
Vermutlich eines ihrer Urenkel bei der Taufe
Bitte anschnallen – es geht weit zurück in die Vergangenheit. Wir reisen durch die Nachkriegszeit, durchqueren die Kriegszeit, lassen Adolf den Wahnsinnigen hinter uns, die stürmischen Jahre der Weimarer Republik fliegen an uns vorbei, den ersten großen Krieg passieren wir ebenfalls und landen im Jahr 1876. Die Zeit als die Männer in schwarzen Anzügen und Zylindern das Sagen hatten und die Frauen sich in den 3 K’s bewegen mussten: Kinder, Küche, Kirche. In Amerika tobte die Schlacht zwischen Custer und Sitting Bull am Little Big Horn und „Die Abenteuer des Tom Saywer“ erschienen. In Deutschland wurde der Otto-Motor erfunden, die ersten Richard-Wagner-Festspiele aufgeführt. In Oberkochen wurde die „Württembergische Holzbohrerfabrik A. Leitz“ gegründet, in Köln wurde Konrad Adenauer und in Oberkochen Theresia Elmer geboren. Deutschland wurde durch Kaiser Wilhelm I und Bismarck regiert. Das Kaiserreich umfasste 25 Bundesstaaten von denen die wichtigsten Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen und Baden waren. Das Land hatte ca. 45 Millionen Einwohner und eine davon war Theresia, um die es in diesem Artikel zu Ehren ihres 140sten Geburtstages gehen soll.
Nun ist es eine Oberkochener Besonderheit, dass Theresia Elmer und die Württembergische Holzbohrerfabrik A. Leitz im selben Jahr geboren wurden und wir in diesem Jahr ihren jeweiligen 140sten Geburtstag feiern können. Dazu kommt, dass sie unter vielen vielen Babys auch zwei besondere Buben auf die Welt brachte: 1936 Albert Holz, ihren Enkel und den späteren EMIL LEITZ-Chef als auch1939 Dieter Brucklacher, den späteren LEITZ-Chef und somit auch unwissentlich ein Stück LEITZ-Geschichte mitgeschrieben hat. Wer hätt‘ au dees denkt.
Theresia wurde am 17. Mai 1876, als Tochter der Eheleute Karl Elmer (1847−1899 aus der Maurerdynastie der Elmers) und seiner Frau Theresia Diebold (1849−1935 vom Nägeleshof aus Unterrombach), im Brunkel geboren und ist auch dort aufgewachsen. Sie besuchte den Kindergarten und die Volksschule und damit war die schulische Ausbildung für die damalige Zeit für die Mädchen auch schon fertig. Mehr brauchte es nicht um als gute Hausfrau einem Mann den Haushalt führen zu können. Das war ihr aber nicht genug. Sie ließ sich zur Hebamme ausbilden und schloss die Hebammenschule mit Erfolg ab und arbeitete 40 Jahre lang, von 1910 bis 1950, als selbständige Hebamme in Oberkochen. Als sie 1950 aufhörte und vom Innenministerium Württemberg-Baden ausgezeichnet wurde war sie sage und schreibe 74 Jahre alt und hat über 1.500 Geburten betreut. Eine schier unglaubliche Lebensleistung.

Die gesamte Familie anlässlich der Goldenen Hochzeit 1951

Goldene Hochzeit vor der Bahnhofsrestauration “D‘ Schell“
Sie heiratete am 7. Mai 1901 den Wagner Albert August Holz (1871−1959) und hatte mit ihm zwei Kinder, Albert August (1902) und Theresia Frida (1904). Ein Jahr nachdem sie als Hebamme aufhörte dufte sie die Goldene Hochzeit feiern.

Urkunde zum 40jährigen Dienstjubiläum 1950
Heute können wir uns ein Leben als Hebamme in der damaligen Zeit gar nicht mehr vorstellen. Persönliche Belange mussten immer hintenan gestellt werden, denn die neuen Erdenbürger, welche auf die Welt drängten, hatten keine Zeit zu warten. Egal ob aus reichem oder armem Haus, ob angesehen oder nicht, wenn man nach der Hebamm‘ (man nannte sie mitunter auch Hefatl, aber wieso und warum ist unklar) im Brunkel schickte war sie mit großem Engagement da. Ihr Hebammenkoffer mit allen Utensilien war immer startklar. Bei Wind und Wetter, immer zu Fuß in einer Zeit als es gar keine oder wenige Autos gab. Mitunter gab es aus heutiger Sicht skurrile Anforderungen, da man damals eben nicht alles direkt ansprechen konnte, wie das folgende Beispiel zeigt: „Bei einer Handwerkerfamilie stellte sich Nachwuchs ein. Der Hebamme wurde, als es soweit war, eine Handwerkerrechnung mit rot geschriebener Tinte überbracht und jetzt war klar – höchste Zeit, es ist so weit.“
Sie wohnte mit ihrer Familie im Kapellenweg 10 (das Haus steht heute noch in leicht veränderter Form)

Das Haus am Kocher mit der Nr. 10
Früher befand sich vor dem Haus ein kleiner Vorgarten mit einem Gänse- und Hühnerstall. Wie in der damaligen Zeit üblich war ihre Haustür immer unverschlossen – auch nachts. Es war die Zeit als Oberkochen noch keinen niedergelassenen Hausarzt hatte. Dr. Sußmann kam erst 1945 (siehe dazu Bericht Nr. 576) und eröffnete die erste Arztpraxis. Bis dahin erfolgte die ärztliche Betreuung der Neugeborenen und der Mütter durch die örtliche Krankenschwester bzw. durch den Arzt der Nachbargemeinde Königsbronn oder durch das Krankenhaus. In den Kriegsjahren war es für sie selbstverständlich auch für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen da zu sein, die damals in den Baracken im Brunkel hausten. (siehe dazu auch Bericht Nr. 316)
Sie war eine einfache bescheidene Oberkochnerin, die sich in der Natur wohlfühlte und noch mit über 90 Jahren im Gebiet ihres Hausberges, dem Rodstein, ihr „Kaffee-Holz“ sammelte mit dem sie ihren alten Wasseralfinger Ofen schüren konnte um sich einen guten heißen Kaffee zu machen. Mehr brauchte es wohl nicht. 1970 verstarb sie im gesegneten Alter von 94 Jahren nach kurzer Krankheit.

Sterbebild aus der Amtsblattbeilage 1970
Abschließend sei noch folgendes erwähnt: Die Eltern von Theresia hatten 7 Enkel und 15 Urenkel. Der letzte noch lebende Nachfahre in Oberkochen ist Albert Holz, der dieses Jahr seinen 80. Geburtstag feiern darf. Im März 1981 gab es in Aalen, auf Einladung von Dr. Paul Edel, einen „Holz-igen“ Familientag. Es trafen sich ca. 100 Mitbürger namens Holz aus Aalen und Umgebung. Dr. Edel erläuterte, dass er zwei Linien erforschen konnte. Die evangelische, die auf einen Söldner der Woellwarth Essingen in die Zeit des 30jährigen Krieges zurückgeht und die katholische, die bis Anfang des 14ten Jhrdts. zurückreicht und aus den Gebieten Mutlangen, Lautern, Mögglingen und Bargau stammt.
Die Hebammenbrosche
Bis in die Mitte der 80er wurde die Hebannenbrosche verliehen. Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, konnten auch über Kontakte zu Hochschulen, historischen Seminaren und dem Habammenverband nicht geklärt werden. (Wann hat man diese Brosche bekommen? Sahen diese immer gleich aus oder gab es regionale, zeitgeschichtliche, politisch basierende Unterschiede in Form, Bild und Text? Mussten die alten Broschen während des 1000jährigen Reiches ausgetauscht werden? Im Internet findet man viele Bilder solcher Broschen aber keinerlei ausreichende Erklärungen dazu.
Hinweis
Wer sich für die Hebammenzeit vor Theresia Holz interessiert, dem sei der Bericht Nr. 147 ans Herz gelegt. Heute ist der Beruf der freiberuflichen Hebamme auf das Höchste gefährdet, weil viele die Haftpflichtprämien nicht mehr bezahlen können. Und wenn sie dann in ein Angestelltenverhältnis in die Krankenhäusern wechseln, haben sie für ihre Patienten keine Zeit mehr. Um trotzdem eine Hebamme in Anspruch nehmen zu können, gibt es die Beleg-Hebammen. Diese bezahlen aber den höchsten Versicherungssatz. Und so ist es wie in vielen Bereichen – die Kosten vernichten sinnvolle humanitäre Tätigkeitsfelder.
In diesem Zusammenhang will ich doch meine Schulfreundin Margret Schwörer geb. Tischer (Tochter von Emil und Waltraud Tischer, früher Silcherweg 2) aus Oberkochen erwähnen. Sie musste seinerzeit das Progymnasium Oberkochen wegen einer Schwangerschaft als Schülerin verlassen. Was lag da näher als später den Beruf der Hebamme zu ergreifen, den sie bis heute, trotz der Belastungen, mit großer Freude ausübt. Dieser Beruf hat viel mit Berufung, humanitärer Arbeit, Belastung, Immer-bereit-Sein und mit Freude an neuem Leben zu tun.
Dieser Bericht entstand durch die Idee und engagierte Recherchearbeit von Albert Holz, der zudem die Meinung vertritt, dass der „Brunkel“ in der heimatkundlichen Berichterstattung unterrepräsentiert ist – wo er Recht hat, hat er Recht.
Es grüßt Sie wie immer herzlich Wilfried Billie Wichai Müller, der, wie sein Bruder Harald, eine Hausgeburt ist, weil auch unsere Oma eine Hebamm‘ war.
Nachtrag zur Hebamm‘ vom Brunkel
In der Zwischenzeit habe ich Rechercheergebnisse von verschiedenen Stellen bekommen und bedanke mich ausdrücklich bei Margret Schwörer geb. Tischer (Hebamme), Dr. phil. Marion Schumann (Hochschule Osnabrück), Wiebke Lisner (Historisches Seminar Uni Hannover) und Rita Herkel vom Hebammenverband. Das Thema „Brosche“ liegt irgendwie etwas im historischen Dunkel.
Frau Marget Schwörer geb. Tischer, früher Oberkochen schreibt:
Lieber Wilfried, interessant, dass du über eine Oberkochener Hebamme schreibst. Sie ist selbst mir noch ein Begriff. Ich selbst bin seit 1979 Hebamme und habe seit 1985 ausschließlich freiberuflich gearbeitet. Seit dieser Zeit habe ich bis vor 2 Jahren auch Hausgeburten gemacht und immerhin etwa 900 Kinder zu Hause zu Welt gebracht. Das ist für die heutige Zeit enorm viel. Es gäbe viel zu erzählen. Obwohl ich jugendlich sicher nicht politisch interessiert war, war meine Entscheidung Hebamme zu werden, eine politische – eine frauenpolitische. Jede Hebamme bekam bis Mitte der 80. Jahre eine Hebammenbrosche, ein Statussymbol das es sicher mindestens seit der Nazizeit gab. Es gibt keine weiteren Broschen für besondere Anlässe. Ich selbst habe sie auch nie getragen. Sie liegt bei meinen Unterlagen. Wissen muss man, dass 1938 ein Reichshebammengesetz entwickelt wurde, das in großen Teilen bis 1985 gültig war! Neuere Hebammenorganisationen tabuisierten die Beteiligung an NS Politik!! Und die war nicht unerheblich!

Margret’s Brosche zu Examen
Die Brosche bekamen wir mit dem Examen ausgehändigt. Bis dahin hatten wir eine Schülerinnenbrosche, die wir dann abgeben mussten. Getragen wurde sie nie. So sehr wir bei der Geburt gebraucht und geachtet werden, so klein ist unser Lobby. Wir brauchen diese Lobbyarbeit, denn viele wollen uns Hebammen in dieser Weise nicht mehr. Aber vielleicht muss auch unser Berufsstand sich neuen Entwicklungen stellen. Es wird sich vieles ändern und dann wird man sehen, was an Altbewährtem erhalten bleibt und was sich an Neuem durchsetzen wird.
Anmerkung durch Wilfried Müller:
In diesem Zusammenhang muss ein Fehler korrigiert werden. Margret ist die Tochter von Emil und Waltraud, Ernst und Emma waren ihre Großeltern.
Frau Wiebke Lisner schreibt dazu:
Leider kann ich Ihnen zu den Hebammenbroschen nur sehr wenig sagen. Die Hebammenbroschen könnten die Hebammen meines Wissens nach bei den Berufsverbänden erhalten. Wenn sie also Mitglied in einem Hebammenverein waren (vor 1933 gab es mehrere, nach 1933 nur noch einen) konnten sie so eine Brosche bestellen. Ein Bild dieser Broschen habe ich bisher noch nicht in den Händen gehabt. Ich vermute allerdings, dass die Hebammenverbände jeweils leicht andere Motive oder Inschriften hatten. Entsprechend wird die 1933 ins Leben gerufene „Reichsfachschaft Deutscher Hebammen“, die 1939 in „Reichshebammenschaft“ umbenannt wurde, ebenfalls eine eigene Brosche gefertigt und verteilt haben. Im Anhang schicke ich Ihnen 2 Notizen zu Broschen und Trachten. (Beides aus Zeitschrift der Reichsfachschaft Deutscher Hebammen, Jg. 55, 1935).
Aus Hebammenzeitschrift 1935



Zusätzlich zu den Broschen wurden im NS „Berufs-Runen“ eingeführt. Auch die Hebammen bekamen eine eigene Rune. Mir ist allerdings nicht bekannt, ob und wie verbreitet das öffentliche Tragen der Rune war. Möglich ist, dass Hebammen Armbinden mit einer entsprechenden Berufsrune trugen.

Das Hebammenrunenzeichen

Brosche vom ADHV

Brosche vom RDV
Anbei schicke ich Ihnen, wie versprochen, das Hebammenrunenzeichen. Mein Mann hat zudem noch Bilder des Abzeichens des ADHV (Allgemeiner Deutscher Hebammen Verein, größter Hebammendachverband bis 1933) und der RDV (Reichsfachschaft Deutscher Hebammen gleichgeschalteter Berufsverband ab 1933) gefunden. Offenbar wurde hier lediglich 1933 der neue Name des Verbandes vermerkt.
Frau Rike Herkel merkt dazu an:
Leider kann ich Ihre Fragen nur zum Teil beantworten. Zumindest nach 1949 wurde die Brosche wohl mit Aufnahme in den Hebammenverband, damals BDH, vergeben, quasi als Mitgliederausweis. Dies scheint auch vorher der Fall gewesen zu sein.
Im Archiv des DHV finden sich die Inschriften „Im Dienste der Zukunft unseres Volkes/Dh“ und „Bund Deutscher Hebammenverbände e.V.“ sowie „Bund Deutscher Hebammen e.V.“ Es gab also verschiedene Ausführungen, wie viele ist mir leider nicht bekannt. Leider sind keine Jahreszahlen eingraviert. Die Brosche mit der Inschrift „Im Dienste der Zukunft unseres Volkes“ gibt es in einer silberfarbenen und goldfarbenen Ausführung. Die Inschrift „Im Dienste der Zukunft unseres Volkes“ würde ich im Zeitraum zwischen 1933–1945 verorten? Aus der Zeit davor sind mir keine Exemplare bekannt, deshalb auch nichts über eventuelle Inschriften. Da aber vorher viele Verbände auf Landesebene aktiv waren, gab es früher vielleicht keine Brosche oder zumindest keine einheitlichen. Auf einem Bild von 1910 vom 25-jährigen Jubiläum des Berliner Hebammenvereins tragen die Abgebildeten Broschen oder Orden. (abgedruckt in „Zwischen Bevormundung und beruflicher Autonomie. Die Geschichte des Bundes Deutscher Hebammen“ Hrsg. BDH, Hippokrates Verlag 2006).
Wilfried Billie Wichai Müller vom Sonnenberg
Viel Erfolg beim Lesen der altdeutschen Schrift. Gedruckt ist es leichter zu lesen als handschriftlich. ☺
Achtung:
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