Oberkochen

Das alte Oberko­chen nach 1900 (Archiv Müller)

Vorne weg.

Es gibt Menschen, die haben etwas zu erzäh­len und es gibt Menschen, die können es dazu noch gut aufschrei­ben. Zur letzte­ren Gruppe gehört der alte Oberkoch­ner Hermann Metz (Jahrgang 1938) aus dem Dreißen­tal Haus Nr. 64, jetzt wohnhaft in Breisach.

Oberkochen

D’r jung‘ Hermann vom Dreißatal (Archiv Metz)

Kurze Biogra­fie.

Em Dreiß­tal aufg’wachse, beim Klotz­bü­cher en d’Schual gange, beim Wigo g’lernt, zwei Vorse­mes­ter wegen fehlen­dem Abi macha müasse und noa in Augschburg Maschi­n­a­bau studiert. Anschlie­ßend hat er 2 Jahre beim Wigo als Konstruk­teur gearbei­tet. Er wurde einge­setzt, wo er gerade gebraucht wurde: Bei den Holzbe­ar­bei­tungs­ma­schi­nen, den Metall-Drehma­schi­nen und den Fräsma­schi­nen. Berufs­be­glei­tend lernte er Franzö­sisch bei Studi­en­rat Otto Krug. Nach dieser Zeit ging er nach Brüssel, wo er in einem ähnli­chen Betrieb wie Wigo arbei­te­te und weiter­hin seine Franzö­sisch­kennt­nis­se jeden Abend in einer sehr guten Sprach­schu­le vertief­te. Wie’s im Leben manch­mal so geht – die Stutt­gar­ter Zeitung berich­te­te über eine Gewer­be­schu­le, die das Land Baden-Württem­berg in Tunesi­en bauen und einrich­ten wolle, um dort Berufs­aus­bil­dung zu betrei­ben. Für das Berufs­bild „Techni­sche Zeich­ner“ wurde aber noch ein Lehrer gesucht. Das wäre doch etwas für ihn, mag er gedacht haben zumal die franzö­si­sche Sprache inzwi­schen auch kein Problem mehr war. In Tunesi­en fand er dann auch „seine“ deutsche Kranken­schwes­ter, sie heira­te­ten dort und gemäß arabi­scher Heirats­ur­kun­de, im Jahre 1386. Sie sind somit das „am-längs­ten-verhei­ra­te­te-deutsche Ehepaar“ weltweit ☺. Über vier Jahre lang blieben sie dort, bis ein Kolle­ge aus Ravens­burg meinte, er könne doch überhaupt in den Berufs­schul­dienst gehen. »I war beim Klotz­bü­cher, i ka et Deitsch«, sagte ich. »Des macht nix, Haupt­sach, d´Schüeler kennas.« antwor­te­te der Kolle­ge. So wechsel­te er zu „Liebherr“ (Bauma­schi­nen) nach Colmar, um dann den Wechsel in die Berufs­schu­le zu wagen. Viele Schüler dort hatten, wie er befürch­te­te, tatsäch­lich Proble­me mit der deutschen Sprache. In der Berufs­schu­le blieb er dann, mit Ausnah­me einer zweiein­halb­jäh­ri­gen Unter­bre­chung in Saudi-Arabi­en, bis zu seiner Pensio­nie­rung. Da bleibt mir nur zu sagen: „Chapeau für einen gelun­ge­nen Lebens­weg für einen „Bua vom Dreißatal“.

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Teil der Heiden­hei­mer Straße nach 1954 (Archiv Müller)

Hermann Metz gibt kund.

Als ganz früher Oberkoch­ner schmö­ke­re ich immer wieder in den inzwi­schen über 700 Berich­ten des Oberkoch­ner Heimat­ver­eins über Geschich­te und Geschich­ten. Kürzlich las ich über die sagen­haf­te Hans-Betzler-Stiftung, die auf einen Mann zurück­geht, welcher der Familie des alten „Grünen Baums“ entstammt (heute Gebäu­de der Metzge­rei „Lerch“). Dieses Wirts­haus rief bei mir sofort Erinne­run­gen aus der Kindheit hervor. Das Vorkomm­nis ist so wenig alltäg­lich, und heute gar nicht mehr vorstell­bar, dass ich es über die Bärbel Schurr dem „Billie vom Sonnen­berg“ zukom­men ließ, um daraus einen Bericht zu machen. Ich habe mich für eine Gedicht­form entschie­den, dass es etwas leben­di­ger macht.

Oberkochen

Eine große Beerdi­gung vor den Häusern Lange­stra­ße 170 und 172 (Archiv Müller)

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Der „Lugen­beu­tel­ver­ein“ aus dem „Kies“ am Faschings­diens­tag vor dem „Grünen Baum“ kurz vor dem I. Weltkrieg (Archiv HVO)

Der Leser erfährt beim Lesen, dass ich als 10-jähri­ger Bub die Aufmerk­sam­keit der Polizei auf mich zog. Wenn ich heut‘ daran zurück­den­ke, empfind ich das heute noch „scho a bissle als Schand“. Ob ich wohl sonst auch ein Rüpel war? Ich hoffe nicht, aber ein Lehrer schien mein Problem genau zu kennen, denn er sagte einmal vor versam­mel­ter Klasse: „Metz, dir merkt ma au oa, dass dir d’r Vadd’r fehlt!“. Das war gewiss kein Lob. In der Puber­tät war ich sicher „koi Oifacher“. Aber wer war des schon in dem Alter und ist da ohne Schram­men durchgekommen.

Bilder zu finden war nicht ganz einfach, denn so viele vom Grünen Baum gibt’s ja nun auch nicht.

Oberkochen

1930 – Kradfah­rer aus Stutt­gart zu Besuch (Archiv Müller)

Und jetzt viel Spaß beim Lesen von „derra G’schicht vom Gliamooscht“.

Die Mutter sprach zum Knaben:
»Das Jahres­seil, heut schnei­den wir es ab!
Einen Glühmost müsst ich dafür haben –
für Glühwein ist das Geld zu knapp.«

»Nimm,« sagt sie, »die Milch­kann, lauf
ins Dorf hinab und naus en ´s Kies,
der Grüne Baum Glühmost verkauft!«
Der Knabe schnell das Haus verließ.

Auf der Straß‘ hörte man ihn fröhlich senga,
bald traf er den Freund, so om de halb zwelfa:
»Warum muaschd denn du so schnell sprenga?«
»Komm gang mit mir, du kascht mr helfa.«

In die Wirts­stub treten sie ein,
grüßen, wohl erzogen: »Grüß Gott!
« Die Wirtin fragt: »Was soll es sein?«
»D´ Muader a Kännle Mooschd han sott!«

Der Saft gelbbraun aus dem Fässle rinnt
die Kann ist voll bis oben hin,
jammern hört man ein kleines Kind,
der Knabe zahlt, die Wirtin eilt zu ihm.

Kaum ist sie entschwun­den hinter der Tür,
sagt zum Freund der Knabe: »I mach dir
´s Buabe­lo­ider­le, so, von onde nauf.«
Der Freund steigt behän­de drauf,
erreicht den Bierhahn, dreht ihn auf.

Sie hörens pfuzga, zischa, schbritza,
man sieht sie aus der Wirtschaft flitza,
am Rössle vorbei, naufzu­as, dreiß­adal­wärts,
voll Freude über den gelung­nen Scherz!
Da naht, keuchend, unerwar­tet, schon
mit grimmi­ger Miene der Wirtin Sohn.
»Wege Uich«, schreit er, »ischs Bierfass leer!«
»Was?« fragt der Knabe, »Warum, wie, wer?«
Auch der Freund beteu­ert unschul­di­gen Gesichts,
von einem Bierfass, nein, da wüsst er nichts.

Der Wirt war indes zur Polizei gerannt,
wo Recht und Ordnung er verlangt.
Der Bolezei bald drauf durch die Garten­tür geht,
verkün­det der Mutter die Botschaft mit Autorität.

Ja, waas? Die Mutter kanns kaum fassa,
»Ja! ´s Bier isch furt! Der Knabe hat´s laufa lassa.«
»Ich wars nicht! Der Freund! Sie können ihn fragen!«

Der Bolezei geht, auch den Freund zu plagen.
Deam sei Vaader jammert: »Send no so guat,
der Bua isch mai oiges Floisch ond Bluat!
Moinat ihr, der dät so ebbas? I wurr vrruggt;
Ihr säat doch, wie n´r ooschul­dig guggt!

Am Nachmit­tag bei der Polizei versam­melt sind:
Vater und Sohn, die Mutter mit dem verdat­ter­ten Knab,
der Wirt und die Wirtin mit dem kleinen Kind,
über den Schul­di­gen wollen sie brechen den Stab.

Der Bolezei streng den Freund exami­niert:
»Vrzehl oos nomol genau: Was isch gschäa!?«
»Also, ii han bloss des Oine gsäa, dass dr Bua am Hahne rommontiert.«

Die Staats­macht in Uniform, der Bolezei,
entschei­det souve­rän, ´s gibt koen Zweifel:
«Der Gliah­mooschd-Bua war dr Bierhahna-Deifl.«

»Voll war ´s Fass, 20 Mark wars wert, des Bier,
´s Herz, oh, es kennt faschd brecha mir!«,
die Wirtin fuchtelnd und hustend erklärt.
»Hat ma en Oberko­che scho amol so ebbas ghärt?
Des ganze guade Bier isch in da Kocher na glaufa,
was sollat am Schdamm­disch die Menner jetzt saufa?«

D´Muadr will scheints no ebbas rausschen­da,
drum fragt sie vorsich­tig, von henda:
»Wirtin, sagat­se, war des Fässle wirklich ganz voll?«
»Frau, i woiß gar et, was uier Gschwätz dao soll!
Gestern kams frisch gefüllt aus der Braue­rei,
hait Mittag wars raddefatz leer, ´s isch a Sauerei!«
»Wo nimm ich«, greint die Mutter, »das Geld nur her?
20 Mark, glaubats no, es fällt mir schwer!«
»Dui Frau isch Kriager­wit­we«, sagt der Bolezei,
weshalb es gerecht, human und mensch­lich sei,
in Raten zu teilen des Knaben Schuld,
der solle 5 Mark mutig und mit Geduld
en da „Greana Baum“ moana­ts­weis traga,
iiber sein Richter­spruch gäbs hoffent­lich nex z´klaga.

Für die Mutter war der Silves­ter-Gliah­mooschd kein Genuss,
sie schüt­tet ihn en da Schittsch­doi na, in einem Guss.
Der Knabe aber Monat für Monat ging
voll Gram und Angst zur Wirtin hin,
um ihr die Schuld in Raten zu zahlen;
dem Buben wars bang, er litt nur Qualen.
Sui schempft: »A v‘rwahrloaster Kerl bisch du!«,
nimmt die 5 Mark – und haut ihm zwei Safti­ge aufs Maul dazu.

Oberkochen

Der „Grüne Baum“ von innen mit den Männern, die den Ton angaben (Archiv Müller)

Ich muss sagen, so äbbes Herrlichs ist schon lange nicht mehr über meinen Schreib­tisch gegan­gen. Und ich darf der Leser­schaft versi­chern, der Hermann Metz hat noch einiges auf Lager. Wir freuen uns schon drauf.

Frage an die Leserschaft:

Wer kennt noch andere „Buch-Autoren“, die gebür­tig aus Oberko­chen oder inzwi­schen hier heimisch gewor­den sind? Es geht hier aber nicht um wissen­schaft­li­che Fachliteratur.

Derzeit sind mir folgen­de Perso­nen bekannt:

Prof. Dr. Thomas Vilgis (Mainz), Reinhard Bogena (Essin­gen), Hans-Joachim Neumann (Oberko­chen), Dietrich Bantel gest. (Oberko­chen), Walter Seedorf sen. (Oberko­chen) und Prof. Dr. Christ­hard Schrenk (Heilbronn).

In Zusam­men­ar­beit mit der Stadt­bi­blio­thek wird es im Herbst eine Aktion dazu geben. Bis dahin möchte ich sicher­ge­stellt haben, dass ich dabei keinen verges­sen oder gar ausgrenzt habe ☺.

Ich bitte also um entspre­chen­de Hinwei­se und Kontakte.

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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