Oberkochen

Foto: Stefan Nimmersgern

In meine erste Eltern­sprech­stun­de am damali­gen Oberko­che­ner Progym­na­si­um im Jahr 1962 („Bergheim“) kamen viele inter­es­sier­te Eltern. Ein Vater forder­te mich auf, seinen Sohn kräftig durch­zu­hau­en, wenn er nicht spure, sodass ich ihn aufklä­ren musste, dass Schla­gen nicht mehr „modern“ sei. – Eine Mutter redete eine Viertel­stun­de lang pausen­los auf mich ein und bedank­te sich anschlie­ßend für das inter­es­san­te Gespräch. Eine andere Mutter aber ist mir beson­ders in Erinne­rung geblie­ben. Sie meinte, als ich das gelegent­li­che Zuspät­kom­men der Tochter rügte, dass diese eben sooo schwer aus den Federn komme, und dann oft recht knapp mit dem Auto in die Schule angelie­fert werden müsse… , worauf ich sagte, dass ich diese Hilfe aus meiner Sicht aus erzie­he­ri­schen Gründen nicht für gut hielte – sie solle die Tochter ruhig zu spät kommen lassen – ich würde das schon richten. – Diese Mutter sagte dann: „Oh, Herr Bantel, – jetzt warten Sie mal, bis Sie selbst Kinder haben…“ – Und tatsäch­lich fuhr dann auch meine Frau, wenn es mal knapp wurde, die Kinder in die Schule.

Diese weitsich­ti­ge Mutter war Frau Marie­an­ne Mannes, die Gattin des Oberko­che­ner Zimmer­manns, Archi­tek­ten, weit über das Land hinaus bekannt gewor­de­nen Treppen­bau­ers, Lehrmeis­ters, Bücher­schrei­bers, Künst­lers, Querden­kers und Kommu­nal­po­li­ti­kers Willi­bald Mannes, der damals 37 Jahre alt war. In wenigen Tagen wird er 90 Jahre alt.

Noch im gleichen Jahr 1962 stell­te Frau Mannes einen Kontakt zwischen mir und dem Vater meiner Schüle­rin her, weil sie eine gleiche Wellen­län­ge in einer Grund­ver­an­la­gung zwischen ihm und mir festge­stellt hatte. Dieser erste Kontakt bewirk­te, dass ich in der Zimme­rei­werk­statt von Willi­bald Mannes unter dessen fachli­chen Fitti­chen für unsere kleine Wohnung 4 Schrän­ke und Regale bauen durfte. Schnell entwi­ckel­te sich eine lebens­lan­ge Freund­schaft zwischen Herrn Mannes und mir, dem 10 Jahre jünge­ren „neuen Schul­meis­ter am PGO“, heute EAG, die aus Anlass des 90. Geburts­tags von Willi­bald Mannes der Hinter­grund für diese Zeilen ist. Zu unserer Hochzeit im Jahre 1963 schenk­te er uns ein wunder­vol­les von ihm gemal­tes Aquarell mit rotem Mohn.

Willi­bald Mannes war es, der mich schon im Jahr 1965 dazu brach­te, bei den „Freien“, der sogenann­ten „Bürger­ge­mein­schaft Oberko­chen“, für den Gemein­de­rat zu kandi­die­ren, was ich zwar knapp verpass­te, aber 1968 dann mit großer Stimmen­zahl über 25 Jahre hinweg schaff­te. Bald zeigte er mir seine pfiffi­gen Aquarel­le und Zeich­nun­gen und seine ausge­fal­le­nen und genia­len Entwür­fe für Holztrep­pen. Er ist ein genia­ler Zeich­ner, der in wenigen Minuten eine Wendel­trep­pe zu Papier brach­te genau­so wie einen lusti­gen Wanders­mann, der nach dem Escher-Prinzip auf einer endlo­sen Treppe im Viereck herum vermeint­lich in die Höhe wandert. – Wir fuhren der Kunst wegen nach Straß­burg und trafen uns, die wunder­schö­ne Schwä­bi­sche Ostalb im Sinn, zum Wandern auf dem Volkmars­berg und hinter­her in „seiner“ ersten, später, nachdem diese 1974 einem Brand zum Opfer fiel, „seiner“ zweiten SAV-Berg-Hütte, wo es immer unglaub­lich spät oder früh wurde. Und winters fegten wir dann nach Mitter­nacht mit Schlit­ten grenzen­los fröhlich und ziemlich schop­pen­be­la­den vom „Berg“ zutale.

Kurz: Willi­bald Mannes gehör­te zu den wenigen Oberko­che­nern, die mich von allem Anfang an – wenngleich nur gebür­ti­ger Stutt­gar­ter Gastar­bei­ter – als „Oberko­che­ner“ akzep­tier­ten. – 1967/68 entwarf und baute Willi­bald Mannes unser Haus im Wolfert­s­tal so genial und liebe­voll um unseren überschau­ba­ren Möbel­be­sitz herum, dass wir nur einen einzi­gen Schrank hinzu benötig­ten, – und aller­dings einen offenen Kamin, von dem meine Frau und ich seit meiner Fahrrad­tour nach Irland im Jahr 1959 träum­ten. An diesem Kamin mauer­te er als sein Entwer­fer selbst mit. Es gab ein absolut irres Richt­fest völlig ohne Mineral­was­ser. Würden wir heute nochmal bauen, – es gäbe nichts, was wir uns anders wünschten.

1971 war Willi­bald Mannes einer der ersten, der die Arbei­ten meiner Schüler am „Oberko­che­ner Römer­kel­ler“ mit einem Kasten Bier würzte. Sein Beispiel animier­te die Oberko­che­ner Bürger, uns einen Monat lang mit Säften, Bier, Vesper und auch Bargeld­spen­den zu versor­gen, dass die Stunden nach der tägli­chen Grabung oft mehr wurden als die der eigent­li­chen Grabungs­stun­den – denn Willi­bald hatte als Stadt­rat über die Stadt bewirkt, dass das Rathaus für uns einen heime­li­gen und festes­freu­di­gen Schäfer­kar­ren aufstellte…

Im Gemein­de­rat, dem er über 30 Jahre angehör­te, war unsere größte gemein­sa­me Leistung, dass wir in zäher Überzeu­gungs­ar­beit das gesam­te Gremi­um zu der Meinung brach­ten, dass Oberko­chen unter keinen Umstän­den einen Aalener Autobahn-Südzu­brin­ger über Oberko­che­ner Gemar­kung dulden möchte. – Unver­gess­lich sind die unglaub­li­chen mehrtä­gi­gen gemein­sa­men Bildungs-Ausfahr­ten mit dem Gemein­de­rat unter Bürger­meis­ter Gustav Bosch.

Ich kenne Willi­bald Mannes nur als durch und durch kreati­ven und aktiven Menschen, der sein außer­ge­wöhn­li­ches Engage­ment, wenn’s ums Geschäft ging, durch­aus auch von den Menschen forder­te, die mit ihm zu tun hatten. Fahrrad, Tennis, Wandern, Ideen festhal­ten, Entwer­fen, Gestal­ten, Schrei­ben, – ein Freund auch sensi­bler Lyrik. Unbän­dig roman­tisch kann Willi­bald Mannes bis heute sein. Ich bin davon überzeugt, dass er noch immer eines seiner Lieblings­lie­der „Drei Zigeu­ner sah ich einmal …“ so singt, dass das Wasser nicht weit ist.

Willi­bald Mannes schrieb nicht nur zahlrei­che Treppen­bau-Fachbü­cher, sondern gab auch ungezählt viele Treppen­bau-Lehrkur­se. In seinem ersten Treppen­buch sitzt „unsere mittle­re Tochter“ auf unserer Mannes-Wendel­trep­pe. Es gibt indes auch ein Foto, auf dem ein gesam­ter Mannes-Treppen-Kurs auf unserer leich­ten Mannes-Wendel­trep­pe steht – was diese locker aushielt. Kein Wunder, denn er hatte den gesam­ten europäi­schen Treppen­bau studiert.

Dem Heimat­ver­ein galt und gilt sein beson­de­res Inter­es­se. So kommt es, dass wir das schöns­te seiner Treppen­mo­del­le, eine ziemlich große Wendel­trep­pe, als Dauer­leih­ga­be fürs Heimat­mu­se­um erhiel­ten. In all seinem Wirken stand ihm seine schon vor 8 Jahren verstor­be­ne Frau Marie­an­ne liebe- und verständ­nis­voll zur Seite.

Willi­bald Mannes, der auch liebe­voll „Treppen­papst“ genannt wird, ist wie kein Zweiter eine Verkör­pe­rung der Entwick­lung des alten hin zum neuen Oberko­chen. Er verwen­de­te in der von ihm geschaf­fe­nen und in seinem Kopf gewach­se­nen Werkstatt bei der Erschaf­fung seiner Werke und Kunst­wer­ke die Werkzeu­ge der alten und der neuen Oberko­che­ner Holzbe­ar­bei­tungs-Werkzeug­in­dus­trie. Er zeigt damit an seinem Heimat­ort, wie durch sein Wirken und seine Arbeit mit diesen Oberko­che­ner Werkzeu­gen und ihrer unmit­tel­ba­ren Anwen­dung bei der Holzbe­ar­bei­tung in einem moder­nen Alt-Oberko­che­ner Betrieb der Aufstieg Oberko­chens vom Dorf zur Stadt einge­lei­tet und reali­siert wurde. Einige dieser Werkzeu­ge wurden von ihm neu erdacht und entwickelt.

Am 11. Juni feiert Willi­bald Mannes seinen 90. Geburts­tag. Der Heimat­ver­ein wünscht ihm und den Seinen zu diesem hohen Tag alles Gute und noch viel Freude und Kraft für die kommen­de Zeit. Wir danken ihm für alles, was er in den vielen Jahrzehn­ten seines Lebens für seine Heimat getan hat.

Im Auftrag des Heimat­ver­eins, Dietrich Bantel

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