Intro.

Der Valen­tins­tag ist keine schwä­bi­sche Erfin­dung, sondern kam als „Beifang“ im Rahmen der Beset­zung durch die US-Army nach Deutsch­land. Und bald erkann­ten die Floris­ti­ker und die Süßwa­ren­in­dus­trie, dass man damit ein Geschäft machen könne. Die Feier­lich­kei­ten, Tradi­tio­nen und Bräuche zum Valen­tins­tag entwi­ckel­ten sich seit der frühen Moder­ne zuerst in England. Im 19. Jahrhun­dert verbrei­te­ten sie sich in der englisch­spra­chi­gen Welt, durch Auswan­de­rer auch in die Verei­nig­ten Staaten, und seit dem späten 20. und frühen 21. Jahrhun­dert darüber hinaus, bis nach Ostasi­en. Das ältes­te Gedicht zum Thema stammt von Herzig Karl von Orleans, als er im 15. Jahrhun­dert im Tower von London einsaß und das ist jetzt nicht gerade eine litera­ri­sche Sternstunde:

„Ich bin schon krank vor Liebe, meine süße Valentine.“

Der Begriff „Ich liebe Dich“ ging dem Schwa­ben früher schwer über die Lippen, hatte er doch ganz andere Worte, um sich mitzu­tei­len wie „Jetzted­le und Sodele / Net g’schimpft isch g’lobt gnuag und I sag scho, wenn I di nemma mag usw……“ und sowie­so ging bei ihm die Liebe eher durch den Magen.

Spätz­le und Soß‘ mit Kartof­fel­sa­lat – das liebte er, seine Ehefrau, dui hat er halt meega.

Er hatte es lieber pragma­tisch: „Liabr a Wiasch­da, wo a Sach hat, wie a Schea­na, wo bloß Klavier schbielt“ oder kurz und knackig: „Schön­heit vergeht, Hektar besteht“.

Deshalb sind die Gedan­ken zur Liebe von Hermann Metz zum Valen­tins­tag bestens zur Veröf­fent­li­chung geeignet.

Zur Auflo­cke­rung oder als Apero zum Thema a paar Sprich d‘zua:

  • Die Liebe macht aus der Hütte einen Hof
  • Alte Liebe rostet nicht, aber schimm­lig kann sie schon werden
  • I mag Di gottsallmächtig
  • Duasch Du mi au so meega wia I di
  • Dätsch Du mie wella, wenn i Di wett
  • Mir zwoi send wia Lensa ond Schbätzle
  • I maog Di fei ganz arg

Sia hent sich arg meega.

Ich habe hin- und her überlegt, ob dieses Thema zu den Anlie­gen des Heimat­ver­eins Oberko­chen passen und die Leser der Chronik inter­es­sie­ren könnte. Weil sich in den Geschlech­ter­be­zie­hun­gen der letzten 70 Jahre manches radikal geändert hat und natür­lich auch an den jungen Oberko­che­nern nicht vorbei ging, wage ich einen Rückblick auf unsere etwas andere Zeiten. Ich begin­ne mit dem Ende der Geschichte.

Als gewese­ner Oberko­che­ner möchte ich ein bisschen angeben: Meine Frau und ich haben vor sechs­hun­dert­fünf­und­drei­ßig Jahren auswärts gehei­ra­tet; wir sind also das ältes­te Ehepaar weit und breit. Das können Sie dem Ausschnitt aus unserer Heirats­ur­kun­de entnehmen.

Oberkochen

Arabi­sche Hochzeits­ur­kun­de für Herrmann und seine Frau (Archiv Metz)

Weil es mir fast selbst schon unglaub­lich erscheint, habe ich noch einmal mit Bleistift und Papier genau nachge­rech­net: 2021 weniger 1386 ist gleich 635. Das kann nicht jeder bieten. Falls Ihnen das Lesen schwer­fällt: „Mir hend ao a deitsch-reemisch-kadoli­scha Hoaxats-Urkond en dr Schub­laad“. Auf dieser sind wir aber noch nicht ganz so alt.

Übrigens, damals wusste ich noch nichts über das Alter meines Heimat­dorfs Oberko­chen. Das hat uns erst Christ­hard Schrenk verra­ten, als er 1987 einen Festvor­trag zur 650-Jahr-Feier der Erstnen­nung Oberko­chens im Jahr 1337 hielt. (Inzwi­schen konnte diese Ersterwäh­nung auf 1335 korri­giert werden). Die Nähe dieses Jahrs zu unserer Hochzeit anno 1386 zeigt, dass ich entwe­der ein uralter Oberko­che­ner bin oder Proble­me mit der Geschichts­ma­the­ma­tik habe. Im zweiten Fall wird Herr Zweig, bei dem ich die höheren Rechen­ar­ten gelernt habe, sich seufzend im Grab umdre­hen, aber dafür haben wir bei ihm immer sehr schön gesungen.

Die Zeit vor 1386 ☺ verbrach­te ich größten­teils als Jüngling in Oberko­chen. Mit fünfzehn, sechzehn Jahren begann ich, die Mädchen um mich herum mit neuen Augen anzuse­hen. Ich fand sie plötz­lich schön und aufre­gend: die Mädchen in meiner Nachbar­schaft, meine Mitschü­le­rin­nen, oifach älle. Die Beobach­tung behielt ich aber für mich, denn darüber hätte man damals nicht gespro­chen. Sie alle hatten schöne Gesich­ter, wohlge­form­te Lippen und irgend­wie andere Augen. Auch sonst hatten sich ihre Körper mitsamt der Haarpracht verän­dert und ich fand es sehr gut gemacht vom lieben Gott ond vom Frise­er. Bloss hend se gära a weng oefäl­dig kichrt, warum, fand ich lange nicht heraus. Dann kam die Episo­de, in der mein Blick sich eineng­te auf eine Einzi­ge aus der Schar der Schönen. Mir wurde der Mund trocken, wenn ich sie nur in der Ferne erblick­te. Kam sie näher, verschlug es mir die Sprache. Brach­te ich dann doch etwas heraus, muss es zumin­dest anfangs ein stotte­ri­ges, dummes Zeug gewesen sein. Ihr scheint es gefal­len zu haben, denn sie lächel­te mich an wie ein vom Himmel gefal­le­ner Engel. Ich kann es aber hier schon verra­ten. In meinem frühen hilflo­sen Beneh­men zeich­ne­te sich schon der Anfang vom Ende ab. Wer sich zu Beginn der neunzehn­hun­dert­fünf­zi­ger Jahre verlieb­te, ließ sich auf ein anstren­gen­des Unter­fan­gen ein. Unsere bis zuletzt plato­ni­sche Leiden­schaft spiel­te sich draußen ab, in versteck­ten Gässchen, am Dorfrand, hinter Garten­zäu­nen, im Wald, wo wir dem wunder­fit­zi­gen Blick der Dreißen­tä­ler entzo­gen waren. Einmal, im Sommer, erinne­re ich mich, kamen einige respek­ta­ble Poussier­ki­lo­me­ter zusammen:

D‘ Kochrursch­brong naus, ´s Duifad­aal hendre ond d´Bronnahalde nauf. Ausge­rech­net dort oben kam uns ein Bekann­ter entge­gen. Seine Milch­kan­ne war voll mit Hemmbeer. Er sah natür­lich, dass wir uns an den Händen hielten. Doch da mussten wir durch, en Gotts­na­ma, mit einem verdruck­ten »Griaß Gott«. Es war noch ein ordent­li­ches Stück bis zur Leitza Hidde, da Labong­shang ond da Schdei­la naa, en´s Dreiß­ad­aal. Nie habe ich ihr Haus von innen gesehen und sie nie das unsere. Der Luxus des Telefons war bei den einfa­chen Leuten kurz nach dem Krieg auch noch nicht angekom­men. Dabei wäre es für unser­eins eine Hilfe gewesen, hatten wir uns doch dauernd Wichti­ges und Geheim­nis­vol­les mitzu­tei­len. Weil ich also mit schönen Reden nicht glänzen konnte, schrieb ich ihr hin und wieder ein Brief­chen. Es sollte ausglei­chen, was ich sprechend nicht zu bieten hatte. Ich übte und lernte extra eine beson­ders schöne Schreib­schrift, die gotische, mit der ich kunst­voll mit Breit- und Spitz­fe­dern die Kuverts verzier­te. Und immer kaufte ich möglichst präch­ti­ge Brief­mar­ken. Halb geschenkt waren damals Briefe; gerade mal 20 Pfennig koste­te das Porto. Ihr Inhalt verbarg nicht irgend­ei­ne Nachricht, nein, in meiner Herzens­not entstan­den Gedich­te, die, wer weiß, sogar Schil­ler einigen Respekt abgenö­tigt hätten. Hin und wieder bekam ich einen Dank zurück; sie hatte ihn mit einem gewöhn­li­chen Kugel­schrei­ber verfasst. Der Inhalt war kurz und allge­mein und deshalb meiner Liebes­glut kaum angemes­sen. Trotz der hinab­ge­schluck­ten Enttäu­schung hat mai Herz jedas Maol schwer bombrt. Als ich Oberko­chen für einige Zeit verließ, dachte ich in der Ferne mehr an sie als an anderes. Ich schrieb Briefe, doch sie blieben ohne Echo. Dafür aber, ich wollte es nicht glauben, sah man sie immer wieder, teilte man mir aus der Heimat mit, mit einem »Anderen« em Dorf donda. Oh, Herr im Himmel, war so viel Untreue Dein Wille? Mein Schmerz war unbeschreib­lich. In Eichen­dorffs sehnsüch­ti­gem Volks­lied: »In einem kühlen Grunde« fand ich Trost. Ich lernte es von vorne bis hinten auswendig.

Die letzte Strophe spiegel­te meine Stimmung genau wider:

„Hör ich das Mühlrad gehen: / ich weiß nicht, was ich will / ich möcht‘ am liebs­ten sterben, / da wär‘s auf einmal still.“

Ich versuch­te, das Unglück zu verste­hen. So jung wie sie war, fiel es ihr schwer, einen anstän­di­gen Schnitt zu machen. So etwas will auch gelernt sein. Damals hörte man in ähnli­chen Situa­tio­nen öfter den aufmun­tern­den Spruch: Komm, nemms et so ernscht, a andra Muadr hat ao a scheas Keed. Das war leicht dahin­ge­sagt, und doch gab es so eine Mutter und auch das dazuge­hö­ri­ge Kind. Beim zweiten Versuch ist man jedoch, ob man will oder nicht, vom ersten schon gebrannt. Wir beide waren uns bald herzlich zugetan, aber die Zeit kam, da in Wellen, unsicht­bar, der Vorsichts­blick erschien, der misstraui­sche, der zerstö­re­ri­sche. Da ich nicht mehr in Oberko­chen weilte, schrieb ich Briefe. Sie waren nicht weniger inbrüns­tig als die frühe­ren, doch wurde mir langsam klar: Liebes­leu­te wellat schwätza ond et Briaf schreiba. Konnte das die Grund­la­ge für die Familie sein, die ich mir kurzzei­tig ausmal­te, mit fünf, sechs Kindern? So weit und verwe­gen hatte aller­dings nur ich geplant, ganz allein in meiner geheims­ten Herzens­höh­le. Kurz: Zwei himmel­hoch­jauch­zen­de und gleich­zei­tig todtrau­ri­ge Seelen hielten die junge Verbin­dung eine Zeit lang zusam­men. Dann mussten wir den bitte­ren Kelch erlei­den. So verhei­ßungs­voll die Hoffnung begon­nen hatte, so unbegreif­lich und unerwar­tet flog sie davon. Am Ende schwamm sie ertrin­kend den Kocher hinab, hinweg über Steine und Grubba­seggl, und durch diafe Gomba durch. Allen, denen heute noch so etwas passiert, widme ich diese Erkennt­nis: Scho s gloischt Missdraua, Mädle, Bua, druckt schdark ond glemmt uich ällas zua. Ich beobach­te­te, wie einige Jahre nach meinen Erfah­run­gen viele Junge die lächer­li­chen Liebes­mü­hen in Gässchen und auf steini­gen Waldwe­gen für überholt hielten. Sie fläzten sich ins angebe­ri­sche Auto, um Süßholz zu raspeln und das Blaue vom Himmel herab­zufa­bu­lie­ren, ond was woiß I no ällas. Also, soo ebbas von ooroman­disch! Während ich neben­her älter wurde, nahm meine Lebens­weis­heit doch noch ein kleines bisschen zu. Auch war ich in Frauen­sa­chen nicht mehr ganz so hilflos.

Oberkochen

Das offizi­el­le Hochzeits­bild von Herrmann und seiner Frau (Archiv Metz)

Nach einigen Umwegen erreich­ten wir, meine letzte Gelieb­te und ich, schließ­lich das arabi­sche Jahr 1386. Näheres siehe oben. Schließ­lich noch eine Anmer­kung zum Wort Liebe im Dialekt. »Ich liebe dich«, hört man heute fast infla­tio­när oft. Wer diesen Satz heraus­lässt, kann kein Oberko­che­ner sein. Das Wort »Liebe« gibt es im Schwä­bi­schen nämlich nicht. Lassen sich Schwa­ben trotz­dem darauf ein, klingt ihr »Ich liebe dich« irgend­wie preußisch-steif, ond wahrschein­lich isch d´Hälfde drvoo glooga.

D´Obrkochamr sagat: »I mag de«, odr »Magsch me no?«, odr »Dia zwoi hent sich arg meega«. Für den weniger Dialekt­fes­ten eine Hilfe: In »I mag de« spricht der Schwa­be das a nasal aus wie das hinte­re a in Eisabah oder wie die franzö­si­sche Zahl cent (hundert). Brobiers oefach, sags amaol zua daim Schätz­le – ´s wurd vor Aufre­gong ganz roade Bäggla griaga.

In diesem Sinne – machen Sie ihrem Schätz­le wieder einmal eine schwä­bi­sche Liebes­er­klä­rung und fragen nicht nur: „Schätz­le – bisch fertig met Butza, I hao Honger ☺.“

Und wenn sie fragt: „Magsch Du mi“, na sagsch halt „Wenn’d me so fraogsch…..“

Hermann Metz

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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