Für diesem Bericht war die Recherche nicht sehr aufwendig, ich musste nur mich selber befragen ☺. Es ist daher ein sehr persönlicher Bericht und soll veranschaulichen, wie meine Berufswelt früher ausgesehen hat. Und wenn beim Lesen Eure eigene frühere Berufswelt ins Bewusstsein zurückkehrt, hat der Bericht seinen eigentlichen Zweck erfüllt. Dieser Bericht erscheint erst jetzt am 1. September 2017, an meinem sog. Regelarbeitsende mit 65 Jahren und 6 Monaten. Tatsächlich bin ich zum 31. Mai 2016 in den Unruhestand gewechselt, weil es die aktuelle Gesetzgebung möglich machte, diesen Schritt ohne permanente finanzielle Verluste zu gehen. Aus heutiger Sicht habe ich das nicht bereut, da sich die Werte mit steigendem Alter verschieben – und das ist auch gut so. Zudem stellen wir wohl alle mal fest, egal ob wir z.B. in der Industrie, im Handel oder als Pädagoge arbeiten, dass das irgendwann „nicht mehr unsere Arbeitswelt ist“ und wir uns in ihr zunehmend unwohl fühlen. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel und Selbständige haben da sicher eine eigene Sicht der Dinge.
Mein Leben war schon immer stark von Musik geprägt und so gibt es auch einen musikalischen Bezug zu meiner Lebensarbeitszeit. Sie begann am 1. September 1969 „Im Summer of 69 mit Brian Adams“, der inzwischen doch tatsächlich auch schon in Oberkochen zur Eröffnung des Carl Zeiss Casinos ein Konzert gab, und sie endete am 31. Mai 2016 mit dem Beatles-Song „When I am 64“ – dem Geburtstag im Jahr meiner Verrentung. Ein furchtbares Wort, auch Rente klingt nicht toll. Wie wäre es mit „Übergang in den unterbezahlten Wohlfühlmodus“ oder „Zeitenwechsel bei dem ich den Takt angebe“. Will sagen, die neue Zeit sollte von dem geprägt sein was wirklich wichtig ist, ohne große Kompromisse eingehen zu müssen und ohne allzu sehr gestresst zu sein, durch die Funktion als Familien-Fiaker ☺. Aber da besteht ja bei mir mangels Auto keine Gefahr. Hatte ich vorher mehr Geld und weniger Zeit, habe ich nun mehr Zeit und weniger Geld – also machen wir das Beste daraus. Ich werde relativ oft gefragt: „Was machst Du denn ohne Arbeit?“ Mit der Frage kann ich überhaupt nichts anfangen. Ich habe immer etwas zu tun – jetzt nur deutlich weniger effizient. Und solange die Leserschaft oder ich noch Ideen haben, über was man schreiben könnte, geht mir auch die Schreib-Arbeit nicht aus. Einfach Dinge tun die Spaß machen oder auch nichts tun, in den Tag hineinleben oder aktiv sein, ganz wie es beliebt. Schreiben, lesen, Musik hören und in meine geliebte Schweiz fahren. Das Fahrrad aus dem Keller holen und einfach losfahren mit nur einer Entscheidung: Oberkochen-Nord, Oberkochen-Süd, aufs Härtsfeld, Richtung Wolfertstal oder über den Volkmarsberg oder mal wieder in Eichendorffs „Leben eines Taugenichts“ blättern.
Doch wie war die Zeit der Arbeit von den 60ern bis heute? Ich kann da nur sagen: Aufregend. Spannend. Abenteuerlich. Anstrengend. Erfüllend. Langweilig. Aufreibend. In meinem Arbeitsleben hatte ich zwei Arbeitgeber: Die Firma LEITZ, für die ich weltweit unterwegs war und die BRD Bundesrepublik Deutschland, für die ich mein Land mit dem Zerstörer D 186 mit Namen MÖLDERS weltweit repräsentieren durfte. Mein Motto war immer: Man kann (fast) alles lernen und wenn ich gefragt wurde ob ich mir das zutraue, habe ich immer Ja gesagt. Im Sommer 69 war die Schule für mich unrühmlich zu Ende gegangen. Ich wusste, welche beruflichen Wege ich nicht begehen wollte, aber ich wusste nicht, welchen Weg ich einschlagen sollte. Also beschloss Vati, dass ich mich beim LEITZ vorstellen sollte und lernte dort Horst Bengel, seines Zeichens Personalchef, kennen. Ein paar Worte zu ihm. Er war ein Mensch wie es ihn heute wohl in dieser Position nicht mehr gibt. Er siezte uns mit dem Vornamen (finde ich heute noch eine gute Lösung). Noten waren das eine, das war für ihn aber nie die entscheidende Maxime, sondern sein persönlicher Eindruck war ihm viel wichtiger. Und so hatte auch ich, trotz meiner unterirdischen Leistungen in den beiden letzten Schuljahren, meine Chance im Leben, die ich auch nutzte. Ich verdanke ihm also, im Nachhinein betrachtet, einen guten Start ins Berufsleben. Des Lebens Ernst begann für Wilfried also am 1. Sep 1969. Man erklärte uns, dass Lehrjahre keine Herrenjahre seien. Das mag schon sein, dafür waren es schöne wilde spannende Jahre. Wir neuen Lehrlinge fanden uns mit einem Lehrvertrag

Mein 4seitiger Lehrvertrag von 1969
ausgestattet beim Leitz ein, wurden von Hr. Bengel begrüßt und auf die Abteilungen verteilt. Zuerst mussten wir in einer großen wochenlangen Sonderaktion liegengebliebene Dokumente in der Registratur ablegen. Dort wies uns Frau Ruth Strese in das A bis Z der Ablage ein. Das war schon ungeheuer aufregend ☺ – es konnte nur noch besser werden. Beliebt war auch der Spruch: „Da hast Du einen Katalog, schau‘ dir den mal an.“ Und damit wurde erwartet, dass du mal eine Woche Ruhe gabst. Im Laufe der Jahre kamen wir in Abteilungen, die bei den Lehrlingen beliebt und in andere, die weniger beliebt waren. Damals unterschied man noch zwischen einer „Kfm. AV“ mit den Kollegen Hugo Neuhäuser und Thomas Schorcht und einer „techn AV“ mit dem Wolfgang Kretschmer und den Kaufmann-Mädels. Im Einkauf verliebte ich mich hoffnungs- und chancenlos in die bereits ausgelernte Monika Bewersdorff, im Inlands-Vertrieb lernte ich die Kollegen Gerhard Koch, Gerhard Balle, Anton Feil und Eugen Honold kennen. Im Export die weitgereisten Herren Werner Schmitz, Bruno Kieninger und NN Wohlgemuth. Im Lager regierten der VW-Cabrio-Fahrer Clemens Balle und „Ike“ Müller, der in jedem Regal eine Bierflasche deponiert hatte. In der Preisstelle traf ich Peter Schier, Paul Wingert und Hartmut Schurr. Hans Düver führte mit ruhiger Hand die weiß gewandeten Konstrukteure an ihren Zeichenbrettern, Siegfried Zweig war Betriebsleiter, Adolf Reber und Albert Weber herrschten in der Buchhaltung, aus der mir noch Ursula Fechner, Josefine Weick und Karl-Heinz Rau in Erinnerung geblieben sind. Alle, die nicht namentlich erwähnt wurden, mögen mir das nachsehen, aber es sind so viele KollegenInnen gekommen und gegangen – da bräuchten wir das gesamte Blättle um alle aufzuzählen.
Hier sei eine Geschichte aus der Zeit der „Hot Pants“ eingefügt: In der Finanzbuchhaltung arbeiteten damals 2 hübsche junge Mädels namens Christa Hammer und Monika Köder. Eines Tages erschienen beide mit Hot Pants im Büro. Das war ein Eklat. Es gab zwar keinen Dresscode, aber das war für Adolf Reber, den damaligen Finanzchef dann doch zu viel und nicht zu tolerieren. Die Mädels wurden zu unserem Leidwesen über Mittag nach Hause geschickt um sich etwas schicklicher zu kleiden. Unvergessen Marianne Ackermann, bei der glaubten wir, dass sie schon seit der Gründung 1876 da sein müsse. Die Mädels vom Schreibzimmer mit der hübschen Anna Asen. Bei Emil Leitz gab es den Claus-Dieter Weick sowie Gustav Jeck. Die berühmte Rechnungsabteilung unter der Treppe mit Hildegard Schwarz und Waltraut Wendelberger. Der illustre Versand mit Roland Fürst, Frau Rrrrrrischofsky und Margot Munz. Und über allem schwebte der „Rote General“ Edith Sievers, die zusammen mit den altgedienten Meister-Kollegen wie z.B. Gottfried Sternbacher, Josef Wingert, Edmund Schuster sowie Edmund Gold schon eine besondere Kaste darstellten. Alle waren den ganzen Tag über beschäftigt „Umsatz zu machen“. Hektisch wurde es ab 15 Uhr. Da begann jeder, der wichtig war, herumzutelefonieren: Was haben wir noch? Was kommt noch aus der Fertigung? Notfalls wird vorfakturiert, um das Tagesziel zu erreichen. Nicht zu vergessen, den mitunter ungemütlichen Theo Ochs aus dem Stahllager oder den alten Schmadlack aus der Härterei.

Die Herren Kümmerle, Reber und Wirth bei einem Tag der offenen Tür
Die obersten Chefs waren Karl Kümmerle, Karl Wirth und Albert Holz, die mit Sekretärinnen wie meiner Nachbarin Helga Rassel und zeitweise auch mit männlichen Assistenten ausgestattet waren. Es herrschte ein rauer Ton, den wir Neulinge nicht gewohnt waren, aber den wir schnell einordnen konnten. Albert Holz pflegte immer zu sagen: „Beim Leitz herrscht ein rauer aber ein herzlicher Ton“ – und so war es auch lange Jahre, bis der herzliche Ton verschwand und der raue Ton die Oberhand gewann.

Eine alte Stellenanzeige sagt etwas über die frühere Atmosphäre bei Leitz aus
Es hatte etwas von einer Art Familie, die immer wieder beschworen wurde und die es eine lange Zeit auch wirklich gab. Geprägt von dem berühmten Spruch: „Beim Leitz schafft m’r und beim Zeiss isch m’r“ gaben wir unser Bestes und machten Umsatz. Zunächst versuchten uns allerdings die lieben alten Kollegen zu „richten und zu spannen“ (wie man es bei der Sägenfertigung auch macht). Der eine wurde losgeschickt um in der Schreinerei den „Böschungshobel“ zu holen, die andere musste aus der Fibu das „Zinsgefälle“, die „Bilanzschere“ oder die „Buchhalternase“ besorgen, mancher musste die „Feierabendschablone“ im Lohnbüro abholen. So hatten die Alten ihren Spaß mit uns Jungen. Wir revanchierten uns dann am 1. April mit Aprilscherzen oder in der Kantine um den Verschluss an der Maggiwürze zu manipulieren. In späteren Jahren wurden die Lehrlinge immer mutiger und auch frecher. Peter Schier war in Lehrlingskreisen berüchtigt für seine Ausführungen zum Thema: „Wie schreibt man eine 1, eine 4 und eine 7 damit diese eindeutig erkennbar sind?“ Zudem erklärte er gerne, dass er keine Fehler begehe. Darauf erwiderte eines Tages ein Lehrling, dann könne er ja „in die Wilhelma gehen und sich gegen Geld anschauen lassen“. Mein lieber Herr Gesangsverein – das war damals heftig. Peter Schier verschlug es die Sprache und der Lehrling wurde meines Wissens nach Abschluss der Lehrzeit nicht übernommen. Eine Besonderheit war natürlich der „Ho Chi Minh Pfad“, den wir Lehrlinge zu begehen hatten. In der Kantine wurde kein Bier mehr verkauft und so mussten wir den altgedienten kaufmännischen Haudegen das Bier unter Gefahr für Leib und Leben ☺ auf der Mega-Baustelle vom Zeiss, unterhalb der Brunnenhalde, holen und uns ja nicht erwischen lassen.
Relativ schnell musste ich auch lernen, dass derjenige, welcher am Abend mit den Kollegen einen oder zwei trinken geht, am Morgen pünktlich da zu sein hat, auch wenn eins der 13 Bierchen schlecht war ☺. Dieser Fauxpas ist mir nur einmal passiert, ansonsten habe ich mich immer an dieses ungeschriebene Gesetz gehalten. Die Lehrlingstruppe zwischen 1969 und 1972 war eine eingeschworene Truppe, die sich auch heute noch gelegentlich trifft. Bei unserem letzten Treffen führte ich die Truppe durch die heutige Firma. Aber die Veränderungen waren inzwischen so groß, dass nur noch Namensschilder etwas aussagten.

die alte Leitz-Kantine
Als wir aber dann in das alte Kantinengewölbe kamen (das hat sich bis heute kaum verändert), brachen die Emotionen auf und wir sahen uns wieder zwischen den alten KollegenInnen an den Tischen sitzen und Schnitzel mit Kartoffelsalat essen.
Wir teilten die Arbeitszeit, aber auch das Wochenende. Unvergessen ein berühmt-berüchtigter Ski-Ausflug nach Gunzesried zum Jahreswechsel 1972/73 sowie der unvergessenen Lehrlingsausflug nach Oberstdorf, der unsere Begleiter (Horst Bengel und Marianne Ackermann sowie Albert Kohler) an ihre Grenzen der Belastbarkeit führte.
Überhaupt hat man früher mehr die Freizeit zusammen geteilt als heute. Sei es am Freitagabend zum gemeinsamen Kegeln im Läuterhäusle, an dem auch immer einige Emil Leitz-Vertreter wie Hans Klischat, Erich Zeller und Bruno Wingert teilnahmen oder am Samstag zusammen auf den Schwof bis aufs Härtsfeld und das Ries zu fahren, um in Schlossberg schnell vor den „Katzenstreckern“ Reißaus zu nehmen. Auch Ausflüge in die Diskothek „Bottich“ nach Unterrombach waren angesagt. Manche Strecken wurden nachts, mangels eines Autos, auch zu Fuß zurückgelegt (z.B. vom „Bottich“ oder vom „Läuerhäusle“ nach Oberkochen). Aufregend und anstrengend waren auch die Faschings-Feten beim TSV-Handball in der Turnhalle im Katzenbach, der Ball in Königsbronn und der MTV-Fasching in Aalen. Einfach unvergesslich schön. Eine sehr aktive Freizeit-Truppe bildeten die Kollegen Koch, Weick und Maschke, bei deren Ausflügen oft ein Lied gesungen wurde mit dem Refrain „mein Freund Dieter, mein Freund Sieger (Siegfried) und auch Ich“. Arbeiten und Feiern war die Devise und beides intensiv. So wurde im Vertrieb erwartet, dass man engagiert auch am Samstag freiwillig und ohne Überstunden aufzuschreiben in der Firma vorbeischaute, um wichtige Sendungen noch schnell selbst fertigzumachen und auf die Expressstation am Bahnhof zu bringen. Übrigens, Überstunden bei den Angestellten waren bei Karl Kümmerle verpönt. Denn wer länger arbeitete zeigte einfach nur, dass er mit seiner Arbeit nicht fertig wurde. Danach ging es natürlich zum Frühschoppen um noch die Woche Revue passieren zu lassen. Die inoffiziellen Weihnachtsfeiern hatten es auch in sich und als Lehrling im 1. Lehrjahr staunte ich da schon sehr und ab dem 2. Lehrjahr machte ich schon kräftig mit. Heute gar nicht mehr vorstellbar geschweige denn umsetzbar. Am Hl. Abend und an Silvester musste damals noch bis 12 Uhr gearbeitet werden. Dieses Manko wurde eines Tages unter Mithilfe der IGM beseitigt, denn es war für die Familien mitunter unangenehm, wenn der Herr Papa erst spät oder sehr spät, gelegentlich auch etwas derangiert, sich unter dem Weihnachtsbaum zu Hause einfand. Während der Lehrzeit wurde ich Mitglied der IGM, des DGBs, wurde Jugendvertreter und habe bis heute eine gute Beziehung zu Anton Gutheiß, den ich ob seiner klaren Ansprache immer sehr geschätzt habe. Menschen mit Ecken und Kanten waren mir schon immer lieber als weichgespülte Karrieristen. Nach der Lehre, die ich mit sehr guten Noten abschloss,

Mein Kaufmanngehilfenbrief von 1972

Jungkaufleute Hägele, Müller und Hunger auf dem Weg ins „Fässle“
wurde ich in der Disposition zur Beschaffung von Kreissägeblättern beschäftigt, die Leitz damals noch überwiegend bei Wigo in Neresheim und bei Leuco in Horb zukaufte. Ab 1. Januar 1973 bekam ich mein erstes Angestelltengehalt.

Mein erster Arbeitsvertrag von 1973
Am 31. März 1973 verließ ich meine Lehrfirma, weil ich nicht bereit war den Grundwehrdienst ohne Einflussnahme auf die Fachrichtung und den Dienstort abzuleisten. Außerdem wollte ich raus aus dem engen Kochertal. Also verpflichtete ich mich für 4 Jahre zur Marine und begann am 1. April eine lange Zugreise an den entferntesten Ort innerhalb Deutschlands – nach List auf Sylt. Hier gibt es noch eine Geschichte zum Thema „Respekt vor Uniformen“: Mein Schulfreund Michael Ludwig war Offizier bei der Marine. Eines Tages trafen wir uns, beide in Uniform, auf dem Bahnhof Oberkochen mit dem gleichen Ziel – Kiel. Als Offizier hatte er Anrecht auf die 1. Klasse und ich als Matrose auf die 2. Klasse. Er lud mich zu sich in den Kurswagen 1.Klasse ein, nach dem Motto „Das regeln wir dann schon“. Natürlich kam der Schaffner, sah Milu’s Uniform, grüßte zackig, wünschte uns Herren eine gute Reise ohne die Karten zu kontrollieren oder gar etwas zu beanstanden. Tja, Kleider machten eben Leute.

Meine alte MVS Marineversorgungsschule in List auf Sylt – heute ein Spekulationsabjekt
List ist mir bis heute ein Ort geblieben, den ich bis heute liebe und hin und wieder nachschaue wie sich dort alles so entwickelt. In diesem Zusammenhang will ich kurz erklären warum es Ebbe und Flut gibt: „Ganz einfach, das Meer schaut alle 6 Stunden nach ob der Mensch immer noch da ist ☺“. Hier verbrachte ich 9 Monate um zum Maat (Fachrichtung 63 Versorgung) ausgebildet zu werden. Danach schloss sich ein Praktikum auf dem „Zerstörer Mölders D186“ an

Mein schwimmender Arbeitsplatz 1974 bis 1977 Zerstörer Mölders
und nach 12 Monaten hatte ich die Ernennung zum Maat in der Tasche. Ich bezog mit einem Freund ein Apartment in Kiel um nicht an Bord leben zu müssen. Interessant, dass die aktuelle Verteidigungsministerin das heute quasi per Verordnung durchsetzt. Vom 3. Jan 1974 bis zu meinem Ausscheiden am 31. März 1977 tat ich meinen Dienst auf dem Zerstörer Mölders und legte mit der „Alten Lady“ in 39 Monaten exakt 81.975,6 Seemeilen zurück. Das Schiff kann heute im Marinemuseum in Wilhelmshaven besichtigt werden. Dabei durfte ich Städte und Länder kennenlernen, die mir sonst unerreichbar geblieben wären: “New York, Norfolk, Fort Lauderdale, Barbados, San Juan, St. Thomas, die Azoren und die Kapverdischen Inseln, Valencia, Portsmouth und London, Edinburgh, Brest, Toulon, die Shetlands, Guantanamo auf Cuba, Bergen und die Fjorde, Frederikshavn und Zeebrügge“ und immer wieder der Heimathafen Kiel mit seiner Kieler Woche. Das Leben hat Spaß gemacht, der militärische Einsatz kam über einen Übungscharakter und repräsentative Aufgaben nicht hinaus.

Feierabend auf hoher See

Familienausfahrt mit dem Zerstörer von Kiel nach Timmendorfer Strand

Wilfried als Obermaat

Mein Marine Dienstzeugnis von 1977
Kurzum eine geile Zeit und gutes Geld in der Tasche. Hier will ich noch kurz einfügen was ich damals bei der Marine verdiente und das war nicht von schlechten Eltern: 5.000 DM netto für den 4‑Jahresvertrag, monatlich 1.600 DM nahezu brutto für netto (da der Bund die Sozialversicherungsbeiträge übernahm), am Ende eine Übergangsbeihilfe in Höhe von über 10.000 DM und während der nachträglichen 6monatigen Ausbildung noch 80% des letzten Monatsgehaltes sowie die Schulkosten zur Ausbildung zum Organisator in Düsseldorf.
In der Zwischenzeit hatte ich in Thailand La-ied, meine Frau für’s Leben, gefunden – also genau bis zum Jahr 2000

Hochzeitsfoto 1978 Wilfried und La-ied
und damit entschieden, die Marinezeit nach 4 Jahren zu beenden. Spannend fand ich auch, dass La-ied’s Opa Ende des 19. oder Anfang des 20. Jhrdts in Bangkok bei der Deutschen Handelsmarine abmusterte und in Bangkok blieb, mit einer Thaifrau eine Familie gründete und vier Kinder in die Welt setzte. Der Kreis schloss sich damit, dass La-ied in das Land ihres Großvaters zurückkehrte. Was nun Herr Müller? Diese Frage entschied ich nach mehrwöchigem Überlegen aus dem Bauch heraus und meldete mich bei einer Fachschule für Organisation in Düsseldorf an. Diese begann im Sommer 1977 und dauerte 6 Monate im Vollzeitunterricht montags bis samstags. Da hieß es wieder zu lernen wie man effizient lernt. Nebenbei machte ich noch die REFA-Ausbildung und die Ausbildereignungsprüfung.
Weiterhin auf mein gutes Karma vertrauend schrieb ich 3 Bewerbungen (nach Hamburg, Stuttgart und Oberkochen). Und siehe da, inzwischen gab es bei Leitz eine Organisationsabteilung, in der eine Stelle frei geworden war. Nach einem Vorstellungsgespräch beim Management und dem Geschäftsführer Karl Kümmerle waren sich beide Seiten rasch einig, zumal Leitz damals die Linie verfolgte, Ehemalige mit Weiterbildungshintergrund bevorzugt einzustellen.

Großrumbüro in den 70ern
Ich kam zurück, obwohl ich das ursprünglich nicht vorhatte, und suchte mir eine Wohnung. Meine Freundin aus Thailand war inzwischen auch nach Deutschland gekommen und wir heirateten im Sommer 1978 und alles war perfekt. Mein Chef war mein ehemaliger Schulfreund Uwe Meinert. Die Jahre in der Organisation vergingen mit unterschiedlichen Aufgaben wie Ablauforganisation, Unterstützung unserer Tochterfirmen, Formulargestaltung, Preislisten- und Prospekterstellung, Einrichtung einer Hausdruckerei, Beschaffung von moderner Bürotechnik, Kontakt zu Lieferanten und Verbänden, Einrichtung einer maschinell gestützten Poststelle, Austausch von Telefonanlagen, innerbetriebliche Ausbildung der Kfm. Azubis usw. usf. Das Arbeitsleben war spannend und es machte Freude die aufkommende Modernität in der Firma mit einführen zu dürfen. Dazu einige kleine Episoden.
Episode 1: Als ich meine Tätigkeit begann, sah ich dass es Türschilder gab auf denen geschrieben stand: Fr. xyz, Frl. abc oder Hr. NN. Das wollte ich doch modernisieren und strich kurzerhand das Fräulein – wir waren ja auch keine Herrlein, nur weil wir unverheiratet waren. Da biss ich aber bei Frl. Marianne Ackermann auf Granit. Bei allen konnte ich das ändern, aber bei ihr stand bis zu ihrem Ausscheiden das FRL wie in Stein gemeißelt.
Episode 2: Eine andere Geschichte war die Anschaffung der ersten 4 Siemens-Fax-Geräte für Oberkochen, Unterschneidheim, Lana und Riedau. Dazu war die herrschaftliche Investitionssumme von über 20.000 DM notwendig und bei jeder Betriebsführung musste dieses Wunder der Technik vorgeführt werden. Albert Holz fragt mich heute noch gelegentlich nach meiner Faxnummer – aber die Welt hat sich geändert, diese Technologie ist nur noch eine Randerscheinung.
Episode 3: Anfangs gab es ein Diktierzimmer für alle. Hier musste terminiert werden wer wann seine Briefe auf Platte diktieren durfte, die dann im zentralen Schreibzimmer zu Papier gebracht wurden. Uwe und ich führten dann ein mobiles Kassetten-Diktiersystem von Philips ein. Nur unser Personalchef Horst Bengel weigerte sich das neue System zu benutzen. Seine Begründung lautete: „Meine Sekretärin hat eine teure Steno-Ausbildung genossen und diese muss täglich geübt und genutzt werden.“
Episode 4: Für Adolf Reber, damaliger Finanzchef, mussten wir ständig seinen Triumpf Adler Tischrechner bei Newerkla in Aalen reparieren lassen. Er addierte die Einzelwerte in einer weltmeisterlichen Geschwindigkeit und als Schlussakkord hämmerte er auf die Endsummentaste – das hielt sie nicht aus und er meldete mindestens 2 Mal im Jahr die Taste als Totalschaden.
Episode 5: Im Firmenkalender waren die Unterschneidheimer Festtage im Sommer immer ein besonderes HighLight, weil zu diesem Anlass Werksmannschaften gebildet wurden, die gegeneinander Fußball spielten. Diese Mannschaften waren bunt gemischt sodass auch Hobby-Kicker zum Einsatz kamen. Dr. Brucklacher ließ es sich lange Jahre nicht nehmen sich selbst ins Tor zu stellen (er hatte ja schließlich als ehemaliger Handballspieler genügend Ballerfahrung). Aber wie der Zufall so will….. Eines Tages hat er in einer Betriebsversammlung den Freizeitsport mit seiner Verletzungsgefahr als eine der Ursachen für die Anzahl der Krankheitstage ausgemacht und entsprechend moniert. Kurze Zeit später, bei besagtem Fußballspiel, zog er sich eine Rippenprellung zu. Da er kurz darauf geschäftlich verreisen musste, konnte er (aus seiner Sicht) schlecht kneifen. Er gab sich aber keine Blöße, hat sich ordentlich bandagieren lassen und die Flugreise absolviert. Hart im Nehmen war er immer schon.
Anfang der 80er begann ich eine Ausbildung als Industriefachwirt neben der Arbeitszeit. Ein paar Jahre später wäre das mit einem großen IT-Projekt kollidiert und wohl nicht möglich gewesen. Auch diese Gruppe trifft sich heute noch gelegentlich der alten Zeiten wegen. Überhaupt war der technische Fortschritt im Kfm. Bereich, für den ich mit zuständig war, gravierend. Ende der 60er gab es manuelle alte Typenschreibmaschinen, umständliche Buchungsautomaten, komplexe Fakturierungsautomaten sowie handkurbelbetriebene grüne Rechenautomaten der Fa. Walther.

Kaufmännische Walther-Rechenmaschine Ende 60er Jahre
Den ersten und einzigen Tischrechner, den man kaum tragen konnte, mit großen Leuchtziffern nannte Peter Schier sein eigen und war riesig stolz darauf. Als ich 1978 nach meiner Marinezeit den Leitz als Organisator betrat, war der Markt für Büromaschinen gewaltig im Umbruch. Wir bekamen genug Geld um die notwendigen, mit Wirtschaftlichkeitsberechnungen unterlegten, Änderungen im Haus durchzuführen, fuhren auf alle relevanten Messen der damaligen Zeit (z.B. Hannover Messe, Büromesse in Stuttgart, Orgatec in Köln) – das war eine tolle Zeit. Hier eine selektive Auswahl dieser technischen Neuheiten: IBM Kugelkopfmaschine C 96 in rot, Siemens Telex T1000, Olivetti Speicherschreibmaschinen mit Floppy Disc, Druckmaschine Rotaprint, erste Nasskopierer von Nashua, erste IBM Datenverarbeitungssysteme, die ersten PCs zogen ein mit dem Tabellenprogramm Multiplan, mobile Diktiergeräte, Siemens Faxgeräte von Dr. Hell, eine Rohrpostanlage der Aerocom, die ersten Autotelefone im C‑Netz für die Herren Kümmerle und Holz u.ä.m.

Das erste C‑Netz-Autotelefon bei Leitz von Albert Holz
Mitte der 80er Jahre begannen dann die umfangreichen, intensiven und langwierigen Vorbereitungsarbeiten für eine massive IT-Umstellung bei LEITZ sowie die Einführung des Mobilfunks. Wir fuhren von Seminar zu Seminar um die technischen Neuerungen zu verstehen und auf ihre Leitz-Tauglichkeit zu prüfen. Die Einführung eines sog. CIM-Systems (Computer Integrated Manufactoring) in Oberkochen, Unterschneidheim und Riedau hat vielen vieles bis alles abverlangt und 1988 gingen wir in den Echtbetrieb, mit allen Problemen die bei jeder EDV-Umstellung auftreten und die man doch unbedingt vermeiden wollte. Es war anstrengend, aber wir waren jung, engagiert und hatten trotz all der Anspannung bei Tag- und Nachtarbeit Spaß an der Arbeit und am Feiern, das im Projekt nie zu kurz kam. 1993 gab es die große PLZ Postleitzahlenumstellung. In diesem Zusammenhang kurz die Oberkochener Postleitzahlen – zuerst „14a“, dann „7082“ und danach „73447“. In den Folgejahren durfte ich weltweit in der Leitz-Welt EDV-Umstellungen organisieren und die KollegenInnen vor Ort betreuen. Die Leitzwelt ist groß und war für mich immer ein Erlebnis, zumal ich in dieser Welt, und zwar in der Schweiz, die zweite Frau für’s Leben gefunden hatte: Schweiz, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Niederlande, USA, Kanada, Rumänien, Südafrika, Moskau, Polen und China.
Noch ein Wort zu Albert Holz, der mir, auf gut schwäbisch, einmal „den Arsch gerettet“ hat. Die Geschichte dazu liest sich wie folgt: Unser damaliger Geschäftsführer Kümmerle sagte immer, dass wir die Leute, die bei der Inventur mitarbeiteten, ordentlich verköstigen sollen. Das haben wir getan und das jedes Jahr kreativer. Eines Tages beschlossen wir zum Abschluss der Inventur ein Grillfest am Ölweiher zu veranstalten. War auch alles topp. Die Inventur verlief super und die Grillfeier nicht minder, bis sich unser Ferienarbeiter Wolfgang Seitz (aus dem Kapellenweg) verabschiedete und mit dem Mofa/Moped heimfuhr. Er hatte wohl etwas zu viel getankt (nicht Benzin sondern Bier) und fühlte sich wohl magisch vom Lindenbaum und Lindenbrunnen angezogen und fuhr auf denselben und zog sich dabei einen Oberschenkelbruch zu. Auf die polizeiliche Frage wo er denn herkomme, antwortete er wahrheitsgemäß „vom Leitz“. Und damit hatte ich als Inventurverantwortlicher schlechte Karten. Die Stichworte hießen wohl Personalverantwortung, Alkoholausschank und was da so alles eine Rolle spielt wenn’s schief geht. Jedenfalls, Albert Holz sorgte dafür, dass die Geschichte nicht hochkochte und mir keine Probleme entstanden und brachte die Kuh mit Rechtswalt Arthur Fischer und dem Vater Seitz vom Eis. Von da an war ich mit solchen Dingen vorsichtiger. Unbeantwortet bleibt aber die Frage ob Wolfgang auch verunfallt wäre, wenn der Lindenbrunnen schon versetzt gewesen wäre? ☺
Die Arbeit in der Orga war äußerst vielfältig und ich durfte auch in vielen Bauprojekten, bedingt durch Umbau und Anbau, tatkräftig im Bereich Gerd Hubel mitarbeiten, wenn es um Neu- oder Umbau ging. In all den Jahren hatte ich das große Glück in wirtschaftlich starken Zeiten mit tollen KollegenInnen in wichtigen Projekten mitarbeiten zu können. Schwierig wurde es erst ab den Jahren der Wirtschaftskrise ab 2008. Die wirtschaftliche Lage veränderte sich, die Projekte blieben aus und das Erlebnis- und Anforderungslevel wurde deutlich flacher. Dadurch verstärkte sich auch der Wunsch die neue Gesetzeslage zu nutzen und die Lebensplanung umzugestalten. Ich bin dankbar, dieses Arbeitsleben so in dieser Form gelebt haben zu dürfen. Meinen Job gibt es in dieser Form so nicht mehr. Er wurde entsprechend umgebaut und auf verschiedene Personen verteilt. Natürlich will ich nicht verschweigen, dass es auch schwierige Zeiten gab, die mich veranlassten, darüber nachzudenken, die Firma zu wechseln. Mir war aber immer klar gewesen, dass ein Wechsel niemals personenbezogen sondern immer nur sachbezogen sein muss, und sich nicht aus dem Affekt heraus ergeben darf. Und so blieb ich von 1969 bis 2016 bei LEITZ mit einer 5jährigen Abwesenheit zwischen 1973 und 1978, um in dieser Zeit auf den Weltmeeren herum zu schippern und danach nochmals die Schulbank zu drücken.
Es gab auch eine Zeit bevor die Compliance-Regeln in den Firmen Einzug hielten. D.h. in die Beziehung zwischen Kunden und Lieferanten war ein Sponsoring eingebettet, dass es uns Einkäufern ermöglichte, kostenlos besondere Events zu besuchen wie z.B. die Leichtathletik-WM in Stuttgart, Boris Becker hautnah bei den Turnieren in der Schleyerhalle spielen zu sehen, Klassische Konzerte in der Liederhalle zu genießen, die Nokia Night oft the Proms zu sehen oder das unvergessene 2:1 des VFB gegen Manchester United in Stuttgart im Rahmen der Champions League zu erleben. Das geschah immer mit Anstand und ohne Auswirkungen auf bevorstehende Geschäfte. Diese Kultur ist leider auf und der Strecke geblieben und die „großen Sauereien“ geschahen und geschehen bis heute sowieso auf einer weit höheren Hierarchie wie uns die Automobilindustrie dieses Jahr deutlich vor Augen führt.
1991 wurden zum ersten Mal die „Jazz Lights“ veranstaltet, die sich bis heute zu einem wichtigen Event im Jahreskalender der Stadt und der Region entwickelt haben. Leitz feierte während meines Arbeitslebens 3 große Jubiläen. 1976 das 100jährige, 1986 das 110jährige und 2001 das 125jährige. Das nächste große Jubiläum wäre dann das 150jährige im Jahr 2026.

Leitz-Gebäude in den 1940ern
Bemerkenswert ist, dass diese Zeit durch gerade mal vier markante Persönlichkeiten geprägt wurde: Albert Leitz, Leonhart Stützel, Karl Kümmerle und Dr. Dieter Brucklacher (der im Herbst 2016 im Alter von 77 Jahren unerwartet verstarb) und fast 1/3 dieser Zeit konnte ich mich engagiert einbringen. 47 Arbeitsjahre lesen sich da sehr schnell, zumal das Ganze ja sehr komprimiert dargestellt ist. Trotzdem lässt sich feststellen, dass die Zeit durchaus so rasch vergeht. Nun hat ein neuer Lebensabschnitt begonnen der weniger fremd- und mehr selbstbestimmt ist und mir bisher viel Freude macht, auch wenn das Leben derzeit nicht so verläuft wie ich es gerne hätte. Aber in diesem Lebensabschnitt gilt es, die technischen Fortschritte zu beachten und, wenn sinnvoll, in mein Rentner-Dasein zu integrieren. Abschließend sei noch festzustellen, dass Oberkochen für mich immer eine Art Hafen war und ist, von dem aus ich in die Welt aufbreche und immer wieder zurückkehre. Er liegt auf dem Breitengrad 48.7839 und dem Längengrad 10.1055 auf einer Höhe von 496 M über dem Meer mit seinem Hausberg, dem Volkmarsberg auf einer Höhe von 743 M und ist Start des kleinen Flüsschens Kocher, der hier seinen 168 km langen Weg in die Welt beginnt.
Am 31. Mai 2016 war es soweit: „S war und isch over“ – Der Organisator, Industriefachwirt und Obermaat a.D. Wilfried Bille Wichai Müller meldete sich von Bord der LEITZ und wechselte in den Unruhestand. Umfangreiches Bildmaterial und Dokumente wie immer auf der Website des Heimatvereins.
Ihr
Wilfried Billie Wichai Müller