Häuser werden abgeris­sen, Menschen sterben – aber die Erinne­run­gen bleiben. Die KRONE wurde abgeris­sen und Elmer’s Emil ist gestor­ben. Die Zeit geht dahin und die alten Geschich­ten mit ihr. Deshalb gibt es rühri­ge Leute beim Heimat­ver­ein. Und so ein »Herum­rüh­rer« bin auch ich und wir würden uns freuen, wenn wir mehr neue »Herum­rüh­rer« hei uns begrü­ßen könnten. Bei uns gibt es immer was zu tun und in alten Zeiten »herum­zu­rüh­ren«.

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Vor einiger Zeit habe ich mir wieder einmal ein Fahrrad gekauft. Ich liebe Fahrrä­der und brauche sie, zumal ich mir den Luxus erlau­be bis heute kein Auto zu haben, dafür aber mehre­re Räder. Wie ich mich da so im Geschäft umschaue, denke ich mir: »Jetzt kaufst Du Deine Fahrrä­der schon jahrzehn­te­lang beim Elmer und erinnerst Dich noch an das kleine Geschäft in der ehema­li­gen KRONE; da musst Du doch mal eine Geschich­te schrei­ben« – gesagt getan. Erst das neue Fahrrad gekauft und dann mit Emil zusam­men­ge­hockt und „alte Geschichte(n) mit’nander verklaubt “.

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Der erste Kontakt unserer Familie zum Haus Elmer begann natür­lich nicht über Fahrrä­der, sondern über den Hausbau, wie ich bei den Recher­chen zum Artikel „Das erste Fertig­haus in Oberko­chen“ (B&G Nr. 29 vom 21.07.2006) feststell­te. Dabei fand ich eine Rechnung vom 30.10.1950 über das „Legen und montie­ren der Wasser­lei­tung“ mit einem Rechnungs­wert von DM 318,59. Wie wir dem Formu­lar­kopf entneh­men können, beschäf­tig­te sich Emil’s Vater Josef Elmer damals mit Wasser-Instal­la­tio­nen, Fahrrä­dern, Zubehör und Motor­rä­dern. Als kleiner Junge in den Fünfzi­gern war mein erster Kontakt zum Fahrrad­ge­schäft nicht direkt, sondern über meine Eltern.

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Wilfried mit neuem Ferbedo-Roller

An einem Oster­fest bekam ich einen wunder­schö­nen roten Ferbe­do-Roller mit Gummi­rei­fen geschenkt (das war schon was im Vergleich mit den Holzrol­lern), die aller­dings, das muss ich geste­hen, einen bunten Winker hatten. Der eigene Roller erwei­ter­te meinen Mobili­täts­ra­di­us enorm. Die Sonnen­berg­stra­ße hin und her, das war schnell langwei­lig. So fuhr ich flugs die Dreißen­tal­stra­ße hinun­ter. Dabei ging es aber so schnell, dass ich vor Schreck nicht wusste, wo die Bremse war und daher blitz­ar­tig mit den Knien brems­te. Ärger mit der Mutter gab es nicht, da wir damals ständig kurze Hosen trugen (um die Kosten niedrig zu halten) und so hatte ich nur meine „Brems-Wundma­le“ zu pflegen. Danach wusste ich immer, wo die Bremse ist.

In den 60er Jahren war es dann soweit. Das erste Fahrrad mit Querstan­ge (Abgren­zung zu den Mädchen musste sein). Nichts Schlim­me­res, als wenn ein Junge ein Mädchen­fahr­rad fahren musste! Mädchen, die es aber verstan­den, ein Herren­fahr­rad zu fahren, fanden wir cool. Die Welt war groß gewor­den. Entfer­nung war keine Grenze mehr. Ich war frei. Jetzt ging es noch darum, das Fahrrad auszu­stat­ten (Spiegel waren etwas für ältere Herren, aber runde bunte Naben­rei­ni­gungs­bürs­ten mussten schon sein oder Zahnrä­der austau­schen, damit man die 3 Gänge manipu­lie­ren konnte). Einige spekta­ku­lä­re Unfäl­le (ohne Helm) führen dazu, dass ich fahrrad­mä­ßig oft auf dem neues­ten Stand war und so ist das bis heute geblie­ben (nicht die Unfäl­le, sondern der neues­te techni­sche Stand). Jetzt ist es Zeit, einen Blick zurück in die Elmer’sche Vergan­gen­heit zu werfen. In diesem Zusam­men­hang verwei­se ich auch auf die Berich­te 8 und 15 von Dietrich Bantel über die KRONE.

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Alles geht zurück auf Johan­nes Elmer (geb. 1862 – gest. 1935). Dieser betrieb ab ca. 1887 in Oberko­chen eine Ketten­schmie­de, ein Elektri­zi­täts­werk (erster Strom­lie­fe­rant ab 1906 am Ort), eine Schlos­se­rei und war Gastwirt der KRONE (der ASIA BAMBUS ist auch schon wieder Geschich­te und die Geschich­te des Hauses ging mit dem Abbruch zu Ende). Die Überga­be an seinen Sohn Josef Elmer (geb. 1893 – gest. 1969) erfolg­te 1920. Das Geschäfts­feld beinhal­te­te nun eine Schlos­se­rei mit Fahrrad­han­del und Repara­tur, Lohndre­sche­rei, Wasser-Instal­la­tio­nen, Holzsä­ge und die Gastwirt­schaft KRONE.

Im Erdge­schoss und teilwei­se im ersten Stock der frühe­ren KRONE wurden Fahrrä­der, Zubehör, Elektro­ar­ti­kel, Bügel­eisen, Mopeds, Glühbir­nen und Flick­zeu­ge verkauft. Die Firma, in Oberko­chen hieß sie oifach »s’Krone‑G’schäft«, war auch auf den Gewer­be­aus­stel­lun­gen präsent, die früher in der sog. „Schell“ in der Bahnhofs­stra­ße durch­ge­führt wurden.

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Ausstel­lung in dr »Schell«

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Hilde Wanner’s Geburts­tags­ge­schenk 1925

Was nur wenige von uns wissen: es wurden zarte Versu­che unter­nom­men, eine Fahrrad­fa­bri­ka­ti­on auf die Beine zu stellen. Leider wurden es nur 5 Exempla­re, wovon 4 auf der »ULMER MESS« verkauft wurden. Hilde Wanner erhielt 1925 eines davon als Geburts­tags­ge­schenk (Hilde war die Tochter von der Schwes­ter seines Vaters – wie Emil sich ausdrück­te. Ich würd’ sagen: »s’isch halt sei Bäsle gwääääh«.

Die Geschäfts­tüber­ga­be an den Sohn Emil Elmer erfolg­te im Jahre 1958 (geb. 1930). Emil hatte vorher eine kaufmän­ni­sche (!) Ausbil­dung bei WIGO genos­sen (daher kannten sich auch er und mein Vater, der Hebam­men-Schorsch aus Brastel­burg recht gut). Während dieser Zeit durfte er aber auch schon tatkräf­tig beim Holzsä­gen und bei den Wasser­in­stal­la­tio­nen mithel­fen. Urlaub? Freizeit? Das waren für Emil Fremd­wor­te. Arbeit hält jung! Und Work-Life-Balan­ce – des isch höxscht iiiber­flis­sig. Mir läbet om z’schaffa ond na braucht mer au koi Fitness-Zenter. Insge­samt war Emil 8 Jahre bei WIGO (bis 1952). Von da an arbei­te­te er im Famili­en­un­ter­neh­men mit und übernahm die Geschäf­te ab 1958. Die KRONE blieb beim Vater, Emil war aber betei­ligt. Die Gastwirt­schaft KRONE wurde von den Elmers von 1887 bis 1970 betrie­ben. In dieser Zeit gingen Friede­mann Blum und ich nach jedem Heimspiel unseres ruhmrei­chen FCO zur Nachbe­spre­chung zum Krona-Wirt, um das Spiel zu analy­sie­ren und ggfs. mit ein paar Bier schön­zu­re­den. Ab 1970 wurde verpach­tet und 1977 verkauft. Emil erwei­ter­te den Zweirad-Betrieb, baute 1969/1970 ein Geschäfts­haus in der Aalener Str. 64. Die „Allen“ werden sich noch erinnern, dass die Werkstatt schon seit 1930 auf diesem Grund­stück vorhan­den war.

Die Verkaufs-Hits der letzten Jahrzehn­te
50er Jahre: Sport­rä­der 26» 3‑Gang
60er Jahre: Renns­port­rä­der 28« 12-Gang
70er Jahre: Sport­rä­der 5 und 21 Gang (in diese Zeit müssten auch die Klapp- und Bonan­za­rä­der fallen)
80er Jahre: Trekking­rä­der 28» 21 Gang
90er Jahre: MTB 26« 21 — 24 Gang
00er Jahre: MTB voll gefedert und viele Trekking­rä­der
10er Jahre: Die Zeit der E‑Bikes bricht an

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Typisch für Emil war auch ein Geschäft der beson­de­ren Art zwischen ihm und mir: Mein Sohn Sascha wollte in Kinder­jah­ren ein neues Fahrrad. Leider war nicht genug Geld da und eine Barzah­lung war nicht möglich. Also habe ich mit Emil eine pädago­gi­sche Maßnah­me erarbei­tet und die laute­te: »Mir kaufet’s Rad wenn m’rs Geld hennt ond net vorher«. Jeden Monat brach­te Sascha seine fälli­ge Raten­zah­lung bei Emil vorbei, ließ sich die Zahlung quittie­ren, konnte sein Fahrrad anschau­en und durfte es dann nach 6 Monaten, nach Bezah­lung der letzten Rate, mitneh­men. Ob es lehrreich war? Vielleicht. Auch wenn er sein erstes Auto so nicht gekauft hat.

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In Memori­am Emil Elmer – einem Schrau­ber mit Herz und Seele vom »Alten Schlag«

Am 8. Januar 2007 war es dann soweit. Emil erfüll­te seine Frauen­quo­te (ohne Geset­zes­vor­ga­be) und übergab das Geschäft an seine Tochter Ingrid (geb.1968). Ingrid steht dort inzwi­schen ihren Mann, das Angebot hat sich seither kräftig geändert und wir konnten es uns bis 2013 gar nicht vorstel­len, dass der Emil eines Tages keine Fahrrä­der mehr reparie­ren würde und nach dem Motto »WOISCH NO« Geschich­ten aus längst vergan­ge­ner Zeit zum Besten geben würde. Für mich persön­lich bedeu­tet das, dass wieder ein liebens­wer­ter Mensch von uns gegan­gen ist, der mir von meinem Vater und ihrer beider Zeit erzäh­len konnte.

Wilfried Müller

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Der »ASIA BAMBUS« im KRONE-Gebäu­de vor dem Abriss

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