Über die Siche­rung der Markungs- und Eigentumsgrenzen

Tonzeu­ge hinterm »Muh«
Auf Seite 446 des Oberko­che­ner Heimat­bu­ches ist unter »Sagen und Schwän­ke« folgen­de Überlie­fe­rung aufgezeichnet:

Betrü­ge­ri­sche Unter­gän­ger
»Frühe­re Unter­gän­ger, die einmal einen Grenz­stein verrück­ten, mußten nach altem Volks­glau­ben in der Zeit vom Advents­fest bis Weihnach­ten in der Gegend des heuti­gen Bahnhofs­plat­zes »markten«. Sie schlu­gen sich dabei mit feuri­gen Haken und Schau­feln und machten sich gegen­sei­tig aller­lei Vorwürfe«.

Mancher wird sich bei der Lektü­re dieser kurzen überlie­fer­ten Geschich­te gefragt haben: Was sind Unter­gän­ger, und was hat es auf sich mit ihnen? Nun, — am 8.6.1989 barg ein Geome­ter das hier in einer Zeich­nung darge­stell­te 7 cm hohe, oben 5 cm breite und ca. 1 cm dicke gebrann­te Tonsi­gnum, das sich unter einem Grenz­stein der südli­chen Grenze des ehema­li­gen Grund­stücks Jooß, Dreißen­tal­stra­ße 5, befun­den hatte. Er übergab den Tonzeu­gen, wie das Signum in der Fachspra­che bezeich­net wird, dem Heimatverein.

Oberkochen

Das Signum weist erhaben die Buchsta­ben OK auf und eine Pflug­schar. Da die Pflug­schar 1927 im späte­ren Wappen auf der Spitze stehend aufge­nom­men wurde, ist es auch hier auf der Spitze stehend darge­stellt, wodurch die Buchsta­ben spiegel­ver­kehrt erschei­nen. Die Pflug­schar war entspre­chend einer Arbeit von Dr. Chr. Schrenk von alters her ein Symbol für Oberko­chen. Anfangs­buch­sta­ben von Ortsna­men auf Zeugen­stei­nen können auf ein beträcht­li­ches Alter des Tonsign­ums hinwei­sen. Auffal­lend ist, daß der Tonzeu­ge in seiner äußeren Form ebenfalls die Form einer Pflug­schar aufweist.

In einer vor 13 Jahren erschie­ne­nen Beila­ge zum Staats­an­zei­ger wurde ein hervor­ra­gen­der Artikel abgedruckt, der die geheim­nis­vol­le Arbeit der Unter­gän­ger beleuchtet.

Die Abdruck­ge­neh­mi­gung erhiel­ten wir mit Schrei­ben vom 27.6.1989. (Beiträ­ge zur Landes­kun­de — Regel­mä­ßi­ge Beila­ge zum Staats­an­zei­ger für Baden-Württem­berg, Heft 3/1976. Verfas­ser: Hermann Neuffer, Stutt­gart). Das ebenfalls notwen­di­ge Einver­neh­men zum Abdruck gewähr­te uns auch die Witwe des Verfassers.

Wir werden diesen Artikel in einer Folge von vier Fortset­zun­gen in unserer Serie »Oberko­chen, — Geschich­te, Landschaft, Alltag« abdrucken.

Dietrich Bantel

1. Folge
Der Unter­gang — ein altes württem­ber­gi­sches Rechts­in­stru­ment
Über die Siche­rung der Markungs- und Eigen­tums­gren­zen / Von Hermann Neuffer, Stuttgart

»Am Unter­gang der Gemein­de gearbei­tet« findet sich auch heute noch als Tätig­keits­be­schrei­bung in den Lohnlis­ten ländli­cher Gemein­den im württem­ber­gi­schen des Landes Baden-Württem­berg. Kein Gemein­de­ar­bei­ter will damit beken­nen, er habe auf den Ruin der Gemein­de hinge­wirkt: Gemeint sind die »unter­gäng­li­chen Geschäf­te«. Man versteht darun­ter die Mithil­fe bei der Grund­stücks­ab­mar­kung, wobei das Schwer­ge­wicht weniger auf der Tat, der manuel­len und körper­li­chen Arbeit, als auf dem Rat ruht. Dieser Rat ist dem geschul­ten Vermes­sungs­in­ge­nieur von heute zwar nicht mehr unent­behr­lich, aber auch nicht unwich­tig. Er fließt aus genau­er Orts- und Perso­nen­kennt­nis und aus dem Wissen, auf was es ankommt. Der Berater heißt Unter­gän­ger. Wir finden ihn auch in den anderen Landes­tei­len. In den früher hohen­lo­hi­schen Terri­to­ri­en heißt er Steiner, Schie­der, Feldrich­ter, Eidbru­der. Im Gebiet der alten badischen Markgraf­schaf­ten erscheint er als Landschie­der, Feldschie­der, Feldge­schwo­re­ner, Märcker, Marcher oder Siebe­ner. In der Landes­ord­nung der Markgraf­schaft Baden-Durlach von 1715 ist er als Under­gän­ger bezeichnet.

Der Unter­gang als ein mit obrig­keit­li­chen Funktio­nen betrau­tes Gemein­de­or­gan läßt sich im ganzen südwest­deut­schen Urkun­den­be­reich feststel­len. Er findet sich auch in der Schweiz und im Elsaß. Karl Siegfried Bader hat diese alte Rechts­ein­rich­tung in seinen Studi­en zum Grenz­recht und Grenz­pro­zeß im Mittel­al­ter als »Schwä­bi­schen Unter­gang« bezeich­net. Der württem­ber­gi­sche Unter­gang hatte in den oberdeut­schen Rechts­ge­bie­ten die bedeut­sams­te Entwick­lung und die längs­te Lebens­dau­er. An seinem Beispiel läßt sich dieses alte Rechts­in­stru­ment vorgeo­dä­ti­scher Grenz­si­che­rung am deutlichs­ten nachzeichnen.

In dem hier gebrauch­ten Sinn ist das Wort Unter­gang (Under­gang) etymo­lo­gisch nicht leicht erklär­lich. Seit die Urkun­den­spra­che deutsch ist, verwen­den die Quellen den Ausdruck in mehrfa­cher Bedeu­tung. Der Unter­gang ist das prozes­sua­le Verfah­ren zur Grenz­fin­dung und Grenz­schei­dung, das Wort steht für die Grenz­si­che­rung, es bedeu­tet das Kolle­gi­um der Unter­gän­ger und meint auch ihren Spruch, also ihr Urteil oder ihr Entschei­dung. Oft wird der von den Unter­gän­gern einge­nom­me­ne oder einzu­neh­men­de Augen­schein als Unter­gang bezeich­net. Hieraus könnte sich seine Herkunft erklä­ren, denn der Augen­schein ist das Wichtigs­te beim Unter­gang. Das Wort wäre einfach als das Hinaus­ge­hen auf die Straßen und Gassen und vor allem in die Feldmark zu verste­hen. Der Unter­gang war bis in die neuere Zeit herein eine bedeu­ten­de justi­ti­el­le und adminis­tra­ti­ve Aufga­be der Gemeinden.

Hermann Neuffer, Stuttgart

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