Mein Arbeits­kol­le­ge heißt Josef Balle und ist im „Techni­schen“ zuhau­se. Sein Vater ist auch ein Josef und ist im „Landwirt­schaft­li­chen“ zuhau­se. Was lag also näher als den einen Josef zu fragen ob mir der andere Josef etwas über das Leben und Herkunft der Balles erzäh­len würde. Die Antwort fiel positiv aus und ich freute mich auf den Besuch um Daten über einen Artikel zu sammeln. Da kannte ich die „Balles“ aber schlecht. Ich bekam Daten auf den Tisch gelegt, die bis ins 14te Jahrhun­dert zurück­ge­hen und war positiv erschüt­tert und elektri­siert bis in die Haarspit­zen. Das ist Stoff für mindes­tens drei Artikel und ich kniete mich hinein. Hier nun ist der erste Artikel, der keinen besse­ren Titel haben kann.

Die Altvor­de­ren des „hente­ra Balle“ gehen urkund­lich zurück bis 1365 und stammen vom Birkhof in Unter­ko­chen ab. Dieser Birkhof war früher ein fürstpröb­lichs­tes Lehens­gut. Später war der Hof Erbgut der Heili­gen­pfle­ge Unterkochen.

Oberkochen

(Archiv Rathaus)

Wir befin­den uns im 17ten Jahrhun­dert, eine grausi­ge schlim­me Zeit, die wir uns heute nicht einmal mehr ansatz­wei­se vorstel­len können. Der 30jährige Krieg (die Zahlen lernten wir in der Schule) von 1618 bis 1648 prägte diese Zeit. Das Härts­feld (wie die gesam­te schwä­bi­sche Alb) war ausge­brannt, verwahr­lost, entvöl­kert und die übrig Geblie­be­nen mussten schau­en wie sie überle­ben konnten. Das Tal Richtung Oberko­chen und Heiden­heim war von dieser Entvöl­ke­rung nicht sehr betrof­fen, weil das Tal strate­gisch nicht wichtig war. Der lange Krieg forder­te 3 bis 4 Mio. Tote, ganze Regio­nen waren entvöl­kert und es brauch­te tw 200 Jahre um die alte Bevöl­ke­rungs­dich­te wieder zu erreichen.

Auf dem Härts­feld war es ein elendes Leben von der Geburt bis zum Tod. Da klingt der Spruch: „Viel Steine gab’s und wenig Brot“ noch recht harmlos. Die Schrif­ten im Kloster Neres­heim berich­ten: „Der zurück­ge­kehr­te Abt habe das ganze Härts­feld als Einöde vorge­fun­den. Niemand in den Dörfern, nichts auf den Äckern, sodass er selbst vom Aase krepier­ten Viehs habe essen müssen und derglei­chen mehr.“

Am 6. Septem­ber 1634 fand in Nördlin­gen die große Schlacht statt und Aalen brann­te in der Nacht vom 5. auf den 6. Septem­ber 1634 nieder und wurde von den Schwe­den heimge­sucht. In den dorti­gen Schrif­ten heißt es: „Schänd­lich gehaust, indem sie Weiber schän­de­ten, die Bürger aus ihrer eigenen Stadt verjag­ten, etliche nieder­mach­ten, andere mit Hunden in den Wäldern verfolg­te und einige wohl auch in die Sklave­rei entführten.“

Auch der Birkhof wurde im Krieg nieder­ge­brannt, später wieder aufge­baut und kam dann in den Besitz des Pfarrers Wolfgang Graser in Unter­ko­chen. 1665, die Wunden des Krieges began­nen langsam zu heilen, kauften Caspar (geb. 1615) und Ursula Balle den Birkhof. Er wollte den Kauf wieder rückgän­gig machen, aber auf Weisung des Fürst­probs­tes musste er ihn behal­ten. Caspar starb 1675 und die Witwe Ursula übertrug den Hof 1687 an ihre Söhne Kaspar und Baltes.

Der Hof umfass­te nunmehr 250 bis 300 schwä­bi­sche Morgen (wir können dabei von einem Durch­schnitts­wert von etwas mehr als 3152 qm ausge­hen). Erläu­te­rung zum Flächen­maß „Morgen“: „Altes, bäuer­li­ches Feldmaß (auch Joch, Juchart oder Tagewerk) entspre­chend der Größe einer Acker­flä­che, die man an einem Vormit­tag (Morgen) pflügen oder die von einem Mann abgemäht werden konnte. In einigen Gegen­den wurde aber damit auch die Fläche bezeich­net, die ein Mann mit einem Gespann vom Morgen bis zum Abend bearbei­ten konnte. Die Größe war regio­nal sehr unter­schied­lich und schwank­te zwischen 0,25 bis zu einem Hektar (zumeist jedoch zwischen 25 bis 35 Ar). Das histo­ri­sche Flächen­maß Hufe wurde in Morgen unter­teilt. Heute entspre­chen vier Morgen einem Hektar. Von der Bedeu­tung und der Größe her ist das alte Flächen­maß Joch recht ähnlich.“

Nur ab und zu verzwei­fel­te ich fast beim Durch­ar­bei­ten der Unter­la­gen, weil die alten Balles so kreativ bei der Verga­be der Vorna­men ihrer Kinder waren: Folgen­de Namen wurden lange Zeit schon fast infla­tio­när verge­ben, beson­ders die Hl 3 Könige sowie Josef und Maria waren sehr beliebt und irgend­wann habe ich dann aufge­hört zu zählen: Kaspar, Baltha­sar, Melchi­or, Josef (8x), Anton (7 x), Johann, Jakob, Paul, Alois, Franz (8x) Maria (12x), There­sia u.a.m. Die ganze Sippe mit Herkunft in „Käscht­le“ auf Papier zu bringen ist eine Jahrhun­dert­auf­ga­be, die ich als Danke­schön für die gute Zusam­men­ar­beit trotz­dem inner­halb der nächs­ten Monate versu­chen werde.

Balthes war schon verhei­ra­tet und bekam Haus und Stadel, Kaspar baute und wurde von Balthes mit 100 Taler ausbe­zahlt. 1688 „erfolg­te Consenz“ und der Birkhof wurde in den oberen und unteren Hof getrennt.

Oberkochen

Der Birkhof (Archiv Müller)

Heute finden wir dort 3 Höfe – alle tragen den Namen Balle. Dieser Caspar hatte einen Sohn namens Melchi­or, der nach Simmis­wei­ler heira­te­te. Dessen Sohn, Adam Johann Balle, heira­te­te 1707 There­sia Veil von Oberko­chen. Auf welchem Anwesen die ersten Balles in Oberko­chen wohnhaft waren ist nicht ganz klar, vermut­lich im Gebäu­de Katzen­bach­str 5 oder Feigen­gas­se 4.

In diesem Zusam­men­hang will ich mal kurz die bis heute bekann­tes­ten Linien aufzei­gen, sonst blickt auch der geschätz­te Leser vor lauter „Balle“ nicht mehr durch und hat nachher womög­lich einen „BALLEn“. Heute finden wir in Oberko­chen „den hente­re Balle“ (Josef), den „Tankstel­len-Balle“ (Karl), den CDU-Balle (Bruno) und den „Bürger­meis­ter-vom-Katzen­bach-Balle“ (Anton) und die jewei­li­gen Nachkom­men dazu, die alle auf diese Birkhof-Linie zurück­ge­hen. Keine Sorge, ich werde Euch jetzt nicht mit Geschichts­da­ten aus den vergan­ge­nen Jahrhun­der­ten zuBAL­LErn, sondern einfach aus dem Leben von Josef Balle und seiner Frau Ingeborg geb. Anhorn und ihren Kindern erzählen.

Josef’s Mutter Anna gab ihrem Sohn 5 Golde­ne Regeln mit auf seinen Lebens­weg um sich eine richti­ge Frau zu suchen. Regel 1: S G’sangbuach muass stemma. Das bedeu­te­te, dass eine „Evange­li­sche“ überhaupt nicht in Frage kam. Katho­lisch heirigt (heira­tet) katho­lisch. Und damit basta. Regel 2: Sie muass schaf­fa könna, nach dem Motto – sich regen bringt Segen. Diese Tugend war aber früher in den schwä­bi­schen Genen sowie­so angelegt und daher leicht zu finden. Daher kommt auch das hohe schwä­bi­sche Lob „Sie sähet aber a’gschafft aus“. Regel 3: Dia Alte oahne­gan­ga lasse. Das ist schon schwe­rer zu verste­hen. Es bedeu­te­te, mit den Ahnen gut auszu­kom­men und sie nicht ihrer Rechte auf Haus und Hof zu berau­ben (siehe dazu auch die späte­ren Erklä­run­gen zum Thema „Gedin­ge“). Regel 4: Geld wär au net schlecht (braucht nicht weiter erklärt zu werden) und Regel 5: Demüa­dig sott se scho au sei. Demütig, diese Grund­hal­tung, gegen wen auch immer, Gott, Schwie­ger­va­ter, Pfarrer, Schwie­ger­mut­ter und in welcher Reihen­fol­ge auch immer – ein ganz wichti­ge Sache für Anna Balle. Und so machte sich der Josef auf um eine Frau zu finden, die diesen Anfor­de­run­gen genügen würde. Heute würde der Josef womög­lich überhaupt keine mehr finden, die allen 5 Regeln entspre­chen würde. Vielleicht sollten wir diese Regeln mal ans Fernse­hen schicken, wo der Bauer eine Frau sucht. Gället Se Josef – mit der Ingeborg händ Sie scho au saumä­ßig Glück g‘hett Aber vor dem Glück kam der Krieg und der fand auch in Oberko­chen statt.

Auf dem Hof arbei­te­te ein franzö­si­scher Kriegs­ge­fan­ge­ner mit Namen Charles Cario­ni. „Haupt­be­ruf­lich“ war er wohl Zwangs­ar­bei­ter bei Fritz Leitz, aber in der Freizeit arbei­te­te er freiwil­lig auf dem Balle-Hof, denn da gab es immer etwas zu essen und man musste als Zwangs­ar­bei­ter schau­en, dass man irgend­wie durch­kam. Nach Ende des Krieges hielt eines Tages ein franzö­si­sches Auto vor der Tür und Charles mit Familie stieg aus. Er war wohl auf einer Kriegs­er­in­ne­rungs­tour. Der Kontakt bestand dann bis in die 70er Jahre und man besuch­te sich gegen­sei­tig in Deutsch­land und Frank­reich. Natür­lich mussten die Bauern in Oberko­chen auch Zwangs­ab­ga­ben leisten, denn im III. Reich gab es immer jeman­dem dem es schlecht ging – beson­ders in den 40er Jahren. So kamen also Abgesand­te der Gemein­de und besich­tig­ten den Frucht­bo­den und legten darauf­hin fest „wer was und wieviel“ abzulie­fern hatte.

Oberkochen

Das kleine Dorf Oberko­chen (Archiv Müller)

Im Hause Anhorn in der Volkmars­berg­stra­ße wurde in dieser Zeit heimlich eine Geiß und eine Sau gehal­ten. Es bestand die elter­li­che Maßga­be die Sau immer gut zu füttern, damit man sie nicht hört (denn wer gut im Futter steht reißt das Maul nicht auf – alte politi­sche Regel). Aber vor Denun­zi­an­ten­tum ist nicht mal eine Sau gefeit und so wurde die Sau verpfif­fen, vom Vater­land gesucht und entdeckt und von der Staats­ge­walt abgeholt. Die Sau schrie und Frau Anhorn weinte.

Josef Balle erinnert sich noch beson­ders an die letzten Kriegs­ta­ge. Hier verwei­se ich beson­ders an den sehr inter­es­san­ten „Bericht 240: Das Kriegs­en­de in Oberko­chen.“ Am Diens­tag, den 24. April 1945 morgens um 8 Uhr setzte unver­mit­telt Grana­ten­be­schuss nach Oberko­chen ein. Die Ameri­ka­ner heizten Oberko­chen nochmals kräftig ein, bevor sie nachmit­tags in Oberko­chen mit Panzern und Fußtrup­pen links und rechts der Haupt­stra­ße, wie wir das aus vielen Filmen kennen, einmar­schier­ten. Die meisten Treffer gab es im Bereich der Wohnhäu­ser zwischen Katzen­bach­stra­ße und Dreißen­tal­stra­ße. Kaum ein Dachstuhl blieb unver­schont, glück­li­cher­wei­se brach kein Feuer aus. Von da an ging es überall wieder aufwärts. Die Braunen zogen ihre Uniform aus, fielen in Amnesie und taten so als wären die 12 Jahre nie gewesen. Die anderen waren froh dass der Spuk vorbei war und alle krempel­ten die Ärmel hoch.

Die Auser­wähl­te war dann Ingeborg Anhorn aus der Volkmars­berg­stra­ße 5 dem Jahrgang 1937 zugehö­rig. Ihre Schul­zeit dauer­te von 1943/1944 bis 1951. Nach der Schule ging es direkt für die Realge­nos­sen­schaft in den Wald und das für sagen­haf­te 80 Pf auf’d Stund‘. Da zeigte sich aber schon ein Charak­ter­zug von Ingeborg. Sie erkann­te, dass eine andere Frau das gleiche schaff­te wie sie und die bekam 1 DM auf’d Stund‘. Das änder­te sie rasch nach dem Motto „Gleiche Arbeit — Gleicher Lohn“.

Später stand sie in der Drucke­rei Würzer in der Aalener Straße 9 (Inh. Franz Wagner). Danach ging sie als Akkord-Näherin zur Triumpf. Als sie dann den Josef kennen­lern­te und die Sache langsam ernst wurde, musste sie das „schwä­bi­sche Hof-Prakti­kum“ bei den Balles durch­lau­fen um zu sehen „was dui für a Gloiach hoatt“. Sprich, wie die sich so anstellt und „ob m’r se braucha koa“. Das hieß, dass nach der Arbeit weite­re Arbeit auf sie warte­te und sie sich „gloicha hat müassa“. Nach der Arbeit musste sie zurück in die Volkmars­berg­stras­se, denn es herrsch­te kirch­li­che und gesetz­li­che Ordnung – in d’r Gmoind und unter Balle’s Dach. Ingeborg hat das naiv locker genom­men, denn, schaf­fen hat man überall müssen und so hat sie es eben genom­men wie es gekom­men ist. So war’s halt na au wieder. So kam das Jahr 1959, das Prakti­kum war beendet und der Josef wollte seine Ingeborg in die Feigen­gas­se übersiedeln.

Oberkochen

Auch die Eheleu­te Balle waren unter den Hochzeits­paa­ren 1959 (überlas­sen von Fam. Balle)

Dazu bedurf­te es einer öffent­li­chen Hochzeit, die mit allem Drum und Dran in der Bahnhofs­re­stau­ra­ti­on (d’r Schell) gefei­ert wurde. Das Hochzeits­es­sen koste­te 4,50 DM, das weiß die Braut noch genau und bestand aus Supp‘, Salat, Broata, Spätz­le und viel Soß und hinter­her ein Nachtisch. Das hört sich für uns heute billig an aber „zahlt wärra hat’s halt au müassa“. Das Thema „Öffent­li­che Hochzeit“ wird 2015 in einem beson­de­ren Artikel behan­delt und wer dazu noch etwas weiß, soll es mir bitte sagen. Nun war das ja nicht so, dass der Josef und seine Frau Ingeborg jetzt Chef auf dem Hof gewesen wären, es galt mit den Alten auszu­kom­men und die hießen Alois und Anna.

Oberkochen

Die stolzen Besit­zer eines neuen Traktors (überlas­sen von Fam. Balle)

Diese Situa­ti­on wurde damals auch gesetz­lich geregelt und notari­ell beglau­bigt und nannte sich „Alten­teil“ oder „Gedin­ge“. Hier wurde peinlichst genau jedes Detail geregelt. Damit Ihr eine Vorstel­lung davon habt, zeige ich nachfol­gend Auszü­ge aus dem seiner Zeit abgeschlos­sen Vertrag:

„Das Wohnungs­recht in Gebäu­de 6 Feigen­gas­se, bestehend aus einem Stüble im Erdge­schoss, Schlaf­zim­mer, Küche und Zimmer des Sohnes Bruno im 1. Stock sowie gemein­sa­me Benüt­zung des im Hause vorhan­de­nen Aborts. Die Kosten für Licht und Wasser bezah­len die Übernehmer.

Freie Teilnah­me an den Mahlzei­ten am Tisch der Überneh­mer. Wird die Tisch­ge­mein­schaft aufge­ho­ben, wozu die Überge­ber jeder­zeit berech­tigt sind, dann sind diesen, je hälftig auf „Marti­ni (am 11.11.) und Licht­mess (am 02.02.)“ folgen­de Erzeug­nis­se in markt­üb­li­cher Ware zu liefern, soweit nicht der Natur der Sache nach eine frühe­re Liefe­rung geboten ist:

Jährlich:
4 Zentner Weißmehl und 2 Zentner Schwarz­mehl (auf Wunsch der Überge­ber können diese die genann­te Mahlmen­ge auch auf Rechnung der Überneh­mer von der Mühle bezie­hen). Des weite­ren 3 Zentner Kartof­feln sowie einmal im Jahr ein ganzes geschlach­te­tes Schwein von ca 2 Zentner, nach Wunsch der Überge­ber verar­bei­tet. 400 Stück Eier je hälftig im Mai und August, dazu kommen 2 Meter buchenes Brenn­holz gesägt und gespal­ten und 20 Wellen Reisig.

Wöchent­lich:
½ Pfund Butter

Täglich:
1 Liter frische Vollmilch. Das Recht der Mitbe­nüt­zung der Wasch­kü­che mit Wasch­ma­schi­ne und Schleu­der, sowie Mitbe­nüt­zung des Haushalts­kel­lers zur Unter­stel­lung von Nahrungs­mit­teln. Einen geeig­ne­ten Platz im alten Stall oder auf der Bühne von Gebäu­de 6 Feigen­gas­se zur Aufbe­wah­rung des Brenn­hol­zes der Überge­ber. Ebenso das Recht der allei­ni­gen Nutzung eines Anteils von ca. 20 qm am Gemüse­gar­ten nach Wahl der Überge­ber. Die unent­gelt­li­che Besor­gung des Waschens und Flickens der Leib- und Bettwä­sche der Überge­ber und das Backen ihres Brotes, soweit sie dazu selbst nicht mehr in der Lage sind. Das Recht auf Pflege in kranken und soweit erfor­der­lich bei hohem Alter auch in gesun­den Tagen. Das Recht des freien Umgangs auf dem ganzen Hof.“

Nach dem Lesen dieses Vertra­ges kann ich nur sagen: Mein lieber Herr Gesangs­ver­ein – das hat es in sich. Auf der einen Seite sind die Alten abgesi­chert, auf der anderen Seite birgt das aber reich­lich Zündstoff und hier ist wieder die 5te, die Demuts-Regel gefragt, denn da hat Ingeborg schon sehr demütig sein müssen und die Schwie­ger­mut­ter hat diese Tugend auch immer wieder eingefordert.

Auch das Finan­zi­el­le auf einem Hof mit angewand­tem Alten­teil war sicher nicht ganz ohne. Das Einkom­men wurde geteilt, d.h. alles auf den Tisch und der alte Alois hat das „gerecht“ verteilt. Hier sei angemerkt Recht ist etwas Juris­ti­sches und Gerech­tig­keit ist etwas von den Menschen Erfun­de­nes und wurde mal so und mal so angewandt. Hier wurde nach der „Metho­de Alois“ geteilt, was bedeu­te­te, der Altbau­er wird’s scho recht macha. Hat er dann aber auf Dauer doch nicht und hier kam wieder der Gerech­tig­keits­sinn von Ingeborg ins Spiel. Mann und Frau haben sich halt wehren müssen, denn wer sich nicht wehrt dem wird beschert. Dazu ein Beispiel.

Oberkochen

Der Stolz eines jeden Bauern (überlas­sen von Fam. Balle)

Der Josef hat 1959 einen rechten Bullen für 2200 DM verkauft und vom Vater dafür 200 DM erhal­ten, knappe 10 %, das war ja schon fast wie die Zwangs­ab­ga­be, der Zehnte in frühe­rer Zeit, nur anders­rum . Die Überga­be des Hofes erfolg­te gemäß den notari­el­len Unter­la­gen zum 1. April 1963.

Von 1960 bis 1965 liefen dann die Bestre­bun­gen des Bürger­meis­ters Bosch die Bauern dazu zu bewegen auszu­sie­deln, um dem Ort ein anderes Flair zu geben, man war schließ­lich inzwi­schen Indus­trie­stadt. Also tat er wieder mal einen seiner berühm­ten Sprüche: „Wenn I von d’r Hoid (Heide) rafahr‘ will I koin Baure me säa.“ Diesem Wunsch fügten sich aber nur der „Fischer“ und der „Schmid-Jörgle“, alle anderen blieben. Und damit können wir auch die Frage des letzten städti­schen Misthau­fens klären. An der Haupt­stra­ße war das der vom „Weber“, in der Katzen­bach­stra­ße der vom „vorde­re Balle“ und von hentadrum­ma der vom „hente­re Balle“. Nun braucht ein Bauern­hof nicht nur eine Bäuerin sondern auch ein paar Kinder und so wurde fleißig geübt bis sich nachein­an­der alle vier einstell­ten: die Chris­ti­ne, die Monika, der Josef und der Stefan.

Oberkochen

Auch die Kinder mussten beim Misten helfen (überlas­sen von Fam. Balle)

Damit die Kinder auch einen Bezug zum Bauern­hof und den notwen­di­gen Anfor­de­run­gen erhiel­ten, wurde für die Kinder Stunden­plä­ne erstellt – einen für die Schule und einen für die Haus‑, Hof- und Stall­ar­beit sodass jede/r Bescheid wusste und es keiner großen basis-demokra­ti­schen Diskus­si­on bedurf­te. Angesagt war das Ausmis­ten, das Stroh ausle­gen, das Futter aufste­cken und die Kälble trinken lassen.

Man darf raten welches die belieb­tes­te Arbeit war. Auch beim Rüben­ha­cken mussten alle helfen und die Mädchen handel­ten eine Bedin­gung aus: Wenn es regnen würde, dürfe man sofort aufhö­ren. Und Petrus hatte ein einse­hen. Dunkle Wolken zogen auf, 3 Tropfen fielen aus den Wolken und die Hacken den Mädchen aus den Händen. Aber so leicht kamen sie da natür­lich nicht raus. Also wurde weiter­ge­hackt, denn drei Tropfen auf den heißen Stein sind natür­lich noch kein Landregen.

Wie sah das Leben auf so einem Hof aus? Ganz klar: Erst das Vieh (8 bis 10 Milch­kü­he) und dann der Mensch – Frühstück fand später statt. Um 5 Uhr aufste­hen und in den Stall zum Melken. Um 6 Uhr wurde die Milch beim „Storchen­bäck“ abgeholt und wer nicht pünkt­lich war ist auf seiner Milch sitzengeblieben.

Die landwirt­schaft­li­che Fläche setze sich aus 1/3 eigenem und zu 2/3 aus gepach­te­tem Boden zusam­men. Betrie­ben wurde die sog. 3‑Fel­der-Wirtschaft, die wir im Gymmi schon rauf-und-runter-auswen­dig lernen mussten: Weizen-Gerste-Klee (während der Brache überließ man die Äcker sich selber, andere pflanz­ten in dieser Zeit Kartof­feln oder Rüben im Rahmen der verbes­ser­ten DreiFel­der­Wirt­schaft an).

Die Arbei­ten im Jahres­kreis­lauf waren wie folgt: Im Frühjahr wurde geeggt und Steine gelesen, im Mai und Juni Kartof­fel hacken, im Juni Juli die Heuern­te, und im Herbst die Kartof­fel­ern­te. In frühe­ren Jahren gab es aus diesem Grund auch die Herbst­fe­ri­en, damit die Kinder bei der „Grombi(e)ra-Ernte“ helfen konnten. Als letzte Feldfrucht wurde früher die Rübe geern­tet. Im Winter brach­te man seine Sachen in Ordnung. Neben der Landwirt­schaft arbei­te­te Josef Balle 42 Jahre im Real- und Staats­wald unter den Herren Pfitzen­mei­er, Schurr und Schnei­der. Im Sommer gab es aber im Wald nicht viel zu tun, also wurde da für die Baufir­men Wingert und Tritt­ler auf dem Bau gearbeitet.

Oberkochen

Die Balle’sche Bandsä­ge beim Holzsä­gen (überlas­sen von Fam. Balle)

Nun ist der Josef Balle ja ein ganz G’schaffiger und zudem noch einer der ältes­ten Holzsä­ger. 1958 wurde für 14.000 DM ein Traktor und vom Bäuerle eine Holzsä­ge gekauft und so machte er seine Touren durch ganz Oberko­chen und war des Öfteren auch bei uns im Sonnen­berg tätig. Mein Vater kaufte sich einen Schlag und holte das Brenn­holz aus dem Wald. Der Holzsä­ger kam dann mit seiner Maschi­ne, auf der eine meter­lan­ge Bandsä­ge lief, die immer geschmiert werden musste, damit sie das Holz sauber in bearbeit­ba­re Stücke zusäg­te. Danach hackte Vater mit einer Axt das Holz, wir trugen es hinauf vor’s Haus um es dort zu stapeln, damit es in der Sonne trock­nen konnte, bevor es im Keller einge­la­gert werden konnte um es uns im Winter gemüt­lich warm zu haben. Bei dieser Gelegen­heit wurde meine Mutter mit dem „Beigen und dem Beugen“ konfron­tiert. Jeder Schwa­be weiß, dass man beigt und sich dazu beugen muss ond net omgkehrt. Sobald wir eine Spinne erblick­ten ließen wir alles fallen, war es doch ein furcht­bar gefähr­li­ches Haustier. Die anderen Holzsä­ger waren der Elmer vom Gasthaus KRONE, der Ziegler’s Franz (Franz Gold) und der Neubau­er vom Turmweg.

Die Wochen­en­den verlie­fen in der Regel immer nach dem gleichen Schema. Am Samstag um 16 Uhr läute­ten die Glocken den Sonntag ein und man hörte auf zu schaf­fen. Man fegte noch Hof und Straße (wer macht das heute noch?) und wandte sich der Körper­pfle­ge zu. Wer es zu etwas gebracht hatte badete in heimi­schem edlem Zink und wer nicht, na da gab es zwei öffent­li­che Bäder – eines in der Heiden­hei­mer Straße beim Burkharts­mai­er und eines im Mittel­bau der Dreißen­tal­schu­le unter der Badelei­tung vom Schul­haus­meis­ter Leonhard Burghard, wo freche Buben immer versuch­ten einen verbo­te­nen Blick zu den Baden­den zu werfen. Des Weite­ren läute­ten die Glocken um 7 Uhr, um 12 Uhr und um 19 Uhr. Am Freitag noch zusätz­lich um 11 Uhr um an das Leiden und Sterben Jesu zu erinnern. Das Kirchen­ge­läut stammt aus der Zeit, als Uhren noch nicht verbrei­tet waren und den Menschen auf den Feldern damit signa­li­siert wurde wie spät es ist. Auf meine Frage nach dem Urlaub kam die Antwort: Des hatt’s nett gäbba. Ein Oberkoch­ner, also ein rechter Oberkoch­ner, macht keinen Urlaub, der schafft ällaweil. Da frage ich mich: War Urlaub nur etwas für Thürin­ger, Sachsen, Flücht­lin­ge, Vertrie­be­ne und andere Zugereis­te? Natür­lich nicht, aber die Landwirt­schaft kennt arbeits­be­dingt eben keinen Urlaub. Also machten die Balles mit ihren Kindern Tages­aus­flü­ge ans Schwä­bi­sche Meer und die bayri­schen Seen oder mit der Kolpings­fa­mi­lie per Bus nach Rom zum Papst.

Auch die Fest- und Feier­ta­ge hatten ihren festen Platz im Jahres­ka­len­der und die Wochen­en­den verlie­fen immer nach dem gleichen Schema. Am Sonntag­mor­gen stand der Kirch­gang auf dem Programm und Opa Alois wachte mit Argus­au­gen darüber, dass alles seinen gewohn­ten Gang ging. Denn man hatte „nüchtern“ in die Kirche zu gehen. Net was Ihr jetzt denkat – noi, wegga der Hl. Kommu­ni­on. Eine Stunde vorher durfte nichts mehr geges­sen werden, denn so war es und so sollte es weiter­hin sein.

Nun gab es im Jahres­kreis­lauf wichti­ge und ganz wichti­ge Tage. Ein solcher war der Vinzen­z­tag am 22. Januar. An diesem Tag wurde im Wald nicht gearbei­tet, man ging zum Kirch­gang und danach zum Frühschop­pen und zum Rehes­sen in die GRUBE. Auch der Josefs­tag am 19. März ist ein beson­de­rer Tag, der mit Kirch­gang und Frühschop­pen gefei­ert wurde. Teilwei­se waren bis zu 20 Josefs versam­melt. An Himmel­fahrt wurden montags, diens­tags und mittwochs die Felder der Bauern aufge­sucht um zu beten, zu singen und zu segnen. Am Donners­tag wurde dann eine feier­li­che Prozes­si­on mit der ganzen Gemein­de began­gen. Zu Fronleich­nam wurden Tausen­de von Blumen­blü­ten gesam­melt und zu 4 kunst­vol­len Altären arran­giert. Die Prozes­si­on wurde von der Musik­ka­pel­le und den Böllern von unter­halb des Rodsteins beglei­tet. Nachmit­tags begann dann die Saison der belieb­ten Garten­fes­te. Ein weite­rer Höhepunkt des bäuer­li­chen Festtags­ka­len­ders war das Ernte­dank­fest. Die Bauern brach­ten die Früch­te des Feldes zur Segnung in die Kirche wo sie schön arran­giert und geseg­net wurden. Danach wurde die Gaben durch die Ordens­schwes­tern an sog „bedürf­ti­ge Einrich­tun­gen“ verteilt.

Wir Oberkoch­ner Kinder hatten die Aufga­be jeden Tag frische Milch beim Balle oder im Milch­häus­le zu holen. Dabei galt es möglichst cool und kein Feigling zu sein. Es galt die Milch­kan­ne ohne Deckel so zu schwen­ken, dass kein Tropfen heraus­fiel. Da war Mut und eine Porti­on Selbst­be­wusst­sein gefragt. Die Könner wurden bestaunt und die Looser (kein Geld und keine Milch mehr) wurden bedau­ert, aber wie immer im Leben: Dem Sieger gehört die Welt und die weibli­che Bewunderung.

1974 – ein einschnei­den­des Jahr in der Chronik der Familie. Es wurde das Christ­baum­ge­schäft etabliert, das anfangs gar nicht so umfang­reich geplant war, sondern nur ein Freund­schafts- und Nachbar­dienst hatte sein sollen. Mit den Grund­re­chen­ar­ten vertraut bemer­ken wir sofort – ja dann hat der Balle ja dieses Jahr „40 jähri­ges Krischt­baum­ju­bi­lä­um“. Aber ja doch und da erwar­te ich schon eine Art Sonder­aus­ga­be eines Balle’schen Weihnachtsbaumes.

Anfangs wurde aus dem Forst geschla­gen, später wurde im Wolfer­s­tal eine Kultur angelegt. Aber wie sich die Dinge so entwi­ckel­ten: Die Bretzeln hat man beim Storchen­bäck oder Ficht­ner geholt, den Kartof­fel­sa­lat beim Hätte­re, s Fahrrad beim Elmer und den Chrischt­baum eben beim Balle in der Feigen­gas­se. Und so mache ich das heute auch noch. Solan­ge es dort welche gibt hole ich mir meinen bzw. der Josef jun. bringt ihn mir frei Haus. Top Service unter Arbeits­kol­le­gen. Die Renner waren anfangs Fichte und Weißtan­ne, heute sind es Nordmann­tan­ne und Blaufich­te, aber es gibt auch noch Leute die klassisch wertkon­ser­va­tiv einkau­fen: Des Deutschen Fichte.

Hier muss ich doch eine Müller’sche Geschich­te einflech­ten. Es muss 1974 oder 1975 gewesen sein. Ich war zu dieser Zeit von 1973 bis 1977 bei der Marine und kam an Weihnach­ten nach Hause und was sehen meine Augen in der Guten Stub‘ (das ist das Wohnzim­mer in dem das ganze Jahr niemand sitzt und auch nicht geheizt wird. Nur zu Weihnach­ten und bei beson­de­ren Feiern oder beson­de­rem Besuch wurde die Gute Stub‘ geöff­net), ja was sehen sie? Einen Baum, einen grünen Baum, einen immer­grü­nen Baum und zwar aus KUNSTSTOFF. Ich stand kurz vor einem Anfall und der sofor­ti­gen Rückrei­se nach Kiel als sich nach stunden­lan­gen Mäkeln seines Ältes­ten der Schorsch noch am 24ten auf die Suche nach einem Baum machte und beim Balle fündig wurde. Und so schmück­ten wir, also Vati, die jährli­che Fichte, denn das war Chef-Sache bei uns im Haus. Der Kunst­stoff­baum wurde in den Tiefen des Schran­kes einge­la­gert und nach Vati‘s Tod von mir kunst­ge­recht über die GOA entsorgt.

Ein weite­rer großer Einschnitt war 1995 die Einstel­lung der Milch­wirt­schaft, die sich nicht mehr rentier­te, da die notwen­di­gen Inves­ti­ti­ons­kos­ten aufgrund neuer Vorschrif­ten 100.000 DM bis 200.000 DM betra­gen würden. Also wurde auf Mutter­kuh­hal­tung umgestellt, mit einer Kreuzung zwischen Fleck­vieh und Limou­sin. Noch heute hält Josef Balle ein paar Kühe und Kälber im Wolfertstal.

Oberkochen

Der Balle’sche Stall im Wolfert­s­tal (überlas­sen von Fam. Balle)

Heute sind die Balles betag­te rüsti­ge Leute und leben ihr Leben einfach mit dem was sie schon immer machen – sie sähen und ernten und schau­en wie sich die Dinge entwi­ckeln und wir? Wir kaufen wieder unseren „Krischt­baum“ wie eh und je in der Feigengasse.

Noch ein statis­ti­sches Wort zum Schluss. Vor dem Krieg gab es ca. 70 bäuer­li­che Anwesen, nach dem 2ten Krieg noch ca. 30 und heute gibt es noch 6 bäuer­li­che Betrie­be: Josef Balle, Thomas Fischer, Hans-Jörg Gold (Schmid­jörg­le), Arthur Hug (Pferde­bau­er), Martin Hug (Moscht-Hug) und Josef Winter.

Herzli­chen Dank an die Familie Balle, die mir auf jede noch so komische Frage eine ordent­li­che Antwort gegeben hat. Und auch hier gilt: Ohne „Stoff“ kann ich nichts schrei­ben und hier gab es reich­lich davon. Ihr Wilfried Billie Wichai Müller vom Sonnen­berg, wi****@******ne.de

AUFRUF: Zum Thema FRONLEICHNAM werden Infos, Geschich­ten und Bilder gesucht.

Wilfried Müller

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte