(Foto in BuG v. 2.6.89, Bericht 68)

Zu dem Gruppen­fo­to vom Sänger­bund anläß­lich des Sänger­fes­tes 1913 in Tübin­gen existiert ein Origi­nal­be­richt, den wir mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Vorstan­des dem altehr­wür­di­gen Proto­koll­buch des ältes­ten Oberko­che­ner Vereins entneh­men. Es ist in deutscher Schrift geschrie­ben und mußte zuerst entzif­fert werden. Herr Hafen­rich­ter liefer­te uns zu diesem Bericht die dazu passen­de Origi­nal-Festkar­te, die 1913 anläß­lich des Sänger festes in Tübin­gen erschien. Herzli­chen Dank.

Proto­koll
Das Sänger­fest 1913

»Zum ersten­mal zog der Verein am 21. Juni (1913) in den Sänger­krieg. Mittels Extra­zug kam man glück­lich nach Tübin­gen, und war da im Gasthaus »zur Lenzei« einquar­tiert. Das Mittag­essen hat aber nicht in allen­tei­len befrie­digt, weshalb am 2ten keine Bestel­lung gemacht wurde. Dagegen waren die Bürger­quar­tie­re im allge­mei­nen sehr gut. Nachdem am Morgen des Wettsin­gens noch eine kürze­re Probe statt­ge­fun­den hatte, begann der Wettge­sang­prä­zis. Zwar stimm­te die schlech­te Witte­rung und auch die Erwar­tung vor dem was kommen sollte, die Gemüter etwas tiefer, aber auf dem Bodium da war alles Feuer und Flamme. Mit größter Ruhe wurden die Verse des Preis­lie­des nach den genau­en Winken des H. Direk­to­res gesun­gen und als nachher 1000-stimmi­ger Beifall ertön­te, da war einem jedem das Herz leicht. Der Eindruck des Chores war beim Publi­kum ein äußerst guter. Zahlrei­che Besuchs­mu­si­ker stell­ten einen 1. oder sicher einen 2. Preis in Aussicht. Von allen Seiten wurde zum schönen Erfolg gratu­liert. Nachdem am 1. Tage nach den bis 6 Uhr abends dauern­den Einzel­vor­trä­gen gelauscht wurde, begann in den verschie­de­nen Lokalen, Straßen etc. ein gemüt­li­ches Treiben. Der 2te Tag brach­te besse­res Wetter und die Haupt­auf­füh­rung. Dazu war auch das Königs­paar erschie­nen, die den nach Tausen­den zählen­den Sängern mit größtem Inter­es­se ihr Ohr liehen und ihren Beifall spende­ten. Die Eindrü­cke von dieser Auffüh­rung werdem jedem Sänger in bleiben­der Erinne­rung sein.

Nachmit­tags war Festzug zur Preis­ver­tei­lung, an dem ca. 13000 Sänger teilnah­men. Mit einem Herzen voll Erwar­tung für einen erstmals aufge­tre­te­nen Verein, war die Spannung eine äußerst große, als der Präsi­dent verkündete:

19. II. Preis, Sänger­bund Oberko­chen
Da brach ein Jubel los u. alle Sorgen u. Mühen waren verges­sen. Der Empfang in der Heimat war großar­tig. Mit Musik u. Böller­schüs­sen am Bahnhof freund­lich begrüßt, entbot Herr Gemein­de­pfle­ger Balle im Namen der bürger­li­chen Kolle­gi­en den herzlichs­ten Glück­wunsch. Im feier­li­chen Zug, an dem sämtli­che hiesi­gen Verei­ne mit ihren Fahnen teilnah­men, ging es unter dem Beifall des Publi­kums in das präch­tig, von innen und außen im reins­ten Lichter­meer erstrah­len­de, äußerst sinnreich dekorier­te Vereins­lo­kal »zum Ochsen«. Herr Vorst. (Richard Frank) dankte für den großar­ti­gen Empfang, vor allem dem Dirigen­ten (Josef Spranz) für die vielen Mühen und Arbei­ten; und erwähn­te auch noch den Herrn Vizevor­stand (Franz Grupp), der am Tage des Wettsin­gens sein 50. Lebens­jahr vollende­te. Weite­re Reden hielten: Vorstand der Lieder­ta­fel Aalen, Herr Bichl­mey­er; Herr Pfarrer Heilig verlas die in der Presse erschie­ne­nen so günsti­gen Urtei­le. Sternw. (Stern­wirt) Rieck, Unter­ko­chen, feier­te die Vetera­nen von 1870/71 als Mitbe­grün­der des Deutschen Reiches und des deutschen Liedes. Der Vereins­vor­stand übergab dem Dirigen­ten einen Lorbeer­kranz, Vizevor­stand Grupp dem Vorstand einen Blumenstrauß.

Der schöne Erfolg und der großar­ti­ge Empfang hat auch die Sänger für ihre Opfer entschä­digt, und kein einzi­ger Teilneh­mer bereut, das schöne Fest mitge­macht zu haben.«

Oberkochen

Dies ist der Origi­nal-Bericht des seiner­zei­ti­gen Schrift­füh­rers des Sänger­bun­des, Josef Schmid.

Den Aktiven des Sänger­bun­des, die letzten Samstag beim Festkon­zert zum 150. Geburts­tag im vollbe­setz­ten Carl-Zeiss-Festsaal mitge­wirkt haben, wird es nicht anders ergehen als ihren Vorfah­ren im Jahre 1913: auch sie hat der Beifall, der schöne Erfolg und die begeis­ter­ten Presse­be­rich­te in beiden Tages­zei­tun­gen für ihr Opfer entschä­digt, und kein einzi­ger Teilneh­mer wird bereu­en, das schöne Fest mitge­macht zu haben, — so, wie es der Chronist vor 76 Jahren formu­lier­te, — wobei es, neben­bei bemerkt, heute wesent­lich schwie­ri­ger ist, die Leistung von Laien richtig einzu­stu­fen, weil viele verwöhn­te Zuhör­erlai­en nicht mehr zwischen optima­ler Schallplatten‑, Tonband‑, Rundfunk- und Fernseh-Profi­dar­bie­tung auf der einen und der Leistung von Laien auf der anderen Seite zu unter­schei­den verstehen.

Das in diesem Bericht erwähn­te Württem­ber­gi­sche Königs­paar übrigens, (König Wilhelm II. (1848 — 1921), letzter württem­ber­gi­scher König, 1918 abgedankt, und Königin Charlot­te von Schaum­burg-Lippe, (1864 — 1946), die 2. Gemah­lin des Königs,) hatte zwei Jahre vor dem Tübin­ger Sänger­fest die Silber­ne Hochzeit gefei­ert. Von diesem Ereig­nis gibt es auch eine Postkar­te (8. April 1911), die wir in diesem Zusam­men­hang veröffentlichen.

Oberkochen

Dietrich Bantel

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