Noch in diesem Monat wird das Gebäu­de der ehema­li­gen Werkzeug­fa­brik KWO abgebro­chen, um der Erschlie­ßung des Gebiets »Stahl­acker« zu weichen. Damit geht auch ein Stück Oberko­che­ner Indus­trie­ge­schich­te zu Ende. Anlass für einen unter­neh­mens­ge­schicht­li­chen Rückblick, aber auch für einen stadt­ge­schicht­li­chen Ausblick in die Zukunft von Bürger­meis­ter Peter Traub.

Karl Wannen­wetsch Oberko­chen – KWO. Dieser Name steht für eines der tradi­ti­ons­rei­chen Werkzeug­un­ter­neh­men, das dazu beitrug, dass Oberko­chen zu einem bedeu­ten­den Stand­ort für die Bohrer­ma­cher und späte­re Werkzeug­in­dus­trie wurde. Es steht aber auch für den Wandel in der Werkzeug­bran­che und damit dem Wandel in Oberko­chen, der sich vor allem in den letzten Jahrzehn­ten vollzo­gen hat.

Der Firmen­grün­der und Namens­ge­ber, Karl Wannen­wetsch, begann 1903 mit der eigenen Produk­ti­on von Handboh­rern in einem Wohn- und Werkstatt­ge­bäu­de in der heuti­gen Aalener Straße 44. Zuvor hatte er bei Albert Leitz das »Bohrer­spit­zen« gelernt und danach einige Jahre in dessen Betrieb gearbei­tet. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrie­ges beschäf­tig­te Karl Wannen­wetsch bereits sieben Mitarbeiter.

Der Neube­ginn nach der Heimkehr aus dem Krieg wurde ihm durch Krank­heit und den fehlen­den Elektro­mo­tor – er war zu Kriegs­zwe­cken konfis­ziert worden – erschwert. Die Infla­ti­on Anfang der 1920er Jahre und die stark gewor­de­ne Konkur­renz der eisen­ver­ar­bei­ten­den Indus­trie in Remscheid und Schmal­kal­den mit ihrer Massen­pro­duk­ti­on von Handboh­rern trugen ein Übriges dazu bei.

Als Einmann­be­trieb arbei­te­te Karl Wannen­wetsch weiter, ab 1927 nahm er auch einzel­ne Typen von Maschi­nen­boh­rern in sein Programm mit auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg übergab er seinem Sohn, Karl Wannen­wetsch jun., den Betrieb. Dieser hatte bei seinem Vater das Bohrer­ma­chen erlernt, später eine kaufmän­ni­sche Ausbil­dung absol­viert und war danach in verschie­de­nen Indus­trie­be­trie­ben tätig gewesen. Schon 1950 wurde das Sorti­ment auf Fräser für Handober­frä­sen erweitert.

Der Aufschwung während der sog. »Wirtschafts­wun­der­jah­re« kam, und der Betrieb wurde vergrö­ßert. 1954 wurde in der Aalener Straße 44/1 ein Werkstatt­ge­bäu­de mit Lager­räu­men erstellt, das in den Jahren 1959 und 1964 erwei­tert, 1969 aufge­stockt und 1976 sowie zuletzt 1983 nochmals erwei­tert wurde.

Das nachfol­gen­de Foto, das wie die übrigen freund­li­cher­wei­se von Ulrich Wannen­wetsch, dem Enkel des Firmen­grün­ders Karl Wannen­wetsch sen., zur Verfü­gung gestellt wurde, zeigt das alte Wohnhaus der Familie Wannen­wetsch (rechts im Bild) sowie das neu erstell­te Werkstatt­ge­bäu­de (links im Bild) im Jahr 1955.

Oberkochen

Das KWO-Werkstatt­ge­bäu­de im Jahr 1955

Die Werkstatt war vor dem Neubau 1954 im hinte­ren Teil des Wohnhau­ses unter­ge­bracht. Dieser Teil wurde später abgebro­chen und das Wohnhaus umgebaut. Links neben der Werkstatt ist ein altes Fachwerk­ge­bäu­de erkenn­bar, das nicht mehr existiert. Es handel­te sich um das Haus Aalener Straße 46. In einem alten »Situa­ti­ons­plan« aus dem Jahr 1880 ist das frühe­re Haus Nr. 103 (Aalener Straße 46) als Keller und »Fass-Remie« (Remise) darge­stellt, das dem ehema­li­gen »Ochsen­wirth Johann Georg Köpf«, später dem Ochsen­wirt Ludwig Trick als Geräte- und Lager­raum diente. Die Bezeich­nung als Keller ist insoweit inter­es­sant, als sich weiter vorne unter dem Wohnhaus der Familie Wannen­wetsch und dem Haus Aalener Straße 42 noch heute ein Bier- und Eiskel­ler befin­det, der von der Familie Nagel (Hirschen) als Bier- und Eiskel­ler zum Lagern der Eisstan­gen genutzt wurde. Angeb­lich befan­den sich auch unter der o.g. Remise ein oder mehre­re Eiskel­ler, die den Eigen­tü­mern bzw. Wirten des Gasthau­ses »Ochsen«, später dann dem »Hirschen«, also der Familie Nagel, gehör­ten bzw. zugeord­net waren.

1960 beschäf­tig­te die KWO Werkzeu­ge GmbH 43 Mitar­bei­ter, die auf die Herstel­lung von Maschi­nen­h­oh­rern und Schaft­werk­zeu­gen, auch in hartme­tall­be­stück­ter Form (für die Bearbei­tung moder­ner Platten­werk­stof­fe), spezia­li­siert waren. Anfang der 1970er Jahre wurde mit der Ferti­gung von Werkzeu­gen für profes­sio­nel­le Heimwer­ker­ma­schi­nen begonnen.

Wie das nachfol­gen­de Foto aus dem Jahr 1970 zeigt, wurde die Werkstatt in den Jahren 1959 und 1964 erwei­tert. Zudem wurde im rückwär­ti­gen Bereich ein Anbau errich­tet, der später teilwei­se wieder abgebro­chen und durch einen anderen Anbau entlang der Aalener Straße ersetzt wurde (siehe letztes Foto).

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Das erwei­ter­te KWO-Werkstatt­ge­bäu­de im Jahr 1970

1978 übernahm der Enkel des Firmen­grün­ders, Ulrich Wannen­wetsch, die Geschäfts­füh­rung des Betrie­bes. Unter seiner Leitung stieg der Export­an­teil auf 50%. Die Produk­ti­on umfass­te vor allem Maschi­nen­boh­rer, spezi­ell Bohrer für Bohrau­to­ma­ten in der Möbel­in­dus­trie, sowie Schaft­frä­ser. Hinzu kam ein breit ausge­bau­tes Heimwer­ker­pro­gramm. Die Firma unter­hielt seiner­zeit zwei eigene Verkaufs­nie­der­las­sun­gen in Frank­reich und England und beschäf­tig­te in den 1980er Jahren bis zu 110 Mitarbeiter.

In den darauf folgen­den Jahren nahm nach Angaben von Ulrich Wannen­wetsch der Wettbe­werbs­druck vor allem auslän­di­scher Anbie­ter aus dem Mittle­ren und Fernen Osten zu. Billig­werk­zeu­ge für Heimwer­ker und Handwer­ker, aber auch höher­wer­ti­ge Maschi­nen­werk­zeu­ge aus Taiwan, Israel, der ehema­li­gen Sowjet­uni­on und zuneh­mend auch aus China »überschwemm­ten« den Markt, was zum einen zu einem Verdrän­gungs­wett­be­werb und zum anderen zu einer Konzen­tra­ti­on inner­halb der Branche führte. Hiervon blieb auch KWO nicht verschont.

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Das erwei­ter­te und mit einem Anbau verse­he­ne KWO-Werkstatt­ge­bäu­de im Jahr 1978

Zur langfris­ti­gen Siche­rung des Unter­neh­mens war es daher notwen­dig, es auf eine breite­re Basis zu stellen bzw. es in einen größe­ren Firmen­ver­bund zu integrie­ren. Aus diesem Grund entschloss sich Ulrich Wannen­wetsch, die KWO Werkzeu­ge GmbH 1994 an die Leitz-Gruppe zu verkau­fen. Dort besteht die Gesell­schaft bis heute als eigen­stän­di­ges Unter­neh­men inner­halb der Leitz-Firmengruppe.

Im Rahmen einer »Rocha­de« wurde die KWO Werkzeu­ge GmbH im Jahr 2005 vom Stand­ort Oberko­chen nach Neres­heim verla­gert. Im Gegen­zug wurde die Fa. WIGO, ebenfalls ein ursprüng­lich Oberko­che­ner Tradi­ti­ons­un­ter­neh­men und späte­res Tochter­un­ter­neh­men der Leitz-Gruppe, zurück nach Oberko­chen verla­gert. Bei KWO wurde die Produkt­pa­let­te am neuen Stand­ort erheb­lich ausge­wei­tet und umfass­te nicht mehr nur Schaft­werk­zeu­ge wie Fräser und Bohrer, sondern auch hartme­tall­be­stück­te Kreis­sä­ge­blät­ter. Heute hat das Unter­neh­men 75 Beschäf­tig­te, Tochter­ge­sell­schaf­ten in England, Frank­reich und den USA sowie General­ver­tre­tun­gen rund um den Erdball.

Im Dezem­ber 2005 kaufte die Stadt Oberko­chen das leerste­hen­de KWO-Fabrik­ge­bäu­de sowie das daneben stehen­de ehema­li­ge Wohnge­bäu­de der Familie Wannen­wetsch. Damit eröff­ne­te sich für die Stadt die Möglich­keit, das dahin­ter­lie­gen­de Gewann »Stahl­acker« als inner­ört­li­ches Misch- und Wohnge­biet zu erschließen.

Bis Febru­ar 2014 wurde das Fabrik­ge­bäu­de in der Aalener Straße an den Herstel­ler von Präzi­si­ons­tei­len, die Fa. Seeling Präzi­si­ons­tei­le, vermie­tet. Im Rahmen einer weite­ren »Rocha­de« wird sie in die Produk­ti­ons­räu­me der Fa. Jakob Schmid – JSO in der Dreißen­tal­stra­ße wechseln, da JSO seine Produk­ti­on von Oberko­chen ins Zweig­werk nach Neres­heim-Elchin­gen verla­gert. Auch bei der Fa. Jakob Schmid geht damit ein Stück Oberko­che­ner Unter­neh­mens­ge­schich­te zu Ende.

Das KWO-Fabrik­ge­bäu­de in der Aalener Straße 44/1 wird voraus­sicht­lich noch im Febru­ar 2014 abgebro­chen. Damit ist der Weg frei für die Erschlie­ßung des Gebiets »Stahl­acker«. In den nächs­ten Jahren wird dort die Essin­ger Wohnbau GmbH drei Mehrfa­mi­li­en­häu­ser mit senio­ren­ge­rech­ten Wohnein­hei­ten errich­ten. Auf dem Gelän­de des KWO-Gebäu­des wird nach dem Abbruch ein neues Verwal­tungs- und Büroge­bäu­de des in Oberko­chen ansäs­si­gen Software­un­ter­neh­mens 3E Daten­tech­nik entstehen.

Die Geschich­te und Entwick­lung des Unter­neh­mens KWO verdeut­licht den Wandel, der sich in den vergan­ge­nen Jahrzehn­ten in der Werkzeug­bran­che vollzo­gen hat. Es verdeut­licht aber auch den Wandel, der sich – nicht erst seit heute – in Oberko­chen vollzieht. Tradi­ti­ons­un­ter­neh­men verschwin­den aus dem Stadt­bild, neue Unter­neh­men und Wohnquar­tie­re entste­hen und werden das künfti­ge Erschei­nungs­bild prägen. Altes vergeht und Neues entsteht.

Oberko­chen nutzt den Wandel, um sich für die Zukunft zu rüsten. Im Süden unserer Stadt entstan­den in den vergan­ge­nen Jahren mit der Carl Zeiss SMT GmbH und dem neuen Werk für Medizin­tech­nik der Carl Zeiss Meditec AG hochmo­der­ne Unter­neh­men in der Photonik­bran­che, einer Schlüs­sel­tech­no­lo­gie des 21. Jahrhun­derts. Das neue Verwal­tungs- und Büroge­bäu­de der Fa. 3E Daten­tech­nik wird bald im Norden unserer Stadt ein moder­nes Entrée bilden.

Weite­re Gebie­te in unserer Stadt werden dem Wandel folgen. So entsteht z.B. zwischen Mühlstra­ße und Kronen­gäß­le in den nächs­ten Jahren ein neues Wohnquar­tier. In ein paar Jahrzehn­ten werden sich nach uns mögli­cher­wei­se nur wenige daran erinnern, woher das Kronen­gäß­le seinen Namen hat, und dass dort früher u.a. das Gasthaus »Krone« stand, das Mitte des 19. Jahrhun­derts von Johan­nes Elmer als »Wein- und Bierwirt­schaft zur Krone« errich­tet wurde.

Die Innen­stadt wird sich ebenfalls verän­dern. Zwischen Bahnhof­stra­ße und Katzen­bach­stra­ße wird in den nächs­ten Jahren eine neue Mitte entste­hen, die das Erschei­nungs­bild positiv verän­dern wird. Das frühe­re Gasthaus »Zum Hirschen« bzw. »Zum Golde­nen Hirschen« wird dann voraus­sicht­lich auch nicht mehr existie­ren, und niemand wird dann vielleicht mehr wissen, dass dort eine der ältes­ten Taver­nen Baden-Württem­bergs stand, deren Ursprün­ge bis ins 14. Jahrhun­dert zurück­reich­ten und die 1831 erstmals unter dem Namen »Hirsch« in Erschei­nung trat.

Ein weite­res Quartier, nämlich das Ensem­ble der Schee­rer-Mühle, wird an die Innen­stadt angebun­den, und wenn das Wirtschafts­ge­bäu­de restau­riert ist, wird aus dem einsti­gen, etwas abgele­ge­nen »Hinter­hof« ein kleines Ortszen­trum entste­hen, das unsere Stadt­mit­te zusätz­lich berei­chern und beleben wird. Hier wollen wir also die alten Gebäu­de nicht abbre­chen, sondern – im Gegen­teil – erhal­ten und neu nutzen. Es geht also auch darum, kultur­his­to­risch wertvol­le Gebäu­de und damit ein Stück lokaler Identi­tät zu erhalten.

Vielen geht dieser Wandel zu schnell, manchen zu langsam. Manche wollen ihn anders oder gar nicht. Letzt­end­lich können wir uns ihm aber nicht verschlie­ßen. Alles verän­dert sich. Überall. Immer. Schon Charles Darwin erkann­te: »Nichts in der Geschich­te des Lebens ist bestän­di­ger als der Wandel.« Wir können also den Wandel nicht aufhal­ten, und deshalb sollten wir ihn aktiv gestal­ten, so wie in Oberko­chen. Und auch hier gilt: Wenn wir etwas bewah­ren wollen, müssen wir den Mut haben, es zu verändern.

Peter Traub,
Bürger­meis­ter

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