Teil 1: Sibyl­le von der Teck

Die Teck ist ein markan­ter Berg der Schwä­bi­schen Alb in der Gegend von Kirch­heim. Wenn man heute junge Schwa­ben fragt, ob sie die spannen­de und in mancher­lei Hinsicht durch­aus aktuel­le schwä­bi­sche Sage von der »Sibyl­le von der Teck« kennen, erntet man ein mitlei­dig gelang­weil­tes »Nööö«. Dann traut man sich natür­lich fast gar nicht mehr weiter zu fragen, ob diese jungen Schwa­ben schon mal etwas von der »Sibyl­len­spur« gehört haben, denn das ist dann jenseits von allem geschicht­lich oder nicht­ge­schicht­lich Zumutbarem.

Meinen Schülern habe ich die Sage von der Sibyl­le von der Teck dann doch immer wieder ganz gut »verkauft« – leicht »moder­ni­siert« natür­lich, – so wie ich sie aus einem bestimm­ten Grund hier stark verdich­tet erzäh­len will:

Tief unten im Sibyl­len­loch, einer Höhle im Abhang der Teck, wohnte der Sage nach eine edle und beim Volk äußerst belieb­te Frau, mehr Fee (oder Hexe?) als Frau, namens Sibyl­le. So glaub­te man zumin­dest. In Wirklich­keit aber lebte die Sibyl­le als Witwe mit drei Söhnen viel weiter hinten in selbi­ger Höhle, und zwar in einem phantas­ti­schen unter­ir­di­schen aus Silber, Gold und Edelstei­nen erbau­ten Schloss. Die drei Söhne waren durch den Reich­tum der Mutter total daneben geraten. Bald verlie­ßen sie die Mutter und bauten sich mit deren Geld Burgen auf den Bergen der Umgebung der Teck und trieben von dort aus ihr lieder­li­ches, ja verbre­che­ri­sches Unwesen. Dies veran­lass­te die Mutter, um die Schan­de auszu­glei­chen, dazu, ihren Reich­tum an die Armen und Bedürf­ti­gen zu gehen.

Oberkochen

Die Sibyl­le von der Teck mit ihrem golde­nen Wagen

Irgend­wann war ihr Kummer über ihre misslun­ge­nen Söhne so groß, dass sie ihren großen golde­nen Wagen bestieg, zwei riesi­ge löwen­gro­ße Katzen davor spann­te, und mit unheim­li­chem Gebrau­se bergab­wärts, fast wie durch die Lüfte getra­gen, in die Ebene des Lauter­tals hinaus rausch­te, wo sie mit ihrem Wagen so hart aufsetz­te, dass sich über die ganze Talebe­ne hinweg eine bis in die Gegen­wart im Frühling jeden Jahres sicht­bar werden­de Räder­spur eingrub, in der auf unerklär­li­che Weise das Getrei­de bis auf den heuti­gen Tag beson­ders hoch und frucht­bar wächst: die letzte gute Tat der Sibyl­le von der Teck. Diese rätsel­haf­te jährlich im Frühjahr kommen­de und gehen­de frucht­ba­re Räder­spur nennt man im Volks­mund »Sibyl­len­spur«. Doch davon später. Dann donner­te der Wagen den Gegen­hang hinauf, bis er, mitsamt der Sibyl­le und den Löwen­kat­zen, in den Lüften über der Schwä­bi­schen Alb verschwand, – Richtung Bayern. – Nach meinen Infor­ma­tio­nen verlieb­te sich die Sibyl­le von der Teck einige Jahrhun­der­te oder Jahrtau­sen­de später in Kini, den bayeri­schen Märchen­kö­nig. König Ludwig II. Und dieser verlieb­te sich in sie. Kini baute Sibyl­le jede Menge traum­haft wunder­sa­mer Schlös­ser. Geldmä­ßig blieb dann gegen das Ende der eher kurzen Regent­schaft Kinis aller­dings Einiges im Unkla­ren. Ich sehe das im Vertrau­en gesagt so, dass aus dieser »Kini-Sibyl­len-Bezie­hung« für das Land Bayern die auf die Dauer konstruk­tivs­te und frucht­bars­te aller Staatschul­den­kri­sen entstand, die letzt­end­lich zum Länder-Finanz­aus­gleich und, zusam­men mit den inzwi­schen millio­nen­schwe­ren Eintritts-Einnah­men der bayeri­schen Schlös­ser­ver­wal­tung zum heuti­gen Wohlstand des Freistaats führte.

Teil 2: Die Sibyllenspur

Das Rätsel der »Sibyl­len­spur« war vor gut 30 Jahren noch ungelöst. – In der Schwä­bi­schen Post vom 11.12.1982 erschien jedoch folgen­de Schlag­zei­le:
»Sibyl­len­spur: Rätsel gelöst«.
Dieter Planck weist römische Grenz­sys­te­me nach.

Oberkochen

SP-Ausschnitt vom 11.12.1982

Dieter Planck hatte 1971 für uns die Funde vom »Römer­kel­ler Oberko­chen« bestimmt. Bereits in den Neunzi­gern war er Profes­sor Dr. Dieter Planck, Präsi­dent des Landes­denk­mal­amts Baden-Württemberg.

Oberkochen

Sibyl­len­spur (Google-Foto)

Zitat aus diesem Artikel:
»So vielfäl­tig wie der Sibyl­len­my­thos – Gustav Schwab zitiert eine Versi­on, in der die Sibyl­le eine böse Hexe war und bei ihrer Flucht die Erde verbrannt hat – so zahlreich sind die Versu­che, dem Geheim­nis der Natur­er­schei­nung auf den Grund zu gehen. Wissen­schaft­ler aller Fachrich­tun­gen versuch­ten in den vergan­ge­nen Jahrzehn­ten, einen Nachweis zu erbrin­gen, warum auf der schnur­ge­ra­den Spur ein verbes­ser­tes Wachs­tum zu erken­nen ist…«

Des Rätsels Lösung ist, dass die Spur, erst 1982 heraus­ge­fun­den, ein römisches Grenz­sys­tem mit Doppel­gra­ben und Palisa­den war, was auch römische Münz- und Scher­ben­fun­de belegen. Die Anlage wird als die ältes­te Form des Limes in dieser Gegend inter­pre­tiert. – In den beiden tiefen Gräben konzen­trie­ren sich auch heute noch feuch­ter Humus und natür­lich bei entspre­chen­der Witte­rung immer wieder mehr wachs­tums­be­güns­ti­gen­des Wasser als in der Umgehung.

Eigent­lich schade, dass der jahrhun­der­te­al­te Mythos um die »Sibyl­len­spur« ein so schnel­les und profa­nes Ende genom­men hat.

Teil 3: Sibyllenmythos

Der Sibyl­len­my­thos geht auf die griechi­sche Antike, mögli­cher­wei­se sogar auf noch wesent­lich ältere orien­ta­li­sche Vorbil­der zurück. Ein »Sibyl­le« ist – wie alle Frauen – eine Mischung aus natür­li­chem und überna­tür­li­chem weibli­chem Wesen. »Sibyl­len« hatten seheri­sche Kraft, – waren also eine Art Prophe­tin­nen, die aller­dings im Gegen­satz zu den »göttli­chen« Weissa­ge­rin­nen nicht »auf Komman­do« (beruf­lich sozusa­gen), sondern aus freien Stücken weissagten.

Teil 4: Die Sibyl­len­spur bei Oberkochen

Im Zusam­men­hang mit der Ausgra­bung des »Römer­kel­lers« erbat ich im Herbst 1971 »luftar­chäo­lo­gi­sche Hilfe« bei der Firma Carl Zeiss. Rudi Jährling hat mir damals, also 1971, im Auftrag der Firma CZ ein 1964 entstan­de­nes hervor­ra­gen­des CZ-Luftbild beschafft, das wir im Amtsblatt im Rahmen unserer heimat­kund­li­chen Bericht­erstat­tun­gen seither schon mehrfach erwähnt und abgebil­det haben. Im Heimat­mu­se­um hängt in Raum 2 eine sehr große Repro dieses Fotos, auf der »unsere Oberko­che­ner Sibyl­len­spur« hervor­ra­gend zu sehen ist.

In Bericht 46 unserer heimat­kund­li­chen Berichts­er­ie »Oberko­chen – Geschich­te, Landschaft, Alltag« vom 9.12.1988 weisen wir auf jene Spur hin, die in weitem Schwung von der mutmaß­li­chen alten Römer­stra­ße HDH — AA übers ganze an dieser Stelle ziemlich weite Kocher­tal hinweg auf die Anhöhe im Weilfeld führt. Wir zeigen hier den entspre­chen­den Ausschnitt des Fotos aus unserem damali­gen Bericht.

Oberkochen

Ausschnitt aus dem CZ-Foto von 1964

Zu unserem CZ-Foto der »Oberko­che­ner Sibyl­len­spur« aus dem Jahr 1964.

0 weist auf das kleine Sträß­chen, das oberhalb der Kreuz­müh­le, dem Stadi­on, den Tennis­plät­zen und dem Bauhof Richtung Unter­ko­chen führt und auch als »Grüßgott­weg­le« bekannt ist, – die mutmaß­li­che alte Römer­stra­ße von HDH nach AA.

1 weist nach damali­ger Einschät­zung auf den ungefäh­ren Lageort der großen Steine im und am Kocher hin. In Wirklich­keit liegen sie, wie erst kürzlich belegt, ein gutes Stück weiter kocherabwärts.

2 weist auf die 1964 noch deutlich sicht­ba­ren Spuren hin, die die »römische Stich­stra­ße zum Weilfeld« im Tal hinter­las­sen hat, vor allem in Form der beiden dunklen Straßen­be­gren­zun­gen, die als mit feuch­tem Humus gefüll­te Straßen­grä­ben zu deuten sind.

Prof. Dr. Planck vom LDA schloss nicht aus, dass es sich bei dieser Spur um eine von der römischen Verbin­dungs­stra­ße von Heiden­heim (Aquilei­ja) zum Reiter­kas­tell Aalen (Ala Secun­da Flavia) ins Weilfeld führen­de römische Stich­stra­ße handeln könne, wobei die deutlich zu erken­nen­den dunklen Strei­fen Straßen­grä­ben sind, die sich nach dem Prinzip der Sibyl­len­spur dunkel im Gelän­de »abzeich­nen«.

Leider müssen wir heute sagen: »abgezeich­net haben«, denn das gesam­te Gelän­de wurde, wie mir berich­tet wurde, noch in den Sechzi­ger­jah­ren ca. 2 Meter hoch aufge­füllt. Die Spur ist also bis auf ihre fotogra­fi­sche Dokumen­ta­ti­on (CZ 1964) für immer verschwun­den. Positiv formu­liert könnte indes auch gesagt werden: Unsere Oberko­che­ner Sibyl­len­spur ist auf diese Weise »dauer­haft konserviert«.

Teil 5: Das Rätsel um die »Steine im Kocher«

Die in unserem o.g. Bericht 46 abgehan­del­ten sehr großen und teilwei­se behaue­nen Steine könnten, wie 1988 von Frau Dr. Arnold vom IDA vermu­tet, »mittel­al­ter­lich« sein. Sie könnten – mit viel Phanta­sie – jedoch auch zu einem römischen Brücken­bau­werk gehört haben, über das man vor ca. 1800 Jahren über den Kocher, dessen Verlauf man sich als sumpfi­ges Schwemm­land vorstel­len darf, ins Weilfeld gelang­te. Die römische »Haupt­stra­ße« verlief, um nicht überschwem­mungs­ge­fähr­det zu sein, wie viele ähnlich angeleg­ten römischen Straßen, deutlich hangauf­wärts paral­lel zum Kocher.

Stadt­bau­meis­ter Thalhei­mer stell­te uns, damit endlich Klarheit in die Frage kommt, ob die »Steine im Kocher« etwas mit der römischen Stich­stra­ße zum Weilfeld, unserer Sibyl­len­spur, zu tun haben oder nicht, am 29.7.13 aktuel­le Luftbil­der zur Verfü­gung. Anhand dieser Fotos lässt sich nun klar belegen, dass die »Steine im Kocher« am Ende der Klein­gar­ten­an­la­gen keines­falls in irgend­ei­nem Zusam­men­hang mit der römischen Stich­stra­ße stehen können – dafür liegen sie ca. 300 m zu weit kocherabwärts.

Oberkochen

»Steine im Kocher« – hier die am linken Ufer

Am 29.7.2013 habe ich – nach 25 Jahren – die »Steine im Kocher« wieder aufge­sucht. Die Gesamt­si­tua­ti­on ist gründ­lich verän­dert. Von der rechten total verwahr­los­ten Ufersei­te her war es im Gegen­satz zu der Zeit vor 25 Jahren fast unmög­lich, bis an die Steine heran zu kommen. Dort sind vor gerau­mer Zeit Baumfäll­ar­bei­ten in großem Maßstab durch­ge­führt worden. Die gewal­ti­gen Wurzel­stö­cke sind vom Kocher unter­spült. – Von der linken Ufersei­te her gelangt man hinge­gen über das letzte Garten­grund­stück leicht zu den »Steinen im Kocher«.

Es war zu erfah­ren, dass, als die Bäume gefällt wurden, offen­bar auch die Steine mit großem Gerät bewegt worden sind. – Spuren von »Buckel­qua­der-Bearbei­tung« konnte ich diesmal aller­dings nicht erken­nen. Der markan­tes­te Stein ist fast 1 Meter lang, ca. 1/2 Meter dick und 60 cm breit und eindeu­tig bearbei­tet. Fest steht inzwi­schen einer­seits, dass die Steine keines­falls zu einem römischen Brücken­bau­werk gehört haben können, anderer­seits, dass die Natur diese Steine nicht an diesen Ort gebracht hat. Bericht 46: Ruderi­bus? Glogg­haus? Fest steht aber auch, dass exakt an dieser Stelle die Gemar­kungs­gren­ze zwischen Unter- und Oberko­chen verläuft: Jenseits des Kochers bei der nördlichs­ten Oberko­che­ner Klein­gärt­ner­an­la­ge ist Unter­ko­che­ner, »Starzer« Terrain.

Dietrich Bantel

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte