Die folgen­den Geschich­ten aus „Dorfes-Zeiten“ habe ich allesamt bei den Veran­stal­tun­gen „SiS“ (Senio­ren im Schil­ler­haus) ungerügt vorge­le­sen oder erzählt, und deshalb habe ich auch kein schlech­tes Gewis­sen, wenn sie in unserer heimat­kund­li­chen Serie „Oberko­chen – Geschich­te, Landschaft, Alltag“, abgedruckt werden. Einige der Geschich­ten habe ich einst bei gemein­de­rät­li­chen sogenann­ten „Nachsit­zun­gen“ erfah­ren, andere – es gibt noch viele – beim Ausklang der Alten­weih­nacht, wo ich 30 Jahre beim weihnacht­li­chen Musizie­ren mitwirk­te, und, wo „es“ zu Zeiten von Bürger­meis­ter Bosch meist erst so richtig gemüt­lich wurde, wenn der offizi­el­le Teil der Feier vorbei war.

Weil niemand derlei Geschich­ten je aufge­schrie­ben hat, habe ich irgend­wann damit begon­nen, sie zu notie­ren, da derlei Markan­tes schnell aus der Erinne­rung verschwun­den ist, wenn „man“ einmal Stadt gewor­den ist.

Falsch gelan­det

Hinten im Katzen­bach lebten – nennen wir sie mit ihren alten Hausna­men – der „Hugas­eff“ und der „Zelle“. Bei letzte­rem hatte man ziemlich viele Kinder. Abends, wenn alle im Haus waren, ging’s munter her, und der „Zelle“ musste, wenn’s an der Zeit war, ein kräfti­ges Macht­wort brüllen – und dann wurden alle, die noch herum­hupf­ten, gnaden­los ins Bett gescheucht.

Als wieder einmal alles drunter und drüber ging, ließ der „Zelle“ seinen üblichen allabend­li­chen Plärrer los: „Ab, on nauf end Bettr, – aber älle, – on zwar glei“.

Wenn der „Zelle“ mit erhobe­ner Stimme sprach, war, wie gesagt, Feuer unterm Dach angesagt, und es gab keine Wider­re­de. So verzog sich der eben noch putzmun­te­re Kinder­se­gen vollzäh­lig und mucks­mäus­chen­stil­le nach oben, einen Stock höher, – und es herrsch­te umgehend Ruhe im Hause „Zelle“.

Doch diesmal geschah etwas noch nie Dagewe­se­nes: nach einiger Zeit drang ein durch Mark und Bein gehen­des Gewim­mer und Greinen aus dem Reich der Ruhe nach unten.

„Abr ruhich isch, – on zwar uff dr Schdell“, – schrie der „Zelle“ nach oben. Dann war’s auch ruhig. Eine Weile. Denn schon bald ging das herzzer­rei­ßen­de Geheu­le und Gewim­mer wieder los.

Da stieg der „Zelle“ höchst persön­lich nach oben, um nach dem Rechten zu kucken. „Ja, was isch’n los, dao gibt’s doch iebrhaupts nex zom Pläara“, – schimpf­te er – „on wann’d’s jetz et ruhich isch, nao geit’s a sieadigs Donnrweddr.

Tatsäch­lich war’s auch nochmal für einen kurzen Augen­blick ruhig, – – aber dann schluch­ze­te es aus der Dunkel­heit: „I g’heer doch gar net zu uich, – i g’heer doch ‘m Hugaseff“.

Oberkochen

D’Marie

Das war in den Vierzi­ger­jah­ren des letzten Jahrhun­derts.
D’Marie wohnte irgend­wo hinter dem „Lamm“ in der Feigen­gass vom Katzen­bach weg in einem ältli­chen Haus und war selbst auch nicht mehr die Jüngste.

Es wird berich­tet, sie sei etwas düster geklei­det gewesen, und sie habe „so a bissa­le an gebrech­licha Gang ghett, on a weng a trieabs Drial­aug“, – kurz: nicht gerade eine heraus­ra­gen­de Hübschheit, und insge­samt eine Frau, vor der man als Kind vielleicht sogar ein wenig Angst hatte, – zumal es zu dieser Zeit noch alte Leute in Oberko­chen gab, die ans 7. Buch Mose glaub­ten: an von Hexen­kraft gefloch­te­ne Kuhschwanz­enden oder Knoada em Schwanz, – und an rosa gefärb­te Kuhmilch…

D’aalt Marie schnitt den Kindern, wo es nicht so arg auf Schön­heit ankam, um 10 Pfennig die Haare, – aber die Kleinen gingen nicht so grausig gern dorthin, gewiß auch deshalb nicht, weil’s wirklich mehr als einfach herging bei der Alten, – und alles um sie herum halt a wengle seltsam war.

Aber so war’s eben. Man hatte kein Geld, und „weil s’Gäald Mangel­wa­re war“ sagte man zu den Kindern „Dao hasch zeea Pfennich, gasch nom zur aalt Marie on lesch dr für zeea Pfennich d’Haaor schneida“.

Etwas wider­wil­lig gingen die Kinder dann halt mit dem Zehner­le in der Hand nom ins Feiga­gäss­le und kopften an das niedri­ge Fenster der direkt am Gässle gelege­nen Wohnung; die Fenster­brüs­tung lag nur gerad mal so 30/40 Zenti­me­ter überm Boden, – und ziemlich finster war’s dahin­ter, wenn das Fenster aufging, und so a weng a muffe­ligs Geschmäck­le kam heraus mit dem Kopf von der alten Marie.

„Wa wit“, fragte diese.

„Kannsch mr für zeea Pfennich d’Haaor schnei­da“, fragte man eher schüchtern.

Und dann begann die rituel­le Prozedur.

Die Alte wußte natür­lich, daß die Kinder sich nicht so richtig ins Haus hinein­trau­ten. Deshalb sagte sie: „Schtreck’n rei durch’s Feesch­dr, dein Meggl“. Weil das Fenster aber so niedrig war, mußte man sich aufs Drodwahr hinun­ter­knui­la, nur so konnte man seinen Möckel, auch Mockas, ins Zimmer der alten Marie hinein­stre­cken. Dann kam sie, wenn nötig, zuerst mit der Schere an, auf jeden Fall aber mit dem unglaub­li­chen Handap­pa­rat, einem Haarab­zwi­cker, wie ihn tatsäch­lich echt auch die richti­gen Frisö­re hatten. Darauf säbel­te, schnitt und zwick­te sie die Haare fast auf preußi­sche Länge. Das zwick­te und zwack­te, rupfte und zupfte daß Gott erbarm. – Irgend­wann war das Haar dann ab. Gegen Schluß nahm d’aalt Marie dann nochmal die Schere und schnitt mit ihr „so an schräa­ga Deengr“ ins Stirn­haar, – „ha, wiena mrs daomals halt gheet hat“. – Ganz zum Schluss spuck­te sie kräftig in die Hände, verrieb „es“ und fuhr einem mit der verrie­be­nen Spucke auf den Handflä­chen durchs Haar, – „on tzletscht hat se s’Haaor uffs Hieara naufbäbbt, – guck so“.

Und so haben die meisten Kinder im Katzen­bach die Haare geschnit­ten bekom­men, – hat mir ein echter Alt-Oberko­che­ner verzählt. Er auch. – Aller­dings bestritt er später als ich ihm die Geschich­te zur Kontrol­le vorlas, dass er „Meggl“ gesagt habe, „Meggl“ habe in Oberko­chen „koi Sau“ gesagt, – und er selbst sicher bloß aufs Verse­hen und im Eifer des Verzäh­lens. – Weil ich aber die wichti­gen Wörter beim Verzäh­len richtig mitge­schrie­ben habe, bleibt der „Meggl“.

Oberkochen

D’Pauleana

Unten am Kocher, so erzähl­te man mir, wohnte in einem ärmli­chen Keller­raum d’Pauleana. Von dieser sind immer noch recht ausge­fal­le­ne Geschich­ten im Umlauf, die aber bald keiner mehr weiß. Deshalb habe ich zwei außer­ge­wöhn­lich würzi­ge davon, mit vollem Dorfcha­rak­ter, wie sie mir Einhei­mi­sche berich­te­ten, aufgeschrieben.

Die Geschich­te von der nicht vorhan­de­nen „Ondrho­as“

Diese Geschich­te ist etwas anrüchig. Aber sei’s drum – so war’s halt. Von der Paule­a­na war nämlich bekannt, dass sie unter dem Rock, so wie man’s von den männli­chen Schot­ten berich­tet, nichts trug. Vor allem die Buben im Dorf machten sich immer wieder den gleichen Spaß, auf den d’Pauleana hereinflog:

Einer schrie „Paule­a­na, d’Hoasa ra“, – oder „Paule­a­na, d’Hoasa guggt raus“, – worauf d’Pauleana ihren Rock lupfte und rief „I hao doch gar koine Hoasa aa“.

Die Geschich­te vom Hochwasser

Wenn Hochwas­ser war, im Kocher, stand der Keller von dr Paule­a­na öfters unter Wasser. Manch­mal kam so viel davon, dass man die Feuer­wehr brauch­te. Einmal, als diese eintraf, schwamm das Bett von dr Paule­a­na im Keller herum und der Nacht­ha­fen schau­kel­te hinterher.

Das hatte sich in Windes­ei­le im Dorf herum­ge­spro­chen, und die ganze Dorfju­gend wurde Zeuge des Desasters.

Ab da war da unten immer, wenn Hochwas­ser war, die Dorfju­gend zugegen.

Die Feuer­wehr brach­te an den Keller­wän­den auf Höhe des Keller­fens­ters Holzrin­nen an, die zum Fenster hinaus zum Kocher liefen, und in die man das Wasser mit Eimern geschüt­tet und zurück in den Kocher gelei­tet hat.

Später gab es dann eine Pumpe.

Ein anderer Oberko­che­ner wusste, dass d’Pauleana ihr Geld unter dem Tisch­tuch aufbe­wahr­te. Da es keine Kunst war, bei dr Paule­a­na ins Innere des Kellers zu gelan­gen, haben so Sauker­le hin und wieder auch „a weng a Gäald“ mitlau­fen lassen.

Oberkochen

Der „Funka-Schus­ter“

Hinter der (abgeris­se­nen) „Krone“ wohnte während des Zweiten Weltkriegs der „Funka-Schus­ter“. Er war Schus­ter und hieß Funk. Es sei, wie man mir erzähl­te, ein Origi­nal „dicht an der Grenze“ gewesen – was immer man darun­ter verste­hen mag. Für die folgen­de Geschich­te, die von einer Henne handelt, gibt es 2 verschie­de­ne Quellen. Bei der einen Quelle heißt jene Henne, die dafür bekannt war, dass sie ein außer­ge­wöhn­li­ches Kunst­stück vorfüh­ren konnte, „Adelheid“, bei der anderen „Heiner“. Da eine Henne in der Regel ein weibli­ches Wesen ist, neige ich zu der Versi­on „Adelheid“. – Im Übrigen kannten die beiden Bericht­erstat­ter sich gegen­sei­tig nicht, sodass der Wahrheits­ge­halt der Geschich­te kaum anzuzwei­feln ist.

Der „Funka-Schus­ter“ jeden­falls hatte jene seine Henne „Adelheid“ auf den Hitler­gruß dressiert. Wenn er zu ihr sagte: „Adelheid, sag Heil Hitler“, dann legte Adelheid sich auf den Rücken und hob einen Fuß in die Höhe. Die Leute sind von weit her gekom­men, um diese außer­ge­wöhn­li­che Henne namens Adelheid (oder Heiner) zu bewun­dern. Sicher gab es ein Trink­geld; aber das ist nicht überlie­fert; dafür, dass dem „Funka-Schus­ter“ seine braune Henne vor dem braunen Dikta­tor gestor­ben sei.

Der „Funka-Schus­ter“ habe auch origi­nel­le Bilder gemalt.

Mit dem Auto ins Bett von der Oma

In der Aalener Straße gibt es ein Haus, bei dem man vor ungefähr 16/17 Jahren, als der alte Putz zuguns­ten eines neuen abgeschla­gen wurde, sehen konnte, dass das Mauer­werk unter einem Fenster bis auf Gehweg­hö­he im Erdge­schoss zur Straße hin anders aussah, als das es umgeben­de: Es war aus Backstei­nen gemau­ert, während das übrige Origi­nal-Mauer­werk ein sogenann­tes Kalkbruch­stein-Mauer­werk war.

Hiezu berich­te­te mir der dazuge­hö­ren­de Alt-Oberko­che­ner, dass um die Mitte der Sechzi­ger­jah­re, also vor einem halben Jahrhun­dert, ein durch­aus bekann­ter Jonger von einem durch­aus bekann­ten Alten am Heili­gen Abend mit einem Mords­bal­len, Mords­ruß oder auch einer Mords­kischt im Gesicht in seinem Auto von der Weihnachts­fei­er vom Clubhaus kommend zwecks spürbar überhöh­ter Geschwin­dig­keit die leich­te Links­kur­ve oben beim Geißin­ger unter­schätzt habe. Von dort oben aus sei er sodann in weitem Bogen von der ursprüng­lich rechten Straßen­sei­te über die ganze Straße rüber auf jenes auf der anderen, also der linken Straßen­sei­te, gelege­ne Haus zugeschlid­dert, und über den Gehweg voll durchs Fenster ins Schlaf­zim­mer hinein­ge­rauscht, in welchem die Oma im Bett lag. Nur wenige Zenti­me­ter von der Bettkan­te weg kam das Auto zu stehen. Kurz: „d’Schoiwerfr hannd ens Bett neiguggt, – abr dr Oma isch nex bassiert“, – außer, dass sie einen Sauschre­cken bekom­men hat.

Dietrich Bantel

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