Unser Bericht 672 brach­te eine durch zahlrei­che Bilder illus­trier­te Übersicht über die Entwick­lung des Fotoar­chivs des Heimat­ver­eins. Zu unserem Foto 2 mit der Fußno­te: „Unbekann­tes Braut­paar vor einem unbekann­ten Oberko­che­ner »Lädle« – Wer kann weiter­hel­fen?“ und zu einem weite­ren Foto erhiel­ten wir Rückmeldungen.

Das knapp über 100 Jahre alte Braut­paar-Foto stammt aus der Glasplat­ten-Negativ-Sammlung der in unserem Bericht erwähn­ten Sammlung des bekann­ten Oberko­che­ner Polizei­die­ners, Cafétiers und Hobby­fo­to­gra­fen Josef Gold, die uns 2006 durch Vermitt­lung der Herren Isidor Retten­mei­er und Rolf Stelzen­mül­ler über dessen Tochter Agnes Vogel zugäng­lich gemacht wurde.

Oberkochen
Oberkochen

Zu diesem Foto erhiel­ten wir 2 Anrufe. Beide BuG-Leserin­nen, Schwes­tern, erkann­ten zu ihrer großen Überra­schung und Freude in dem Braut­paar ihre Eltern. Eine von ihnen ist unser 90-jähri­ges immer noch aktives Gründungs­mit­glied Blandi­na Gentner, geb. Hug, die uns zu dem Foto die folgen­den auch die damali­ge Zeit beleuch­ten­den Angaben machte:

Bei dem Braut­paar handelt es sich um Micha­el Hug aus Oberko­chen und Rosa Hug, geb. Hiller, aus Dischin­gen Trugen­ho­fen. Rosa Hiller war Micha­el Hugs zweite Frau. Die erste war ihm durch einen verhält­nis­mä­ßig frühen Tod genom­men worden, nachdem das Paar zusam­men 7 Kinder hatte. Die Hochzeit des Braut­paars fand am 19. Juli 1915 statt. Aus der 2. Ehe stammen 10 weite­re Kinder, von denen eines nicht lebens­fä­hig war. Somit hatte Micha­el Hug aus 2 Ehen insge­samt 17 (16) Kinder. Frau Gentner bemerk­te, dass dies selbst für die damali­ge Zeit zwar eine höchst statt­li­che aber durch­aus nicht total außer­ge­wöhn­li­che Zahl von Kindern „auf dem Land“ war. In Oberko­chen gab es vor 100 Jahren mehre­re Großfa­mi­li­en. Inner­halb dieser Großfa­mi­li­en kümmer­ten sich häufig die älteren Kinder um die jünge­ren und mussten durch­aus auch in der Landwirt­schaft mithel­fen, sodass die Kinder­schar für die Eltern nicht nur Belas­tung sondern auch Entlas­tung bedeutete.

Ein beson­de­res Augen­merk möchte ich darauf lenken, dass „unsere“ Braut ein schwar­zes und nicht ein weißes Braut­kleid trägt. Frau Gentner geht davon aus, dass es mögli­cher­wei­se symbo­lisch als Verbun­den­heits­be­kun­dung zu Ehren der verstor­be­nen 1. Frau und dem Bräuti­gam zulie­be zu sehen sein könne. – Goggle hinge­gen ist klar zu entneh­men, dass in alten Zeiten weiße Braut­klei­der keines­wegs üblich waren – im Gegen­teil: Ab dem 16. Jahrhun­dert war, ausge­hend vom spani­schen Königs­hof, „schwarz“ für Braut­klei­der die Regel, europa­weit, vor allem in der Oberschicht. Später waren schwar­ze Braut­klei­der nicht nur dort, sondern bis ins 19. Jahrhun­dert und das begin­nen­de 20 Jahrhun­dert auch in der Mittel­schicht, vorwie­gend der katho­li­schen, beliebt. Google wörtlich: „.… und die Bräute in ländli­chen Gebie­ten heira­te­ten in einem schwar­zen Kleid. Die dunkle Farbe beton­te die Frömmig­keit der Träge­rin“.. Auch ein prakti­scher Grund wird genannt: „… das Kleid wurde nicht so rasch schmut­zig und konnte zu unter­schied­li­chen Anläs­sen getra­gen werden.“
Bemer­kens­wert ist, dass ich auf keinen Hinweis stieß, der das schwar­ze Braut­kleid im Zusam­men­hang mit Trauer benennt. – Schwar­ze Braut­klei­der sind übrigens neuer­dings wieder „drin“.

Das von mir als „Lädle“ bezeich­ne­te kleine Geschäft war damals der übliche „Koloni­al­wa­ren­la­den“ – ein Begriff, der heute ausge­stor­ben ist.
Wikipe­dia entneh­men wir: „Als Koloni­al­wa­ren wurden früher, beson­ders zur Koloni­al­zeit, übersee­ische Lebens- und Genuss­mit­tel, wie z.B. Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Gewür­ze und Tee feil gehal­ten.
Bis in die 1970er-Jahre wurde der Begriff „Koloni­al­wa­ren­la­den“ noch verwen­det. Diese Läden boten zwar keine Koloni­al­wa­ren mehr an, jedoch alle Grund­nah­rungs­mit­tel, unabhän­gig vom Herkunfts­land, daneben auch Seife, Wasch­mit­tel, Petro­le­um und anderen Handlungs­be­darf.“
Die meisten dieser kleinen Geschäf­te entspra­chen den „Tante-Emma-Läden“ in Deutsch­land oder der Schweiz.

Frau Gentner war der Meinung, dass der Begriff „Lädle“ für das kleine Geschäft durch­aus pässlich sei. Das Lädle befand sich in der damali­gen Kirch­stra­ße 143 (auch „Kirch­gass“ genannt), seit dem 3. Reich „Aalener Straße“ – d.h. in dem Teil der Haupt­stra­ße, der von der Ortsmit­te aus Richtung Aalen führt, Aalener Straße 20, rechts, gegen­über vom „Schil­ler­haus“.
In dem Schau­fens­ter des „Lädles“ sind im Gesamt­fo­to oben 3 porzel­la­ne­ne Kannen verschie­de­ner Größe zu erken­nen – was als Hinter­grund dient, ist nicht zu erken­nen. Unten steht ein hochfor­ma­ti­ger Karton – mit einer weibli­chen Figur darauf. An Schrift lässt sich ein „K“ plus? – „Koner“? oder „Kemer?“ vermuten.

Direkt spannend sind aller­dings die 5 zumeist email­lier­ten Werbe­schil­der zwischen Schau­fens­ter und Eingang – Schil­der, die heute zu horren­den Preisen gehan­delt werden:

  1. Ganz oben ist im Foto-Ausdruck sehr deutlich ein Schild zu erken­nen mit folgen­dem Text: „Die Suppen (von) MAGGI nützen jedem Haushalt“. Die schwei­zer Firma „MAGGI“, die aus dem Mühlen­be­trieb ihres Besit­zer Julius Maggi hervor­ge­gan­gen ist, gibt es seit 1872.
  2. Auch auf dem zweiten Schild von oben ist für „Ältere“ gut erinner­bar, um was es geht: „KAVALIER“. – den U’hu’s fällt sofort eine Werbung ein, die zumin­dest im 2. Weltkrieg noch sehr aktuell war „Die Schuh polier mit KAVALIER“. Im 19. Jahrhun­dert löste die „gehobe­ne“ die „Schuh­wi­xe“ ab.
  3. Nicht nur Frau Blandi­na Gentner, sondern manch andere Oberko­che­ner Gentners können zu ihrem Erstau­nen lesen: „Ohne „GENTNER’S BREMSENSCHUTZÖL…“ – aller­dings noch nicht für Autos, sondern für hölzer­ne Leiterwagen…
  4. Das vierte Schild von oben scheint eher aus Grauguss als email­liert zu sein. Mit etwas Mühe lässt sich entzif­fern: „ …AMERIKANISCHEM PETROLEUM“ – Wer unsere Berich­te in BuG gründ­lich gelesen hat, der weiß, dass Johan­nes Elmer, der Großva­ter des Vorsit­zen­den des HVO, bereits 1906 nahe der Kreuz­wie­sen (später Wäsche­rei) den ersten Strom erzeug­te und nach Oberko­chen liefer­te. Georg Nagel vom „Hirsch“ gehör­te zu den ersten, die in Oberko­chen Strom von Elmer kauften. Das heißt, dass 1915 mit Sicher­heit nur sehr wenige Oberko­che­ner ohne Petro­le­um auska­men. – wahrschein­lich niemand.
  5. Am schwie­rigs­ten ist das unters­te der 5 Schil­der zu lesen. Am ehesten lassen sich die Wörter „BÜFFELHAUT… ALTBEWÄHRT…“ vermu­ten. Leider ist der Firmen­na­me über dem Wort „BÜFFELHAUT“, der mit „SCH…“ beginnt, nicht näher zu bestimmen.
  6. Oben am Türrah­men­pfos­ten rechts der Tür ist ein rundes beschrif­te­tes Schild­chen zu erken­nen, auf dem in der Kopfzei­le deutlich das Wort „AUSWEIS“ und unten mögli­cher­wei­se das Wort „verbo­ten“ zu erken­nen sind.
    Das Jahr der Hochzeit, 1915, fällt noch in die Anfangs­zeit des 1. Weltkriegs, was mich nicht von ungefähr zu einer Querver­bin­dung inner­halb der Arbeit des Heimat­ver­eins veranlasst:

Wir vom Heimat­ver­ein haben vor 3 Jahren maßgeb­li­ches Materi­al für eine Ausstel­lung der Stadt beigesteu­ert, die im Rathaus statt­fand – zum Thema „1914 – Der Beginn des Ersten Weltkriegs“. So löst das Foto des Oberko­che­ner Braut­paars Micha­el und Rosa Hug aus dem Jahr 1915 in unseren Köpfen Bilder einer uns wie verges­se­nen Welt aus, – einer Welt, in der 1916 ein Soldat fiel, über den ein anderer Soldat, nämlich dessen bester Freund, Walter Flex, 1917 ein dünnes Büchlein schrieb, mit dem Titel: „Der Wande­rer zwischen beiden Welten“. – Es handelt sich um ein kleines damals in kurzer Zeit in ganz Deutsch­land berühmt gewor­de­nes Werk, das die Proble­ma­tik des Kriegs, und auch die des natio­na­len Denkens spürbar macht. Eine Gedan­ken- und Empfin­dungs-Welt, die uns gerade heute zu beson­ders inten­si­vem Nachden­ken anregen sollte. Walter-Flex-Schulen und Walter-Flex-Straßen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg umgetauft.… – Walter Flex fiel 1917.

Für die Oberko­che­ner, die im Ersten Weltkrieg fielen, wurde 1922 in der Dorfmit­te der Linden­brun­nen errichtet.

Dietrich Bantel

Berich­ti­gung zu Bericht 673:

A n d e r e B r e m s e n

Oberkochen

Rossbrem­se

Vor über einem halben Jahrhun­dert brach­ten mir die Oberko­che­ner bei, dass Insek­ten, zu denen wir in Stutt­gart „B r e m s e n“ sagen, hierzu­lan­de „B r ä a m a“ heißen, – in gehoch­ter Sprache also „Bremen“ – ohne „s“ – just wie die kleine Stadt mit den Stadt­mu­si­kan­ten und dem Roland im Norden von Deutsch­land, wo man „moin moin“ sagt, auch wenn man „guten Abend meint“.

Seither sage ich zu meinen einsti­gen „B r e m s e n“, diesen lästi­gen Stech­vie­chern, brav und wie das Gesetz es mir befahl: „B r ä a m a“ .… – und kam deshalb beim Erklä­ren der Schil­der des „Lädles“ nicht mehr auf die Idee, dass mit den „B r e m s e n“ von Gentner, die in Bericht 673 unter 3) auf Seite 401 (unver­ständ­li­cher­wei­se hat der Drucker nicht von 1) bis 6) durch­num­me­riert, sondern 3 mal vorne bei 1) begon­nen) „B r ä a m a“, also „B r e m s e n“ = Insek­ten gemeint sein könnten – so heftig bin ich in diesen 55 Jahren zum Oberko­che­ner gewor­den.… . – Von älteren Lesern wurde ich nun darauf aufmerk­sam gemacht, dass in dem 3. Schild von oben mit „Gentners Bremsenn­öl“ tatsäch­lich kein Fahrzeug- oder Maschi­nen­öl gemeint ist, sondern ein uraltes übel stinken­des Mittel gegen „Bremsen“ im Sinne von übel stechen­den Insek­ten ist, die vor allem bei nahen­den Gewit­tern, und wenn man bei der Arbeit schwitzt, beson­ders aufdring­lich sind.… Die Bauern haben das „B r e m s e n ö l“ beim Äckern und Heuen auf den Feldern verwen­det, wenn sie von diesen ekelhaf­ten Viechern, die es in kleiner und erschre­ckend viel größe­rer Ausga­be gibt, überfal­len wurden, – nicht nur beim Menschen, sondern vor allem bei Pferden und Rindern. Noch heute gibt es das Stein­öl „Bremsenn­öl“. Man lernt nie aus. Beim Herrn Google, bei dem ich das Foto ausge­lie­hen­ha­be, gibt es diese UFOs in der Form von „Bremsen“ und „Bremen“.

Dietrich Bantel

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte