Der 2. Oktober 2009 war für mich (JG 1935) der Tag eines prägen­den Schlüs­sel­er­leb­nis­ses. Als Mitglied einer Oberko­che­ner Delega­ti­on, die im Rahmen der Städte­part­ner­schaft Oberko­chen und Dives-sur-Mer in der Norman­die die ca. 15 km südöst­lich unserer Partner­stadt Dives gelege­nen Quelle „Caudemu­che“ besich­tig­te, erfuhr ich anläss­lich einer Exkur­si­on zum von Brüssel vorge­ge­be­nen Thema „Wasser“, dass diese Quell­fas­sung, die unsere franzö­si­sche Partner­stadt mit Wasser versorgt, vor ca. 100 Jahren von deutschen Kriegs­ge­fan­ge­nen gebaut worden ist. Der Keilstein über dem Stollen­ein­gang (Foto) trägt die Jahres­zahl 1915.

Oberkochen

Mich traf diese Infor­ma­ti­on wie ein Blitz, denn seit demnächst 30 Jahren beschäf­ti­ge ich mich mit unserem „Oster­buch­stol­len“, der einen wesent­li­chen Teil der noch unter König Wilhelm II geplan­ten Landes­was­ser­ver­sor­gung darstellt. Bereits in den Achtzi­ger­jah­ren habe ich dies u.a. unter Verwen­dung von bei der LW in Stutt­gart einge­hol­ten Infor­ma­tio­nen vor allem in einem ausführ­li­chen Bericht im Amtsblatt „Bürger und Gemein­de“ der Stadt Oberko­chen (Bericht 9 vom 18.03.1988, Oberko­chen – Geschich­te, Landschaft, Alltag) darge­stellt. Der Bau des Wasser­lei­tungs-Stollens, der nunmehr verrohrt werden wird, war durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs unter­bro­chen und dann mitten im Krieg durch franzö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne weiter­ge­führt worden. – Das Lothrin­ger Kreuz („Doppel­kreuz“) und der Stollen-Aushub, von den Einhei­mi­schen „Stollen“ genannt, im hinte­ren Wolfert­s­tal, und das moder­ne „Wasser­häus­le“ erinnern bis heute an dieses gewal­ti­ge Unter­neh­men. Das markan­te Oberko­che­ner Haus des Wasser­meis­ters der LW in der Aalener Straße (auf Höhe des alten „Schimpf-Ecks“ gelegen) wurde erst kürzlich abgerissen.

Für mich grenz­te dieses urplötz­li­che „norman­ni­sche Erleb­nis“ vom 2. Oktober 2009 an ein unver­mit­telt aus heite­rem Himmel gefal­le­nes symbo­li­sches Wunder, – denn mich durch­zuck­te in dersel­ben Sekun­de der Gedan­ke: Der Oberko­che­ner Wasser­lei­tungs-Stollen (Oster­buch­stol­len) zwischen Oberko­chen und Dauer­wang musste zeitgleich von franzö­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen gebaut worden sein (Foto), während der Diver Wasser­lei­tungs-Stollen von deutschen Kriegs­ge­fan­ge­nen gebaut wurde, – wobei sich zudem die abgele­ge­nen idylli­schen landschaft­li­chen Situa­tio­nen, in die die Wasser­bau­ten einge­bet­tet sind, durch­aus ähneln.

Oberkochen

Dieses mich sehr berüh­ren­de Erleb­nis habe ich 2010 im Rahmen der heimat­kund­li­chen Bericht­erstat­tun­gen des Heimat­ver­eins Oberko­chen, vor allem auch als vorbe­rei­ten­des Nachfor­schen anläss­lich des 100. Geburts­tags des Baus der Landes­wass­ser­ver­sor­gung (1912 / 2012) in weite­ren Amtsblatt-Berich­ten zum Oster­buch­stol­len ausführ­lich vertieft, – haupt­säch­lich in den Berich­ten 565 vom 16.04.2010 und 566 vom 30.04.2010 in „Bürger und Gemein­de“ vom 30.04.2010. – Dieser Bericht wurde 2011 von meinem Kolle­gen Francois Boé vom Ernst-Abbé-Gymna­si­um Oberko­chen (EAG) ins Franzö­si­sche übertragen.

Das inter­na­tio­na­le „Comenius“-Jugend-Projekt zum Thema „Wasser“ hat über das EAG von meinen Erkennt­nis­sen, Infor­ma­tio­nen und Veröf­fent­li­chun­gen, die ich allesamt dem EAG zur Verfü­gung gestellt habe, sehr profi­tiert. Im Oktober 2011 führten mehre­re ‘zig Jugend­li­che aus zahlrei­chen europäi­schen Ländern durch Vermitt­lung des Heimat­ver­eins Oberko­chen eine Begehung des 1,8 km langen Oster­buch­stol­lens durch – und im gleichen Jahr kam es aufgrund der unglaub­li­chen und faszi­nie­ren­den 100 Jahre alten Symbo­lik sogar zur Besich­ti­gung der Caudemu­che-Quelle bei Dives durch die europäi­schen „Comenius“-Jugend.

So wurde mein Schlüs­sel­er­leb­nis vom 2. Oktober 2009 unver­se­hens zu einem neuen, jedoch 100 Jahre alten Symbol der heuti­gen deutsch-franzö­si­schen Partner­schaft und Freund­schaft zwischen Oberko­chen und Dives-sur Mer, was in diesem Jahr 2014 anläss­lich des 30-jähri­gen Bestehens unserer Partner­schaft sowohl für die Stadt wie auch vor allem für den Verein für Städte­part­ner­schaft noch von zusätz­li­chem Wert ist.

Eine angemes­se­ne Aufwer­tung wider­fährt diesem Schlüs­sel­er­leb­nis unter dem Thema „Vom Erbfeind zum Freund“ in einer von Bürger­meis­ter Traub angereg­ten Sonder­aus­stel­lung zum Thema „Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus Oberko­che­ner Sicht“. – Ausgangs­punkt für die Idee einer Oberko­che­ner Sonder­aus­stel­lung ist die ab Mitte Juli im Oberko­che­ner Rathaus­foy­er präsen­tier­te Wander­aus­stel­lung „100 Jahre Ausbruch des 1. Weltkriegs“. – Der Heimat­ver­ein Oberko­chen über seine Archi­ve, maßgeb­lich sein Ehren­vor­sit­zen­der Dietrich Bantel, werden diese ergän­zen­de Sonder-Ausstel­lung in Verbin­dung mit der Stadt und deren Kultur­be­auf­trag­tem Reinhold Hirth zu einem tiefen Erleb­nis werden lassen: Thema­ti­siert wird in der Oberko­che­ner zusätz­li­chen Sonder­aus­stel­lung etwas weit über den Ersten Weltkrieg hinaus Gehen­des, etwas bleibend „Verbin­den­des“, – nicht das trennen­de Schlach­ten­ge­met­zel, – nämlich die bisher unbekann­ten übers Kreuz gehen­den 100 Jahre alten Querver­bin­dun­gen im Rahmen unserer Städte­part­ner­schaft in Form einer neu entdeck­ten unglaub­lich kraft­vol­len und nachhal­tig symbol­träch­ti­gen Folge eines Kriegs, der 70 Millio­nen Tote gefor­dert hat: Der Bau der Wasser­ver­sor­gun­gen der Städte­part­ner­schafts-Kommu­nen Oberko­chen und Dives-sur-Mer.

Das Erleb­nis und die Erkennt­nis­se vom 2. Oktober 2009 im Zusam­men­hang mit der Quelle von Chaude­mouch, (oder „Caudemu­che“ = die „heiße Fliege“, wie die Quelle auf Norman­nisch heißt, ist an konstruk­ti­ver Symbol­kraft schwer zu überbieten.

Dietrich Bantel

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