Zur Erinne­rung.

Am heuti­gen Freitag, den 24. April 2020, vor 75 Jahren, der damals ein Diens­tag war, endete der II. Weltkrieg zwar nicht offizi­ell, das war der 8. Mai 1945, aber an diesem Tag war der Krieg in Oberko­chen zu Ende und die verspro­che­nen 1.000 Jahre waren gottsei­dank nach 12 Jahren Geschich­te. Die braunen Gedan­ken wabern aber bei manchen noch bis heute in den Köpfen herum.

Intro.

Des Josef Brandstetter’s jüngs­ter Sohn Bruno hat mir seine Kindheits­er­in­ne­run­gen geschickt. Teile davon werden im großen „Dreißen­tal-Bericht“ verwen­det, andere im „Mega-Bericht Schulen und Lehre­rIn­nen“. Jetzt bleiben noch die ältes­ten Erinne­run­gen an die Kriegs­zei­ten von Bruno, der 1936 geboren wurde und am Ende des Krieges mit 9 Jahren, im Gegen­satz zu vielen Erwach­se­nen, sein Leben einfach weiter­le­ben konnte. Das war einfach das Glück im richti­gen Jahr und am richti­gen Ort geboren zu werden und aufwach­sen zu dürfen.

Oberkochen

Ungefähr 1934 Oberko­chen überschau­bar einge­bet­tet im Kocher­tal (Archiv Müller)

Los geht’s.

Das Mitglied Bruno des allseits bekann­ten Freun­des­krei­ses „Bagage“ blickt zurück. Die Bilder stammen aus der Zeit 1933 bis 1945 und zeigen uns, dass nicht nur anders­wo, sondern auch bei uns fleißig mitge­macht wurde – viele fleißig, manche mäßig und wenige haben auch eine klare Haltung dagegen gezeigt. Und ab 8. Mai 1945 wurde das große weiße Tuch des Verges­sens über alles Braune gelegt.

Oberkochen

Aufstel­lung vor dem Linden­brun­nen (Archiv Müller)

Die Anfangs­kriegs­jah­re hatten wir Kinder eigent­lich nicht mitbe­kom­men. Hubert wurde im Alter von 18 Jahren, also 1941, zur Luftwaf­fe einge­zo­gen. Fliegen war bis dahin seine Leiden­schaft. Hatte er doch schon auf dem Hornberg bei Schwä­bisch Gmünd die A‑Prüfung für den Segel­flug­zeug­füh­rer bestan­den. Der Josef wurde bereits mit 15 ½ Jahren, direkt mitten aus der Lehrlings­aus­bil­dung heraus, also 1943 einge­zo­gen. Das zeigte ja schon deutlich wie verlo­ren die Sache damals schon war. Im Jahr 1945, mit 18 Jahren, ist er aus der briti­schen Kriegs­ge­fan­gen­schaft abgehau­en und zu Fuß nach Hause gelau­fen. Erst als der Hubert als vermisst gemel­det wurde, bekam ich daheim etwas mit, denn für Mutter war das eine sehr schwe­re Zeit, in der viel geweint wurde. All die Jahre danach, im Grunde bis zu ihrem Tod 1961, blieb die Frage offen, ob Hubert noch irgend­wie irgend­wo, vielleicht in einem Arbeits­la­ger, lebte. Die Hoffnung starb wie immer zuletzt.

Oberkochen

Sie marschier­ten auch in Oberko­chen – vom Leitz Richtung heuti­ger Kreisel (Archiv Müller)

Weihnach­ten im Jahr 1944. Meine beiden älteren Brüder waren „im Krieg“, wie man damals sagte. Der Hubert wurde seit 1942 in Kiew vermisst und der Josef war irgend­wo an der Ostfront. Mein Vater Josef sollte zum Volks­sturm einge­zo­gen werden, Adolfs letzte sinnlo­se Aktion der Kriegs­ver­län­ge­rung. Das alles machte meine Mutter Lydia sehr traurig. Der jüngs­te ihrer Buben war gerade mal 8 Jahre alt und es gab keine Spiel­sa­chen. Geld hatte sie sowie so keins (mehr) und so mussten eben Äpfel, Bredla (Gebäck) und ein paar prakti­sche Kleidungs­stü­cke genügen.

Um diese Zeit dachten viele schon „Hoffent­lich ist dieser verdamm­te Krieg bald zu Ende“ auch wenn es noch einige Unver­bes­ser­li­che gab, die an den Sieg, den Endsieg glaub­ten – so auch in Oberko­chen. So leicht verschwin­det das „Braune“ aber nicht, sollte man meinen. Aber in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 ist es so schnell verschwun­den, dass man glauben konnte, dass alles nur ein Traum gewesen war. Keiner war dabei und keiner hat etwas gewusst. Kollek­ti­ve Amnesie – ein neues Krank­heits­bild war über Nacht entstanden.

Oberkochen

Sie ziehen vor dem sog. Schmid-Haus (heute Haus Nr. 30) das Dreißen­tal hinun­ter (Archiv Müller)

Meine Mutter hatte da noch eine zünden­de Idee, damit der Bub an Weihnach­ten nicht ganz ohne Geschenk daste­hen musste. Unsere Familie hatte zur Familie des Huga-Schrei­ners enge und gute Bezie­hun­gen. Mein Bruder Hubert „ging“ mit der Josefi­ne Hug, sprich, sie war seine Freun­din bevor Adolf ihn rief. Und so hatte der Vater vom Rudolf Hug mir eine Holz-Lokomo­ti­ve gebas­telt. Mit großen Augen sah ich dieses Pracht­stück unter dem Baum stehen. Mindes­tens 40 cm lang war sie und hatte 4 große und 2 kleine Räder sowie einem präch­ti­gen Schorn­stein. Sie war tiefschwarz angestri­chen und glänz­te unter dem Baum. Ein Pracht­stück für den kleinen Bruno. Nur gab es einen kleinen Nachteil, der die Freude doch ein wenig bis sehr trübte. Sie konnte zur großen kindli­chen Enttäu­schung des Buben nicht berührt werden, da die Farbe nicht trocken war. Da es in diesen Zeiten keine Farben zu kaufen gab, hat der Huga-Schrei­ner schwar­ze Schuh­creme mit Leinöl vermischt und die Lok damit angestri­chen. Nach Weihnach­ten kam die Lok in den „Gaisen-Keller“ und stand und trock­ne­te und stand und trock­ne­te und stand ….. und wurde niemals richtig trocken. Irgend­wann wurde sie schlicht und ergrei­fend – verheizt.

Oberkochen

1938 Richt­fest des HJ-Heims oberhalb des Turmwegs mit Hausnr. 24 – heute Sonnen­berg­schu­le (Archiv Müller)

In Oberko­chen bekamen wir erst gegen Ende des Krieges den Krieg tatsäch­lich und wirklich zu spüren. Die größte Angst hatten die Menschen vor den Jagdbom­bern, den sog. „Jabos“. „Rotschwänz­chen“ wurde die Jabos genannt, die ein rotes Leitwerk hatten. Einmal kamen die Jabos über den Volkmars­berg einge­flo­gen, stürz­ten das Dreißen­tal hinab und nahmen einen Sträf­lings­zug, im Bahnhof stehend, unter massi­ven Beschuss und flogen über den Rodstein aus dem Tal heraus. Der Dampf­kes­sel der Lok wurde durch­lö­chert und einige Sträf­lin­ge (Berich­te 177 und 178) wurden dabei getötet. Wir Buben suchten dann im Dreißen­tal nach leer geschos­se­nen Patro­nen­hül­sen, das waren schließ­lich begehr­te Tausch­ob­jek­te in der Schule.

Selbst auf dem Heimweg von der Schule mussten wir öfters im Straßen­gra­ben Schutz suchen, damit wir von den Jabos nicht gesehen werden konnten oder gar in den Kellern der Wohnhäu­ser an der Dreißen­tal­stra­ße Schutz suchen. So bin ich mehr als einmal im Keller der „Hausmanns“ gesessen.

Ende 1944 / Anfang 1945 wurden die feind­li­chen Flieger­an­grif­fe immer häufi­ger. Und so saßen wir (Vater, Mutter, Tante Martha und ich) nächte­lang im Keller, um im Ernst­fall überle­ben zu können. Aber, wie die meisten Oberko­che­ner, hatten auch wir keinen Luftschutz­kel­ler, sondern ledig­lich einen Vorrats­kel­ler. Die Türen waren selbst gebas­telt und hatten keine Einfas­sung und kein Schloss, denn richti­ge Keller­tü­ren hatten wir erst ab 1961.

Am 8. April 1945 wurde meine Hl. Kommu­ni­on gefei­ert. Es war die Zeit, als ständig mit Jabo-Angrif­fen gerech­net werden musste. So wurden wir auch auf dem Weg zum Kirch­gang von einem Wehrmachts­an­ge­hö­ri­gen in den Keller beim „Herrgotts-Häfner“ neben dem alten Rathaus (Heute VR-Bank) einge­wie­sen. Mein Vater wollte nicht in diesem sehr alten Keller Unter­schlupf suchen, wurde aber von dem Solda­ten am Verlas­sen des Kellers gehin­dert. Drei Tage später wurde das Haus bei einem Angriff schwer getrof­fen und 8 Menschen starben in den Trümmern. Aus diesem Grund gibt es so eine starke Bezie­hung zu dem Haus mit dem Herrgott – dem Herrgotts-Häfner-Haus. Die neuen Besit­zer haben das damals stark unter­schätzt, als der „Jesus“ abmon­tiert wurde.

Natür­lich musste es an einem solchen Festtag auch in diesen schwe­ren Zeiten ein Festtags­es­sen geben. Fleisch war kein Problem, hatten wir doch Hasen und Hühner im Stall. Außer­dem hat Onkel Karl (Brand­stet­ter) aus dem Katzen­bach von seinem Schwein einen Braten gestif­tet. Grüner Salat oder Gemüse waren Mangel­wa­re und konnten nur durch Bezie­hun­gen oder Tausch auf den Tisch gezau­bert werden.

Die auswär­ti­gen Gäste, wie Onkel Albert und Tante Mathil­de Bauer aus Esslin­gen a.N. wollten natür­lich beim Gottes­dienst in Oberko­chen dabei sein. Die Zugfahrt endete aller­dings nach einem Jabo-Beschuss in Mögglin­gen. Da hieß es dann per Anhal­ter auf Bauern­wa­gen nach Essin­gen zu kommen, um von dort aus zu Fuß im „Sonntags­staat“ (Festtags­klei­dung) über das Essin­ger Feld bis ins Dreißen­tal zu laufen. Mit Kirch­gang war da nichts mehr, aber zum abend­li­chen “Vesch­per hat’s no g’langt“. Auch bei dieser Kommu­ni­on gab es natür­lich Geschen­ke, prakti­sche Gebrauchs­ar­ti­kel und rund 300 RM, die auf ein Konto gelegt wurden. Nach der Währungs­re­form, im Jahr 1948, hat sich das aber in Luft aufge­löst. Trotz allem war es für mich ein schöner Tag, an den ich gerne zurückdenke.

Ich erinne­re mich auch an einen Flugzeug­an­griff auf einen Zug im Bahnhof Oberko­chen. Ob das der Zug mit den Häftlin­gen war oder ein anderer, das weiß ich nicht mehr. Aber ganz genau weiß ich noch, dass ein Wagen voller Zicho­rie / Malzkaf­fee war. Alle kamen dann mit ihrem Leiter­wa­gen und der Großbau­er gar mit dem Kuhge­spann und dem großen Wagen flugs zum Bahnhof gelau­fen bzw. gefah­ren, um den Eisen­bahn­wag­gon umgehend von seiner Kaffee-Ladung zu befrei­en. Diese Beute konnte man wunder­bar bei den Bauern als Tausch­mit­tel einset­zen, denn Kaffee (-ersatz) wuchs bei denen auf den Feldern nicht ☺.

In den letzten Wochen des Krieges, im April 1945, wurde mein Vater Josef noch auf Veran­las­sung des Ortsgrup­pen­lei­ters der NSDAP zum Volks­sturm nach Aalen einbe­ru­fen. Sie mussten sich in Aalen in der „Remon­te“ versam­meln. Gottsei­dank gab es keine Waffen mehr an das letzte Aufge­bot zu vertei­len. Wenn schon nicht die Solda­ten fähig waren den Krieg zu gewin­nen, sollten es nun die alten Männer und die jungen Buben richten. Man entschied dann diese Volks­stür­mer, besser Himmels­stür­mer, ohne Bewaff­nung auf die Ameri­ka­ner loszu­las­sen – die letzten NSDAP-Haude­gen, die das zu verant­wor­ten hatten, waren wohl schon im geisti­gen Deliri­um. Mein Vater entschied sich dann aber für eine andere Lösung. Er nahm den nächs­ten Zug und fuhr einfach nach Oberko­chen zurück. Riskant und mögli­cher­wei­se Fahnen­flucht, wenn er an die Falschen geraten wäre. Er dachte sich, erschos­sen werden kannst du von beiden werden, den Amis oder der SS – die Chance zu überle­ben ist am Größten, wenn du dich verdrückst. Er tauch­te erst wieder auf, als der Ami in Oberko­chen einmarschierte.

Am 17. April wurde Aalen bombar­diert. Es entstan­den schwe­re Schäden am gesam­ten Bahnhofs­ge­län­de einschl. des Reichs­bahn­aus­bes­se­rungs­wer­kes, kurz RAW genannt sowie im Bereich der Olgastraße.

Oberkochen

Rund um den „braunen“ Maibaum vor dem Gasthaus „Lamm“ in der Ortsmit­te in dunkler Zeit zwischen 1933 und 1945 (Archiv Müller)

Als die US-Truppen immer näher kamen zogen auch deutsche Einhei­ten, oder Reste davon, durch unsere Gemein­de. Da sah man VW-Kübel­wa­gen, BMW-Motor­rä­der mit Seiten­wa­gen und 3‑rädrige Ketten­fahr­zeu­ge. Die Solda­ten lager­ten unter Zeltpla­nen unter­halb vom „Glasers Mahd“ (oberhalb des städti­schen Fried­hofs). Wir Buben machten mit den Solda­ten Tausch­ge­schäf­te und ergat­ter­ten dabei Kochge­schir­re, integrier­te Essbe­stecke (Messer, Gabel, Löffel in einem), Tornis­ter, mit Fell überzo­ge­ne Trink­fla­schen sowie Offiziers­stie­fel und Ritter­kreu­ze. Was war der Preis dafür? Natür­lich Zivil­klei­dung, um die verrä­te­ri­schen Unifor­men loszu­krie­gen. Damit haben sie dann versucht, der Kriegs­ge­fan­gen­schaft zu entkom­men. Und so hat mancher „Blaue Anton“ von zuhau­se hat auf diese Art und Weise noch schnell einen neuen Besit­zer gefunden.

Kurz vor dem Einmarsch wurde von den letzten Unein­sich­ti­gen der SS noch die Kocher­brü­cke beim Bahnüber­gang Beier (am heuti­gen Kreisel gegen­über vom ehema­li­gen Oppold bzw. LMT) gesprengt. Auch in der Dreißen­tal­stra­ße beim Wingert „Stöpsel“ (heute Haus Nr. 70) wurde noch eine gewal­ti­ge Panzer­sper­re errich­tet: Drei große Tannen­baum­stäm­me und darun­ter zwei Teller­mi­nen – wie einfalls­reich – wurden quer über die Straße gelegt. Der Feind konnte ja über den Volkmars­berg kommen und da sollte er schon noch im Dreißen­tal gestoppt werden können. Da hatten die Dreißen­tal­be­woh­ner aber genug mit Partei, Bürger­meis­ter und Funktio­nä­ren. Die Sperre wurde von ihnen geräumt, die Minen entsorgt und die Baumstäm­me als Heizma­te­ri­al unter­ein­an­der verteilt.

Wegen des bevor­ste­hen­den Einmar­sches der US-Truppen nahmen wir, Mutter Lydia, Tante Martha mit ihrer Tochter Martha (verh. Nagel) und ich, Zuflucht im Most-Keller. Auch der Huga-Schrei­ner Rudolf mit seiner Mutter und Schwes­ter suchte hier Zuflucht. Der Vater hinge­gen musste im gefähr­de­ten Ortskern das Haus am Kocher bei der Molke (Milch-Häusle) bewachen. Plötz­lich war es draußen sehr still gewor­den, keine Grana­ten schlu­gen mehr ein, kein Gewehr­feu­er war mehr zu hören und irgend­wann war die Stimme und die Schell‘ des Amtsbüt­tels zu hören: „Leut‘ der Krieg isch aus, kommat doch aus eure Keller und Häuser raus.“ Wir haben es dann gewagt, aus der unteren Haustü­re neugie­rig durch einen schma­len Spalt hinaus­zu­schau­en und sahen den Büttel und einen ameri­ka­ni­schen Solda­ten mit einer MP im Anschlag. Irgend­wie hatte ich das Gefühl, dass der Ami mehr Angst hatte als wir. Wir wurden aufge­for­dert, als Zeichen der Kapitu­la­ti­on eine weiße Fahne, ein Tuch oder ein Bettla­ken zu hissen.

Am 24. April 1945, mit dem Einmarsch der Amis in Oberko­chen, war für uns der Krieg zu Ende. Danach begann ein länge­rer US-Konvoi mit Panzern, Lastwa­gen, Geschütz­an­hän­ger, Jeeps und aller­lei Materi­al auf einer Art Umgehungs­stra­ße zu rollen (hinter der Bahnli­nie, da wo heute die B 19 liegt). Auch bei uns in der Lerchen­stra­ße fuhren viele Fahrzeu­ge hinauf zum Bergheim am Turmweg, damals HJ-Heim oder Hitler-Heim genannt. Die vielen Fahrzeu­ge parkten alle in Reihe bis zum Wald hoch. Auch den Volkmars­berg­turm hatten die Amis besetzt und viel Verkehr rollte die Bergstra­ße hinauf. Das Gebiet rund um den Turm war Sperr­ge­biet und blieb bis Anfang der 60er Jahre besetzt.

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Jetzt geht’s das Dreißen­tal hinauf zur Zentra­le im Turmweg (Archiv Müller)

Wenn ich mich recht zurück­er­in­ne­re war das Bergheim ein Versamm­lungs- und Ausbil­dungs­zen­trum für die Hitler-Jugend, HJ genannt, vermut­lich haben sich die anderen Braunen da auch getrof­fen. Wenn man durch den Haupt­ein­gang hinein­ging traf man auf eine Ehren­ga­le­rie mit vielen Fahnen – das Ganze kreis­rund gestal­tet – und in der Mitte stand eine Metall­büs­te auf einem Marmor­block von Adolf Hitler. Das ganze Ensem­ble war wohl ca. 2 Meter hoch. Das Bild der im Gleich­schritt marschie­ren­den Hitler­jun­gen mit Musik und Trommel­klang ist mir heute noch gegen­wär­tig. Damals waren wir jung und unwis­send und durch­aus nicht erfreut, dass sie uns Buben noch nicht haben wollten. Nachträg­lich betrach­tet war es gut so und es lässt sich durch­aus sagen „Glück gehabt durch die späte­re Geburt“.

Oberkochen

1938 Der Benut­zung durch die „Braunen“ (alt wie jung) überge­ben (Archiv Müller)

Oberkochen

Das alte Herrgotts-Häfner-Haus aus den 20er Jahren des letzten Jahrhun­derts (Archiv Müller)

Zur Erinne­rung, weil es nunmehr 75 Jahre her ist und einfach dazu passt.

Am 11. April 1945 wurde das Eltern­haus von Hubert Winter beim Luftan­griff auf Oberko­chen zerstört, seine Mutter und seine Großmutter starben. Dieser Bericht von Frank Bühl erschien am 11. April 2005 aus Anlass des 60jährigen Erinnerns in der Schwäpo:

»Das Schlimms­te war, als die Flieger zurück­ka­men«. Den Gestank hatte Hubert Winter noch lange in der Nase gehabt. Den bitte­ren Gestank nach Rauch, der nach dem Luftan­griff auf sein Eltern­haus in der Luft hing. Das war heute vor 60 Jahren, am 11. April 1945. In den Trümmern starben acht Menschen, darun­ter Hubert Winters Mutter und seine Großmutter. Der damals Sieben­jäh­ri­ge kam mit dem Schre­cken davon.

Gegen 16.45 Uhr tauch­ten an diesem 11. April, einem Mittwoch, bei strah­len­dem Sonnen­schein fünf franzö­si­sche Flugzeu­ge über dem Dorf auf, kreis­ten über den beleb­ten Straßen, feuer­ten mit ihren Bordwaf­fen auf Passan­ten und warfen ihre 25-Kilo-Bomben ab. Das Haus von Landwirt Eugen Winter in der Heiden­hei­mer Straße, das sogenann­te »Herrgotts­häf­ner-Haus«, erhielt einen Volltref­fer, die Decke des Gewöl­be­kel­lers stürz­te ein. 14 Menschen, Famili­en­mit­glie­der und Passan­ten, hatten im vermeint­lich siche­ren Unter­schlupf Schutz gesucht. Eugen Winter war gerade mit Huberts älterem Bruder und seiner Tante Agnes auf dem Feld »In der Weil« beim Römer­kel­ler. »Ich kann mich nur noch daran erinnern, wie die Decke herun­ter­ge­kracht ist«, erzählt Hubert Winter heute. Er stand in den beißen­den Staub­wol­ken mit dem Rücken an die Wand gedrängt, unter einem kleinen, stehen­ge­blie­be­nen Vorsprung des Decken­ge­wöl­bes – vor sich den Kinder­wa­gen mit seinem drei Monate alten Bruder Roland, über den sich schüt­zend seine Mutter beugte. Auf einem Zettel hat er später die Situa­ti­on skizziert. Seine jünge­re Schwes­ter hatte sich zwischen Mostfäs­sern verkro­chen. »Als die Keller­de­cke wegge­bro­chen war, kehrten die Flugzeu­ge zurück und schos­sen auf die Überle­ben­den«, erinnert sich Hubert Winter. »Das war das Schlimms­te, als die Flieger zurück­ka­men«, sagt er und blickt gedan­ken­ver­lo­ren ins Leere. Macht ihm der Vorfall auch nach 60 Jahren noch zu schaf­fen? »Ich merk’ das schon noch«, meint er mit brüchi­ger Stimme. »Das ist für ihn schon schwer«, sagt seine Frau Irmgard. Winter wischt sich verstoh­len eine Träne aus dem Augen­win­kel, macht einen tiefen Schnau­fer und lächelt schwach. Keinen Hass auf die Piloten. Als die Flugzeu­ge schließ­lich abdreh­ten, blieben acht tote Menschen zurück, darun­ter Hubert Winters Mutter, seine Großmutter und drei seiner Cousins. Er selbst konnte nur mit Mühe unter den Trümmern hervor­ge­zo­gen werden, da ihn der Kinder­wa­gen einge­klemmt hat. Hatte er damals einen Hass auf die Piloten? »Nein«, meint er, »als junger Mensch hat man da keiner­lei Aggres­si­on, das war ein Schick­sals­schlag«. Die Toten werden im katho­li­schen Schwes­tern­haus aufge­bahrt. Die Beiset­zung findet aus Angst vor Tiefflie­gern abends statt. Die Opfer wurden in einem Sammel­grab auf dem katho­li­schen Fried­hof beerdigt. Eugen Winter heira­te­te später die Schwes­ter seiner ums Leben gekom­me­nen Frau, eben jene Tante Agnes Brunn­hu­ber, gebore­ne Fischer, die bei dem Angriff ihre zwei Söhne verlor. Bereits 1943 war ihr Mann an der Ostfront gefal­len. Hubert Winter schüt­telt den Kopf. »Was muss das für ein Schlag für sie gewesen sein – inner­halb von zwei Jahren erst den Mann und dann die Söhne zu verlie­ren.« Eugen Winter baute auch das zerstör­te Haus wieder auf – mit dem „Herrgott am Kreuz“, der den Angriff, ja, wie durch ein Wunder, unbescha­det überstan­den hatte. Heute befin­det sich in dem Gebäu­de das Gäste­haus Winter (inzwi­schen hat es den Besit­zer gewech­selt und ein Boarding­haus hat Einzug gehal­ten). Hubert Winter wurde nach dem Angriff zu seinem Onkel, einem Pfarrer, nach Augsburg »verschickt«. Da das Pfarr­haus zerstört war, wohnte er in einer Wirtschaft bei der Pfarr­kir­che. Winter erinnert sich, wie er nicht nur einmal mit dem »Köffer­le« in der Hand nachts in den Keller gesprun­gen ist, als die Sirenen heulten. Erst 1950 kehrte er nach Oberko­chen zurück, beende­te die Schule, machte bei der Firma Bäuerle eine Schlos­ser­leh­re, arbei­te­te – mit einer zweiein­halb­jäh­ri­gen Unter­bre­chung bei der Firma Alfing – 20 Jahre lang als Werkzeug­ma­cher, techni­scher Zeich­ner, Konstruk­teur und Leiter der gewerb­lich-techni­schen Ausbil­dung bei der Firma Carl Zeiss und leite­te von 1978 bis zur Pensio­nie­rung im Jahr 2000 das IHK-Bildungs­zen­trum in Aalen.

Danke.

Dem Bruno Brand­stet­ter, der mich schon bei einigen Berich­ten tatkräf­tig mit Bild und Text unter­stützt hat, danke ich an dieser Stelle ganz beson­ders herzlich.

Es grüßen ein alter Sonnen­berg­ler, und damit automa­tisch auch ein Dreißen­ta­ler, sowie ein nach Aalen ausge­wan­der­ter Oberkoch­ner mit einem herzli­chen „so war’s halt“.

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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