Das Jubilä­um ist vorbei. Der Bericht 675 beleuch­te­te nochmals die vergan­ge­nen 90 Jahre und es gab eine gut besuch­te Veran­stal­tung im Rupert-Mayer-Haus, bei der das Thema in Bild, Film und Ton dem Anlass entspre­chend gewür­digt wurde. Jetzt ist noch Zeit für eine kurze Nachle­se mit Korrek­tu­ren, Ergän­zun­gen und Nachbetrachtungen.

Oberkochen

Ganz alte Erinne­run­gen Ende der 40er Jahre (Bild Heidi Köhler)

Anton Gutheiss besteht zu recht auf den Hinweis, dass sein erstes Kinder­fest auf der Hirsch­wie­se und nicht auf dem alten Bäuerle-Areal statt­fand. Denn dort stand ledig­lich das Ketten­ka­rus­sell, wenngleich ein nicht unwich­ti­ger Teil des gesam­ten Festes.

Zu Richard Burger ist eine farben-politi­sche Anmer­kung zu machen. Die Liebe zu den „Roten“, denen er heute vorsteht, geht ja wohl auf die Kinder­fest­wurst zurück, wie er selbst vermu­tet. Man stelle sich vor, es hätte damals Schwarz­wurst gegeben. Das hätte bis in die heuti­ge Zeit hinein gewal­ti­ge lokal­po­li­ti­sche Auswirkungen ☺☺☺.

Über Facebook habe ich eine Mittei­lung erhal­ten, aus der hervor­geht, dass es auch heute Kinder gibt, die das Kinder­fest am liebs­ten partout verwei­gern würden. Man beach­te, dass es sich hier um Grund­schul­kin­der handelt. Ich habe die dumpfe Vermu­tung, dass das eines Tages nur noch vom Kinder­gar­ten betrie­ben wird. Es ist eben schon so: Was ist denn noch ein Kinder­fest, wenn ständig irgend­wel­che Events, Ausflü­ge, Reisen im familiä­ren Kreis statt­fin­den. Das lockt doch „koi Sau meh henter’m Ofa vor“. Aber auch hier gilt die Anmer­kung „Vielfalt ist mitun­ter die Schwes­ter der Belie­big­keit“. Wenn man viel bis alles hat, bedeu­tet alles nichts mehr. Wie zu hören war, gab es heuer auch keine Musik­ka­pel­le für die Kinder. Ist da womög­lich wieder etwas „wegge­stor­ben?“

Nun noch ein kürzlich einge­gan­ge­ner Bericht von Rolf Englert, der zeigt, wie ein Kinder­fest eben auch „verlau­fen“ konnte: Es war im Jahr 1961, ich war 4 Jahre alt und habe keine Erinne­rung mehr daran, wie ich auf den Volkmars­berg hinauf­ge­kom­men bin, aber es spricht einiges dafür, dass ich in Beglei­tung meiner Eltern war. Ganz im Gegen­teil zum Abstieg – da waren sie nicht dabei. Aber der Reihe nach! Die Erinne­run­gen an das Kinder­fest auf dem Berg beinhal­ten zwar wenige, aber umso inten­si­ve­re Bilder, die sich in mein Kinder­ge­dächt­nis tief einge­prägt haben. Die meisten sind sicher im Alter von 8 Jahren und aufwärts entstan­den. Dazu gehört der große Umzug vieler geschmück­ter und verklei­de­ter Schul­klas­sen, der bei der Dreißen­tal­schu­le begann und sich anschlie­ßend den Berg hinauf­schlän­gel­te, ein riesi­ges Gewusel von unend­lich vielen fröhli­chen, feiern­den, lachen­den und teilwei­se auch lärmen­den Menschen aller Alters­grup­pen, die nie in einem Festzelt, sondern immer im Freien saßen, der Duft von Thürin­ger Rostbrat­würs­ten, die geschürz­te Menschen mit bloßen Fingern auf den Rosten gewen­det haben und die ihre Finger immer wieder in mit Wasser gefüll­ten Eimern getaucht haben, um diese zu kühlen. Kletter­bäu­me, an deren oberen Enden verlo­cken­de Spiel­sa­chen baumel­ten, die aber für mich und viele andere Kinder immer unerreich­bar blieben, weil sie über den ersten Meter nicht hinaus­ka­men. Holzbö­cke, auf die man sich setzen konnte, um einen Gegner mit Kissen­schlä­gen unsanft auf den Boden zu schicken. Der Heimweg nach dem Fest, der meist in Gruppen von Schülern in Beglei­tung von Lehrern statt­fand, die dabei gesun­ge­nen Lieder und das Gefühl, in einer schönen Gemein­schaft einge­bun­den zu sein. Soweit meine positi­ven Erinne­run­gen an die Kinder­fes­te auf dem Berg. Aber es gab noch ein Fest – wahrschein­lich war es mein erstes Kinder­fest, an das ich noch Erinne­run­gen habe, die nicht ganz so glück­lich waren! Ich war sicher noch ganz gefan­gen von den vielen schönen Eindrü­cken auf dem Berg und nahm staunend zur Kennt­nis, wie schön es sein kann, ein Fest mit der Familie, mit vielen Verwand­ten und Bekann­ten und noch viel mehr anderen, weniger oder gar nicht bekann­ten Menschen zu feiern. Ich hatte vermut­lich schon eine Bratwurst geges­sen und vielleicht auch schon eine Libel­la getrun­ken und schlen­der­te mit meinen Eltern durch das Festge­län­de und kam kaum dazu, die vielen Eindrü­cke aufzu­neh­men und zu verar­bei­ten. Als ich mich wieder einmal umdreh­te, um nach meinen Eltern zu schau­en – waren diese plötz­lich nicht mehr da! Mich erfass­te sicher eine Panik. Ich ging (oder rannte?) auf dem Festge­län­de umher, suchte meine Eltern, oder frühe­re Nachbarn, konnte aber nieman­den finden. In diesem Alter konnte ich mit einer solchen Situa­ti­on überhaupt nicht umgehen, ahnte aber, dass dieses schöne Fest für mich vorbei war und war verzwei­felt. Schließ­lich sah ich nur eine Möglich­keit, aus diesem Dilem­ma heraus­zu­kom­men: Ich machte mich auf den Heimweg. Wie aber nach Hause finden? Wir waren erst ein halbes Jahr zuvor vom Rosen­weg in das Neubau­ge­biet Adalbert-Stifter­weg gezogen. Ich weiß nicht mehr wie, aber irgend­wie fand ich den Weg zu meiner Oma im Rosen­weg, die mich mit einem Zucker bestreu­ten Quark­brot stärk­te. Dort hielt es mich aber nicht lange, ich machte mich auf den Weg in den Stifter­weg und fand mein Eltern­haus tatsäch­lich. Dabei war ich wahrschein­lich halb erleich­tert, das Eltern­haus gefun­den zu haben und halb traurig über den „Verlauf“ dieses Festes für mich. Wie man sich denken kann war die Suche nach mir auf dem Volkmars­berg in vollem Gange. Günter Kempf, ein Freund meines Vaters war mit dem Motor­rad auf dem Berg und machte sich schließ­lich mit seinem Gefährt auf die Suche nach mir. Er fand mich endlich – auf der Treppe vor unserem Haus sitzend! Die gesam­te Strecke vom Volkmars­berg in den Stifter­weg misst, mit einigen Schlen­kern, die ich wohl gelau­fen sein dürfte, ca. 4km. Ein bleiben­des Erleb­nis für Rolf.

Die Kletter­bäu­me, das war in den letzten Tagen deutlich zu hören, waren doch für viele eine nicht zu überwin­den­de Hürde. Hier noch eine Ergän­zung von Chris­toph Stumpf: Die größte Attrak­ti­on für uns Buben waren natür­lich die Kletter­bäu­me. Von denen gab es mindes­tens drei Stück in unter­schied­li­cher Höhe und Stärke. An ihrer Spitze war jeweils ein umgedreh­ter Metall­korb montiert, an dessen unterem Rand die begehr­ten Trophä­en an dünnen Fäden baumel­ten und darauf warte­ten, vom erfolg­rei­chen „Gipfel­stür­mer“ herab­ge­pflückt zu werden. Der Andrang vor den Masten war jedes Mal riesen­groß. Damit alles mit rechten Dingen zuging, war an jedem Kletter­baum ein Mitglied des Gemein­de­rats als „Schieds­rich­ter“ postiert. Für die Kletter­bäu­me gab es klare Regeln: 1) Jeder kam der Reihe nach dran 2) Jeder hatte nur einen Versuch und 3) Jeder durfte sich nur eine Trophäe abpflü­cken. Erlaubt war es jedoch, die erbeu­te­te Beloh­nung von der Spitze des Kletter­baums herab­zu­wer­fen um beide Hände für den Abstieg wieder frei zu haben. Ich selbst habe es leider nie geschafft, mir etwas vom Kletter­baum zu holen. Das war auch wirklich schwer, denn die Masten waren hoch und glatt. Nach meiner Erinne­rung schaff­te das nur etwa die Hälfte der Klette­rer bis nach oben. Statt eines Preises holten sie sich Blasen an Händen und Füssen – vor allem vom Bremsen während des Zurück­rut­schens auf den Boden. Der beste „Kletter­ma­xe“ aus unserer Klasse war Wolfgang Stein­mei­er. Der war nicht nur ein klasse Sport­ler – er hatte auch alle mögli­chen Tricks drauf um mit affen­ar­ti­ger Geschwin­dig­keit an die Spitze des Kletter­baums zu kommen.

Nach jedem Fest muss aufge­räumt werden. Dazu hat Ludwig Burghard noch folgen­des anzumer­ken: Wir blieben nach dem Ende des Festes auf dem Berg und mussten alles wieder aufräu­men. Alles was auf die Bergwie­se gebracht wurde musste wieder ins Tal geschafft werden. Bierkrü­ge, es gab wohl noch kein Pfand, mussten im ganzen Weiten­rund gesucht und gesam­melt werden. Die Vorga­be der Verant­wort­li­chen laute­te: „Um Zwölfe des kommen­den Tages muss der Berg sauber sein – also besen­rein“ ☺. Damit die jungen Männer auch motiviert waren, ließ der Metzger Zimmer­mann den Grill über Nacht stehen und versorg­te die Truppe noch mit einem Fässle Bier. Übernach­tet wurde im großen Sanitäts­zelt und pünkt­lich am nächs­ten Morgen wurde die Wiese wieder an die Natur überge­ben. Die ersten Morgen­wan­de­rer wurden schon wieder magisch vom Geruch der „Thürin­ger Bratwürs­te“ angezo­gen, näher­ten sich langsam. unauf­dring­lich und fragten mit süchti­gen Blicken, ob denn der Grill noch in Betrieb sei. Der frühe Vogel fing auch hier den Wurm ☺.

Oberkochen

Aufmarsch der ländli­chen Schön­hei­ten wohl um diesel­be Zeit (Bild Bruno Brandstetter)

Das aller­letz­te Wort gehört nun dem Ehren­vor­sit­zen­den des HVO und Ehren­bür­ger Gymna­si­al­pro­fes­sor a.D. Dietrich Bantel – „also oifach dem Didi“. Sein Bericht ging leider zu spät ein und die Datei ließ sich erst nach länge­rem Bemühen öffnen und bearbei­ten. Hier nun sein AD EXTREMUM VERBUM:

33 Jahre lang, von 1962 bis 1995, habe ich das Kinder­fest nicht nur erlebt, sondern, soweit erwünscht und möglich, mitge­stal­tet – ich denke z.B. an die Festzü­ge und an die späte­re Spiel­stra­ße. In meinem BuG-Beitrag 615 vom 22.2.2013 hab ich einiges, was mir als von Seiten des Gymna­si­ums Meist­be­trof­fe­nem wesent­lich war, samt vielen meiner Fotos, festge­hal­ten. Das Kinder­fest begann aus seinen bewähr­ten Kinder­schu­hen heraus­zu­wach­sen. So geister­te das Wort „Kinder­fest-Grund­satz­dis­kus­si­on“ von Jahr zu Jahr durch den Gemein­de­rat und vor allem durch die Schul­kon­ven­te. Ein ganz schlau­er Kolle­ge kam irgend­wann dahin­ter, dass das Kinder­fest zum einen für die Kinder nicht zumut­ba­ren „Besäuf­nis-Fest für die Eltern“ ausar­ten täte. Man müsse die Alten von den Jungen trennen, denn ein Kinder­fest sei ein Fest für die Kinder. Damit wurde das Kinder­fest als Famili­en­fest ganz unbemerkt gestor­ben. Oberleh­rer Alfons Herrmann schau­kel­te damals anläss­lich eines solchen Kinder­fest-Abtötungs-Konvents aus nachvoll­zieh­ba­rer Lange­wei­le so lange auf dem Stuhl, bis er unterm Tisch lag – eine treff­li­che Symbo­lik. Schon bald nach der Stadt­er­he­bung im Jahr 1968, begann sich irgend­wie paral­lel zur „Achtund­sech­zi­ger-Bewegung“ das Kinder­fest immer weiter von dem zu entfer­nen, was es einst gewesen war, ein Famili­en­fest. In den Sechzi­gern waren die 16-Jähri­gen noch „anstands­los“ im Kinder­fest­zug mitge­lau­fen. Die jünge­ren Kolle­gen began­nen indes bereits, es nicht mehr einse­hen zu wollen, dass sie einen geschla­ge­nen Tag für derlei Läppi­sches in die Pfanne schla­gen sollten, auch noch unbezahlt, und wiegel­ten die noch willi­gen Schüler gegen die noch kinder­fest­freu­di­gen tradi­ti­ons­be­wuss­te­ren älteren Kolle­gen mit der Frage auf. „Wollt ihr das denn wirklich“. Diese Frage, geschickt gestellt, ist ein Kinder­kil­ler. So wurden die Kinder immer jünger und weniger. Modern war auch, dass das Fest in seiner Urform Zugeständ­nis­se an die aufkom­men­den Super­hy­gie­ne zu machen hatte: Die berühm­te „Wurst-und-Wecken-Ausga­be“ durfte nicht mehr im Handbe­trieb, sondern musste mit Zangen und später Plastik­hand­schu­hen vollzo­gen werden, bis dann der Gutschein erfun­den wurde. Irgend­wann setzte sich dann die Unzumut­bar­keit des „Auf-den-Berg-hinauf-Marschie­ren-Müssens“ durch, und den unschul­di­gen Vätern wurde die Freude an diesem Tag vom Tisch gezogen. Der Tod des Kinder­fests auf dem Berg läute­te dann auch den Anfang vom Ende des späte­ren Kinder­fests im Tale ein. Sie waren saugut, die Famili­en-Kinde­fes­te, vor allem die auf dem Berg. Sie verlang­ten aber von vielen Seiten echtes Engage­ment, was der Wetter­gott auch stets belohn­te. Nun muss es uns eben auch so recht sein, denn die Römer sagten einst: „Wo immer Du hinschaust, alles wird bald verän­dert werden“. Man stelle sich I‑phonende Kinder das Bergsträß­le zur Märchen­wie­se hinauf­mar­schie­rend vor.…

Ihr
Wilfried Billie Wichai Müller

PS: Ond wenn Ihr wellat, mache mir, d’r Paul und I, no amoal so a Sause, wie am Donnersch­dig im Rupert Mayer Haus – zu anderer Zeit an anderer Stelle. Vergelt’s Gott für’s Komme.

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Die Oberkoch­ner Sänger­kna­ben im Juni 2017 mit dem Hit „Mein Kocher­tal“ (Bild Müller)

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Die Nachle­se im Rupert Mayer Haus war gut besucht. (Bild Müller)

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Paul Hug an der Gitar­re und Albert Schwarz am Akkor­de­on. (Bild Müller)

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