Erinne­run­gen von Josef „Sepp“ Merz.

Unser Kies ist mit Sicher­heit der einzi­ge Stadt­teil von Oberko­chen, der eine Parkan­la­ge hatte, wenn auch keine öffent­li­che, sondern eine priva­te der Familie Günther. Zwischen dem Mühlen­ka­nal und dem Bundes­bahn­ge­län­de und vom Wunder­le-Haus bis zur oberen Mühle gab es diesen wunder­schö­nen Park. Schön angeleg­te Blumen­ra­bat­te, im Frühjahr blühen­de Büsche, Beeren­sträu­cher, große verschie­den­ar­ti­ge schat­ten­spen­den­de Bäume, ja sogar ein sechs­ecki­ges Garten­häus­chen stand mitten im Park – aber, wie gesagt, nicht für die Öffent­lich­keit. Für die obere Mühle bei der Fa. Bäuerle wurde einst ein Mühlen­ka­nal gebaut. Dieser Kanal begann bei der Fa. Leitz, lief dann südlich vorbei an der Fa. Oppold unter der B19 hindurch und in Höhe vom Franz Wunder­le floss er durch den Park der Familie Günther zur oberen Mühle, um dort das Mühlen­rad anzutrei­ben. In der oberen Mühle wohnten damals verschie­de­ne Famili­en u.a. die Famili­en A. Bäuerle, Kurz, Rühle, Fähnle und Schneck. Im Haus von O. Bäuerle, gleich hinter dem Eltern­haus von Thoma Uhl, wohnten außer der Familie O. Bäuerle noch die Famili­en Hund, Jäsch­ke, Eberle, Stocky und Mayer. An eben diesem Bäuerle-Haus und am Haus Burkhards­may­er vorbei führte das Gässle zur „Molke“ (Milch­häus­le) beim Schrei­ner Hug. Unser Spiel­platz aber war der Mühlen­ka­nal. Wir hatten uns von den abgeris­se­nen Baracken bei Leitz und Oppold alte Türen besorgt. Unter diese Türen banden wir verschie­de­ne Kanis­ter und fertig war unser schwim­men­der Unter­satz. Als Antrieb verwen­de­ten wir Bohnen­stan­gen von meinem Opa dem Marxa-Gärtner. So hatten wir im Kies also auch einen „Stocher­kahn“ (a bissle anders halt wie die Tübin­ger) oder eine „Kocher-Kies-Schach­tel“ (a bissle wie die Ulmer).

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D’r „Luaga­be­i­tel­ve­rei“ während des Kiesrum­mels vor dem „Grünen Baum“ – heute Metzge­rei Lerch (Berich­te Heimatverein)

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D’r Merza-Sepp mit seiner „Kies-Schach­tel“ (Privat Josef Merz)

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Der „Grüne Baum“ um 1930 (Berich­te Heimatverein)

In guter Erinne­rung ist mir auch der jährli­che „Kies-Rummel“ im „Grünen Baum“, der vom „Golda-Bauer“ organi­siert wurde. Die toll kostü­mier­ten Erwach­se­nen sowie wir Kinder trafen sich beim Franz Wunder­le und mit den Musikern Wunder­le, Spranz, Heinisch usw. zog man unter dem Beifall der Zuschau­er in den „Grünen Baum“ ein. Dort gab es Tanz und viele lusti­ge Beiträ­ge. Wir Kinder bekamen eine „Rote“ (Wurst) und wurden dann wieder nach Hause geschickt. Wurst und Fleisch gab es damals selten für uns und oft musste eine Rote aufge­teilt werden. Früher konnte man in verschie­de­nen Gasthäu­sern an einem Schal­ter Fassbier im Krügle kaufen. Auch ich musste ab und zu mal für meinen Opa im „Grünen Baum“ Bier holen. Damit meinem Opa nichts passiert, habe ich immer einen kleinen Probe­schluck genom­men – denn ich war ja sein persön­li­cher unbekann­ter Vorkos­ter. Zwischen dem „Grünen Baum“ und dem „Sparkas­sen-Wingert“ verlief ein kleines Gässchen zum dorti­gen Schlacht­haus. Da konnte ich an einem Wasser­hahn das verblie­be­ne Bier wieder auffül­len. Zuhau­se, als Opa das einwand­frei getes­te­te Bier probier­te sagte er weise und vielsa­gend: „Hesch m’r heut‘ wieder a WASSER-alfin­ger broacht?“ Auch der 1. Mai war oft ein Anlass unser Können zur Schau zu stellen. Bei Bernhard Löfflers Tochter Chris­ta haben wir einen schönen Maibaum gesteckt. Aber gleich­zei­tig einen Leiter­wa­gen vom Bernhard ausein­an­der­ge­nom­men und die Einzel­tei­le auf’s Dach gebracht und an den Kamin angebun­den. Leider ist dabei mein Cousin, der Eugen Merz, vom Dach gerutscht und im Hinter­hof auf den Saustall gesegelt. Er musste noch in der Nacht ins Kranken­haus gebracht werden. Es war, Gott-sei-Dank, nicht so schlimm und nach 2 Tagen war er wieder zu Hause. Wer den Schaden hat braucht bekannt­lich nicht für den Spott zu sorgen und so musste er oft hören: „Der Flug war gut, aber die Landung schlecht.“ Natür­lich gab es im Kies auch einen Zahnarzt, einen weibli­chen, und das war die Mutter von Dr. Herbert Gebert, die im Hinter­haus zur Nr. 76 mit fußbe­trie­be­nen Riemen-Maschi­nen das Leiden der Patien­ten beende­te oder ihnen das Fürch­ten lehrte – je nach Sicht der Patien­ten. Stellt sich nur die Frage: Hat der Patient oder der Zahnarzt den Riemen­an­trieb bedie­nen müssen? Im Haus mit der Nr. 76/2 war früher auch die Schrei­ne­rei Speth zuhau­se. Neben unserem Haus gab es einen „Platz zom Stoi klopfa“. Das war wohl in den 30ern. Auch das sog fahren­de Volk machte dort hin und wieder Halt. Der schöne Nutzgar­ten, der dort später angelegt wurde, musste eines Tages weichen, weil die Firma G+S den Platz beanspruch­te, der bis dahin der Gemein­de gehör­te und von uns nur genutzt wurde.

Rosema­rie Wingert, Ursula Vogel, Josef Gold, Krista Hurler, Manfred Renner und Regine Soutschek

erinner­ten sich bei einem abend­li­chen Gespräch in der „Grube“: Unser Motto laute­te immer – Schnell die Hausauf­ga­ben gemacht und dann „naus auf’d Stroaß“. Da wurden die alten Kinder­spie­le gepflegt wie Pfennig­fuch­sen, Murmeln, Hopfe, Hulahoop und Seilsprin­gen. Im Winter wurde auf dem Eis „g’schliffa“ und Schnee­ball­schlach­ten ausg’fochta bis die Klamot­ten nass, die G’sichter rot und die Händ‘ kalt waren. Etwas Beson­de­res waren die Fahrten ins Freibad.

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Martha Kopp’s Käfer (Privat Krista Hurler)

Tante Martha lud 10 Kinder in ihren VW-Käfer ein und fuhr sie ins Waldbad nach Heiden­heim oder ins Hirsch­bach-Bad nach Aalen. Ein großer Natur-Spiel­platz war die Rodhal­de und mit Inbrunst und Kreati­vi­tät widme­ten wir uns der Schnit­zel­jagd, dem Lager­bau, dem Jäger-und Dieb-Spiel. India­ner­les wurde insze­niert mit Marter­pfahl und richti­gem Anbin­den der Gefan­ge­nen. Es wurden Überfäl­le mit Pfeil und Bogen verübt und Beute gemacht. Im Winter sind wir Ski und Schlit­ten gefah­ren und die Mutigen spran­gen über eine kleine Schan­ze. Das Skiwachs kam vom Schus­ter Schit­ten­helm (der seine Werkstatt hinterm Balga­dag hatte), weil richti­ges Wachs einfach zu teuer war. Und vom Stell­werk schall­te es oft laut herüber: „Ganget ronter von de Glois!“ Im Frühling wurden Mai-Käfer gesam­melt, die es damals in großer Zahl gab. Jeder hatte eine Schuh­schach­tel, die mit frischen Blättern ausge­legt waren. Denn nun ging es ans Tauschen: „Gib Du mir einen „Bäcker“ oder „König“ gegen einen „Schorn­stein­fe­ger“ oder einen „Kaiser“ gegen einen „Müller“.“ (Bäcker/Müller = sie haben eine starke weiße Behaa­rung und weiße Strei­fen auf den Flügeln; Schorn­stein­fe­ger = unbehaart und dunkler; Kaiser = haben rötli­che­re Flügel­de­cken und sind sehr selten; König = auf dem Rücken­schild schwach rot).

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Das Kies versorgt sich selbst (Privat Krista Hurler)

Auch die Hühner, die fast jeder Haushalt im Kies hatte, wurden bedacht. Sie fraßen die Maikä­fer für ihr Leben gern.

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Der Faschings-Räuber aus dem Kies (Privat Manfred Renner)

Dann gab es noch den Fasching – Kies-Rummel genannt. Überwie­gend tummel­ten sich Prinzes­si­nen mit „scheene Kloid­la“ und mutige Cowboys mit den neues­ten Revol­vern vom Unfried auf d’r Stroaß. In der Metzge­rei gab es „Wegga ond Wurscht“ (sprich eine Rote) auf d‘ Hand – ein himmli­scher Genuss und daheim gab’s Fasnachtsküachle.

Ein beson­de­res Erleb­nis war es immer wenn die Amis, die damals noch den Volkmars­berg bis 1960 besetzt hatten, im Konvoi durch die Straße fuhren. Da hat zuhau­se alles geklirrt, geklap­pert und geschep­pert und an uns Kinder wurden großzü­gig Chewing Gums und Choco­la­te verteilt.

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Feldar­beit oberhalb des Kies (Privat Brigit­te Kieninger)

Dort wo heute das Domizil von YG‑1 geplant ist, gab es früher eine Kiesgru­be vom Josef Gold. Er war Landwirt, Wildschütz und Aufse­her über die Frauen, die für’s Baumpflan­zen zustän­dig waren. Und diese Gegend war als Abenteu­er­spiel­platz für uns wie geschaf­fen. Dort haben wir auch gegrillt – das bedeu­te­te früher eine einge­schnit­te­ne Rote auf eine Stecken spießen und ins Feuer zu halten bis sie sich krümm­te und leicht einschwärz­te – ein himmli­scher Genuss. Auch Kreuz­ot­tern gab es dort – nicht ungefähr­lich und daher doppelt inter­es­sant. Eine riesen­gro­ße Buche lud uns zum Klettern ein und sog. „Narren­sei­ler“, die im Wald wuschen, waren unsere ersten Bio-Natur-Zigaret­ten. Das Leben spiel­te sich in vielen Facet­ten draußen ab. Abends wurde draußen im Hof Gitar­re und Mando­li­ne und auch Schif­fer­kla­vier gespielt.

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D’r Dag isch vorbei — oabends auf‘m Bänkle (Privat Brigit­te Kieninger)

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Emil Kopp’s Laden in „dunkler Zeit“ (Privat Krista Hurler)

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Annon­ce von Otto Kopp 50er Jahre (Altes Amtsblatt)

Ein äußerst inter­es­san­tes Geschäft war der „Kopp“. Dort gab es alles was man als Erwach­se­ner brauch­te und sich als Kind wünsch­te. Kopp war bekannt für Fische aller Art, die wöchent­lich aus Hamburg an die Express­sta­ti­on im Bahnhof angelie­fert wurden: Kieler Sprot­ten, Saure Herin­ge, Schil­ler­lo­cken, Makre­len, Bücklin­ge (Rogen und Milcher) u.v.m. Überall, auch die Keller­trep­pe hinun­ter standen die verschie­dens­ten Behält­nis­se. Und von Weihnach­ten bis Silves­ter war die Kopp’sche Badewan­ne besetzt – da schwam­men die dicken fetten Karpfen und warte­ten auf ihre Bestim­mung. Wenn man nach Geschäfts­schluss noch etwas brauch­te, kein Problem, der Otto hat ohne Murren aufge­macht – es waren ja oft die Nachbarn. Auch Martha war eine Helfe­rin in vielen Lebens­la­gen. Sei es, dass sie Quark für die sonnen­ver­brann­te Haut spendier­te oder dass sie zum Gratis-Fernseh­schau­en lud. Wir Kinder durften die voll gekleb­ten Rabatt­mar­ken-Karten zum Kopp tragen und in Brauses­ten­gel oder Zitro­nen- und Himbeer­bon­bons eintau­schen – ein kleines großes selig machen­des Kinder­glück. Die Wohnver­hält­nis­se waren einfach und wurden nicht beklagt. Im Winter waren in den unbeheiz­ten Zimmern Eisblu­men an den Fenstern und unterm Dach war es saukalt – es war halt einfach so. Unsere Kindheit war schön und einfach, ohne Anspruchs­hal­tun­gen und unser Kinder­zim­mer war draußen. Mit 14 Jahren war die Kindheit vorbei und der sog. Ernst des Lebens begann – das Arbeits­le­ben rief und deshalb haben viele von uns 50 Jahre und länger gearbei­tet, ohne zu klagen und zu jammern.

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Kies-Buaba (Privat Brigit­te Kieninger)

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Kies-Mädla (Privat Brigit­te Kieninger)

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Trikot des A.C. Kies (Privat Thomas Uhl)

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Thommy Hug – ond s passt emmer no (Privat Wilfried Müller)

Thomas Uhl, Peter Uhl und Georg „Schosch“ Mayer erzäh­len von früher.

Begin­nen wir mit dem A.C. Kies. Dieser wurde seiner­zeit Anfang der 70er zu Fronleich­nam auf der Bäuerle-Fest-Wiese gegrün­det. Es wurde ein Match gegen den FC Dreißen­tal ausge­macht und auf der Wiese hinter der Dreißen­tal­hal­le (wo heute das DFB-Spiel­feld ist) ausge­spielt. Für den FC Dreißen­tal liefen auf: „Luko“ Wolfgang Hug, Reinhold Luft, Rolf Schoch u.a. und für den A.C. Kies: „Haifisch“ Wolfgang Eberhard, „Bebel“ Josef Fischer, „Tommy“ Thomas Uhl, Peter Uhl als echter 6er, „Goggo“ Reinhold Jerg, „Harry“ Harald Müller vom Sonnen­berg (aber mit dem Herzen im Kies), „Beeca“ Hubert Wunder­le, „Jamba“ Klaus Tritt­ler, „Steppe“ Stefan Eber, Hans Schäfer, „Schorsch“ Georg Mayer sowie Diakon Franz Roder. Letzt­end­lich entstand der A.C. Kies aus der Kiesban­de und münde­te später in den Kolping-Sport. Auch die Junge Union bezog ihre Mitglie­der aus diesem Bereich. Tagungs­or­te waren natür­lich das unver­ges­se­ne „Café Muh“ mit den Wirts­leu­ten Richter und die „Grube“. Hin und wieder kam es vor, dass die Predigt für den Sonntag im Café Muh vorbe­rei­tet wurde. Man war eben schon damals multi­funk­tio­nal. Athle­ti­co Katzen­bach (mit dem Huga-Michel, dem „Apptaheinz“ Heinz Appt und dem Boxer Harner) war da schon eine große Heraus­for­de­rung. Sie waren älter und auf dem Papier besser, aber gegen den A.C. Kies hat es manch­mal eben doch nicht gereicht, denn die Erfol­ge des A.C. Kies hatten vielleicht auch etwas mit besten kirch­li­chen Beistand, in der Person von Vikar Roder zu tun ☺. Am Sonntag, 1. Juli 1979 wurde das erste Hobby­Fuss­ball­tur­nier im Kocher­sta­di­on unter der Ägide des TVO ausge­spielt. Bei den Herren spiel­ten: „Klein­tier­zucht­ver­ein, Werkfeu­er­wehr Carl Zeiss, Brunnen­hal­de-Strikers, A.C. Kies, TVO Handball I und II, Athle­ti­co Katzen­bach, Minigolf-Club, Stadt­ju­gend­ring­bü­ro, Stamm­tisch Rössle Schwabs­berg, SpVgg Schluck­specht, Bocca Juniors, Abibom­ber 79, FC Stössel, Motor Lenzhal­de, Peters­hans und Betzler, Harter Kern (Sieger des 1. Turniers), Lokomo­ti­ve Günther & Schramm, Cosmos Kocher­sprin­ter, TVO Stamm­tisch, Gugel­hupf-Kickers, Kolping Wasser­al­fin­gen und der Gries­ser und Tennis­club“. Bei den Damen spiel­ten „Stadt­ju­genring­bü­ro (Der Sieger bei den Damen), Cosmos Start­block 06, Red Devils, A.C. Kies-Mädels und Kolping Wasseralfingen“.

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Sieger­eh­rung des Ersten Hobby-Kicker-Turniers (Altes Amtsblatt)

Die „KiBa“ war die Kies-Bande mit ihrem eigenen „KiBo“ (Kies-Boot) und ihrer „KiKa“ (Kies-Kanone). Die Kanone wurde vom „Difte­le“ Josef Weber (Kohl-Seff) erbaut. Taugte aber wohl nur zum „Mischt-Bolla verschießa“. Die Revie­re zu den anderen Banden waren klar abgetrennt. Es gab die Brunkel-Bande (mit den Buben der Famili­en Glaser, Lay und Wunder­le), die vom Brunnen­hal­de / Zeppe­lin­weg und Billie Müller’s Bande vom Sonnen­berg. Man kam sich in der Regel nicht in die Quere, weil man den Gebiets­schutz (wie früher bei den Vertre­tern) achte­te. Es wurden Lager gebaut, Fische aus dem Kocher gefan­gen (beim Wasser­häus­le beim G+S), ausge­wei­det und in der Höhle am „Griebi­ger Stein“ gegrillt und verzehrt. Wer weiß, vielleicht sind die Artifak­te, welche unser verstor­be­ner Heimat­sach­ver­stän­di­ger Dietrich Bantel gefun­den hat, noch viel älter als angenom­men, und letzt­end­lich als Verzehr­res­te dem „Kies“ zuzuord­nen. Die inten­sivs­ten Höhlen­be­woh­ner waren wohl Peter und Thomas Uhl, Stefan Kurz, Josef Fischer, Reinhold Jerg und Georg Mayer.

In den 60er Jahren wurde auf der Heiden­hei­mer Straße noch gespielt. Das Verkehrs­auf­kom­men war gering, nur die Zeiss­ler störten zweimal am Tag die dörfli­che Idylle, wenn sie morgens einfie­len und abends wieder abzogen. Dazwi­schen gehör­te die Straße den Kies-Kindern. Die Flummies (kleine Gummi­bäl­le) flogen vom Haus Uhl Thomas bis zum Haus Uhl Peter, Feder­ball wurde gespielt und man war einfach draußen. Ein weite­rer Abenteu­er-Spiel­platz war das Gelän­de der Bäuerle-Gieße­rei. Zur Faschings­zeit waren alle Kies-Kinder verklei­det und versam­mel­ten sich vor der Vesch­per-Stube der Metzge­rei Zimmer­mann und wurden mit „Weck ond Wurscht (in diesem Fall Saite-Würscht­le) verwöhnt. Ein absolu­tes High-Light für die Kids.

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Überga­be der Metzge­rei von Zimmer­mann an Lerch 1977 (Altes Amtsblatt)

Im Winter wurde auf der Haupt­stra­ße mit Schlitt- und Gleit­schu­hen herum­ge­fah­ren. Das müssen noch andere Winter gewesen sein. In dieser Zeit wurde auch im Kies das System der „offenen Tür“ gepflegt. Man ging einfach bei den Famili­en ein und aus, die Kinder bekamen mitun­ter auch etwas zum Essen und Trinken. Es ging einfach zu und man war unter­ein­an­der befreun­det. Die Jungs bauten auch Seifen­kis­ten und ließen diese auf einer kurzen Strecke, hinter der Zimme­rei Brunn­hu­ber, einen Buckel hinab zur Heiden­hei­mer Straße hinun­ter­ja­gen. Ein Buben­streich sorgte dafür, dass eines Tages eine schwar­ze Rauch­säu­le über dem Kies stand und furcht­bar stank. Hatten doch einige Jungs die offene Feuer­stel­le von G+S mit alten Autorei­fen, die dort herum­la­gen, gefüt­tert. Ob der Folgen haben die Buben rasch das Weite gesucht. Die Täter­er­mitt­lung konnte bis heute nicht abgeschlos­sen werden. Das MTO „Mofa-Team Oberko­chen“ bestand aus ca. 16 Mofafah­rern, die, sicher zur Freude aller, ständig durch Oberko­chen düsten. Harald Müller (Boxer genannt) saß, mangels eines eigenen Mofas immer bei Thomas Uhl hinten drauf.

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Annon­ce Peter’s Zündapp vom Emil Elmer (Altes Amtsblatt)

Die „Golden Editi­on“ nannte Peter Uhl sein eigen – eine golde­ne Zündapp, das war schon was. Natür­lich scheu­te das kleine MTO nicht die körper­li­che Ausein­an­der­set­zung mit dem großen MCU aus Unter­ko­chen. Die Ausein­an­der­set­zung wurde termi­niert und unter dem Beisein zahlrei­cher Zuschau­er ausge­foch­ten. Natür­lich gewann Oberko­chen – ist doch klar: Ober sticht schon immer Unter ☺.

Gerne erinnern sich die Buben an die Antonia Minder, die Zeitun­gen austrug und etwas abson­der­lich war. Auch die Geller’s Öl-Maria hinter­ließ bleiben­de Eindrü­cke, wenn sie mit dem Fahrrad herum­fuhr um Salat­öl zu verkau­fen. A ganz B’sonderer war „d’r Dreivier­te­lois­kopf“ Gerhard Hirner. Er wurde ob seiner Kopfhal­tung beim Gehen (auf den der Spitz­na­me zurück­geht) oft gehän­selt. Nach dieser Familie konnte man die Uhr stellen, wenn sie in Reihe nachein­an­der zur Kirche streb­ten. Unver­ges­sen auch „Miss Kies“, Schorsch Brunn­hu­bers Schwes­ter, die wohl bei der AOK schaff­te und morgens und abends auf ihren Stöckel­schu­hen Eindruck auf der Straße machte. „Mulei“, des Müller’s Klaus, wohnhaft im „Bägga-Bärge­le“ oder korrekt Hasen­gäss­le war ein ganz Braver, der bei den wilden Sachen nie mitmach­te. Vermut­lich weil er immer recht­zei­tig hoim zum Kaffee musste. Dafür legte er dann in Tübin­gen auf der „Stutt­gar­dia“ so richtig los. Ich durfte das bei der Hochzeit meines verstor­be­nen Bruders Harald (Boxer) mit seiner Silvia geb. Pauser hautnah miter­le­ben. Der konnte sogar Klavier spielen während das Instru­ment im Treppen­haus rauf und runter getra­gen wurde. Unver­gess­lich dynamisch. Das „Haus“ am Öster­berg war damals fest in Oberkoch­ner Hand.

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Das Haus am Öster­berg in Tübin­gen für unsere Studen­ten (Archiv Müller)

Im Haus mit der Nr. 35 wohnten Fremd­ar­bei­ter. Sie waren anfangs Gastar­bei­ter (z.B. Guisep­pe Catal­di, Guisep­pe Mingal­la, Antonio Morel­li, Mattioa Radat­ti und Angelo Tappe­ri) aus Itali­en und wohnen heute teilwei­se noch in Oberko­chen wie die Familie De Nitto. Bis zum Abriss hatte „Hätte­re“ seine Biertisch­gar­ni­tu­ren dort gelagert. Heute steht dort das Büroge­bäu­de der „GEO“. Dieses Haus gehör­te ursprüng­lich der Familie Scherr und war ein landwirt­schaft­li­ches Anwesen. Die Fa. Bäuerle kaufte später dieses Haus von der „Scher­ra-Marie“. Diese zog dann in die Katzenbachstraße/Ecke Kapel­len­stei­ge. Vor dem Haus stand ein gussei­ser­nes Kreuz, an dem bei den damali­gen Öschpro­zes­sio­nen Halt gemacht wurde. Das Gebäu­de wurde mittler­wei­le auch schon wieder abgeris­sen und ersetzt.

Franz Holden­ried berich­tet aus Bäuer­les Gießerei.

6 Uhr morgens. Die umlie­gen­den Häuser wachen auf. Der Boden­rütt­ler (eine mächti­ge sich bemerk­bar machen­de Formma­schi­ne) erwacht zum tägli­chen Leben und des Brunnhuber’s Bernhärd­le ruft erregt zum Fenster hinaus: „Ei‘r Bude mach‘ I scho au no zua.“ Das dauer­te aber bis 1974 und nicht Bernhard, sondern die Umstän­de, schlos­sen die „Bude“, also die alt ehrwür­di­ge Gieße­rei. Arbei­ter in den Gieße­rei­en waren landauf landab bekannt dafür, dass sie einen mächti­gen Durst hatten und so gab es auch in diesem Gebäu­de das sogenann­te „Feuchte/Nasse Eck“, in dem wohl der Durscht mitun­ter kräftig gelöscht wurde. Für das Klopfen der Kernei­sen waren die folgen­den Herren zustän­dig: Der Fremden­le­gio­när Chris­ti­an NN aus Königs­bronn, der politisch „Linke“ NN Stricker aus Schnait­heim (der manch­mal wegen kommu­nis­ti­scher Flugblatt­ver­tei­lung von der Polizei aus dem Zug geholt wurde) und an Anton Bestle aus Aalen. Wo Durst herrscht, wird in der Regel auch kräftig geves­pert und geges­sen. Und das „Essen organi­sie­ren“ hat man schließ­lich nach dem Krieg gelernt und diese Fähig­kei­ten waren auch in den 60ern noch gefragt. Eines Tages wurde ein verstor­be­ner, winter­lich vereis­ter, Rehbock in der Nähe des Pulver­turms gefun­den. Leich­te Übung für Josef Oberdor­fer, er schnapp­te sich eine Schub­kar­re mit einem unrun­den Rad, und kämpf­te sich mit Karre hin und mit Bock zurück. Der Bock wurde enteist und auf dem Ofen wurde ein wunder­bar schme­cken­der Rehbra­ten gebra­ten, aufge­tischt und verzehrt und die Tat gebüh­rend begos­sen. Das waren eben noch Männer der Tat. Der Zahltag wurde damals noch wöchent­lich per Lohntü­te bar ausbe­zahlt und bei manch einem warte­te freitags die Ehefrau am Zaun, um den Gatten abzufan­gen, bevor Ehemann und Lohntü­te (große Tüte – kleiner Lohn) im nächs­ten Gasthaus lande­ten. Wie mir berich­tet wurde, hat mein Vater, der Schorsch, seinen Lohn sofort auf die Wingert’sche Sparkas­se getra­gen. In diesem Zusam­men­hang sei einmal aufge­führt was verdient wurde und was die Dinge so in den 60ern kosteten:

Laut des Statis­ti­schen Bundes­amts Deutschland

verdien­te ein männli­cher Arbeit­neh­mer Anfang der 60er-Jahre im Durch­schnitt 590 DM (ca. 302 EUR) Brutto. Bis Ende der 60er konnte er dieses Einkom­men auf 1.290 DM (ca. 662 EUR) mehr als verdop­peln. Bei den Frauen lagen die Einkom­men bei 358 DM (183 EUR) bzw. 796 DM (407 EUR).

Eine Kugel Eis beim Italie­ner: 0,10 DM / Die Grund­ge­bühr für Telefo­ne: 0,20 DM / Porto für eine Postkar­te: 0,20 DM / Porto für einen Standard­brief: 0,30 DM / Eintritt für das Schwimm­bad: 0,50 DM / Eine kleine Dose Nivea-Crème: 0,50 DM / 1 Liter Normal­ben­zin: 0,58 DM / Eine Tages­zei­tung (Bild-Zeitung): 0,15 DM / Eine Fernseh­zeit­schrift (HörZu): 0,70 DM /Eine Tafel Schoko­la­de (100g): ca. 0,90 DM / Ein Laib Brot (1.000g Misch­brot): ca. 1,20 DM / Ein Pfund Kaffee (500g): ca. 10,00 DM / Eine Zigaret­ten­schach­tel aus dem Automa­ten (12 Stück): 1,00 DM / Die monat­li­che Fernseh­ge­bühr: 7,00 DM / Eine Langspiel­plat­te (LP): ca. 20 DM / Ein Fahrrad: ca. 90 DM (ohne Gangschal­tung) / Ein elektri­scher Rasier­ap­pa­rat: ca. 85 DM (Braun sixtant) / Eine Polster­gar­ni­tur: ca. 350 DM (Couch, 2 Sessel mit Arm) / Eine Wasch­ma­schi­ne: ca. 1.400 DM (Construc­ta 100) / Ein VW-Käfer: ca. 4.500 DM / Ein Opel Kadett: ca. 5.500 DM und ein Ford Taunus 20M, 6 Zylin­der: ca. 8.500 DM.

Umzüge

aller Art gingen immer durch’s Kies. Ob Kinder­fest, Stadt­fest, Schlag­ga­wä­scher, Feuer­wehr, Turnfes­te usw. usf. Im Kies war immer was los und wer dort gewohnt hat oder heute noch dort wohnt wird die alten Zeiten nicht verges­sen, denn das Kies, war und isch äbbes B’sonders.

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1953 Umzug durch’s Kies – 50 Jahre TVO (Archiv Rathaus)

Eine kurze Anekdo­te zum Schluss.

Den Bericht habe ich in unserer Wohnung in der Schweiz geschrie­ben. Abends kommt meine Freun­din und fragt, wie lange ich für den Bericht bräuch­te. Darauf ich: „So 1 bis 1 ½ Jahre“. Sie antwor­tet: „S isch aber schon halb sieben. Was isch mit dem Essen?“ Dann habe ich halt eine kleine Pause gemacht ☺.

Beson­de­re Wege im Kies.

Dazu ein kleiner Nachtrag. Denn die gab es schon immer. Kurze, direk­te kleine Wege und Stich­gas­sen rechts und links der Haupt­stra­ße, aber zwei ganz wichti­ge muss ich schon erwäh­nen. Einer ging vom Bahnhof bis zur Volkmars­berg­stra­ße (Illg, Zöllner) hoch und kanali­sier­te den tägli­chen Strom der Zeissia­ner zu und von ihrer Firma und der andere ging vom Kies über Bonn weiter nach Berlin – gäll Schorsch“? ☺Beide Wege gibt es nicht mehr und können daher auch nicht mehr began­gen werden, und leben somit, wie so vieles, nur noch in der Erinnerung.

Danke für die Mitarbeit.

An diesem Bericht haben wieder viele Oberkoch­ner mitge­ar­bei­tet. Ein ganz beson­de­rer Dank geht an Luitgart Hügle, Georg „Schorsch“ Brunn­hu­ber, Rita Grupp, Wolfgang Dörr, Manfred Renner und Josef „Sepp“ Merz (als altem Kies-Urgestein mit einem beein­dru­cken­den Wissen) sowie an Thomas Uhl, Peter Uhl und Georg „Schorsch“ Mayer. Sowie an Rosema­rie Wingert, Ursula Vogel, Josef Gold, Krista Hurler und Regine Soutschek. Natür­lich bietet ein Bericht dieser Größen­ord­nung viele Möglich­kei­ten, dass sich Fehler, Unzuläng­lich­kei­ten und Ungenau­ig­kei­ten einschlei­chen – trotz wieder­hol­tem Querle­sens und Gegen­che­ckens. Hoffent­lich sind’s net so viele ☺. Der Insider wird’s merken und, wenn notwen­dig, mitteilen.

Noch ein Tipp.

Ich werde oft angespro­chen warum die Bilder im Blätt­le immer so klein sind, dass „ma koi Sau richtig erkennt.“ Da habe ich keinen Einfluss darauf – das ist Sache der Redak­ti­on. Wer sich an den Bilder erfreu­en will und diese auch gerne vergrö­ßern möchte, den muss ich auf die WebSite des Heimat­ver­eins verwei­sen. Dort kann man mit PC, LapTop, Tablet oder Smart­phone richtig genießen.

Liebe Grüße vom Sonnen­berg, dieses Mal spezi­ell an das gesam­te Kies, den alten ehrwür­di­gen A.C. Kies und den noch aktiven Kies-Sport-Club. Wenn’s gut war – saget’s, wenn‘ s schlecht war – schweig­at, wenn’s Fehler hat – meldats!

Ihr Wilfried Billie Wichai Müller vom Sonnenberg.

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