Am Donners­tag dem 16. Juli 2015 übergab mir das Oberko­che­ner Ehepaar Sascha Hahn (Hecken­ro­sen­weg) eine an der Oberflä­che stark korro­dier­te eiser­ne Kugel, die über ein Pfund wiegt (genau 530 Gramm) und einen Durch­mes­ser von 5,5 cm aufweist. Sie war von unseren Mitbür­gern am selben Tag – offen­sicht­lich von Wildschwei­nen freige­scharrt – anläss­lich eines Spazier­gangs am Rand der Katzen­bach­stra­ße zwischen dem Segel­flie­ger­häus­le und dem Aussied­ler­hof Fischer (Pflug­wirt) ortsein­wärts am rechten Rand des Sträß­chens, das im Volks­mund auch „Milch­stra­ße“ (*) genannt wird, gefun­den worden. Der genaue Fundort befin­det sich 10 Meter von der etwas höher gelege­nen Sitzbank entfernt schräg gegen­über des Spielplatzes.

Das exklu­si­ve Fundstück wurde von mir zunächst in die Zeit des Dreißig­jäh­ri­gen Kriegs einge­stuft – also als aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhun­derts stammend und somit als ca. 400 Jahre alt bestimmt.

Oberkochen

Da ich meiner Sache aber keines­wegs sicher war, sandte ich als ehren­amt­li­cher Mitar­bei­ter des Landes­denk­mal­am­tes eine genaue Beschrei­bung der Kugel samt einem Foto an das LDA (Regie­rungs­prä­si­di­um, Esslin­gen), woher ich von dem zustän­di­gen Referat von Herrn Uwe Gross über den für uns in diesem Fall zustän­di­gen Herrn Olaf Goldstein bereits am 22. Juli eine überra­schen­de Antwort erhielt.

Hier das Schrei­ben wörtlich:
„ .… – nach Auskunft meines Kolle­gen Uwe Gross könnte man aufgrund des gerin­gen Durch­mes­sers von 5,5 cm denken, dass es sich um das Geschoss eines frühen „Feuer­roh­res“ aus dem späten 14. oder 15. Jahrhun­dert handelt, d. h. eine Art größe­rer Geschütz­waf­fe, die aber noch „von Hand“ betrie­ben werden konnte und keinen fahrba­ren Unter­satz benötig­te. Eine kleine Kanone kann man aber wohl auch nicht ganz ausschlie­ßen. Dass es sich um eine Geschütz­ku­gel handelt, ist auf jeden Fall wahrscheinlich“.

Das heißt, der Fund ist mögli­cher­wei­se mindes­tens 200 Jahre älter als zunächst angenom­men und könnte aus der Zeit nach der Errich­tung der alten St. Peter-Kirche, später St. Peter- und Paul-Kirche stammen.

Auch Kreis­ar­chi­var Dr. Bernhard Hilde­brand seitens der unteren Denkmal­schutz­be­hör­de des Landrats­amts ist der Meinung, dass der Fund durch­aus inter­es­sant ist, und dass der Fundort – wenngleich völlig unspek­ta­ku­lär – „im Auge behal­ten werden sollte“.

Natür­lich stellt sich die berühm­te Frage „Wie kommt der Spinat aufs Dach?“
Unser schon von der Höhlen­for­schung her bekann­ter Oberko­che­ner Lokal­wis­sen­schaft­ler Dr. Hans-Joachim Bayer, Kohlberg, der sich als Geolo­ge auch mit Geschich­te, vor allem der der Eisen­ver­hüt­tung in unserer Gegend beschäf­tigt, schreibt mir:

„ .… – das ist eine Sensa­ti­on, diese Kanonen­ku­gel. Über das Wolfert­s­tal lief im Mittel­al­ter und der Jungen Neuzeit (also in der vom LDA genann­ten Zeit) viel an Eisen­erz­trans­por­ten und auch an Eisen­wa­ren im Rückweg. Das Eisen­erz-Bergwerk am Burgstall in Aalen war ja alt-württem­ber­gi­scher Betrieb und gehör­te zur Faktorei (Hütten­werk) Königs­bronn. Da die Öttin­ger einen Landzip­fel bei Neuko­chen besaßen, wollten sie über horren­de Mautge­büh­ren am „Erzse­gen“ teilha­ben. Aus diesem Grund gingen jahrzehn­te­lang die Erztrans­por­te (mit Eseln und Pferden) über den Langert­rü­cken und das Wolfert­s­tal zur Hütte am Oberko­che­ner Kocher­ur­sprung und nach Königs­bronn. Auf dem Rückweg wurden z.T. Eisen­wa­ren nach Aalen und von dort z.T. nach Gmünd trans­por­tiert (die dorti­ge Schmuck­in­dus­trie begann mit Eisen­wa­ren und Gagat-Schnit­ze­rei­en) oder nach Hall (und weiter nach Nürnberg). Auf alle Fälle ein sensa­tio­nel­ler Fund.“

Wir verwei­sen auf unseren exakt vor 10 Jahren an dieser Stelle am 1.7.2005 erschie­ne­nen Bericht 482 „Wildschwei­ne auf dem Vormarsch nach Oberko­chen“. In diesem nicht ganz ernst zu nehmen­den Bericht ist beschrie­ben, wie eine Wildsau einen ahnungs­lo­sen Oberko­che­ner Jogger in Bedräng­nis brach­te. – Heute nun bringen uns unsere Wildschwei­ne dazu, unsere Phanta­sie in ganz anderer Richtung zu bemühen: Wie könnte jene Kugel an diesen Ort gekom­men sein? Wurde sie tatsäch­lich „verschos­sen“? Hatte sich jemand mit einem belade­nen Gespann auf der Abkür­zung durchs Wolfert­s­tal und über den Berg auf dem Weg von Aalen Richtung Süden oder von dorther kommend auf diesem Weg nach Aalen befun­den, um den Öttin­ger Zoll zu umgehen und hatte „eines abbekom­men“? Oder gab es ein anderes lohnen­des beweg­li­ches Ziel, das per Klein­ge­schütz verfolgt und nieder­ge­macht wurde. Oder ist vielleicht ein maroder Muniti­ons-Trans­port­wa­gen zu Bruch gegan­gen? Dann könnten von unseren Sauen vielleicht noch weite­re Kugeln oder andere Ladungs­tei­le am bergsei­ti­gen Abhang der Katzen­bach­stra­ße freizu­schar­ren sein… – Einmal in Fahrt lässt sich die Phanta­sie nicht bremsen. – Und nicht umsonst weist der Kreis­ar­chi­var darauf hin, dass der Fundort „im Auge behal­ten werden sollte“.

Die aktuel­len lokalen Sauen jeden­falls haben uns zu einem sensa­tio­nel­len Fund verhol­fen, indem sie ihn auf der Suche nach Wurzeln, die an dieser Stelle schon vor Jahren einmal das Ziel von Sauen­schar­run­gen waren, freige­legt haben. Aber dennoch bleibt es das Verdienst des Ehepaars Hahn, diese Kanonen­ku­gel entdeckt und vor allem an der richti­gen Stelle abgege­ben zu haben. Herzli­chen Dank. Oberko­chen ist erneut um ein winzi­ges Mosaik­teil­chen seiner Geschich­te berei­chert worden.

Die Kugel wird ab sofort in unserer entspre­chen­den Vitri­ne im Raum 4 des Heimat­mu­se­ums ausge­stellt sein.

(*) Anmer­kung zur „Milch­stra­ße“: Diese Bezeich­nung ist nur noch einigen „Alten“ bekannt, die die Zeit miter­leb­ten, da man sich draußen beim „Pflug­wirt“ allabend­lich seinen Schop­pen frischer Milch besor­gen konnte. Die etwas feine­ren Bürger vollzo­gen diesen in der Folge für sie genuss­rei­chen und ihrer Gesund­heit durch­aus zuträg­li­chen Milch­schop­pen­be­sor­gungs­akt vermit­telst des Einkaufs auch per fettem Auto, wodurch sie sich persön­lich zwar einen Gefal­len, den zahlrei­chen anderen auf der Milch­stra­ße befind­li­chen abend­li­chen Spazier­gän­gern und vor allem all den anderen Milch­freun­den jedoch, die sich ihren Schop­pen per pedes besorg­ten, einen in der frischen Abend­luft ekelhaft luftver­pes­ten­den Ungefal­len erwiesen.

In diesem Zusam­men­hang sollte auf einen weite­ren verges­se­nen Weg im Spitz- und Wolfert­s­tal, den sogenann­ten „Rudi-Winzer-Weg“, hinge­wie­sen werden, eine namens­mä­ßig zunächst nur auf die Person ihres Erfin­ders, Erschaf­fers und Erstbe­nüt­zers zurück­ge­hen­de eher persön­li­che Milch­be­schaf­fungs-Verbin­dung mit waghal­si­gem Steg zwischen den Punkt­häu­sern in der ersten Kehre der Heide­stra­ße und dem Pflug­wirt jenseits des Guten­bachs. Der „Rudi-Winzer-Weg“ wurde erst Jahrzehn­te später zu einem richti­gen öffent­li­chen Weg mit stabi­ler Brücke ausgebaut.

Dietrich Bantel

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