Dieses Jahr jährt sich zum 70ten Mal das Ende des II. Weltkrie­ges. Aus diesem Grund werden die beiden nächs­ten Berich­te dieses Thema zum Inhalt haben. Wir schau­en uns das ganz norma­le Leben zweier junger Menschen an, Hilde aus dem Sudeten­land und Georg vom Härts­feld, zwei junge Menschen, die später die Eltern von mir und meinem Bruder Harald werden sollten. Vorher hatten sie aber eine eigene Kindheit und Jugend mit einem weltum­fas­sen­den Krieg zu leben, bevor beide in Oberko­chen zusam­men­fan­den. Mir ist erst während der Recher­chen klar gewor­den, wie alt die beiden eigent­lich bei Kriegs­be­ginn waren und dass sie keine Chance hatten diesem Infer­no zu entge­hen. Sie hatten aber letzt­end­lich Glück, nicht dort sein zu müssen, wo der Tod unaus­weich­lich war.

Am 15. Juni 2015 werden 70 Jahre vergan­gen sein, dass meine Mutter den Flücht­lings­zug in Wasser­al­fin­gen verließ und mit beiden Füßen auf der Ostalb zu stehen kam. Nachfol­gend will ich Euch die Lebens­ge­schich­te meiner Mutter, stell­ver­tre­tend für ähnli­che Vertrie­be­nen­schick­sa­le, erzäh­len. Früher wurde darüber nicht so viel erzählt, meistens nur Allge­mei­nes. Als ich jung war hat mich das alles nicht inter­es­siert und auf meine naiven teils aggres­si­ven Vorwür­fe zum 1000jährigen Reich kamen keine für mich befrie­di­gen­den Antwor­ten. So klärte sich vieles erst einige Jahre vor ihrem Tod und beim Durch­schau­en ihrer persön­li­chen Hinter­las­sen­schaft. Heute habe ich sicher eine andere Sicht auf die Zeit meiner damals mir noch unbekann­ten jungen Eltern als in den 60er Jahren. Heute sehe ich mehr die älteren Jahrgän­ge als die meiner Eltern in der Verant­wor­tung für den Lauf der Dinge damals.

Der Begriff „Sudeten­land“ war bei uns zuhau­se ein Wort, das mich von Kind auf beglei­te­te, aber nicht wirklich inter­es­sier­te. Die Treffen der Sudeten­deut­schen finden bis heute immer zu Pfings­ten statt und unsere Mutter machte sich zu dieser Zeit immer auf den Weg, mit Sonder­bus oder Sonder­zug, von Aalen aus auf, um ihre vertrie­be­nen Lands­leu­te in einer Art „riesen­gro­ßem Klassen­tref­fen“ in großen Hallen zu suchen, zu treffen und sich über alte und neue Zeiten zu unter­hal­ten. Wir Kinder waren froh nicht mitfah­ren zu müssen und wenn wir doch mal mit mussten, schuf unser Vater für uns ein Rahmen­pro­gramm wie zum Beispiel der Besuch eines Bundes­li­ga­spiels im Nürnber­ger Stadi­on oder der Besuch des Nürnber­ger Partei­tags­ge­län­des, das jetzt aber doch nicht so spannend wie ein Fußball­spiel war. Das Inter­es­se wuchs erst in den letzten Jahren als ich verschie­de­ne Dokumen­ta­tio­nen und Spiel­fil­me zu der Zeit von 1933 bis 1946 sah und ab 2006 für den Heimat­ver­ein zu schrei­ben begann. Mit meiner Mutti konnte ich zwar im hohen Alter noch einige Gesprä­che darüber führen. Diese blieben aber bis zum Schluss doch sehr durch ihre Sicht geprägt, die sich seit den Kriegs­ta­gen nicht wesent­lich geändert hatte. Als sie dann am 14. Oktober 2013 starb fand ich in ihrem Nachlass ein Poesie­al­bum aus ihrer Kindheit, ein Freund­schafts­buch aus der Kriegs­zeit, einen Bericht über die letzten Kriegs­wo­chen, einige Briefe sowie alte Fotos und verschie­dens­te Dokumen­te. Nach dem Durch­le­sen war mir klar, dass ich das Gelese­ne zu einem Bericht zusam­men­fas­sen muss. Ich nahm mir einige Wochen­en­de „frei“ und machte mich über die Unter­la­gen her, vergrub mich im Inter­net, erstell­te an Hand von Dokumen­ten eine chrono­lo­gi­sche Biogra­fie und begann eine virtu­el­le Reise durch Kindheit und Jugend meiner Mutti, die 1922 in Mährisch-Aussee begann und 1945 in Aalen-Wasser­al­fin­gen endete, bevor dann in

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Karte Mährisch-Aussee (Archiv Müller)

Oberko­chen ein neues Leben begann. Und jetzt nehme ich Euch auf diese, nunmehr in Worte gefass­te, Reise mit. Die Jahres­zah­len sind korrekt, jedoch sind die Einschät­zun­gen gewollt persön­lich. Das Inter­net bietet für Inter­es­sier­te alle Möglich­kei­ten sich zusätz­lich mit einer Vielzahl von Darstel­lun­gen zu beschäftigen.

Die Neuord­nung Europas begann 1918 nach dem I. Weltkrieg gemäß dem obers­ten Prinzip, das vom US Präsi­dent Wilson ausge­ge­ben wurde: „Dem Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker“. Heere Ziele, große Worte, verpass­te Chancen – wie oft in solchen radika­len Zeiten. Also wurde ein neuer Kunst-Staat gegrün­det, den es bis dahin nicht gab, die Tsche­cho­slo­wa­kei. Die stark indus­tria­li­sier­ten Gebie­te, in den denen über 3 Millio­nen sog. Sudeten­deut­sche (diesen Begriff gibt es auch erst seit 1918) lebten, hatten keine Chance als eine öster­rei­chi­sche Provinz diesen neuen Staat zu verlas­sen. Eine Lösung à la Schweiz wurde zwar auch kurz propa­giert, aber schnell wieder fallen gelas­sen. Von Anfang an war politisch beabsich­tigt, die Sudeten­deut­schen in irgend­ei­ner Art und Weise, egal wie wir das Kind heute nennen mögen, dazu zu bringen die Tsche­chei früher oder später zu verlas­sen. Oft hörte ich zuhau­se den Begriff „Benes-Dekre­te“ und begriff auch schon als Kind, das das etwas war was das Leben meiner Vorfah­ren in Mährisch-Aussee stark verän­dert hatte. 1918 starte­te überall der große Reset – alles wieder auf „Los“ zurück und das Spiel begann von neuem. Niemand stell­te sich damals vor, dass es in Bälde einen II. Großen Krieg geben könnte. Die Spiel­re­geln änder­ten sich aber und an manchen Orten änder­ten sie sich gravie­rend. Und so mussten sich meine Vorfah­ren arran­gie­ren und so lebten und arbei­te­ten sie, bauen Häuser, gestal­te­ten ihr Leben und brach­ten Kinder auf die Welt und versuch­ten, trotz aller Repres­sa­li­en, ihre Kultur und Sprache zu erhal­ten. Es ist bis heute so geblie­ben, dass sich das Leben für Minder­hei­ten aufgrund von Grenz­ver­schie­bun­gen oder durch Gründung neuer Staaten urplötz­lich verän­dern kann und nichts ist mehr als es vorher war – auch wenn man gut nachbar­lich über Jahrzehn­te oder noch länger zusammenlebte.

Geschich­te von Mährisch Aussee – aus jüdischen Quellen

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Bild Usov Schloss (Archiv Müller)

Mährisch-Aussee ist eine kleine Stadt in der tsche­chi­schen Republik, ca. 70 km nördlich von Brünn (heute Brno) gelegen und heißt heute Usov. Erste urkund­li­che Hinwei­se auf jüdisches Leben im Dorfe Mährisch-Aussee liegen seit Mitte des 16. Jahrhun­derts vor; gegen Ende des Jahrhun­derts lebten die jüdischen Famili­en in einem kleinen, auf einem Hügel gelege­nen Viertel, das sich im Laufe der Jahrhun­der­te weiter ausdehn­te (um 1750 sollen hier etwas 45 zweistö­cki­ge Häuser gestan­den haben). In den Wirren des Dreißig­jäh­ri­gen Krieges wurde das Viertel zerstört und die jüdische Gemein­de fast völlig vernich­tet; sie erhol­te sich danach nur sehr zögerlich.

Seit ca. 1690 besaß die Gemein­de wieder eine eigene Synago­ge. Das fried­li­che Zusam­men­le­ben zwischen Chris­ten und Juden, gestützt auch durch die Schutz­herr­schaft des Fürsten von Liech­ten­stein, wurde durch einen Vorfall im Jahre 1721 negativ beein­träch­tigt; angeb­lich soll ein Jude den Kaplan des Ortes tätlich angegrif­fen haben; in der Folge­zeit verschlech­ter­te sich das Verhält­nis durch weite­re „Vorfäl­le“ und es kam zu Gewalt­ak­ten. Da die „Volks­wut“ zur Demolie­rung der Synago­ge geführt hatte, wurden nun gottes­dienst­li­che Zusam­men­künf­te in Privat­häu­sern abgehal­ten. Erst 1784 durfte die Juden­schaft eine neue Synago­ge errich­ten – und zwar am gleichen Stand­ort. Zwischen 1890 und 1919 bilde­te die hiesi­ge Juden­schaft eine autono­me politi­sche Gemein­de. Nach 1850 wander­ten jüdische Famili­en aus Mährisch-Aussee ab; Ende der 1920er Jahre lebten nur noch sehr wenige im Ort. Im Gefol­ge des Nieder­gangs der Gemein­de schlos­sen sich die verblie­be­nen Ausseer Juden der nahen Gemein­de von Mährisch-Schön­berg an. Bis 1938 fanden noch Gottes­diens­te in der Synago­ge statt; Ende des Jahres zerstör­ten einhei­mi­sche Natio­nal­so­zia­lis­ten die Innen­ein­rich­tung mitsamt des wertvol­len Gemein­de­ar­chivs. Die NS-Zeit konnte nur ein einzi­ger Bewoh­ner von Mährisch-Aussee überle­ben. Heute erinnern noch mehr als 500 Grabma­le des Fried­hofs daran, dass in Mährisch-Aussee einst eine große jüdische Gemein­de bestan­den hat; die ältes­ten Monumen­te stammen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

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Jüdischer Fried­hof Mährisch Aussee — Usov (überlas­sen von Boris Smrcek)

Geschich­te von Mährisch Aussee – aus nicht­jü­di­schen Quellen

Die erste urkund­li­che Erwäh­nung des Ortes erfolg­te 1260 im Zuge der Überlas­sung der Burg an den Olmüt­zer Kastel­lan Ägidi­us von Schwa­be­n­itz für treue Diens­te. Im Jahre 1276 fiel die Burg wieder an die Markgra­fen von Mähren zurück. Im Jahre 1408 erhielt Johann von Wlaschim die Burg als Pfand. Unter den Herren von Wlaschim erfolg­te 1487 ein Umbau der Burg. Nachdem Ladis­laus von Bosko­witz 1513 den Besitz erwor­ben hatte, ließ er die Burg zum Renais­sance­schloss umgestal­ten. Während der Herrschaft des Albrecht von Bosko­witz gehör­ten zu den 58 Bürgern der Stadt drei Juden. Die Anzahl der Juden stieg in den nachfol­gen­den Jahren konti­nu­ier­lich an. Mit dem Tode vom Johann Schem­be­ra Černo­hor­ský von Bosko­witz fiel dessen Erbe 1597 an seinen Schwie­ger­sohn Karl I. von Liech­ten­stein. Östlich des Ortes wurde bei Starzen­dorf Eisen­erz geför­dert und in Aussee arbei­te­ten Eisen­häm­mer. Während des Dreißig­jäh­ri­gen Krieges lag der Ort darnie­der und die Hammer­wer­ke erloschen. 1830 umfass­te die jüdische Gemein­de 656 Menschen, das war etwa ein Viertel der Gesamteinwohnerzahl.

Nach der Aufhe­bung der Patri­mo­ni­al­herr­schaf­ten bilde­te Mährisch Aussee ab 1850 mit den Ortstei­len Kilch, Schloß­häu­seln und Waitzen­feld eine Stadt­ge­mein­de im Bezirk Hohen­stadt. Im Schloss, das den Liech­ten­stei­nern nur für gelegent­li­che Aufent­hal­te gedient hatte, wurde 1852 die Mährisch-Schle­si­sche höhere Forst­schu­le einge­rich­tet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­derts verlor die Stadt an Bedeu­tung. Sie blieb ein Acker­bür­ger­städt­chen ohne Indus­trie. In dieser Zeit setzte auch eine Abwan­de­rung der Juden ein.

1867 erfolg­te die Verle­gung der Forst­schu­le auf die Burg Eulen­berg. Im Jahre 1880 lebten im Mährisch Aussee 2151 Menschen. 1901 eröff­ne­ten die Liech­ten­stei­ner im Schloss ein Jagd- und Waldmu­se­um. Ein Jahr später wurde die Stadt an das Eisen­bahn­netz angeschlos­sen. 1930 hatte die Stadt 1493 Einwoh­ner, davon waren 866 Deutsche und 20 Juden. Nach dem Münch­ner Abkom­men wurde die Stadt 1938 dem Deutschen Reich zugeschla­gen und gehör­te bis 1945 zum Landkreis Hohen­stadt. 1939 lebten in Mähri­sche Aussee 1420 Menschen. Während der Reichs­po­grom­nacht wurde die Synago­ge in Úsov verwüs­tet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrie­ges wurden die Liech­ten­stei­ner enteig­net, gleich­zei­tig begann auch die Vertrei­bung der Deutschen. 1950 hatte die Stadt nur noch 933 Einwoh­ner. Seit 1961 gehört Úsov zum Okres Šumperk.

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Postkar­te Mährisch Aussee — Usov (überlas­sen von Dr. Franz Heilinger)

Einwoh­ner­zah­len von Mährisch-Aussee:

1880: 2151 EW
1930: 1493 EW (866 Deutsche, 20 Juden)
1939: 1420 EW
1950: 933 EW
2015: 1240 EW

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Eltern, Hilde und Schwes­ter (Archiv Müller)

In der Zeit des Umbruchs nach dem I. Weltkrieg began­nen meine Großel­tern Johann Pawlat (geb. 1885) und Hedwig Pawlat (geb. Klug 1892) ihr Leben neu zu ordnen. Johann arbei­te­te wieder als Schuh­ma­cher­meis­ter (offizi­ell stand in seinen Papie­ren, die leider verlo­ren gingen, dass er „Schuh­in­stand­set­zungs-Ingenieur“ war. Ich habe diese Papie­re vor vielen Jahren noch gesehen und mich herrlich über diese Bezeich­nung amüsiert) in Mährisch Aussee und seine Frau Hedwig führte ihm den Haushalt und gebar die beiden Töchter, meine späte­re Tante Hedwig Pawlat am 3.Oktober 1920 und meine späte­re Mutter Hilde­gard Pawlat am 27. März 1922. Im Haus Nr. 11 im Juden­vier­tel, genau­er im Haus neben der Synago­ge (Mutti sprach immer „vom Tempel“) in Mährisch Aussee Kreis Hohenstadt.

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Kommu­ni­on Hilde Anfang 30er Jahre (Archiv Müller)

Die Kindheit war sicher schön im Kreise ihrer Familie und ihrer Freun­din­nen. Hilde besuch­te vom 1. Sep 1928 bis zum 1. Sep 1933 die allge­mei­ne Volks­schu­le und vom 1. Sep 1933 bis 27. Juni 1936 die Bürger­schu­le (die erst 1919 gegrün­det wurde) und schloss als Klassen­bes­te ab. Natür­lich wurden mein Bruder und ich unsere ganze Schul­zeit über auf diese Tatsa­che aufmerk­sam gemacht. Leider konnten wir diese Leistung in unseren Klassen nicht wieder­ho­len, da zumin­dest ich, in der Schul­zeit doch deutlich andere Inter­es­sen hatte. Mein Bruder ist mit Abitur, Studi­um und einer Anstel­lung als Fernseh­rad­ak­teur beim SWR einen recht erfolg­rei­chen Weg gegangen.

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Entlas­sungs­zeug­nis Bürger­schu­le (alle Bilder Archiv Müller)

Die Bürger­schu­le war die Hochschu­le des kleinen Mannes, die aus dem öster­rei­chi­schen Schul­sys­tem stammt. Ihre Aufga­be war es, eine „über das Lehrziel der allge­mei­nen Volks­schu­le hinaus­rei­chen­de Bildung, nament­lich mit Rücksicht auf die Bedürf­nis­se der Gewer­be­trei­ben­den und Landwir­te zu gewäh­ren.“ Der Unter­richt erfolg­te durch Fachleh­rer für drei bis vier Fächergruppen.

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Lehrbrief und Prüfungs­zeug­nis (Archiv Müller)

Von 1937 bis 1940 erlern­te sie den Beruf der „Damen­schnei­de­rin“, den sie mit der Gesel­len­prü­fung erfolg­reich (wie auch sonst) abschloss. Inzwi­schen wurde das Sudeten­land gemäß dem „Münch­ner Abkom­men von 1938“ im Jahre 1939 als Reichs­gau „Sudeten­land“ dem Deutschen Reich zugeschla­gen und alle Sudeten­deut­schen freuten sich und jubel­ten der Aktion „Heim ins Reich“ zu, die am 1. Oktober 1938 mit dem Einmarsch in das Sudeten­land begann und am 9. Novem­ber 1938 mit der Verwüs­tung der Synago­ge in Mährisch-Aussee endete.

Ich verste­he aller­dings nicht warum Mutti nie darüber gespro­chen hat. Sie war damals 16 Jahre jung, wohnte direkt daneben und muss diesen Akt der Zerstö­rung gesehen und gehört haben. Ausge­blen­det? Verges­sen? Verdrängt? Wie auch immer. Danach wurde sie mit einem neuen Perso­nal­aus­weis ausge­stat­tet und dann ging es ratzfatz, zwecks geisti­ger Neuaus­rich­tung ebenfalls mit Ausweis dokumen­tiert, in den BDM „Bund Deutscher Mädel“, um nach Adolfs Richt­li­ni­en ein stram­mes Deutsches Mädel zu werden.

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Hildes Perso­nal­aus­weis 1942 (Archiv Müller)

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Reichs­ar­beits­dienst­aus­weis (Archiv Müller)

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Karte Reichs­gaue (Austria­Wi­ki)

Am 27. März 1941 erfolg­te die Einbe­ru­fung zum Reichs­ar­beits­dienst. Diese wurde am 20.April 1941 durch die Verei­di­gung auf den Führer formell vollzo­gen. Entlas­sen wurde sie am 13. Dezem­ber 1941 mit dem Dienst­grad AMD (Arbeits­maid). Danach gab es, trotz der Kriegs­zeit, eine relativ lange Zeit, um der Beschäf­ti­gung als gelern­te Schnei­de­rin nachzu­ge­hen bis sie, mit Errei­chen der Volljäh­rig­keit, 1943 als Fernmel­de­rin zu den flotten Fliegern der Luftwaf­fe einge­zo­gen wurde. Die müssen damals auch schon einen Ruf gehabt haben, wie den Briefen zu entneh­men ist – forsch und zackig. Wie hieß es doch immer: „Herren der Luft, Männer der See, Solda­ten des Heeres“. (Schorsch und ich waren Männer der See, Harald unger­ne ein Soldat des Heeres). Nun begann der sprich­wört­li­che Ernst des Lebens. Ihr erster Einsatz führte sie nach Minsk (Weißruss­land), wo sie auch

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Quartier in Minsk (Archiv Müller)

ihre erste Kriegs­weih­nacht feiern durfte. Minsk wurde 1941 von der Wehrmacht einge­nom­men, stand aber Ende 1943 schon kurz vor dem Fall. Ab Mai 1944 begann die Flucht vor den Russen aus Minsk u.a. über Kronstadt (Rumäni­en) nach Deblin (Polen). In ihrem Büchlein findet sich am 16. Juli 1944 ein Eintrag in Deblin, aber

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Foto (Archiv Müller)

auch hier musste die Flucht sofort weiter­ge­hen, da am 25. Juli der Russe einmar­schier­te. Der nächs­te Eintrag findet sich vom 20. Juli aus Kraußen (Polen). Und wieder geht es weiter, den Russen im Nacken. In den Unter­la­gen fand sich für den 1. Septem­ber 1944 ein Fahrschein von Bekescsa­ba (Ungarn) über Mährisch-

Schön­berg nach Stutt­gart-Möhrin­gen. Vermut­lich hat sie bei dieser Gelegen­heit ihre Familie zum letzten Mal zu Hause in Mähren besucht. Von Möhrin­gen aus ist sie wohl zur Luftwaf­fe nach Fürth-Unter­für­berg gekom­men. Dieser Eintrag ist am 4. Oktober 1944 zu finden.

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Fahrkar­te Möhrin­gen (Archiv Müller)

Dort blieb sie wohl etwas länger, aber bis zum Kriegs­en­de geschah doch noch einiges. In einem Brief, den sie 1964 von einer Kamera­din erhielt steht geschrie­ben: „…auch ich weiß es noch genau, dass es der 10. Dezem­ber 1944 war, als wir auf einem Trans­port im Etsch­tal den Flieger­an­griff über uns ergehen lassen mussten. Ich hatte Todes­angst, als ich mich auf den blanken Boden warf und mit dem Mantel zudeck­te. Freilich denke ich auch gerne an schönen Stunden der Kamerad­schaft zurück. So sehr wir diesen Winter auch gefro­ren hatten, der Frühling in Verona war doch ein Erleb­nis. Gerne möchte ich wieder einmal dorthin können.“ Am Palmsonn­tag 1945 findet sich ein Eintrag ihrer Freun­din Liselot­te Röhl, der in Verona geschrie­ben wurde: „Wie glück­lich ist der Mensch, dass ihm all das Schlech­te was ihm im Leben wider­fuhr, zu verges­sen sucht. Der schönen Zeiten dagegen gedenkt er oft und gern. So wirst auch Du, kleines Hildchen, gern unsere Itali­en­zeit überden­ken. Noch ist sie nicht abgeschlos­sen, möge sie uns noch viel so schönes bringen wie den blüten­schwe­ren Frühling, der uns nach aller winter­li­chen Kälte wie ein Wunder anmutet.“ Wir erinnern uns, dass Mutti oft von der schönen Zeit in Verona gespro­chen hat und sie gerne mal dorthin gefah­ren wäre, aber sie hat es nie ernst­haft versucht oder sich nicht getraut. Genau­so wenig wie sie jemals wieder einen Fuß nach Mährisch-Aussee gesetzt hat. Es ist festzu­stel­len, dass auch in diesen harten Kriegs-Jahren der Humor, in einer ganz eigenen Form, nicht auf der Strecke blieb wie folgen­de Dokumen­te belegen.

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gefälsch­tes Geburts­tags Telex (Archiv Müller)

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24. April 1945: 20 Uhr Abfahrt aus Verona Richtung Riva
25. April 1945: Fahrt von Riva nach Bozen
26. bis 27. April 1945: Fahrt von Bozen nach Toblach. In Toblach länge­rer Aufent­halt.
Am 2. Mai Oskar kennen­ge­lernt, Granda Festa gefei­ert.
Am 3. Mai um 17:30 Uhr mit der 90. Panzer­gre­na­dier-Divisi­on über die Berge ins Ungewis­se. Mali Flieger ging mit mit dem Omnibus bis zur Grenze. Die erste Nacht fort von meiner Einheit. Die Nacht im Omnibus verbracht.
Am 4. Mai morgens ging es

früh weiter. Vom Anthol­zer See über den Staller-Sattel auf 2600 M Höhe wo in Bunkern übernach­tet wurde.
Am 5. Mai hat mich Mali verlas­sen bzw. haben wir uns in zwei Gruppen getrennt. Abends haben wir in der Senner­hüt­te gelagert. Kleines Wochen­end­fest gefei­ert. Übernach­tet. Auf Stroh neben Kamin. Herrlich! Morgens die Berge, der Schnee, die Sonne – wunder­bar, so hoch oben auf dem Berg. Auf der Alm da gibt’s ka Sünd‘.
Am 6. Mai ganz vornehm gefrüh­stückt, bei weiß gedeck­tem Tisch. Mittags ging es weiter. Gegen Abend in St Jakob (Tirol) angekom­men. Unter­wegs das letzte Mal Mali getrof­fen. In St Jakob im RAD (Reichsarbeitsdienst)-Lager übernach­tet.
Am 7. Mai bleiben wir dort.
Am 8. Mai sind wir morgens um 5 Uhr losge­gan­gen. Es ging aber nur 4 km zu Fuß, dann kamen wir mit einem Wagen bis

kurz vor Huben (Tirol). Die Mali wieder getrof­fen, dort habe ich sie dann das aller­letz­te Mal gesehen. Wir sind weiter Richtung Kals (Ostti­rol) und Mali Richtung Matrei. Von Huben aus ging es zu Fuß weiter. Wir kamen in ein kleines Nest wo wir am Backofen mit Wanzen­be­glei­tung übernach­tet haben. Hier haben wir die Nachrich­ten vom Kriegs­en­de zum 8. Mai gehört, was wir gar nicht fassen konnten.
Am 9. Mai sind wir noch da geblie­ben und haben es uns gut gehen lassen. Heinz die Hose genäht.
Am 10. Mai (Chris­ti Himmel­fahrt) ging es morgens mit dem

Wagen weiter nach Kals. Unter­wegs haben wir die ersten Englän­der getrof­fen, die uns in Kals gleich empfan­gen haben. Rucksä­cke und alles wurden unter­sucht. Abends haben wir bei Evaku­ier­ten ein kleines Fest gefei­ert.
Am 11. Mai haben uns die Englän­der mit Autos abgeholt und wieder nach Huben gebracht, wo wir auf einer Wiese gelagert haben. Von hier ging es mit 2 LKW’s nach Lienz an der Drau (Ostti­rol) ins Lager.“

Hier enden alle Aufzeich­nun­gen, es wurde danach nie mehr etwas geschrie­ben oder gespro­chen, als wenn alles Erleb­te in Lienz zurück­ge­blie­ben wäre, als sie in den Zug Richtung Aalen-Wasser­al­fin­gen stieg. Das ist mir bis heute befremd­lich geblie­ben. Aber das war wohl die Art und Weise wie eine ganze Genera­ti­on mit diesen 12 Jahren umgegan­gen ist. Überhaupt fällt auf, dass unsere Mutti erst 1943 in den Krieg gewor­fen wurde, als dieser letzt­end­lich bereits verlo­ren war. Ob ihr das klar war weiß ich nicht. Aber ich konnte bei dieser nachträg­li­chen virtu­el­len Reise feststel­len, dass sie im Grunde von Winter 1943 bis Frühling 1945, von Minsk bis Lienz ständig auf der Flucht war. Diese Flucht war letzt­end­lich mit dem Eintref­fen in Wasser­al­fin­gen am 15. Juni 1945 beendet und ein neues Leben auf der Ostalb begann. Der Aalener Bahnhof wurde am 17. April 1945 zerstört und die nächs­ten 2 Monate fuhr dort kein Zug mehr und so traf sie dann in Aalen ein, als der Bahnhof wieder funkti­ons­fä­hig war.

Hier sei ein kurzer Zeitungs­ab­schnitt aus Aalen einge­fügt, der die Zustän­de 1946 (im Zuge der statt­fin­den­den Vertrei­bun­gen) schil­dert: „Der Bahnhof Wasser­al­fin­gen war die zentra­le Ankunfts­sta­ti­on für Heimat­ver­trie­be­ne in Ostwürt­tem­berg. Er eigne­te sich dafür wegen seiner weitläu­fi­gen Flächen und der Nähe zu einem Baracken­la­ger. Außer­dem war der Bahnhof in Aalen zerstört. Ab März 1946 kam alle zehn Tage ein Zug mit jeweils 1200 Flücht­lin­gen zum Beispiel aus Schle­si­en oder aus Ungarn. Inner­halb von zehn Tagen mussten dann die meisten auf die 65 Gemein­den des Altkrei­ses Aalen verteilt werden. Allein im Jahr 1946 kamen zwischen 30 und 40.000 Vertrie­be­ne mit dem Zug in Wasser­al­fin­gen an. Unter ihnen waren zum Beispiel der späte­re Staats­se­kre­tär Gustav Wabro, der Autor Peter Härtling und der später berühmt gewor­de­ne Dirigent Ernst Mosch.“

Auf der Ostalb angekom­men wurde sie natür­lich umgehend mit einem Flücht­lings­aus­weis beglückt, vom dem ich aber nicht weiß, wie lange der notwen­dig war. Ersicht­lich ist jeden­falls, dass sie den ersten 1947 bekam und 1957 nochmals einen. Die Anerken­nung als „Echte Deutsche“ schien wohl gedau­ert zu haben.

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Flücht­lings­aus­weis 1947 (alle Dokumen­te Archiv Müller)

Ein Leben, das 1922 in einem Land ohne Zukunft begann, dessen Jugend­jah­re im Krieg verlo­ren gingen, das ein gutes Leben in Oberko­chen ermög­lich­te und das am 14. Oktober 2013, nach kurzer 6‑wöchiger Krank­heit, im Alter von 91 Jahren ein Ende fand. Und wenn wir uns heute umschau­en, stellen wir fest: Sudeten­land – das gibt es auch heute überall dort wo Volks­grup­pen unter­drückt, vertrie­ben und ermor­det werden. Leider haben sich die Glück­wün­sche aus den Kriegs­zei­ten nicht reali­sie­ren lassen, aber 91 Jahre ist auch ein schönes Alter, wie man so zu sagen pflegt. Aller­dings hat sie doch wohl mehr gelit­ten als sie zugab, dass sie die letzten 22 Jahre ohne ihren Schorsch leben musste. Aber sie hat es gelernt damit umzuge­hen und sich Aufga­ben für diese Zeit zu geben: Das Haus (Belas­tung und Aufga­be zugleich), der Garten (dessen Pflege sie mit Nachbar­schafts­hil­fe von Grund auf erler­nen musste und wollte) und ihr Bekann­ten­kreis. Ich denke, dass sie in einer Miets­woh­nung nicht so alt gewor­den wäre oder wäre sie dann doch lieber auf Reisen gegan­gen? Vielleicht – vielleicht auch nicht – wir wissen es nicht.

Ihre Familie (Eltern und Schwes­ter) wurde nach dem Krieg aufgrund des „Benes-Dekrets“ vertrie­ben und baute sich in Fulda eine neue Heimat auf. Bis heute haben es Tsche­chen und Deutsche nicht geschafft, sich darüber zu verstän­di­gen ob die Depor­ta­ti­on nun eine Aussied­lung, Umsied­lung oder eine Vertrei­bung war. Die Betrof­fe­nen haben eine Heimat verlo­ren – egal nach welcher Bezeich­nung. Muttis Cousins Rudolf Pawlat und German Pawlat, die ebenfalls aus Mährisch-Aussee stammen, kamen ebenfalls nach Oberko­chen (weil es hier Arbeit gab) und heira­te­ten ins „Schwä­bi­sche“ ein. German heira­te­te Erna Schaupp, arbei­te­te bei Zeiss und lebte mit Mutter Magda­le­na Pawlat und Tochter Sigrid in der Aalener Str. 51. Rudolf Pawlat heira­te­te Zenta Schlipf, arbei­te­te im Kaltwalz­werk und lebte mit den Kindern Rudolf, Gabi und Eva-Maria in der Aalener Straße 25. Wie sich zwischen­zeit­lich heraus­stell­te gab es auch dort einst einen Altar zu Fronleich­nam und zwar just an der Stelle an der der Rudolph sen. immer auf dem Bänkle vor dem Haus saß und dem Treiben auf der Aalener Straße zusah.

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Die Oberko­che­ner Pawlats (Archiv Müller)

Später haben sich die Sudeten­deut­schen jährlich immer zu Treffen in Würzburg, München oder Nürnberg zusam­men­ge­fun­den. Die Politi­ker konnten sich dort profi­lie­ren und die Vertrie­be­nen konnten ihre Zusam­men­ge­hö­rig­keit in einer Art „großes Klassen­tref­fen“ pflegen. Im Jahr 1947 wurde das „1000jäh­ri­ge-Kapitel“ dann offizi­ell mit dem Nachweis der „Entna­zi­fi­zie­rung“ erledigt.

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Entna­zi­fi­zie­rung (Archiv Müller)

Unsere jungen Leute sollten beden­ken, dass meine Genera­ti­on, die nach dem Krieg geboren wurde, die erste ist, die in Europa nicht in einen der vielen kleine­ren und größe­re Kriege ziehen mussten. Dafür sei Dank allen, die daran mitge­ar­bei­tet haben, dass das so war und hoffent­lich auch so bleiben kann, denn Frieden und Wohlstand ist keine Selbst­ver­ständ­lich­keit und kein Selbst­läu­fer – dafür muss die Gesell­schaft auch willens sein einzu­ste­hen. Mir bleibt jetzt nur noch eines zu tun: Einige Etappen im Leben meiner Mutti touris­tisch nachzuarbeiten:

Zum einen ein Besuch in ihrem Heimat­ort Mährisch-Aussee, das sich heute Usov nennt. Ich fand im Inter­net einen Stadt­plan und habe dazu Aufzeich­nun­gen wer von der Familie und den Freun­den­In­nen wo gewohnt hat. Zum anderen würde ich auch gerne die Strecke von Verona nach Lienz absol­vie­ren. Mal schau­en ob ich es umset­zen kann und wer mich beglei­ten wird.

Oberkochen

Das Sudeten­land

Dieses Kapitel lädt ein zu einer Reise in ein Land, das es so, wie es sich in diesen Bildern zeigt, heute nicht mehr gibt. Denn die Menschen, die es einst bewohn­ten, mit ihrem Leben erfüll­ten, die es zu einer blühen­den Indus­trie- und Kultur­land­schaft gemacht haben, leben nicht mehr in seinen Städten und Dörfern; sie wurden von Haus und Hof vertrie­ben und in alle Welt zerstreut. So ist dieses Buch eine Reise in die Vergan­gen­heit, in ein Land der Erinne­rung, das zugleich ein Land bestän­di­ger Sehnsucht ist. Sudeten­land – kaum ein Atlas vermag uns heute über dieses Land, über seine Lage und Ausdeh­nung und seine Sprach­gren­zen genau­en Aufschluss zu geben. Aus Straßen­kar­ten und Reise­füh­rern verschwin­den die deutschen Namen seiner Städte, verschwin­den die deutschen Landschafts­be­zeich­nun­gen, die Namen von Bergen und Flüssen, von Burgen und Schlös­sern – um den heuti­gen Verhält­nis­sen im Lande Rechnung zu tragen, um dem Reisen­den die Orien­tie­rung zu erleich­tern, heißt es. Stolze, klang­vol­le Namen sind es, die in ihrer deutschen Schreib­wei­se in Geschich­te, Kultur­ge­schich­te und in die Weltli­te­ra­tur einge­gan­gen sind. Wo wird man einst das Heinzen­dorf, den Geburts­ort Gregor Mendels zu suchen haben? Wo das Oberplan Adalbert Stifters, wo die Goethe­stät­ten Karls­bad, Teplitz und Elbogen, wo das Marien­bad seiner »Marien­ba­der Elegie«? Und wo das Iglau, das dem ganzen südost­eu­ro­päi­schen Raum sein Bergrecht gegeben hat? Und wo die Städte einst blühen­der Indus­trien, deren deutsche Namen in der Welt für Güte und Quali­tät bürgten? Denken wir nur an Warns­dorf mit seinen Strumpf­wir­ke­rei­en, an die Gablon­zer Schmuck­wa­ren­in­dus­trie, an das »Böhmi­sche Glas« aus dem nordböh­mi­schen Glasland um Haida und Stein­schön­au, an Reichen­ber­ger Tuche, an die Graslit­zer Blasin­stru­men­te, an die Schön­ba­cher Geigen. Wird man hinter einem Cheb das Eger Kaiser Barba­ros­sas vermu­ten, das Eger, in dem sich auf tragi­sche Weise das Schick­sal des großen Fried­län­ders erfüll­te, jenes Eger, das Deutsch­land in Baltha­sar Neumann seinen größten Barock­bau­meis­ter schenk­te? Oder wer vermu­tet etwa hinter einem Láznĕ Jesenik das Gräfen­berg des großen »Wasser­dok­tors« Vinzenz Prieß­nitz? Oder sind es nicht gerade diese klang­vol­len Namen, die eine Gewähr dafür geben, dass die Geschich­te dieses Land als ein deutsches Land in der Erinne­rung bewahrt? Die Geschich­te wird auch hier das letzte Wort sprechen. Doch bevor wir unsere Wande­rung aufneh­men, kurz einiges zur Einführung:

Als Sudeten­land bezeich­net man das geschlos­se­ne Siedlungs­ge­biet der Deutschen in Böhmen, Mähren und dem ehema­li­gen Öster­rei­chisch-Schle­si­en. Es erstreckt sich in unter­schied­li­cher Breite entlang der Landes­gren­zen gegen (Preußisch-)Schlesien, Sachsen, Bayern und Öster­reich und umfass­te 3338 Gemein­den. Außer­dem gab es noch 59 deutsche Sprach­in­sel­ge­mein­den und weite­re deutsche Minder­hei­ten im tsche­chi­schen Sprach­ge­biet. Dieses Siedlungs­ge­biet entspricht etwa einem Drittel der Gesamt­flä­che von Böhmen und Mähren-Schle­si­en. Entspre­chend groß war der deutsche Anteil an der Gesamt­be­völ­ke­rung. Die Zahl der Sudeten­deut­schen betrug rund 3,5 Millionen.

Oberkochen

(„Der folgen­de Text stammt aus dem Buch „Sudeten­land – Heimat in 144 Bildern“ von Erhard J. Knobloch, erschie­nen im Stürtz Verlag“)

Die Deutschen waren einst als Bauern, Bergleu­te und Handwer­ker, gerufen von den Fürsten, in diese Länder gekom­men und waren hier seit mehr als 700 Jahren ansäs­sig. Sie gründe­ten Städte und brach­ten das deutsche Recht mit, das den Ländern der böhmi­schen Krone die Ordnung gab. Sie rodeten in den unzugäng­li­chen Grenz­wäl­dern und erschlos­sen blühen­des Bauernland.

Das Sudeten­land wurde nach dem Ersten Weltkrieg gegen den Willen seiner deutschen Bevöl­ke­rung dem aus der zerschla­ge­nen Donau­mon­ar­chie neu geschaf­fe­nen Vielvöl­ker­staat der Tsche­cho­slo­wa­kei zugeschla­gen. Das von dem ameri­ka­ni­schen Präsi­den­ten Wilson 1918 verkün­de­te Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker wurde den Sudeten­deut­schen versagt. In der Folge­zeit wurde ihre Existenz durch eine syste­ma­ti­sche tsche­chi­sche Natio­nal­staats­po­li­tik hart bedrängt. Durch das Münche­ner Abkom­men von 1938 wurden die sudeten­deut­schen Gebie­te in das Deutsche Reich einge­glie­dert. England und Frank­reich hätten an dieser Lösung bestimmt nicht mitge­wirkt, hätte sie nicht dem Selbst­be­stim­mungs­recht entspro­chen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrie­ges wurden rund 3 Millio­nen Sudeten­deut­sche von der damali­gen tsche­cho­slo­wa­ki­schen Regie­rung unter unmensch­li­chen Bedin­gun­gen aus ihrer angestamm­ten Heimat vertrie­ben. Rund 240.000 kamen dabei ums Leben. Der größte Teil der vertrie­be­nen Sudeten­deut­schen (rd. 2 Mill.) wurde in Süd- und Westdeutsch­land aufge­nom­men. Weite­re 800.000 kamen in die Sowjet­zo­ne, andere nach Öster­reich und in viele andere Länder in Europa und Übersee. Nur ein kleiner Teil, schät­zungs­wei­se 150.000 bis 180.000, lebt noch – anfangs unter missli­chen Verhält­nis­sen – in der alten Heimat.

Ich hoffe, dass Ihnen der erste von zwei Artikeln über die Jugend meiner Eltern gefal­len hat und Sie einen kleinen Blick in eine längst verges­se­ne Welt werfen konnten. Für mich war es wichtig einen Blick in diese Welt werfen zu können, um vieles heute besser verste­hen zu können.

Und nicht verges­sen. Wenn Sie etwas zu erzäh­len haben, melden Sie sich. Herzlichst Ihr Wilfried Billie Wichai Müller vom Sonnenberg

Hinweis zu verwen­de­ten Nazi-Symbo­len, die Bestand­teil der Origi­nal­do­ku­men­te sind
„Verbo­ten ist sowohl das Verbrei­ten der genann­ten Kennzei­chen als auch das öffent­li­che Verwen­den sowie das Verwen­den in einer Versamm­lung (§ 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Ebenso sind entspre­chen­de Vorbe­rei­tungs­hand­lun­gen, nament­lich das Herstel­len, das Vorrä­tig­hal­ten sowie das Ein- und Ausfüh­ren straf­bar (§ 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB). Ausge­nom­men hiervon sind Handlun­gen der staats­bür­ger­li­chen Aufklä­rung, der Abwehr verfas­sungs­wid­ri­ger Bestre­bun­gen, der Kunst oder der Wissen­schaft, der Forschung oder der Lehre, der Bericht­erstat­tung über Vorgän­ge des Zeitge­sche­hens oder der Geschich­te oder ähnli­cher Zwecke (§ 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB).“

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