Oberheizer auf dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Roon“
Im Herbst letzten Jahres erhielt ich einen Anruf von dem Oberkochener Hans-Günter Arndt, – ob ich Näheres zu dem Oberkochener Namen Hassinger sagen könne. Auf mein „Ja“ teilte mir Herr Arndt am Telefon mit, dass er von einem Bekannten, der – wie er – seit der Gründung des Vereins vor ca. 30 Jahren an dem traditionellen Stammtisch der „Marinekameraden“ in der Bahnhofs-Gaststätte in Unterkochen teilnimmt, erfahren habe, dass bei ihnen am Stammtisch einige aus dem Ersten Weltkrieg stammende Marineunterlagen und ‑dokumente eines Otto Hassinger aus Oberkochen aufgetaucht seien.
Dieser Bekannte namens Jürgen Pietsch von der Oberkochener Heide habe beim letzten Treffen in Unterkochen einen kaiserlichen Militärpass vom Ersten Weltkrieg und weitere persönliche Unterlagen dieses Otto Hassinger von Oberkochen mitgebracht. Wie jener zu diesen Papieren gekommen ist, sei noch unklar.
Mein Anruf beim Ehepaar Arthur und Rosemarie Hassinger bestätigte umgehend, dass jener Otto Hassinger der Vater von Arthur Hassinger vom Jägergässle und dem kürzlich verstorbenen Alfons Hassinger ist. Schnell war auch rekonstruiert, dass die Frau des Otto Hassinger, Monika Hassinger, eine geborene Frank aus der Familie Michael Frank war, einem Bruder des Oberkochener Bürgermeisters Richard Frank. Monika Frank war also die Oma meiner ehemaligen Schülerin Evi Hassinger war, – Tochter der Eheleute Arthur und Rosemarie Hassinger.
Evis Oma, Monika Hassinger wiederum hatte mir im Zusammenhang mit meinen weit zurückliegenden Höhlenforschungsarbeiten am Griebigen Stein im Jahr 1979 augenzwinkernd eine ebenso wahre wie fast unglaubliche Geschichte erzählt, derzufolge einst ein Dackel, – der berühmte „Höhlendackel“ eines vor der Höhle eingeschlafenen Jägers, – in derselben verschwunden und nach längerer Zeit im Hof des Klosters Königsbronn wieder aufgetaucht sei… – Das passte irgendwie in die Sage vom Griebigen Stein in dem Buch „Die Ostalb erzählt“. – Die Enkelin von Monika Hassinger, Evi Hassinger, heute Frankreich, gehörte zu den zahlreichen Schülern des hiesigen Gymnasiums, die aufgrund dieser und anderer durch Sagen fortgeschriebenen Überlieferungen unter meiner Leitung mit dem Segen der Schulleitung und dem der Realgenossenschaft in den Jahren 1979 und 1980 so lange in der Höhle buddelten, bis der Zugang zu einer bislang noch nie betretenen herrlich versinterten Fortsetzung der Höhle freigelegt war, worüber damals im Amtsblatt ausführlich berichtet wurde. Der Wahrheitsgehalt der Sage vom „Griebigen Stein“ war belegt. – Allerdings schafften wir’s nicht bis Königsbronn.….…
Das also war die Hassingerfamilie, der der kaiserliche Marinemann Otto Hassinger zuzurechnen war.
Auf 13. November letzten Jahres wurde sodann ein Treffen aller Betroffenen in unserem Hause vereinbart. Jürgen Pietsch hatte die spannenden in Unterkochen bei den Marinekameraden aufgetauchten Otto-Hassinger-Marine-Dokumente aus dem Ersten Weltkrieg mitgebracht:
- den Militärpass (10,0÷4,7 cm) in kartoniertem Umschlag (15,5÷10,5 cm) der Kaiserlichen Marine mit einliegendem Passbild (auf Karton 14/7 cm, Foto 10/4,7 cm) des Otto Hassinger
- die Kriegsbeorderung (14÷8,5 cm) (eingeklebte Marken fehlten)
- den vorläufigen Entlassungsschein (22÷14,4 cm) vom 16.11.1918
- Eine Ansichtskarte (13,7÷8,5 cm), geschrieben am 25.1.1917 von Otto Hassinger an seine spätere Ehefrau Monika Frank

Abbildung 1: Aufklappbare Umschlag-Doppelhülle (etwa Postkartengröße) zum Einlegen und zum Schutz des Passes und der Papiere – preußisch-blau, Leinencharakter – mit Aufschrift Kaiserliche Marine, – II Werft-Division – Wappen – Militär-Papiere – (Druckvermerk – Gesetzlich geschützt. Hersteller)

Abbildung 2: Militärpass der kaiserlichen Marine – Kaiser Wilhelm I (1859 — 1941, – dt. Kaiser und König von Preußen von 1888 — 1918 «am 10.11.1918 Exil in den Niederlanden»). Handschriftlich ist Otto Hassinger auf dieser Seite als „Jahresklasse 1909 eingetragen. Außerdem ist außer dem Namen vor diesem der Beruf „Heizer“ eingetragen, der später in derselben Handschrift zu „Ober-Heizer“ ergänzt ist.

Abbildung 3: Unter dem Titel „Nationale des Buchinhabers“ sind vermerkt: Otto Hassinger – Geboren am 17.3.1889 in Karlsruhe, Bundesstaat Baden, Heizer und Schlosser, katholisch, nicht verheiratet, keine Kinder, Datum des Diensteintritts 6. Oktober 1909 als Ersatz.

Abbildung 4: Foto des Otto Hassinger (1889 — 1976) aus dem Jahr 1914, aufgenommen in dem „Atelier für künstlerische Fotografie“ Karl Dreyer in Kiel. Dieses auf Karton aufgezogene Foto ist kein offizieller Teil des Militärpasses. Da es jedoch, wie einem Aufdruck auf der Rückseite des Kartons entnommen werden kann, in Kiel aufgenommen wurde, kann davon ausgegangen werden, dass es im Zusammenhang mit der Einberufung entstanden ist.

Abbildung 5: Da der vorläufige Entlassungsschein gut lesbar ist, soll hier lediglich darauf hingewiesen werden, dass Otto Hassinger als Oberheizer auf dem kaiserlichen Kriegsschiff „Roon“ (Kreuzer) diente und am 16.11.1918 in Kiel entlassen wurde.

Abbildung 6: Das „Kriegsschiff SMS Roon“. – Am 17. Januar 1917, also ziemlich genau vor 100 Jahren, schrieb Otto Hassinger an seine Liebste in Oberkochen eine Ansichtskarte von seiner Arbeitsstelle, dem „Kriegsschiff Roon“. SMS ist die Abkürzung für „Seiner Majestät Schiff“ – Die „Roon“ war ein 127 m langer und 20 m breiter am 1.8.1902 vom Stapel gelaufener Kreuzer, (wie das Passagierschiff Titanic mit 4 Schornsteinen), und mit 633 Mann Besatzung. (Die Abmessungen der ca. 10 Jahre später vom Stapel gelaufenen Titanic zum Vergleich: 269 m lang, 28 m breit).
Die „Roon“ ist nach dem preußischen Generalfeldmarschall Albrecht von Roon (1803 — 1879) benannt. Wie Otto Hassingers Sohn Arthur weiß, war sein Vater bei der letzten Fahrt der „Roon“ ans Schwarze Meer an Bord des Kreuzers.
Die „Roon“ wurde 1920 endgültig außer Dienst gestellt, aus der Liste der Kriegsschiffe gestrichen und 1921 in Kiel abgewrackt.

Abbildung 7: Der Text der Ansichtskarte (Verlag Gebr. Lempe, Kiel) ist in der Verkleinerung wohl schlecht lesbar.
Hier die Übertragung:
„Feldpost. Abs. Oberheizer Haßinger – S.M.S. Roon – Fräulein Monika Frank – Oberkochen bei Aalen (Württemberg) Jägergasse. – S.M.S. Roon, den 25.1.1917.
Liebe Monika!
Herzl. Dank für Deinen lb. Brief, welchen ich heute erhalten habe. Es geht mir noch ganz gut, was ich auch von Dir erhoffe. Sei nun tausendmal herzl. gegrüßt von Deinem Otto“.
Man beachte das „noch“!
Otto Hassinger war nach der Abwrackung der „Roon“ arbeitslos, was durch Gelegenheitsarbeiten überbrückt wurde. In den früheren 30er-Jahren schuftete er permanent in der Arbeitertruppe, der es zu verdanken ist, dass es eine Straße auf den Volkmarsberg gibt. Sein Sohn Arthur berichtete, dass es 4 Reichs- (Renten)-Mark pro Tag gegeben hat. – Wir haben darüber in unseren BuG-Berichten 155 vom 17.1.1992, 156 vom 24.1.1992 und 309 vom 9.1.1998 berichtet. – Später war Otto Hassinger Portier bei Alfing-Kessler. – Wie viele Oberkochener, auch die, die im Bergwerk am Braunenberg arbeiteten, ging er zu Fuß durchs Tal oder über den Berg zum Arbeiten, – und abends wieder zurück nach Oberkochen. In den Vierzigerjahren war er als Portier bei WIGO beschäftigt. Auch bei der CZ-Feuerwache war er tätig.
Anlässlich der freundlichen Übergabe der einst verschwundenen und nun wiederaufgetauchten Dokumente durch Jürgen Pietsch an Arthur Hassinger konnten einige Spuren geklärt werden, was mit denselben über die letzten Jahrzehnte möglicherweise geschehen war. Anlässlich der Wohnungsauflösung der Oma Monika Hassinger nach deren Tod im Jahr 1988 müssen diese Unterlagen von „Unbekannt“ mitgenommen und irgendwann in den Antiquitätenhandel gegeben worden sein. Fest steht, dass sie vom Marinekameraden Jürgen Pietsch vor kurzem beim „Preis-Fuchs“ in Heidenheim als interessant erkannt und rechtmäßig erworben worden waren. – Da er mit dem Namen „Hassinger“ nichts, wohl aber mit „Oberkochen“ etwas anfangen konnte, wandte er sich an seinen Oberkochener Marinekameraden Arndt. Dieser wiederum kam über die Stichwörter „Heimatverein“ und „Kuhschuhe“ (Bericht 685 v. 5.1.2018) auf mich. So schloss sich auf höchst erfreuliche Weise ein Kreislauf, der 1979 mit Oma Monika und dem Höhlendackel vom Griebigenstein begonnen hatte.
Dietrich Bantel