Oberkochen

Er ist in die Jahre gekom­men – wie wir auch. Der Ort verän­dert sich – wie wir auch. Und so musste eine Entschei­dung getrof­fen werden, was mit unserem alten, mit unseren Erinne­run­gen verklär­ten städti­schen Kinder­gar­ten, gesche­hen soll. Er wird weichen, etwas neuerem, etwas größe­rem. Natür­lich sieht der neue Bau im Vergleich zu dem fast niedlich anmuten­den Vorgän­ger­bau etwas gewal­tig aus, aber wir werden uns daran gewöh­nen, denn viele Kinder benöti­gen viel Platz und die moder­ne Pädago­gik benötigt sicher auch den ihr zuste­hen­den Raum.

Mit dem Abriss wird dann auch an unseren Emotio­nen gerüt­telt werden und alte Erinne­run­gen kommen hoch bevor sie mit dem Abriss­schutt abgetra­gen werden. Deshalb ist es mir wichtig altes Erleb­tes nochmals aufzu­we­cken, und mit Text und Bild verse­hen, Erleb­tes sicht­bar zu machen nach dem Motto „Woisch no Karle?“

1952. Ein gewich­ti­ges Jahr: Der Film „12 Uhr Mittags“ kam in die Kinos, Dean Martin sang „That’s Amore“, Theodor Heuss und Konrad Adenau­er führten in Deutsch­land die politi­schen Geschäf­te, die erste BILD-Zeitung erschien, das THW wurde gegrün­det, in Oberko­chen wurde das 8te Bezirks­mu­sik­fest gefei­ert, und es wurde gebaut und geboren was das Zeug hielt und „Licht aus, Spot an – ja auch der wurde im Top-Jahrgang 1952 geboren. Und wie die Entschei­der vor Ort erkann­ten, musste ein neuer Kinder­gar­ten her um die Kinder­scha­ren unterzubringen.

Im Heimat­buch lesen wir dazu: „…..Am 24 Oktober 1910 übernah­men die Franzis­ka­ne­rin­nen eine ‚Klein­kin­der­schu­le‘, die im unteren Schul­saal des Schwes­tern­hau­ses für 14.316,36 Mark einge­rich­tet wurde. 2 Jahre später wurden schon 126 Kinder von den Schwes­tern betreut. Die Franzis­ka­ne­rin­nen wirkten bis 2003 in Oberkochen…..Die Nachkriegs­er­eig­nis­se und die rasan­te Zunah­me der Bevöl­ke­rung auf 3.700 Einwoh­ner im Jahr 1950 führten bei ca 180 Kinder im ‚Alten Schwes­tern­haus‘ zu sehr beeng­ten Verhält­nis­sen. So zogen die Schwes­tern mit den Kindern am 07.12.1952 in den neuen städti­schen Kinder­gar­ten am Wiesenweg.“

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Ein Aufruf durch Hr. Bgm. Traub im „Blätt­le“ führte dazu, dass bei mir einiges an Geschich­ten und Bildern einge­trof­fen ist, welches nicht alles in diesem Artikel verar­bei­tet werden kann. Ich habe mich daher entschlos­sen alle Unter­la­gen in einem umfang­rei­che­ren Inter­net-Artikel auf der Web-Site des Heimat­ver­eins unter­zu­brin­gen soweit es die Möglich­kei­ten in diesem Artikel überschreitet.

Doch jetzt geht’s los. Den Schei­tel gezogen, die Haare mit mütter­li­cher Spucke hin geschnie­gelt, das Hemd in die Hose gestopft, die Strümp­fe hochge­zo­gen und los geht unsere Reise in die 50er Jahre.

Wir schrei­ben das Jahr 1951 und fragen uns: Warum entstand der Kinder­gar­ten an dieser Stelle? Vielleicht aus städte­pla­ne­ri­scher Weitsicht oder doch aus dem Bauch heraus? Sollte die folgen­de nächt­li­che Unter­hal­tung Grund für diese Ortswahl gewesen sein? Es war ja mal im Gespräch, die Katzen­bach­stra­ße über das „Sapper-Grund­stück“ bis hinüber in die Carl-Zeiss-Straße zu verlän­gern. Aber diese folgen­de Versi­on kann ich mir überhaupt nicht vorstellen .

„Gusch­tafff, dua m’r deees net oa, dass doa hanna a stroaß durch­kommt“. „Solang I Bürger­moisch­ter in Oberkocha bea – kommt do hanna koi Stroaß durch“. Und so wurde der Kinder­gar­ten errich­tet und die Straße kam bis heute nicht.

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Am 13. Juli 1952 wurde Richt­fest gefei­ert und einige Monate später ist das Werk vollbracht, am 7. Dezem­ber 1952 wurde der neue Kinder­gar­ten feier­lich einge­weiht und für viele Kinder wurde der Wiesen­weg für die nächs­ten 62 Jahre ein Ort an dem sie wichti­ge Jahre ihrer Kindheit verbrach­ten. Nun heißt „städtisch“ nicht, dass der Kinder­gar­ten liberal modern geführt wurde, sondern schon „katho­lisch streng“, da die Schwes­tern aus dem Franzis­ka­ner Orden aus dem Kloster Reute kamen.

Wir erinnern uns an die Schwes­tern Thoma­sel­la, Aspedia, Konfrie­de, Leonar­da und Juven­ti­na, die dafür sorgten, dass Ordnung herrsch­te. Dazu gab es die Erzie­he­rin­nen Johan­na, Elisa­beth, Sieglin­de und Ingrid und die Aushil­fen Tritten­bach und Schorcht, die zu nennen wären. In allen Erinne­run­gen tauchen immer wieder die Namen Thoma­sel­la (wohl wegen ihrer christ­li­chen Stren­ge) und Johan­na (wegen ihrer großen Beliebt­heit) auf.

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Nun war das zwar ein städti­scher Kinder­gar­ten, aber katho­lisch gelei­tet. Die sog. „Wüascht­gläu­bi­ge“, also d‘ Prodesch­dante, durften natür­lich auch in diesen Kinder­gar­ten gehen (weil städtisch), aber gebetet wurde katho­lisch, das für manche evange­li­sche Kinder schon sehr bedroh­lich wirkte: „Heili­ge Maria Mutter Gottes, bitte für uns Sünder…. und….. denn Du bist gebene­deit unter den Weibern….“ Das klang für manche evange­li­sche Ohren seltsam und bedroh­lich. Für uns katho­li­sche Kinder war das normal und nicht überden­kens­wert. An Ostern erschien wohl immer der Oster­ha­se am Dachfens­ter und wackel­te mit den Ohren, wenn die Kinder im Garten schön gesun­gen haben: „Hopp Hopp Hopp der Oster­has hüft herum im grünen Gras“ oder „Kommt a Häsle über’s Gräsle in mei Gärtle nei“. Höxscht wichtig war auch der Nikolaus­tag. Aller­dings gefürch­tet (wegen der peniblen unbegreif­li­chen Buchhal­tung des Herrn mit dem weißen Bart) und geliebt (wegen der Geschen­ke). Aus dem Golde­nen Buch wurde Bilanz gezogen und pädago­gisch das Fehlver­hal­ten erstaun­lich präzi­se wieder­ge­ge­ben. Wieso koa der des älles wissa? Und mit dem Geschenk und dem Abtritt des Heili­gen Mannes war auch schon wieder alles vorbei. Dabei sollte diese Art der Bilan­zie­rung doch für die kommen­den Monate ein besse­res Verhal­ten zu

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Tage bringen. Na ja – wie d’r Mensch so äbba isch….. Natür­lich gehör­ten auch die erzie­he­ri­schen Maßnah­men wie „‘s Bäsela“ und „das übliche Verpet­zen – dees wird d’r Schwesch­ter gsait“ sowie das Ohrläpp­chen­zie­hen zu den Untugen­den (aus heuti­ger Sicht) der erzie­he­ri­schen Kompe­tenz der damali­gen Zeit. Der Handfe­ger, also ‚s Bäsela wurde von Schwes­ter Thoma­sel­la wohl öfters einge­setzt um ein Fehlver­hal­ten gottge­fäl­lig zu maßre­geln (bei den Buben mitun­ter etwas hefti­ger). Inter­es­san­ter aber war das Verpet­zen aus pädago­gi­scher Sicht. Es wurde ein Denun­zi­an­ten­tum heran­ge­zo­gen, das dazu führte, dass die Gruppe einen sofort verpfiff, wenn das eigene Verhal­ten von den Regeln abwich. Die rechten Zeige­fin­ger strichen über die linken und alle riefen: „Dees wird d’r Schesch­ter gsait“. Es war also wichti­ger den Abweich­ler als den Denun­zi­an­ten zu bestra­fen. Das war damals eben der Zeitgeist. Eines Tages wurde auch der Oster­ha­se enttarnt. Das geschah weil pädago­gi­sche Maßnah­men nicht griffen wie beabsich­tigt sondern die Neugier der Bestraf­ten weckten. Was war gesche­hen? Die Buben Chris­toph Stumpf und Wolfgang Stein­mei­er, wurden wegen „verbo­te­nem Schlit­tern“ auf dem Gang mit dem „Bäsele“ belohnt und anschlie­ßend auf dem Dachbo­den einge­sperrt. Rechte Buben ließen sich dadurch nicht beein­dru­cken sondern nutzten die Gelegen­heit um auf Entde­ckungs­rei­se zu gehen und was fanden sie dort oben? Richtig, den Oster­ha­sen. Schön aufbe­wahrt in einem Karton und jetzt war das Rätsel gelöst wie der Oster­ha­se auf den Dachbo­den kam. Seither wurde niemand mehr auf den Dachbo­den verbannt und der Oster­ha­se hatte seinen geheim­nis­vol­len Mythos verlo­ren. Auch ernäh­rungs­wis­sen­schaft­lich waren sie ihrer Zeit weit voraus. Wie Monika Kopp berich­te­te, wurde deutlich dafür plädiert, den gesam­ten Apfel einschließ­lich des Apfel­but­zens zu essen – entge­gen der landläu­fi­gen Meinung, dass das gesund­heits­schäd­lich sei – von wegen Blausäu­re im Kernge­häu­se und so. Für Kinder damals sicher eine Überwin­dung, aber ich wage die Behaup­tung: wer das damals gelernt hat, macht das heute noch. Übrigens – ich habe das von meinem Vater auch gelernt und pflege das heute noch bis zum Stiel.

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Weite­re Höhepunk­te im Kinder­gar­ten­jahr waren der Besuch des Bürger­meis­ters Bosch alljähr­lich im Frühjahr. Dazu wurden einstu­dier­te Vorfüh­run­gen geboten und vom BM mit den besten Oberko­che­ner Brezeln vom Storchen­bäck für jedes Kind entlohnt. Bis 1962 wurden auch in der Advents­zeit die Alten­nach­mit­ta­ge im Kinder­gar­ten abgehal­ten. Es wurde auf gut schwä­bisch „Bratwürscht‘ und Salat“ gereicht. Einge­la­den waren die Alten – aber ohne Beglei­tung – m’r hat schließ­lich spare müssa. Als Geschenk gab es eine Zigar­re für den Herrn und en Schoklaaaad für die Dame. Bürger­meis­ter Bosch hat kraft seiner Autori­tät von den örtli­chen Wirten der Gasthäu­ser Pflug, Krone und Grube mehr oder weniger verlangt, die Bewir­tung zu überneh­men und man höre und staune – von den Töchtern der Gemein­de­rä­te und den Mitar­bei­tern des Rathau­ses wurde einge­for­dert als Bedie­nung anzutre­ten. Aber Holla die Waldfee sag‘ ich da nur.

Im Sommer gab es oft einen gemein­sa­men Ausflug, eine Mischung aus Wande­rung und Wallfahrt, nach Maria Eich bei Ebnat. Zu Fuß natür­lich über den Römer­kel­ler hinauf Richtung Ebnat. Schwes­ter Thoma­sel­la keuch­te und schwitz­te sich in ihrer Tracht mit den Buben und Mädchen den Berg hinauf. Beim Bildstock angekom­men gab es ein Vesper, das wieder Kraft für den Rückweg gab. Es war wohl ein inten­si­ves Erleb­nis in unseren Wäldern, die uns ja auch irgend­wie geprägt haben. Wie ich kürzlich hörte ging auf einer dieser Wallfahr­ten ein Kinde verlo­ren. Da war sicher der Teufel los, bis der verlo­re­ne Sohn wieder zuhau­se war. Ich behaup­te, dass viele Kinder heute mit einer solchen Wande­rung völlig überfor­dert wären.

Wir können auch feststel­len, dass viele Freund­schaf­ten, die bis heute Bestand haben, bis in diese prägen­den Kinder­zei­ten zurück­ge­hen. Stell­ver­tre­tend für alle sei hier der „Buaba-Stamm­tisch des Pflug“ beim gemein­sa­men Spiel vorge­stellt. Heit‘ händ se wahrschein­lich „a Woitza“ vor sich standa.

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Nun gibt es viele heili­ge Plätze auf der Welt: Den Felsen­dom, die Kaaba, die Shwed­a­gon-Pagode, die heili­ge Stadt Varana­si usw. Aber hier im Wiesen­weg gab es auch einen – den sog. „Heili­gen Schrank der Schwes­tern“. Hier wurden alle mögli­chen und unmög­li­chen Dinge aufbe­wahrt und Zugang war nur über die Schwes­tern möglich. Und da man heili­ge Dinge in Ehren halten muss, gibt es diesen Schrank bis heute und ich bin gespannt wo er im neuen Haus seinen Platz finden wird.

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Der Kinder­gar­ten hatte aber ein Highlight, das heute nur noch wenige kennen. Es gab einen Pool zum Plant­schen, der innen schön blaugrün angestri­chen war und im Sommer mit Wasser gefüllt wurde. Da gab es keine großen Überle­gun­gen bezüg­lich Keimen und was weiß ich noch für welche Beden­ken. Es wurde einfach geplanscht bis eines Tages Schluss damit war. Danach hat der Pfarrer Hager eine kleine Fisch­zucht darin begon­nen. Aber das ging natür­lich auch nicht lange gut, denn wenn keine Kinder darin plant­schen dürfen, dürfen es katho­li­sche Fische auch nicht. Und so wurde aus dem Plantsch- und Fisch­be­cken eine Sandgru­be mit Kletter­haus und Rutsche.

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Jetzt will ich mit meinen Erinne­run­gen, die sehr kurz und prägnant waren auch nicht hinter dem Berg halten. Ich ging ein halbes Jahr lang in den Wiesen­weg und verwei­ger­te danach einen weite­ren Besuch. In der Rückbe­sin­nung war es wohl das Verpet­zen inner­halb der Gruppe was mir überhaupt nicht gefiel. Und so beschloss ich eines Tages lieber in den Wald zu gehen als in den Kinder­gar­ten. Es dauer­te wohl ein paar Tage bis die Sache aufflog, zumal ich auch noch die Gudrun Korn überre­de­te, mich bei meinen Waldex­kur­sio­nen zu beglei­ten. Ich holte mir dann meine Sozial­kom­pe­tenz auf der Sonnen­berg­stra­ße, denn da gab es mit den Schrö­ders, Bauers, Hubers fast so viele Kinder wie in einer Kinder­gar­ten­grup­pe. Mein Bruder verwei­ger­te ebenso den Besuch eines Kinder­gar­tens weil der große Bruder ja auch nicht dort war. Es hat uns beiden nicht gescha­det. Immer­hin war ich einige Zeit lang dort und habe somit auch die Kompe­tenz darüber zu schreiben.

So gingen die Jahre dahin, die pädago­gi­schen Anpas­sun­gen hielten auch mit der Entwick­lung des Zeitgeis­tes Schritt und die damali­gen positi­ven Erleb­nis­se wurden, wie das immer in Rückschau­en so ist, verklärt und das negativ Erleb­te ausge­blen­det. Heute herrscht eine andere Zeit und ein anderer Geist. Ich wünsche dem neuen Kinder­gar­ten ein langes erfolg­rei­ches Dasein und den Bewoh­nern, Kinder und Erzie­he­rin­nen, ein frucht­ba­res Mitein­an­der sodass in einigen Jahrzehn­ten auch die Kinder von heute noch sagen können: „Woisch no Karle, doamo­als em Wiesa­wäg“.

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Ein HERZli­ches Vergelt’s Gott an alle genann­ten Mitbür­ge­rIn­nen, ohne deren Einsen­dun­gen der Bericht nicht möglich gewor­den wäre: Marian­ne Bauer, E. Ditsch­ler, Chris­toph Stumpf, Ingeborg Schorcht, Monika Kopp, Gerda Böttger, Ludwig Burghard, Ursula Leppelt, Anton Gutheiß, Reinhold und Monika Bahmann, Micha­el Heuler, Korne­lia Kähne, Paul Hug, Andre­as Klopf­leisch, Gabi Pavlat und Peter Traub.

Wie immer herzli­che Grüße vom Sonnen­berg
Ihr Wilfried Wichai Billie Müller wi****@******ne.de und nicht verges­sen unter www.heimatverein-oberkochen.de gibt es unter dem gleich lauten­den Artikel eine Fotosamm­lung (s. unten) zum Blättern mit viel mehr alten und neuen Fotos, die im Artikel keinen Platz hatten.

Wilfried Müller

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