schäft). Die Wirtschaft­lich­keit während der Pacht­jah­re entwi­ckel­te sich negativ, auch wegen des Aufkom­mens der Großbä­cke­rei­en, und so nahmen die Dinge ihren Lauf.

Der Backofen und die Maschi­nen lande­ten für ein paar Euro in Polen. Gegen gutes Zureden bauten die fleißi­gen polni­schen Handwer­ker auch das Silo aus – zum Nullta­rif. Die Speise-Eisma­schi­ne und die Verkaufs­the­ke fanden einen kroati­schen Abneh­mer, das Laugen­tauch­ge­rät lande­te bei einem Frank­fur­ter Bäcker.

Und damit war die Geschich­te der Bäcke­rei Ficht­ner zu einem Ende gekom­men, wie wir es uns absolut nicht vorstell­ten, aber eben auch nicht mehr ändern konnten.

Nach beantrag­ter Nutzungs­än­de­rung versuch­te Andre­as Hug mit einer Moped­werk­statt (2009 bis 2011) sein Glück und nach erneu­ter Nutzungs­än­de­rung (die Behör­den wollen schließ­lich beschäf­tigt sein) fand Georg Mayer und Petra Schup­ke mit Baumärkt­le und Kuchen vorüber­ge­hend (2011 bis 2015) einen seiner verschie­de­nen Stand­or­te in Oberkochen.

Abschlie­ßend.

Heute ist in den Räumen des frühe­ren Cafés eine kleine Wohnung, Im frühe­ren Laden befin­den sich heute zwei Garagen. 2005, mit 63 Jahren, begann ich die Betriebs­räu­me in eine Wohnung umzubauen.

Von den rund 300 Bäcke­rei­en im Altkreis Aalen (zu Zeiten meines Vaters), sind 30 übrig­ge­blie­ben. Unnötig lange Laden­öff­nungs­zei­ten, die kein kleiner Betrieb mitma­chen kann, sowie die Abschaf­fung des Nacht­back­ver­bots (auf Druck der Indus­trie­bä­cker) sind vor allem die Ursachen für das Bäcke­rei-Sterben. (Hier muss ich beson­ders aufpas­sen: Ich will immer Nackt­ba­de­ver­bot schreiben ????).

Der erste von mir ausge­bil­de­te Kondi­tor­lehr­ling wurde, zum Erstau­nen der Kaffe­haus-Kondi­to­ren aus Aalen und Heiden­heim, Innungs­sie­ger. 4 Kondi­to­rin­nen danach haben auch gute Prüfun­gen abgelegt. 15 Bäcker und eine Bäcke­rin und 7 Fachver­käu­fe­rin­nen wurden ausge­bil­det. 4, der bei uns ausge­bil­de­ten Bäcker, betrei­ben heute noch eine Bäcke­rei: Günter Mühlhäu­ser in Heubach, Werner Schmid in Aalen (früher Café Wellblech / Rosch­mann), Reinhold Stöcker in Rosen­berg und Dieter Stiele in Freising.

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Eine Auszeich­nung, auf die jeder Bäcker stolz ist, wenn er sie erhält (Archiv Fichtner)

Wo kommt eigent­lich die Brezel her? Die schwä­bi­sche Versi­on lautet wie folgt:

Vor einigen hundert Jahren hatte der Graf von Urach einen sehr berühm­ten Hofbä­cker. Eines Tages wurde entdeckt, dass der Bäcker ein Dieb war und von den Waren seines Grafen gestoh­len hatte. Das war in jenen Tagen ein sehr schlim­mes Verbre­chen. Der Hofbä­cker musste daher zum Tode verur­teilt werden. Der Graf jedoch wollte seinen berühm­ten Bäcker nicht verlie­ren, deshalb entschied er, ihm eine Chance zu geben, sein Leben zu retten. Der Bäcker musste in nur drei Tagen ein neues Gebäck erfin­den, durch welches die Sonne drei Mal schei­nen konnte. Der Bäcker war schon am Verzwei­feln, da er keine Idee hatte. Nichts Vernünf­ti­ges wollte ihm einfal­len. Doch plötz­lich, als er seine Frau beobach­te­te, die mit verschränk­ten Armen mit der Nachbars­frau plauder­te, kam ihm der Gedan­ke: „Ja, das ist es“, rief er, „ich werde die Arme meiner Frau nachma­chen“. Schnell arbei­te­te er die die Form der verschlun­ge­nen Arme in sein Gebäck ein. Somit war die Aufga­be erfüllt. Die Teigform war fertig und musste nur noch in den Backofen. Des Bäckers Katze, welche neben dem warmen Ofen lag, sprang plötz­lich auf und fegte die Brezeln in eine Wanne mit heißer Lauge, die eigent­lich zum Würzen von Suppe und Fisch vorbe­rei­tet war. „Dumme Katze“ schrie der Bäcker in großer Verzweif­lung. Doch es war keine Zeit mehr ein neues Gebäck zu machen – dieses mit der Lauge musste gebacken werden. Über die Farbe nach dem Backen und den herrli­chen Geruch staun­ten zunächst der Bäcker und dann der Graf nicht schlecht. Da das Gebäck mit den drei Löchern aber noch keinen Namen hatte, wurde die Frau des Grafen – eine italie­ni­sche Prinzes­sin – nach ihrer Meinung gefragt. Sie erinner­te sich an das latei­ni­sche Wort Ärmchen „brachia“ und an die Bezeich­nung für verschlun­ge­ne Arme „brazu­la“ und so entstand das Wort „Brazel“, das später zu „Brezel“ wurde. (Medien­werk­statt-Online)

Wahrschein­li­cher (aber eben nicht schöner) als alle Geschich­ten zur Entste­hung der Brezel ist,

dass sie sich über lange Zeit hinweg entwi­ckelt hat. Ihre Ursprün­ge sollen im Ringbrot liegen, das bereits im antiken Rom bekannt war. Schon im zweiten Jahrhun­dert nach Chris­tus sollen Chris­ten ein kleines Ringbrot als Eucha­ris­tie­brot übernom­men haben. Die Form soll sich im Laufe der Jahrhun­der­te von einem sechs­er­för­mi­gen hin zu einem verschlun­gen-verwun­de­nen Gebäck entwi­ckelt haben. Als gesichert gilt, dass die Brezel ursprüng­lich eine christ­li­che Fasten­spei­se war. Viele Bräuche rankten sich um die Fasten­bre­zel. Noch bis ins 18. Jahrhun­dert war die Brezel­zeit auf die Fasten­zeit beschränkt, es gab das lecke­re Gebäck also ausschließ­lich von Ascher­mitt­woch bis Ostern. An Gründon­ners­tag war Schluss mit der Brezel­bä­cke­rei. Heute sind vieler­lei Brezeln bekannt und gebräuchlich:

Die Palmbre­zel ist eine süße Brezel aus Hefeteig, die vor allem in Schwa­ben am Palmsonn­tag gebacken wird. Auch die Martins­bre­zeln sind eine süße Spiel­art des Gebäcks. In Baden und in Schwa­ben sind außer­dem die Neujahrs­bre­zeln aus einem süßen Hefeteig bekannt. Sie haben einen Durch­mes­ser von bis zu einem Meter und sind reich verziert. Die Neujahrs­bre­zel soll im kommen­den Jahr Glück und Wohlerge­hen besche­ren. Die belieb­tes­te Form der Brezel ist aber in Bayern und Baden-Württem­berg die Laugen­bre­zel. In Bayern ist die Breze fester Bestand­teil einer zünfti­gen Brotzeit. Die schwä­bi­sche Laugen­bre­zel wird in der Frühstücks­pau­se oder zum Vesper verspeist, am liebs­ten dick mit Butter bestri­chen als Butter­bre­zel. Auch wenn das Brezel­ba­cken keine Geheim­wis­sen­schaft ist, so ist die Brezel doch haupt­säch­lich ein handwerk­li­ches Bäcker­pro­dukt geblie­ben. Vielleicht, weil Bäcker zum Verschlin­gen der Arme eine bestimm­te Wurftech­nik einset­zen. Oder weil nur die Brezel vom Bäcker das echte, unver­fälsch­te Geschmacks­er­leb­nis hervor­bringt. (Focus-Online)

Das ist eine gute Gelegen­heit eine Liste der frühe­ren und aktuel­len Bäcke­rei­en und Kondi­to­rei­en in Oberko­chen zu erstel­len. Die Daten stammen aus den alten Einwohnermeldebüchern:

1959:

Ficht­ner Richard – Frühling­s­tra­ße 17

Fleury Erich – Lerchen­stra­ße 5 und Dreißen­tal­stra­ße 5 (Bäcker und Konditor)

Widmann Karl – Heiden­hei­mer Str. 6

1965:

Bezler Anton jun. – Frühling­s­tra­ße 17

Dürr Eckhard – Heiden­hei­mer Straße 56 (heute Hasen­gäss­le 6)

Engel Wilhelm – Lerchen­stra­ße 5

Ficht­ner Richard – Katzen­bach­stra­ße 70

Weidl Oswald – Turmweg 8 (Kondi­tor)

Widmann Karl (Storchen-Bäck) – Heiden­hei­mer Straße 6

1975:

Bezler – Frühling­s­tra­ße 17

Dicken­herr Adolf – Blumen­stra­ße 35

Engel Wilhelm – Lerchen­stra­ße 5

Ficht­ner Richard – Katzen­bach­stra­ße 70

Grupp Herbert (Hättre) – Hasen­gäss­le 6

Mack Dieter – Aalener Straße 7

Weidl Oswald – Turmweg 8 (Kondi­tor)

1983:

Bezler Anton – Frühling­s­tra­ße 17

Dicken­herr Adolf – Blumen­stra­ße 35

Engel Wilhelm – Lerchen­stra­ße 5

Ficht­ner Alfred – Katzen­bach­stra­ße 70

Gold Chris­ti­ne – Aalener Straße 7

1983:

Backteam Hofmann – Dreißen­tal­stra­ße 5

Dicken­herr Adolf – Blumen­stra­ße 35 und Euler­stra­ße 2

Jäger – Katzen­bach­stra­ße 70 (Bäcker und Konditor)

Schröp­fer Otto – Heiden­hei­mer Straße 3

2002:

Gnaier – Frühling­s­tra­ße 17 und Röchling­s­tra­ße 16 (Edeka)

Dicken­herr Ulrich – Blumen­stra­ße 35

Grupp Herbert (Hättre) – Hasen­gäss­le 6

Hofmann Horst – Dreißen­tal­stra­ße 5

Jäger Johan­nes – Katzen­bach­stra­ße 70

Mack GmbH – Heiden­hei­mer Straße 3

Heute 2021:

Dicken­herr Ulrich – Blumen­stra­ße 35 und Heiden­hei­mer Straße 42

Gnaier – Frühling­s­tra­ße 17

Handwerks­bä­cke­rei Mack GmbH & Co. KG – Bahnhof­stra­ße 3 (Netto)

K&U‑Bäckerei – Aalener Straße 50 (Edeka)

Kuchen Kreativ Petra Schup­ke – Kapel­len­weg 28

Kuchen­Pa­ra­dies – Walter-Bauers­feld-Straße 49

Ohne Zuord­nung von Jahres­zah­len, da in EW-Melde-Büchern nicht verzeichnet:

Bonci­um – Katzen­bach­stra­ße 70

Borch – Aalener Straße NN (Kondi­tor)

Brammen (Bomben-Bäck) – Heiden­hei­mer Straße 56 (heute Hasen­gäss­le 6)

Geißin­ger Willi­bald (Inhaber Emil Hug) – Aalener Straße 23

Müller Peter – Brezel-Eck auf der Heide (Kondi­tor)

Sächter – ???

Wannen­wetsch Georg – Heiden­hei­mer Straße 56 (heute Hasen­gäss­le 6)

Weber Micha­el „Ko(h)lbek“ (ca. 1876) – Katzen­bach­str. 11

Und am Schluss stellt sich die Frage aller Fragen: „Wer hatte oder hat die beste Brezel in Oberko­chen“? Das mag ein jeder für sich beantworten.

Alfred Ficht­ner

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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