Ausge­löst durch den Bericht 662 „Nach dem Krieg – ein Dorf platzt aus allen Nähten“ kam der Kontakt zu H. J. Neumann (wohnhaft auf der Heide) zustan­de. Schnell war klar – der Mann hat etwas zu erzäh­len und kann auch gut schrei­ben. Kein Wunder, ist er doch selbst, neben seiner frühe­ren Arbeit bei Zeiss, unter die Autoren gegan­gen. Nachdem er diver­se wissen­schaft­li­che Bücher veröf­fent­licht hatte, schrieb er auch eine Autobio­gra­phie mit dem Titel „Ein gerad­li­ni­ges Leben?“. Dieser Bericht basiert auf einigen Teilen dieses kurzwei­li­gen lesens­wer­ten Buches – aber ohne Technik geht, auch in diesem Buch, bei Hr. Neumann nichts.

Kurze Biogra­phie

Er wurde im Oktober 1932 in Neugers­dorf geboren. Später bekam er noch ein Brüder­chen namens Horst. Sein Vater war Webmeis­ter und seine Mutter war früher als Schuh­ver­käu­fe­rin tätig.

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Die Eltern Neumann

1938 begann die schuli­sche Laufbahn in der örtli­chen Pesta­loz­zi­schu­le. Das Inter­es­se für Technik wurde schon in der Kindheit spiele­risch durch seinen Vater geweckt. Eine elektri­sche Märklin-Eisen­bahn Spur 0 und der legen­dä­re Märklin­bau­kas­ten wurden jährlich erwei­tert, sodass eines Tages ein ganzes Zimmer ausge­räumt werden musste, um alles aufzu­bau­en und staunend damit zu spielen.

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Ein Beispiel eines Märklinkastens

Vater ergänz­te das alles um einen Heißluft­mo­tor, ein Diffe­ren­zi­al- und ein Lenkge­trie­be. Mit 10 Jahren kam er in die damali­ge Haupt­schu­le (dazu war damals eine Begab­ten­aus­wahl notwen­dig – so ändern sich die Zeiten).

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Der junge Neumann in der Haupt­schu­le (letzte Reihe fünfter von re.)

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Hans Joachim Neumann mit der Schultüte

Der Krieg hatte keine größe­ren Auswir­kun­gen, denn die neue Heimat Zittau wurde weitest­ge­hend von Bomben verschont. Mathe­ma­tik und Englisch lernte er schon in jungen Jahren und mit 14 war die Schule vorbei. Der Besuch eines Gymna­si­ums war undenk­bar und so begann er eine Lehre als Rundfunk­me­cha­ni­ker im VEB Funkwerk Zittau/Olbersdorf (früher Radio Seibt). Täglich 12 Stunden aus dem Haus, das war damals auch für einen 14jährigen normal. Der Junge war gut und nahm erfolg­reich an Kreis- und Landes­wett­be­wer­ben teil. Dadurch bekam er ein Stipen­di­um für das Fach Übertra­gungs­tech­nik am Techni­kum Mittwei­da. Das Studi­um verlief ohne Proble­me. Jedoch kam er bald ins Visier des Staates, der seine Augen und Ohren (Guck und Horch) überall hatte. Nach dem Studi­um hagel­te es nur Absagen, weil sein Kader­zeug­nis die Bemer­kung enthielt: „Er ist mit einigen Zielen der Regie­rung nicht einver­stan­den und darf daher nicht an zentra­len Stellen einge­setzt werden“. Aber da es in der DDR keine Arbeits­lo­sen gab, wurde er am Techni­kum als Assis­tent einge­stellt. Kurz darauf gab es ein überra­schen­des Bewer­bungs­ge­spräch mit einem Carl Zeiss-Mitar­bei­ter. Der ließ sich, durch den Hinweis, dass der junge Mann politisch nicht zuver­läs­sig sei und unter Beobach­tung stünde, nicht beein­dru­cken. Vielmehr bürgte Zeiss für ihn, stell­te ihn ein und seine beruf­li­che Karrie­re nahm so ihren Anfang.

Hier nun auszugs­wei­se der persön­li­che Bericht von H.J. Neumann, den wir in Jena begin­nen lassen.

Bei Carl Zeiss in Jena

Ich wurde einge­stellt in die Abtei­lung Elektro­ver­such EVers 1 bei Herrn Dipl. Physi­ker Gerhard Meister. Er war ein heraus­ra­gen­der Wissen­schaft­ler auf dem Gebiet der Längen­mess­tech­nik. Außer­halb meiner Berufs­tä­tig­keit, die für mich immer einen sehr ausge­präg­ten Stellen­wert besaß, lebte ich mich in Jena recht gut ein. Ich fand im Tulpen­weg, in einer am Stadt­rand liegen­den älteren Siedlung, mit lauter ähnli­chen Häusern, ein winzi­ges Zimmer bei einer allein erzie­hen­den Dame mit einer zehnjäh­ri­gen Tochter. Wie im Studi­um gewohnt, musste für die Freizeit erneut eine Aufga­be her. So war ich wild entschlos­sen, wieder in einem Chor zu singen und besuch­te die Chorpro­be des Chores von Zeiss Jena im Volks­haus. Alles schien gut zu laufen, bis die Probe begann. Man drück­te mir dazu ein Noten­blatt mit dem Stück „Schon die Abend­glo­cken klangen“ aus der Oper „Das Nacht­la­ger in Grana­da“ von Conra­din Kreut­zer in die Hand. Das Chorwerk kannte ich und fand es immer sehr schön. Das half aber nichts, denn ich konnte kaum Noten lesen und natür­lich auch nicht vom Blatt singen. So endete diese ersehn­te Freizeit­auf­ga­be recht abrupt.

Nach einem Jahr beför­der­te man mich zum Gruppen­lei­ter. Ich saß sodann neben meinem Kolle­gen, der mich angewor­ben hatte, an der Spitze einer langen Reihe meiner Mitar­bei­ter. So konnte ich zu jedem von ihnen einen inten­si­ven Kontakt halten. In dieser Zeit nahm ich an der TU-Dresden am Fernstu­di­um teil. Das war eine harte Sache und erfor­der­te täglich mehre­re Stunden Arbeit, vor allem im Fach Mathe­ma­tik. Nach etwa andert­halb Jahren ernann­te man mich zum „Aktivis­ten“. Ich hatte mich natür­lich bemüht, möglichst wenig aufzu­fal­len und meinen Job so gut wie möglich zu erledi­gen. Ich konnte nicht verhin­dern, dass mein überle­bens­gro­ßes Portrait am Werks­tor rechts vor dem Eingangs­por­tal des Haupt­werks prang­te. Leider habe ich davon kein Foto. Heutzu­ta­ge fährt dort die Straßen­bahn hindurch.

Es war im Juli 1957. Ich bekam wider Erwar­ten die Möglich­keit, mit meinem Freund Wolfgang per Moped eine Reise nach Westdeutsch­land zu unternehmen.

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Mopedrei­se in den Westen

Die zustän­di­gen Stellen geneh­mig­ten die Reise zu unserer großen Überra­schung, doch in der Zukunft wurden diese Reise­ge­neh­mi­gun­gen in den Westen immer mehr einge­schränkt. Wir starte­ten damals von Jena aus und reisten über Hameln (dort wohnte meine Cousi­ne Ulli) bis Garmisch-Parten­kir­chen. Auf der Rückrei­se kamen wir völlig durch­nässt, abgekämpft und mit Bärten auch in Oberko­chen vorbei. Ich stell­te mich damals dem Leiter der zentra­len Elektro­nik­ent­wick­lung Herrn Dr. Hans Plesse vor, der mich wider Erwar­ten sofort einstell­te. Auch Wolfgang wurde einge­stellt und zwar in den Ferti­gungs­be­reich. Und so fuhren wir ganz glück­lich wieder nach Jena zurück.

Danach war die erste Handlung, meine „Bude“ aufzu­ge­ben, um umzie­hen zu können. Alles, was ich entsor­gen oder nach Hause bringen wollte, konnte ich so bewerk­stel­li­gen ohne Verdacht zu erregen. Wolfgang und ich bezogen gemein­sam eine neue Bude und schmie­de­ten abends unsere Flucht­plä­ne. Dies geschah zusam­men mit unseren Freun­din­nen. Dass die Gesprä­che im dem Nachbar­raum zu hören waren, erfuh­ren wir erst hinter­her. Zum Glück ist das aber ohne Folgen geblie­ben. Die Eltern meiner Freun­din bestan­den darauf, dass wir uns vor unserer gemein­sa­men Flucht verlo­ben. Sie wollten ihre Tochter in siche­rer Obhut wissen. Es war natür­lich ein gewis­ser Zwang, den ich mit einigem Unbeha­gen akzep­tie­ren musste. Die geplan­te „Flucht“ in den Westen hatte eben Vorrang.

In der Firma übergab ich am 30. Oktober 1957 Herrn Meister einen ausführ­li­chen Bericht über die von mir entwi­ckel­te Längen­teil­ma­schi­ne. Er schöpf­te natür­lich sofort Verdacht und erkann­te meine Flucht­ge­dan­ken. Ich sagte zu ihm ganz offen, dass ich eine Mauer in Berlin für möglich halte. Diese Vorher­sa­ge sollte aller­dings erst fast vier Jahre später, am 13. August 1961 wahr werden. Mein Vertrau­en wurde nicht enttäuscht, denn Herr Meister hat mich nicht verra­ten. Ebenso mein Kolle­ge und Freund Karl-Heinz, dem ich meinen Plan nicht verschwie­gen hatte. Erst hinter­her stell­te sich heraus, dass er bei der Stasi war. Nachdem ich im Westen war, habe ich zum Schein einem Kontakt zugestimmt. Davon später mehr. Mein Fernstu­di­um an der TU Dresden war natür­lich auch passé.

Neube­ginn in Oberkochen

Wir verab­re­de­ten, dass wir am Refor­ma­ti­ons­tag, am Donners­tag, dem 31. Oktober, der in der DDR ein Feier­tag war, mit der Bahn nach Berlin fahren, um dort in der Papestra­ße (heute Südkreuz) in die westli­che S‑Bahn umzustei­gen. Dieser Abschied von der DDR, den man, weil nicht geneh­migt, „Republik­flucht“ nannte, war von langer Hand vorbe­rei­tet. Die Bahnfahrt nach Berlin verlief unpro­ble­ma­tisch, aber das Umstei­gen in die S‑Bahn war etwas schwie­rig. Einige Tage zuvor erfolg­te nämlich mit der Aktion „Blitz“, der Geldum­tausch der DDR-Währung in neue Bankno­ten. Aus diesem Anlass durch­such­te man jeden Reisen­den. Warum das geschah, blieb uns verbor­gen. Wir mussten aus der S‑Bahn ausstei­gen und unsere Koffer zeigen. Ich hatte zur Begrün­dung, warum wir mit dieser S‑Bahn fuhren, einen Plan. Es gab glück­li­cher­wei­se eine Cousi­ne am Rande Berlins, die man aber nur errei­chen konnte, wenn man mit der S‑Bahn durch Westber­lin fuhr. Es kam aber nicht zu dieser letzten Anhörung und wir konnten unbehel­ligt unsere Umstei­ge­ak­ti­on in Ostber­lin in die Westber­li­ner S‑Bahn vollzie­hen. Danach melde­ten wir uns in der Zeiss-Filia­le, bekamen unsere Flugschei­ne und flogen dann nach Hanno­ver. Es war mein erster Flug, der mir aber schlecht bekam. Noch auf der anschlie­ßen­den Bahnfahrt, war mir speiübel.

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Die Republik­flucht

Bei unserer Ankunft in Oberko­chen gab es gleich eine Überra­schung, denn am nächs­ten Tag, dem 1. Novem­ber, an dem ich bei Zeiss antre­ten wollte, war Aller­hei­li­gen, ein Feier­tag. Er war außer­dem ein Freitag, sodass bis zum eigent­li­chen Arbeits­be­ginn am Montag noch eine nicht erwar­te­te Erholungs­pau­se entstand.

Bei unserer Ankunft Ende 1957 hatte Oberko­chen schon etwa 7.400 Einwoh­ner. Aller­dings erhielt sich noch lange Zeit der dörfli­che Charak­ter. Entlang der Haupt­stra­ße gab es drei Misthau­fen, „Dungle­gen“, wie man beschö­ni­gend sagte. Als ich etwa drei Monate in Oberko­chen verbrach­te, erreich­te mich ein Schrei­ben des ameri­ka­ni­schen Geheim­diens­tes mit einer Einla­dung nach Oberur­sel bei Frankfurt/M. Dort angekom­men, wurde ich mehre­re Stunden lang über meine Tätig­keit bei Zeiss Jena und über das Leben in der DDR ausge­fragt. Bezüg­lich Zeiss hielt ich mich sehr zurück. Von dort kam aber auch eine Einla­dung und zwar nach Weimar. Im Hotel „Elephant“ versuch­te mich mein frühe­rer Freund Karl-Heinz Albrecht zur Mitar­beit an techni­schen Entwick­lun­gen zu überre­den. Da wurde mir klar, dass Karl-Heinz Stasi-Mitar­bei­ter war. Zum Schein sagte ich zu und wir trafen uns danach zwei Mal in Nürnberg. Wie ich dann merkte, diente ihm die Verbin­dung zu mir nur dem Zweck, ab und zu in den Westen reisen zu können. So verlief die Sache danach im Sande und fand wahrschein­lich ihren Nieder­schlag nur in einer Akte über mich. Heute weiß ich aber, dass es diese gar nicht gab.

1958 war es in Oberko­chen ein Problem, eine geeig­ne­te Unter­kunft zu finden. Wir lande­ten deshalb zuerst in Aalen im Hüttfeld in der Rosen­stra­ße und anschlie­ßend bei Migran­ten in der Bruck­ner­stra­ße, wo es ständig nach Kohl roch. Wie den Schwie­ger­el­tern in Spe verspro­chen, beschlos­sen wir zu heira­ten. In Erman­ge­lung von Freun­den richte­ten wir eine Doppel­hoch­zeit aus, bei der wir gegen­sei­tig Trauzeu­gen waren. Später fanden Helga und ich endlich eine Bleibe in Oberko­chen. Es waren zwei Räume, die eine allein stehen­de Dame an uns vermie­te­te. Sie befan­den sich im Turmweg 8, direkt über dem damali­gen Café Gold, das heute „Restau­rant Mucken­ta­ler“ heißt. Jeden Abend erklang im Gastraum unter uns die Schall­plat­te „Schwarz­wald­mä­del“. Da konnten wir alsbald mitsin­gen aber nicht schla­fen. Wir hatten mit der Wirtin ein gemein­sa­mes Bad und auch eine Toilet­te. Einmal verga­ßen wir das Wasser am Wannen­zu­lauf abzudre­hen. Da der Überlauf nicht angeschlos­sen war, lief die Wanne über. Ein starkes Klopfen an der Tür machte uns auf das „Ereig­nis“ aufmerk­sam. Das Wasser lief an der Decke der Gaststu­be herab und alle Glühbir­nen platz­ten. Den Stöpsel aus der Wanne heraus­zu­zie­hen war nicht gefahr­los möglich, denn das Wasser stand unter Spannung. Den Schaden mussten wir natür­lich bezah­len, man behalf sich aber mit einem neuen Anstrich.

In dieser Wohnung kam am 25. August 1958 unser Sohn Rolf Eberhard auf die Welt.

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Vater Hans-Joachim mit Sohn Rolf

Es war eine Hausge­burt, denn die Hebam­me, Frau Hauber wohnte gleich gegen­über. Die Geburt geschah in meiner Anwesen­heit und verlief problem­los. Zwei Tage zuvor hatte ich mit Helga noch eine Wande­rung zum Volks­mars­berg unter­nom­men. Vielleicht war das eine gute Vorbe­rei­tung. Rolfi war ein ganz braves Kind. Seine ersten Sprach­ver­su­che waren kabarett­reif. Einen PKW von VW nannte er zum Beispiel „Frau Weh“, und wenn wir ihn am Ärmchen kniffen und „Fettmas­sen“ sagten, kommen­tier­te er das mit „Mettfas­sen“. In der Nachbar­schaft fanden wir dann Frau Rose, eine ältere Dame mit vier Töchtern, als Tages­mut­ter. Wir waren ja beide bei Zeiss berufs­tä­tig, denn wir besaßen außer den zwei mitge­brach­ten Koffern buchstäb­lich nichts. Bei meinem Anfangs­ge­halt von 471 D‑Mark musste jeder Pfennig dreimal umgedreht werden. In der DDR war mein letztes Gehalt deutlich höher. Es waren über 800 Ostmark. Wir waren auch ganz allein auf uns gestellt, denn die meisten Verwand­ten befan­den sich unerreich­bar in der DDR und lebten damals auch nicht in Saus und Braus. Nach Darstel­lung der unhalt­ba­ren Zustän­de gegen­über der Zeiss Wohnungs­bau­ge­sell­schaft ‒ die Maden aus dem „Plumps­klo“ krochen den Flur entlang ‒ bekamen wir dann endlich in der Jenaer Straße eine, aus unserer damali­gen Sicht, wunder­schö­ne Neubau­woh­nung. Sie befand sich in einem Reihen­haus mit sechs Mietwoh­nun­gen. Die Heizung bestand aus einem im Flur angeord­ne­ten Kohle­ofen mit Luftschäch­ten zu den übrigen Zimmern. Alsbald freun­de­ten wir uns mit Albin Schmid, einem Nachbarn an. Er stamm­te aus dem Nachbar­ort Unter­ko­chen, war mit einer Wiene­rin verhei­ra­tet und kinder­los. Durch ihn, der ein richti­ger Hans Dampf war, kamen wir im Laufe der Jahre mit seiner Schaf­zucht, dem späte­ren Karpfen­teich und mit der Motor­flie­ge­rei – er war selbst Hobby­pi­lot – in Berüh­rung. Schließ­lich besaß er auch noch ein Pferd, mit dem wir die ersten Reitver­su­che unter­nah­men, die aber mit der Aufga­be dieser Diszi­plin endeten. Er hat uns beim Einle­ben in die neue, noch fremd­ar­ti­ge, schwä­bi­sche Heimat sehr geholfen.

Ein Erleb­nis aus der Zeit in der Jenaer Straße bleibt mir unver­ges­sen: Albin animier­te uns, in die bestehen­de Heizung einen damals noch sehr selte­nen Ölbren­ner einzu­bau­en. Was dann auch geschah. Es war ein einfa­cher Verdamp­fungs­bren­ner, der mächtig rußte und die ganze Wohnung mit Ölgestank erfüll­te. Für die Versor­gung mit Öl baute ich einen Tank, den ich oberhalb des Brenners in einer Nische anbrach­te. So lief das Öl durch die Schwer­kraft in den Brenner, wo es durch einen Schwim­mer dosiert wurde. Das Öl besorg­te Albin, der in seiner Garage einen Tank instal­liert hatte. So konnte er auch immer seinen PKW steuer­be­güns­tigt versorgen.

Zum Befül­len des häusli­chen Öltanks setzte ich einen 20L-Benzin­ka­nis­ter, der mit Öl gefüllt war, mit einer Luftpum­pe für Luftma­trat­zen unter Druck und führte über einen Schlauch das Öl zum oben liegen­den Einfüll­stut­zen des Tanks. Die Ölstands­an­zei­ge aus einem Stück PVC-Schlauch zeigte wegen der Adhäsi­on einen zu gerin­gen Stand an und es passier­te, was kommen musste: der Tank lief mit kräfti­gem Schwall über. So schnell konnte ich den Überdruck nicht abbau­en, sodass ich und der Bereich um mich herum flächen­de­ckend mit Öl getränkt wurden. Einige andere Male verlosch die Flamme und die Brenner­schüs­sel füllte sich mit Öl. Aus noch mangeln­der Erfah­rung gab es beim Wieder­an­zün­den eine Verpuf­fung und der Ruß verteil­te sich in der ganzen Wohnung.

In der unteren Wohnung wohnte Herr Dr. Eberlein, der bei Zeiss in der Abtei­lung für Astro­no­mi­sche Instru­men­te beschäf­tigt war. Er bestand darauf, dass er in seinem Büro eine Couch aufstel­len durfte. Dieser als außer­ge­wöhn­lich betrach­te­te Wunsch sorgte für ein erheb­li­ches Aufse­hen und war Ortsge­spräch. Dr. Eberlein und sein Freund, der evange­li­sche Pfarrer, der früher U‑Boot-Komman­dant war, verführ­ten mich und andere zu abend­li­chen Kneip­tou­ren mit anschlie­ßen­dem Marsch durch die Straßen. Überhaupt war das Leben in Oberko­chen zur damali­gen Zeit recht locker und lustig. Dafür sorgte auch das, unserer Häuser­zei­le gegen­über­lie­gen­de, Jugend­wohn­heim, in dem alljähr­lich rauschen­de Faschings­fes­te gefei­ert wurden.

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Der Tauch­club im Hallenbad

Auch das Vereins­le­ben ging nicht an uns vorbei. So wurden wir Mitglied im Schwimm­ver­ein mit Tauch­klub. Ein beson­de­res Ereig­nis in jedem Jahr war der Fasching im Hallen­bad. Kurz darauf wurde der Tennis­ver­ein gegrün­det, in dem wir Gründungs­mit­glie­der wurden. Das Tennis­spie­len schätz­te ich nur wegen der Gesel­lig­keit, denn das Spielen machte mir wegen gänzlich fehlen­den Ballge­fühls keinen Spaß. Von Zeit zu Zeit mussten wir als „Grüne Wirte“ für die Verpfle­gung sorgen. Dabei schau­te uns in der Küche aus einer Öffnung in der Wand, ein Sieben­schlä­fer zu. Wir wurden von den Mitglie­dern, die alle etwa in unserem Alter waren, kamerad­schaft­lich aufge­nom­men. Auch nach unserem späte­ren Austritt war es immer schön zu erleben, wenn man uns in alter Freund­schaft begeg­ne­te. Später kamen dann noch der Musik­ver­ein, der Karne­vals­ver­ein und der Städte­part­ner­schafts­ver­ein hinzu. Heute als Ersatz für Schwim­men und Tennis: der Mühlenverein.

Erste Jahre Ostalb

Nach dem Neube­ginn in Oberko­chen und dem „Vermö­gen“ von zwei Koffern musste zuerst das Aller­nö­tigs­te angeschafft werden. Dazu gehör­ten billigs­te Möbel, Kochuten­si­li­en und etwas zum Anzie­hen. Nach zwei Jahren war es soweit, dass an eine Motori­sie­rung gedacht wurde. Sie begann mit einem gebrauch­ten Motor­rol­ler der Marke Goggo­mo­bil. Mit ihm unter­nah­men wir gleich eine Reise in die Schweiz. Die Fahrt über einige Alpen­päs­se blieb uns unver­ges­sen. Inzwi­schen machte ich den Pkw-Führer­schein mit ganzen fünfein­halb Fahrstun­den. Die bestan­de­ne Prüfung wurde mit dem Fahrleh­rer gefei­ert. Danach konnte ich das erste Mal nachts, mit einem leich­ten Rausch, meine Fahrküns­te testen. Das sollte nicht das einzi­ge Mal bleiben. Wir kauften für 850 D‑Mark von einem Schwä­bisch-Haller Zahnarzt ein zehn Jahre altes Opel Olympia Cabriolet.

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Mit dem Opel in den Alpen

Mit diesem Gefährt war ich wochen­lang beschäf­tigt, denn es war überall verros­tet und im Inneren bekam man nasse Füße. Mit einem Staub­sauger wurde der gesam­te Wagen hellblau gespritzt und er bekam ein neues, aber schon gebrauch­tes schwar­zes Verdeck. So stand er am Ende da wie neu und der Ausflug nach Itali­en, zusam­men mit Helga und unserem Nachbarn Albin Schmid mit Ehefrau Wali, konnte begin­nen. In den engen Kurven am Großglock­ner hob die Hinter­ach­se periodisch ab und es entstand ein inter­es­san­tes Fahrge­fühl. Aus dem Deckel des Benzin­ein­füll­stut­zens spritz­te zudem das Benzin heraus.

In Ligna­no wohnten wir in einer Ferien­woh­nung und der Wagen stand vor dem Haus. Am Abend vorher hatten wir eine kleine Kolli­si­on und ich versuch­te am nächs­ten Morgen den Schaden etwas zu mildern. Es kam ein deutscher Urlau­ber vorbei, der zu mir sagte: „Na da wird dein Vater aber schimp­fen, wenn er das sieht!“ In das Auto baute ich eine Vorrich­tung zum Blockie­ren des Gashe­bels, einen Vorläu­fer des „Tempo­mat“, ein. Mit einem Elektro­ma­gnet, der eine Schei­be anzog, die am Gasge­stän­ge befes­tigt war, wurde der Gashe­bel auf Knopf­druck in der jewei­li­gen Stellung blockiert. Dieses „Festgas“, wie ich es nannte, wurde durch ein Selbst­hal­te­re­lais betätigt, dessen Masse­pol über die Brems­leuch­te geführt war. So wurde die Blockie­rung beim Bremsen sofort aufge­ho­ben. Mit dieser Einrich­tung war vor allem das Fahren auf der Autobahn sehr angenehm. Für das Fahrzeug musste ich unbedingt eine Garage haben, damit es bei den auf der Ostalb sehr schnee­rei­chen Wintern nicht leiden musste. Ich konnte bei einem Zeissia­ner, der neben­bei auch ein Taxiun­ter­neh­men betrieb, eine im Rohbau befind­li­che Garage mieten. Nach zwei Jahren war sie fertig und er kündig­te mir. Auf mein Argument, dass ich solan­ge als Mieter gut war, wie die Garage noch nicht fertig war, entgeg­ne­te er: „Sie ist ja noch gar nicht fertig, es fehlt noch der Wasser­an­schluss“. Der Rechts­an­walt in der Wohnungs­bau­ab­tei­lung schrieb mir dazu einlei­tend: „Nicht allein schon deshalb, weil der Anschein erweckt wurde, sondern…“. Ich verlor die Lust an weite­ren Aktionen.

Unser Wohnungs­pro­blem wurde 1968 endlich auch gelöst. Wir erfuh­ren von einer freiwer­den­den Wohnung in einem Zweifa­mi­li­en­haus im Schub­art­weg. Es gab viele Bewer­ber, doch wir wurden ausge­wählt. So konnten wir die Wohnung im Erdge­schoss, die sogar über eine Terras­se verfüg­te, bezie­hen. Die Wohnung hatte aber zwei Nachtei­le, nämlich keinen Telefon­an­schluss und einen Heizofen im Keller für Koks oder Briketts. So ging ich gleich daran, dank einer nicht leicht gefal­le­nen Geneh­mi­gung des Vermie­ters, dies zu ändern. Für das Telefon musste man extra zwei Masten errich­ten und die Leitung über die Aalener Straße führen. Kein schöner Anblick. Das Heizungs­pro­blem zu lösen war weitaus schwie­ri­ger. Ich musste einen Ölbren­ner anbau­en und den Ofen mit Schamotte­stei­nen ausklei­den. Das Öl wurde in zwei, je 1000 Liter fassen­den Tanks gelagert. Um die Tanks musste eine Wanne gemau­ert werden, damit bei einem Leck das Öl aufge­fan­gen wurde. Zur Förde­rung des Öls zum Brenner diente eine Benzin­pum­pe mit einem Hebel, der durch einen kleinen Schei­ben­wi­scher-Motor betätigt wurde. Das funktio­nier­te alles recht gut bis zur nächs­ten Öllie­fe­rung. Dabei hatte der „Ölmensch“ nicht aufge­passt und die Tanks liefen über. Es stell­te sich heraus, dass die Wanne nicht dicht hielt und das Öl in den Keller­raum entließ. Da hatten wir wieder das Problem mit dem Gestank. Das Abdich­ten der Wanne verscho­ben wir bis zum nächs­ten Mal. Wir sind heute noch den Wirts­leu­ten für ihre Nachsicht dankbar. Auch waren sie sehr sozial einge­stellt und beglück­ten uns all die Jahre mit einer sehr maßvol­len Miete und wir konnten kräftig für ein eigenes Haus sparen.

Im Septem­ber 1971 durfte ich per Bahn wieder in die DDR einrei­sen. Es war aber ein sehr trauri­ger Anlass, denn mein Vater war am 5. Septem­ber gestor­ben. Er hat an Leukämie gelit­ten und wurde nur knapp 77 Jahre alt. Es war ihm leider nicht vergönnt, uns in unserer neuen Heimat zu besuchen und meine zweite Ehefrau kennen­zu­ler­nen. Das nehme ich dem DDR-Staat heute noch übel. Ein Staat, der das Ideolo­gi­sche über das Humani­tä­re stellt, ist eben ein Unrechts­staat, auch wenn das manche Linke anders sehen.

Nun bin ich schon 60 Jahre Oberko­che­ner. Zusam­men mit Vera wohne ich seit 1980 in unserem Haus auf der Heide. Es würde uns sehr schwer fallen hier wegzu­zie­hen. Wir schät­zen beson­ders das kultu­rel­le Angebot in der Region aber auch direkt in Oberko­chen. Es ist unsere neue Heimat geworden.

Ich danke H. J. Neumann recht herzlich für seine Bereit­schaft, seine Erinne­run­gen mit uns zu teilen, und würde mich freuen, weite­re Lebens­ge­schich­ten aus Oberko­chen zu erhalten.

Es grüßen dieses Mal Hans Joachim Neumann von der Heide und Wilfried Billie Wichai Müller vom Sonnenberg

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