Von unserem Heimat­ver­eins­mit­glied Hanne­lo­re Pavcek erhiel­ten wir den hier abgedruck­ten Zeitungs­ar­ti­kel vom Samstag, 1. Mai 1954.

Zum Besuch des Bundes­prä­si­den­ten am 1. Mai
In Oberko­chen ändert sich jeden Tag etwas
Aus dem Bauern­dorf ist in sprung­haf­ter Entwick­lung ein Indus­trie­ort gewor­den — Seit 1946 mit dem Namen Carl Zeiss

Oberko­chen (t). »Hier ändert sich jeden Tag etwas«, sagte uns lächelnd in Oberko­chen ein Kamera­mann, der ja berufs­mä­ßig seine Augen überall haben muß, um stets auf dem laufen­den zu sein, Er meinte es gewiß nicht ganz wörtlich, aber, was er sagte, kennzeich­ne­te treffend Aufschwung und Wandel der Gemein­de im Kreis Aalen am Kocherursprung.

So war denn auch die Ansichts­kar­te von der Aalener und Heiden­hei­mer Straße, die wir uns aus Oberko­chen mitnah­men, bereits ein »Histo­ri­sches Dokument«, obwohl sie noch gar nicht alt ist. In der Nachkriegs­zeit hat sich in Oberko­chen vieles gewan­delt. Das ehema­li­ge Bauern­dorf im Kocher­tal ist zu einem Indus­trie­ort mit 5400 Einwoh­nern gewor­den. Seine Entwick­lung vermag man an großen Werkbau­ten abzule­sen, aber man muß dieser­halb auch durch die Dreißen­tal­stra­ße gehen, den steilen Turmweg zu den neuen hellen Wohnstra­ßen hinauf­stei­gen, sich den Neubau der Volks­schu­le oder den großen Sport­platz ansehen und sich schließ­lich auch unter­halb den Diöze­san­sied­lung den vorbild­li­chen Gemein­de­kin­der­gar­ten mit seiner offenen Spiel­hal­le und dem großen Wiesen- und Baumgar­ten zeigen lassen, in dem sich 180 Kinder tummeln.

Die Indus­trie ist es, die dem heuti­gen Oberko­chen das Geprä­ge gibt. Um die Jahrhun­dert­wen­de, als die Indus­trie in das damals noch ganz ländli­che Kocher­tal immer mehr vordrang, hatten Männer in Oberko­chen bereits mit fünf Bohrma­schi­nen­werk­stät­ten die Grund­la­ge für größe­re Betrie­be der Metall­in­dus­trie gelegt. Von den 5000 Arbei­tern und Angestell­ten in den örtli­chen Firmen sind heute allein 2000 in sieben altein­ge­ses­se­nen Unter­neh­men tätig, die durch ihre hochent­wi­ckel­te Produk­ti­on bekannt gewor­den sind; wir nennen beson­ders: Holzbe­ar­bei­tungs­ma­schi­nen und Eisen­gie­ße­rei, Werkzeug­fa­bri­ka­ti­on und Appara­te­bau sowie ein Kaltwalzwerk.

Carl Zeiss

Der Name Oberko­chen ist seit 1946 mit dem berühm­ten Namen Carl Zeiss verbun­den. Damals wurde hier die durch ihre optischen Präzi­si­ons­ge­rä­te, aber auch durch ihre sozia­le Betriebs­struk­tur in der Welt bekannt gewor­de­ne Firma gegrün­det, die von der Wirkungs­stät­te Ernst Abbes in der alten Thürin­ger Univer­si­täts­stadt Jena nach dem schwä­bi­schen Oberko­chen verlegt worden war; hier hatten die heimat­los Gewor­de­nen in einem der altein­ge­ses­se­nen Betrie­be Fabri­ka­ti­ons­räu­me bezie­hen können. In zäher Klein­ar­beit wurde schritt­wei­se neu aufge­baut. Heute sind wieder viele Tausen­de in den Werken beschäf­tigt, sie kommen aus Oberko­chen, aus dem Kocher- und Brenz­tal und vor allem auch vom Härts­feld; Heimat­ver­trie­be­ne und Einhei­mi­sche schaf­fen in fleißi­ger Gemeinschaft.

Oberko­chen, wo der Währungs­re­form 700 Neubau­woh­nun­gen gebaut worden und gegen­wär­tig 150 Wohnun­gen im Bau sind, muß sich wohl auf weite­res Wachs­tum einrich­ten. Die Talsoh­le bleibt der Auswei­tung der Indus­trie vorbe­hal­ten, während nun die Berghän­ge auch in südli­cher Richtung mit Wohnhäu­sern besetzt werden. Wenn der Ort weiter­hin so rasch anwach­se, so sagte uns der vorsorg­lich planen­de Bürger­meis­ter, dann werde bald auch das neue Schul­haus wieder zu klein sein. Für den Verkehr erhofft sich der Gemein­de­rat für das nächs­te Jahr die Verwirk­li­chung der geplan­ten Umgehungs­stra­ße für die gefahr­vol­le Ortsdurch­fahrt der Bundes­stra­ße Aalen — Heiden­heim — Ulm.

Die sprung­haf­te Entwick­lung der Kocherge­mein­de, die 1939 nur erst 2000 Einwoh­ner hatte, ließ sie allent­hal­ben in die Landschaft hinein­wach­sen. Dörfli­che Idyllen, wie man sie etwa noch beim Kapel­len­weg und an der Mühlstra­ße findet, sind im Ortsbild selten gewor­den. Moder­ne Werkan­la­gen, Felder und bewal­de­te Berghän­ge befin­den sich nahe beiein­an­der. Klein­bäu­er­li­che Betrie­be sind auch heute noch von Bedeu­tung, beson­ders die Waldwirt­schaft, charak­te­ri­siert durch eine genos­sen­schaft­lich organi­sier­te Realge­mein­de von 126 Rechts­be­sit­zern mit 840 Hektar Wald, die auf uralte Gerecht­sam­kei­ten zurückgeht.

Oberkochen

Gegen­warts­nah und zielstre­big ist die aufblü­hen­de Gemein­de im waldum­ring­ten Tal des schwar­zen Kochers zu Füßen des Rotsteins und des Volkmars­ber­ges, des höchs­ten Gipfels der Ostalb, aber sie hat auch histo­ri­schen Hinter­grund. Ihre Ortsge­schich­te verzeich­net sogar eine Merkwür­dig­keit, die fast einen kultur­his­to­ri­schen Kurio­si­tät gleich­kommt. Mehre­re Jahrhun­der­te lang besaß Oberko­chen unter der Doppel­herr­schaft der Ellwan­ger Probs­tei und des Klosters Königs­bronn zwei Ratszim­mer, zwei Schult­hei­ßen und zwei Gemein­de­ver­wal­tun­gen, die nicht immer reibungs­los neben­ein­an­der regier­ten. Noch 1819, nachdem die gefürs­te­te Probs­tei Ellwan­gen schon an die Württem­ber­gi­sche Herrschaft gelangt war, unter­zeich­ne­ten zwei Schult­hei­ßen die Gemeinderatsprotokolle.

Die neue Zeit hat dieses alte schwä­bi­sche Gemein­we­sen mitten in die schaf­fen­de Gegen­wart gerückt und seinen Namen mit der Tradi­ti­on und dem Neuauf­bau eines Unter­neh­mens verknüpft, dessen Präzi­si­ons­ar­beit wieder Weltgel­tung erlangt hat. Am 1. Mai 1954, am dem der Bundes­prä­si­dent von den Zeiss­wer­ken in Oberko­chen aus zu den Werktä­ti­gen spricht, wird man in die Ortsge­schich­te des einsti­gen Bauern­dörf­chens ein Datum von wichtigs­tem Rang einzu­tra­gen haben.

Foto: Noch spielt in der Indus­trie­ge­mein­de Oberko­chen die Landwirt­schaft eine Rolle. Wie lange noch? — Blick vom Feldweg unter­halb der Brunnen­hal­de auf Oberko­chen und sein Indus­trie­vier­tel. Foto: Bon

Dietrich Bantel

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