Nach meinem letzten Bericht über »EMIL ELMER und das KRONA‑G’schäft« erreichte mich ein Anruf von Hertha Hoffmann verw. Fritscher, die mich zu einem Besuch einlud, bei dem sie mir schöne alte Dokumente und Bilder zeigte und Interessantes zu berichten wusste. Somit wurde eine neue Geschichte »geboren». Also nur Mut. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas erzählen können – die Dinge gehen sonst verloren, wenn wir uns nicht um sie kümmern.
Kommen Sie mit, wir machen nun eine Zeitreise und landen im Jahr 1803 in Loschitz (heute Lostice/Tschechien). Dort haben die Gebrüder Fritscher eine Papierfabrik gegründet.

In diese Familie wurde am 12. November 1905 Wilhelm Fritscher geboren. Man wird diese Landschaft einige Zeit lang das Sudetenland nennen und Loschitz wurde in dieser Zeit dem Landkreis Müglitz zugeordnet.
Am 6. Juni 1920 wurde in der nordböhmischen Marktgemeinde Eulau im Bezirk Tetschen Hertha Hedwig Gärtner geboren. Die beiden wissen nichts voneinander und sie ahnen auch nicht, dass sie sich eines Tages im fernen Oberkochen am 18. Mai 1955 das Ja-Wort geben und vom Gemeindeamtmann Albert Bahmann standesamtlich getraut werden sollten.

Eulau, Heimat von Hertha Fritscher

Arbeitszeugnis
Ab 1926 war Wilhelm Fritscher in der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn in der Abteilung »Elektrotechnik und Maschinenbau« immatrikuliert. 1929 begann er eine Tätigkeit im »Ersten Landskroner Elektro- u. Radiotechnischem Unternehmen«, das von seinem Vater Viktor Fritscher geführt wurde. Die Jahre 1933 bis 1939 sind unklar. Aufgrund der politischen Situation in Böhmen und Mähren konnte Wilhelm Fritscher im Jahre 1940 das Unternehmen, in dem er früher tätig war, vom Besitzer für 17.500 RM (mit dem durchaus üblichen Multiplikator 4,545454 entspräche das heute ca. 80.000 €.) das Eigentumsrecht für sich und das sog. Fruchtgenussrecht für seine Eltern, Viktor und Rosa Fritscher, erwerben. (Das Fruchtgenussrecht ist das Recht, eine fremde Sache, unter Schonung der Substanz, zu genießen).

Ausstellung 1938 in Landskron
Aufgrund von späteren Entschädigungsaufstellungen ist davon auszugehen, dass es den Fritschers in Landskron in den Jahren bis zum Kriegsende finanziell gut ging und die Geschäfte florierten.
Dann kam das Jahr 1945, in dem es im gesamten Sudetenland zu wilden willkürlichen Vertreibungen und im Jahr 1946 zu organisierten Vertreibungen im großen Stil kam. über die Begriffe »Vertreibung, Aussiedlung, Umsiedlung, Abschiebung usw.« besteht bis heute ein Streit, der noch nicht beigelegt ist. Was nun? Die Unterlagen von Hertha Fritscher sind leider nicht lückenlos. Aber, da gibt es ja noch Edgar Horn von der Kreishandwerkerschaft Ostalb, der mir dankenswerterweise Material aus der Chronik der Elektro-Innung Aalen zur Verfügung gestellt hat. Diese Chronik wurde vom verstorbenen Ehrenobermeister Wolfgang Schreiner erstellt. Und auch hier zeigt sich wieder: Was niedergeschrieben ist, geht auch nicht verloren. Aus Respekt gegenüber Herrn Schreiner gebe ich den Chronik-Eintrag im Original wieder: »Herr Wilhelm Fritscher, geb. 1905 in Loschitz, gest. 1972 in Oberkochen, eröffnete 1946 in Oberkochen ein Elektrofachgeschäft. Der Schwerpunkt des Angebotes lag auf dem Bereich Brauner Ware (zur Erklärung der alten Begriffe: Braune Ware → Unterhaltungselektronik, Rote Ware → Heizungen, Weiße Ware → Kochen, Waschen).

Formularkopf der ersten eigenen Firma »mit deutschem Gruß«
Mit dieser Neugründung rief er seinen verlorenen Betrieb – Erstes Landskroner Elektro- und Radiotechnisches Unternehmen – wieder ins Leben. Nach dem Besuch der Technischen Hochschule in Brünn legte er dort die Ingenieurprüfung ab. Mit der Geschäftseröffnung in Oberkochen trat er auch in die Elektroinnung Aalen ein. Kollege Wilhelm Fritscher war ein sehr aktives Mitglied unserer Innung und übernahm entsprechende Ehrenämter. So war er einige Jahre für die Radiomechaniker-Gesellenprüfung verantwortlich.

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Letzte Gesellenprüfung Wolfram Keller
Da die Innung zu dieser Zeit noch keine geeigneten Räume zur Ausrichtung der Gesellenprüfung zur Verfügung hatte, fanden diese Gesellenprüfungen in der Werkstatt des Kollegen Fritscher statt. Außerdem engagierte er sich im EAZ ElektroAusbildungsZentrum. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern und war somit einige Jahre im EAZ-Vorstand tätig. Aber auch in seiner neuen Heimat Oberkochen setzte er sich für das Handwerk und für die Gewerbebetriebe ein. Dies beweist ein Auszug aus der Chronik der Stadt Oberkochen: Da hatte Elektro-Ingenieur Wilhelm Fritscher 1952 den Einfall, in einer Weihnachtsausstellung die Leistungsfähigkeit des Oberkochener Gewerbes darzustellen. Mit dieser Ausstellung sollte der Einwohnerschaft bewiesen werden, dass die Oberkochener Geschäfte mit einer großen Auswahl und Vielseitigkeit ihres Warensortiments von bester und einwandfreier Qualität und der gebotenen Preiswürdigkeit zu jeder Zeit in der Lage sind, allen Ansprüchen und Wünschen gerecht zu werden. Außerdem würden die Gewerbesteuern zum Nutzen der Allgemeinheit in Oberkochen verbleiben. Seine Ehefrau Hertha war für das Ladengeschäft und die Buchhaltung zuständig. Im Ganzen gesehen: Kollege Wilhelm Fritscher war ein sehr wertvolles Mitglied der Elektroinnung Aalen. Nach seinem Tod ist die Firma im Jahr 1973 erloschen.«
Wie weiterhin zu erfahren war, wurde Herr Fritscher am 22. Juli 1957 in den Innungsvorstand gewählt und bekleidete dort das Amt des Fachgruppenleiters »Radio- und Fernsehtechnik« bis zu seinem Tod am 17. April 1972.
Wir finden in den div. Einwohnermeldebüchern folgende Adressen der Fritschers: Wilhelm und Hertha in der Kapellensteige 8 und später zusammen mit Rosa im Primelweg 1, Rosa und Viktor in der Dreißentalstr. 4. Das Geschäft befand sich in der Heidenheimer Str. 2

Blick vom Lindenbrunnen

Blick Richtung Lindenbrunnen

In der Werkstatt
Später wurden und werden die Räume bis heute von den Versicherungsbüros Lebzelter, Kresse und Ilg benutzt. Mir persönlich ist Wilhelm Fritscher als agiler Macher in Erinnerung. Zusammen mit Albert Schleicher wurde das erste Geschäftsauto gekauft. Mit ihm und Dr. Hans Schmid wurde das 8te Bezirksmusikfest im Juli 1952 organisiert und filmisch dokumentiert.

Ausstellung 1952 in d’r Schell
Und in d’r »SCHELL« wurde zu Weihnachten in diesem wichtigen Jahr 1952 (ich erblickte in diesem Jahr als Hausgeburt am Sonnenberg das Licht der Welt) die erste TV- und Radioausstellung organisiert. Die Bilder sind für diese Zeit schon recht beeindruckend. So eine Ausstellung nach der »Schell-Art« hatte Herr Fritscher auch schon 1938 in Landskron durchgeführt, wie die Bilder aus der Innungs-Chronik beweisen. Was habe ich mir an den Schaufenstern die Nase platt gedrückt, um die bewegten Bilder in dort ausgestellten Schwarz/Weiß- TV-Apparaten staunend anzuschauen. Auch Frau Fritscher stand ihren Mann und weiß heute noch zu berichten, dass Waschmaschinen in großen Mengen verkauft wurden und sie die Kundinnen zum Test-Waschen in die Kellerräume des Primelwegs 1 einlud. Das hatte ja fast etwas vom Charme der legendären Tubber-Parties . Auch Herr Fritscher war ein Geschäftsmann vom sog. »Alten Schlag«, die nicht nur auf den Umsatz schauten, sondern sich auch kümmerte – sei es dass der Fernseher am Heiligen Abend schlapp machte, oder wenn Not am Mann oder an der Frau waren (dann durchaus auch mal kostenlos). Wir sehen, Oberkochen war einmal eine blühende Einkaufsstadt, in die man zwar nicht zum Einkaufen gefahren ist, aber hier wurde gekauft, weil man hier gearbeitet hat.


Mal sehen, welche Anrufe mich jetzt erreichen. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch zu ELEKTRO-BLUM und ELEKTRO-STARZ einiges zu erzählen gäbe.
Wilfried Billie Müller