Intro.
Dietrich Bantel hat in seinem Bericht 518 schon einiges dazu berichtet. Sehen wir den jetzigen Bericht einfach als Abrundung zu dieser interessanten Thematik. Die heutige Carl Zeiss Straße ist für die Öffentlichkeit nicht mehr begeh- bzw. befahrbar, denn sie wurde 2007 von der Stadt Oberkochen an die Firma Carl Zeiss verkauft. Im Dezember 2018 wurde sie 60 Jahre alt – Grund genug, auf eine bewegte Vergangenheit und eine gott-sei-dank nie realisierte Zukunft zurückzublicken. Manchmal ist es besser, Pläne nicht umzusetzen, denn wären manche Pläne Wirklichkeit geworden – wir würden Oberkochen in weiten Teilen heute nicht wieder erkennen. Doch wie in heimatkundlichen Berichten üblich, betrachten wir das alles der Reihe nach.
Vorgeschichte.
Alles begann, in diesem Falle, mit der Firma Gebr. Leitz, die Albert Leitz 1876 gegründet hatte. Die Straße, die vom heutigen Kreisel (zwischen den Firmen LMT und Brunnhuber) hinüber zum Leitz führte, wurde Ziegelstraße genannt. Fritz Leitz verließ 1938 die Gebr. Leitz und setzte mit seiner neuen Firma auf Adolf Hitler. Er errichtete eine große Fabrik, produzierte Rüstungsgüter (Details siehe Bericht 312) und wurde offizieller Wehrwirtschaftsführer. Diese Gebäude wurden nach dem Krieg die Heimat des heutigen Weltkonzerns Carl Zeiss Oberkochen. Diese Wegverbindung zwischen der Ziegelstraße und der Dreißentalstraße (Haus Hausmann) wurde im Volksmund der „Theaterweg“ genannt.

Der alte Theaterweg mit dem gesamten alten Leitz-Areal mit Martha-Leitz-Haus (Archiv Rathaus)
Das kam daher, dass im sog. „Martha-Leitz-Haus“ (Martha war die Frau von Fritz Leitz) alle möglichen öffentlichen Veranstaltungen durchgeführt wurden; angefangen von NSDAP-Events, über Kino- und Konzertveranstaltungen bis hin zu Sanges- und Akrobatikdarbietungen. Das war letztlich der erste örtliche Kultur-Tempel – also der Uhrahn von „Dell‘ Arte“.

Das alte Martha Leitz Haus 1941 (Archiv Ottmar Bihlmaier)

Alte Ansicht des Zeiss-Geländes mit später abgerissenem Martha-Leitz-Haus 1950 (Archiv Müller)
Entwicklung.
Die Jahre gingen dahin, die Firmen Leitz und Zeiss expandierten sehr stark und der miteinhergehende Verkehr (Autos und Fußgänger) wuchs ebenfalls massiv an. Es gab Diskussionen über den alten Fußweg, der von den Arbeitern und Angestellten aus dem Dreißental benutzt wurde um rasch zum Leitz, Oppold und WIGO zu kommen.

Ein Blick auf den alten Theaterweg (Archiv Rathaus)

Große Diskussion über den alten privaten Weg Parzelle 312 (Amtsblatt)
Es musste gehandelt werden. Im Gemeinderat gab es lange Diskussionen über das wie, wo und wann und es mussten Grundstücksprobleme gelöst werden. Dann war es aber soweit. Am 9. März 1956 wurde einstimmig beschlossen diese neu anzulegende Straße „Carl-Zeiss-Straße“ zu nennen. Dafür wurden 50.000 DM im Haushaltsplan bereitgestellt. Von den beiden Anliegerfirmen wurde eine spätere Untertunnelung und Überführung gewünscht. Es sollte ein Zeichen der Verbundenheit zwischen Gemeinde und der Firma Zeiss sein und eine Anerkennung der Lebensleistung von Carl Zeiss. Trotz aller Veränderungen bis heute ist es doch irgendwie der „Theaterweg“ geblieben, denn es ist immer noch der Zufahrtsweg zu kulturellen Veranstaltungen – früher im Martha-Leitz-Haus und heute im Zeiss-Forum oder im Casino wo u.a. die „Jazz-Lights“ und manche Events von „Oberkochen dell‘ Arte“ zur Aufführung kommen.
Bau und Einweihung.
Am 3. Dezember 1958, zum 70ten Todestag von Carl Zeiss, war es soweit. Die neue Straße wurde im Beisein der VIPs von Zeiss und der Gemeinde dem Verkehr übergeben. Dazu wurde, 13 Jahre nach Kriegsende, erklärt, dass der Standort nicht vorübergehender, sondern bleibender Natur sei.

Die neue Straße im Sommer 1959 (Archiv Rathaus)

Die Gebäude vor dem Bau der Straße im Frühjahr 1958 (Archiv Rathaus)

Offizieller Einweihung mit den damaligen VIPs 1958 (Archiv Rathaus)

Blick Richtung Leitz, links eine Baracke und dahinter die Fa. Jakob Schmied (Archiv Rathaus)

Blick vom unteren Tor Richtung Bäckerei (Archiv Rathaus)
Biographie Carl Zeiss.
Geb. am 11.09.1816 in Weimar und gest. am 03.12.1888 in Jena. Dazwischen liegt ein ausgefülltes erfolgreiches Leben, das bis heute in den Städten Jena und Oberkochen nachwirkt und für die Bevölkerung in beiden Städten positive Auswirkungen hat:
1816 Geburt Carl Zeiss am 11. September in Weimar
1834–1838 Ausbildungszeit Lehre zum Mechaniker bei Dr. Friedrich Wilhelm Körner, dem Hofmechanikus der Universität Jena, der für die dortigen Universitätsprofessoren, aber auch für Goethe wissenschaftliche Geräte und Instrumente baut. Zeiss lernt in seiner vierjährigen Lehrzeit bei Körner nicht nur die Herstellung und Anwendung von Instrumenten, sondern hört auch mathematische und naturwissenschaftliche Vorlesungen an der Universität. Dabei wird, ausgelöst durch die in dieser Zeit entwickelten Dampfmaschinen und Lokomotiven, sein Interesse für den Maschinenbau geweckt.
1838 bis 1845 Sammeln beruflicher Erfahrung (Wanderschaft) in Stuttgart, Darmstadt, Wien und Berlin; zurückgekehrt nach Jena widmet Zeiss sich dem Bau wissenschaftlicher Apparate.
November 1846 Zeiss erhält von der großherzoglichen Regierung die Konzession zur Fertigung und zum Verkauf mechanischer und optischer Instrumente und gründet die feinmechanisch-optische Werkstätte. Er konstruiert, baut und repariert physikalische und chemische Instrumente, darunter auch aus Spiegelglas geschliffene Lupen.
1847 Erstmals Herstellung einstufiger Mikroskope, die, da sie besser und billiger als die der Konkurrenz sind, bald zum Verkaufsschlager werden.
1849 Heirat mit Bertha Schatter; Geburt des Sohnes Roderich im Februar 1850, bei der Bertha stirbt.
1853 Zweite Ehe mit Ottilie Trinkler; aus dieser Ehe entstammen ein weiterer Sohn und zwei Töchter.
1857 Carl Zeiss bringt sein erstes zusammengesetztes Mikroskop auf den Markt.
1860 Ernennung zum Universitätsmechanikus.
1866 Beginn der außerordentlich erfolgreichen Zusammenarbeit mit Ernst Abbé.
1888 Philosophische Fakultät der Universität Jena verleiht Carl Zeiss den Titel eines Dr. phil. h.c.
1888 Nach mehreren Schlaganfällen stirbt Carl Zeiss im Alter von 72 Jahren am 3. Dezember in Jena.
Am 11.09.2016 war sein 200ter Geburtstag.
Am 3.12.2018 war sein 130ter Todestag.

Carl Zeiss im Alter zwischen 50 und 54 (Zeiss Archiv)

Carl Zeiss, Optische Werkstätte, Jena 1846–1896 (Archiv Zeiss)
Gewaltige Planungen.
1962 Szenario 1: Anfangs war geplant, die Carl-Zeiss-Straße in Richtung Katzenbachstraße zu verlängern, was letztendlich zu einem zweiten Verkehrsring über die Walters-Bauersfeld-Str. und die Jenaerstraße bis zur Einmündung Höhe Fenster Brand in die Aalener Straße geführt hätte. Wohngebiete wären durchschnitten worden und das wäre ein typischer Fall von Verschlimmbesserung geworden. Dieses Projekt ging auf den bekannten Professor Ludwig Schweizer zurück, der damals insgesamt drei Verkehrsringe für unsere Stadt vorgesehen hatte. Wovon der dritte das geplante Wohngebiet „Rodstein“ erschließen sollte. Eine Siedlung auf dem „Rodstein“ – Man kann sich das heute gar nicht richtig vorstellen.
1971 Szenario 2: Unter BM Gustav Bosch wurde der berüchtigte „Zweite Verkehrsring“ konkret 1971 angegangen. Eine erste Teilplanung aus dem Frühjahr 1971 umfasste ein Teilstück zwischen der Carl-Zeiss-Straße und der Heidenheimer Straße über das Gewann „Strickäcker“. Angeblich wollte man später einen Anschluss an die B19 herstellen, da die „Süd-Rampe“ nur als Provisorium gedacht war. Aber der berühmte „Mantel der Geschichte“ bedeckte auch diesen Plan.
1987 Szenario 3: Damals wurde, unter BM Harald Gentsch, das Projekt „Direktanschluss der Carl-Zeiss-Straße an die B19“ als Jahrhundertprojekt bezeichnet und so will ich klar zum Ausdruck bringen – Gott-sei-Dank so nicht umgesetzt. 1990 entnehmen wir der Presse, dass das Projekt endgültig (aus welchem Grund auch immer) beerdigt wurde. Vielleicht hat uns auch nur die Landeswasserversorgung vor diesem Schildbürgerstreich gerettet. Da war von einer Untertunnelung des Leitz-Firmengeländes die Rede und einer Brückenlösung Richtung B19 mit einer ca. 12%igen Steigung die Rede. Natürlich durfte auch ein Parkhaus für Carl Zeiss nicht fehlen und so wurden schon mal die Kleingärten rechter Hand des Verbindungswegs zwischen Leitz und der Fischzucht abgeräumt. Mehr ist dann aber nicht passiert. Nachdem jetzt also klar war, dass die Carl-Zeiss-Straße nicht nach Norden und nicht nach Süden verlängert werden würde, musste eine andere Lösung her, um den Verkehr zu regeln.
1978 Szenario 4: In diesem Jahr wurde der „Zweite Verkehrsring“ nochmals aufgenommen, dieses Mal vom Ing.-Büro Grimm aus Ellwangen. Und wieder gab es (gott-sei-dank) Proteste und Widerstände aus der Bevölkerung – aber erledigt war diese Variante immer noch nicht.
1998 Szenario 5: Im Jahr 1995 wurde erneut eine Verkehrsplanung für Oberkochen in Auftrag gegeben. Dabei wurde erneut vorgeschlagen, die Carl Zeiss-Straße bis zur Langerstraße bzw. Walther-Bauersfeld-Straße zu verlängern. Dieser Vorschlag wurde vom Gemeinderat und von BM Traub jedoch sofort verworfen. Ziel war nun die sog. „Querspange Ost”, also der Verlängerung der Bahnhofstraße bis zur Kreuzung Wacholdersteige (heute Kreisverkehr), zu realisieren, um eine parallele Nord-Süd-Achse als Entlastungstangente für die vom Verkehr gebeutelte Innenstadt bzw. Aalener und Heidenheimer Straße schaffen zu können. Zeitungsberichte von damals zeigen aber, dass das Projekt eine schwere Geburt war, denn es gründete sich eine Bürgerinitiative um die Herren Mannes, Bantel, Müller-Rißmann und weiteren Mitstreitern, die eine andere Lösung wollten. Diese Lösung hätte zu einem weiteren B19-Anschluss zwischen Nord und Süd geführt. Es ging dabei engagiert und kreativ und durchaus auch hart zur Sache und das mediale „Operationsgebiet“ beackerte Roland Gründer in der Schwäpo. Auch hier können wir aus meiner Sicht zufrieden sein, dass es anders gekommen ist.

Ein alter Briefkopf der Fa. Carl Zeiss aus den 50ern (Archiv Rathaus)

Das bessere Verkehrskonzept – so meint eine Bürgerinitiative 1998 (Archiv Schwäpo)

Standortkonzept der Fa. Carl Zeiss 1998 (Archiv Burger)

Verkehrsplanung 1998 – Skizze von Architekt Mannes für die Bürgerinitiative (Archiv Burger)
Verkauf der Carl Zeiss Straße.
Das Thema ging wohl auch schon eine Zeitlang hin und her. Zeiss ging es inzwischen nicht nur wieder deutlich besser, es ging sogar rasant nach oben. Und so wuchs der Wunsch, diese Straße als zentrale Erschließungsstraße im Rahmen des Zeiss’schen Standortsicherungskonzeptes zu integrieren. Die Beschlussvorlage des Gemeinderates aus dem Jahr 1998 lautete: 1.) Verkauf der Straße an Carl Zeiss für 657.000 DM 2.) Entwidmung der Straße 3.) Sicherstellung der Leitungsrechte der Stadt, der Landeswasserversorgung und der GEO. Zuvor war das Thema „Verkauf der Straße“ schon einmal auf dem Tisch. Aber mangelnde Ausarbeitung, fehlende Kommunikation, Unkenntnis des Gemeinderats und Aufruhr in der Bevölkerung beendeten das Projekt sehr rasch. 2007 war es dann soweit. Die Straße wurde an Zeiss verkauft und 2008 für die Allgemeinheit geschlossen. Mein Weg zum Leitz wurde dadurch ca. 10 Minuten länger. Irgendwann bemerkte ich aber, dass es trotzdem noch eine kürzere Version gab: Vorbei am Fahrradständer, hinunter in die Försterstraße und vorbei am Brunnhuber Richtung Kreisel zum Leitz hin. Den Kreisel habe ich eines Tages in „Susi-Kreisel“ umgetauft. Susi Bantel musste mir eines Tages ein paar Unterlagen von ihrem Didi überbringen. Der Kreisel war noch relativ frisch, d.h. gerade erst frei gegeben, und Susi erschloss sich die Notwendigkeit noch nicht, den Kreisel vorschriftsmäßig zu durchfahren. Sie nahm einfach den kürzesten Weg. (Merke: Die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten ist eine Gerade.) Inzwischen brauche ich diesen Weg nicht mehr, da ich seit 2016 im Unruhestand bin.
Für die Fotos, Daten und Fakten bedanke ich mich ausdrücklich bei BM Peter Traub, dem Stadtrat Richard Burger und Anne Bieg-Schray vom Schwäpo-Archiv sowie dem Zeiss Archiv in Jena und Ottmar Bihlmaier.
Liebe Grüße vom Sonnenberg,
Ihr Wilfried Billie Wichai Müller