Anläß­lich eines Gesprächs mit »Altstadt­bau­meis­ter« Helmut Kranz erfuhr ich neben­bei folgen­de höchst ergötz­li­che Geschichte:

In der ersten Hälfte der Sechzi­ger-Jahre überleg­ten sich Gemein­de­rat und Gemein­de­ver­wal­tung, wo auf Oberko­che­ner Gemar­kung ein größe­res Bauge­biet erschlos­sen werden könne.

Im Tal dachte man damals schon an das »Spitz­tal«, für das es einen inzwi­schen völlig verges­se­nen sogenann­ten »Schub­la­den­plan« gibt, — genau­ge­nom­men einen recht detail­lier­ten Bebau­ungs­plan­ent­wurf, dessen Verwirk­li­chung letzt­lich daran schei­ter­te, daß die Gemein­de, die im »Spitz­tal« keinen eigenen Grund­be­sitz aufwei­sen konnte, nicht bereit war, die gefor­der­ten statt­li­chen Grund­stücks­prei­se zu bezah­len, und man sich aus diesem und auch noch anderen Gründen dazu entschloß, sich außer­halb »Etters«, wie man gelegent­lich heute noch sagt, (»Etter« bedeu­tet auf mittel­hoch­deutsch »Zaun«, und zwar einen Zaun, der das Dorf als geschlos­se­ne Siedlung von der offenen zum Dorf gehören­den Flur abgrenz­te), nach einem anderen vor allem preis­güns­ti­ge­ren Baugrund umzusehen.

Hierbei fielen in die engere Wahl die Ebene hinter dem »Rodstein« und die »Heide«. Der Rodstein hatte den Nachteil, daß der Erschlie­ßungs­weg umständ­li­cher und vor allem länger gewesen wäre, — aber auch den, daß der Besit­zer Vater Staat war und ist. Dennoch liebäu­gel­te man eine zeitlang mit dem Gedan­ken eines Oberko­che­ner Satel­li­ten auf dem Rodstein — sogar das Stich­wort »Seilbahn« fiel damals in der Diskussion.

Gegen den Gedan­ken einer Rodstein­be­bau­ung wandte sich vehement das Staat­li­che Forst­amt, in Oberko­chen seiner­zeit vertre­ten durch Herrn Oberforst­rat Pfitzenmayer.

Ungeach­tet der von dieser Seite vorge­brach­ten Beden­ken begab sich eines Tages eine Abord­nung von Vertre­tern des Regie­rungs­prä­si­di­ums, der Gemein­de­ver­wal­tung, der Carl-Zeiss-Wohnungs­bau sowie der Archi­tek­ten Bayer und Erdle zu einem Lokal­ter­min hinauf in die lufti­gen Höhen des Rodsteins. Natür­lich per Automo­bil. Man nahm die Gegeben­hei­ten in kriti­schen Augen­schein und fuhr zum Abschluß selbst­ver­ständ­lich auch noch ganz nach vorne hin zum Rodstein, um den wunder­vol­len Blick aufs Dorf von oben zu genie­ßen, und, um sich vorzu­stel­len, wie es wäre, wenn man an diesem Orte eines Tages im kombi­nier­ten Seilbahn­bahn­hof-mit-Höhen­ca­fe-Rodstein säße, fast wie auf dem Fernseh­turm, nur eben noch viel schöner … Nach ausführ­li­chem Genuß stieg man in die bereit­ste­hen­den Automo­bi­le und wollte hinab ins Dorf fahren zur wohlver­dien­ten Nachsit­zung in einer der zahlrei­chen gastli­chen Stätten.

Laut dem damals zustän­di­gen Revier­förs­ter, Forst­amt­mann i.R. Betzler, hat sich die Sache, wie sich auch Herr Kranz, damals Ortsbau­meis­ter, erinnert, folgen­der­ma­ßen abgespielt:

Die auf dem Rodstein versam­mel­ten Herren waren mit etlichen Autos dorthin gefah­ren. Zuvor bedurf­te es, da der Bürger­meis­ter dabei war, keiner Fahrge­neh­mi­gung durch das Forst­amt, jedoch hätte der damali­ge Forst­amts­lei­ter, Oberforst­rat Pfitzen­may­er, dennoch erwar­tet, daß man sich anmel­det, ehe man die Waldwe­ge befährt. Durch Zufall (?) (auch damals gescha­hen schon Zeichen und Wunder) waren an diesem Tag Herr Pfitzen­may­er mit seinen damali­gen Forst­as­ses­sor, Herrn Röhm, bei einer Waldbe­ge­hung in der Nähe des Rodsteins und »bemerk­ten« natür­lich die gepark­te Fahrzeug­ko­lon­ne am Ende des Fahrwegs zum Rodstein … .

Jeden­falls tauch­ten vor den zurück­fah­ren­den Fahrzeu­gen nach nur guten 50 Metern plötz­lich, urplötz­lich, auf dem Sträß­chen, das man kurz zuvor gekom­men war, unbehel­ligt, mitten drin, ganze Berge, — es sollen 3 Meter gewesen sein, — von aufge­schich­te­ten schwe­ren Meter­holz­stäm­men auf, die inner­halb kürzes­ter Zeit von Geister­hand dorthin verfrach­tet worden sein mußten. Es gab keinen anderen Weg zurück zur Mensch­heit ins Tal, als die Autos zu verlas­sen und im Schwei­ße des Angesichts mit eigener Hände Fleiß das außer­ge­wöhn­li­che Hinder­nis aus dem Wege zu räumen .…

Eigen­hän­dig hatten auch, — so kam es später dann heraus, — die beiden Forst­be­am­ten diese Wegsper­re in Form eines wild aufge­schich­te­ten Holzhau­fens aufge­baut, um

1) gegen die unbot­mä­ßi­ge Befah­rung der Waldwe­ge energisch zu protes­tie­ren (da nicht angemel­det)
2) im Hinblick auf eine mögli­che Besie­de­lung auf dem »Kammer­büch­le«. (Name des Waldab­teils im dorti­gen Waldge­biet beim Rodstein) ebenfalls von vorne­her­ein die vehemen­te Opposi­ti­on des Staat­li­chen Forst­am­tes anzukündigen.

Oberkochen

Die 7 Herren, die zu dieser schweiß­trei­ben­den Fleiß­auf­ga­be verdon­nert waren, aus heite­rem Himmel, und, wie man sieht, ganz und gar nicht auf Waldar­beit einge­stellt, was die Kleidung betrifft, — die 7 Herren auf dem histo­ri­schen Foto aus dem Besit­ze von Herrn Kranz, sind, von links nach rechts:

der verstor­be­ne Bürger­meis­ter Bosch
Baudi­rek­tor Schips vom Regie­rungs­prä­si­di­um Nordwürt­tem­berg
Herr Tümmler von der Carl-Zeiss-Wohnungs­bau
Herr Bauin­ge­nieur Eismann von der Carl-Zeiss-Wohnungs­bau
Archi­tekt Bayer, Schwä­bisch Gmünd
der damali­ge Ortsbau­meis­ter Kranz
Archi­tekt Erdle, Stuttgart.

Das Foto wurde vermut­lich von einem weite­ren Beglei­ter, wahrschein­lich einem Herrn von der CZ-Wohnungs­bau, im Jahre 1961 gemacht.

Im Tal sind hervor­ra­gend die neuen Blöcke entlang der Schil­ler­stra­ße, der Walther-Bauers­feld-Straße und des Gerhart-Haupt­mann-Weges zu erken­nen. Bürger­meis­ter-Bosch-Straße (vormals Goethe­stra­ße) und Tierstein­weg sind noch weitge­hend unbebaut, vom Wolfertsta­le ganz zu schwei­gen. Ganz rechts im Foto angeschnit­ten kann man den Rohbau des Gymna­si­ums erkennen.

Nun ist die Aktion Pfitzen­may­er sicher nicht der einzi­ge Grund, weshalb man dann tatsäch­lich Abstand nahm von einer Bebau­ung des »Rodsteins«, — aber sicher­lich mit einer der Gründe. Es wäre doch nicht ratsam gewesen, ein Gelän­de zu erschlie­ßen, wenn damit zu rechnen war, daß allmor­gend­lich von Geister­hand in den Weg gezau­ber­te Hinder­nis­se hätten aus dem Weg geräumt wer den müssen, wenn die Rodstein­be­woh­ner zur Arbeit fahren würden.

So blieb der »Rodstein« eines unserer schönen unberühr­ten Wander­zie­le in näherer Umgebung, — und man entschloß sich für die etwas näher liegen­de und vor allem gemein­de­ei­ge­ne »Heide«.

Im Amtsblatt »Bürger und Gemein­de« vom 18.12.1964 ist im diesbe­züg­li­chen Sitzungs­be­richt nachzu­le­sen: …»Bürger­meis­ter Bosch begrün­de­te dann warum er dem Gemein­de­rat den Vorschlag unter­brei­ten möchte, die »Heide« zu bebauen.

1. stehe sie im Eigen­tum der Gemein­de;
2. sei die äußere Erschlie­ßung billi­ger als die auf dem Rodstein;
3. liege die »Heide« 655 bis 675 m über dem Meeres­spie­gel, der Rodstein dagegen 700 — 710 m;
4. stehe eine Siedlung auf der »Heide« in einer engeren Verbin­dung zu der Mutter­ge­mein­de als eine Siedlung auf dem Rodstein, da die Bahnli­nie und die Umgehungs­stra­ße eine optische und kommu­nal­po­li­ti­sche Trennung schaf­fen würden. Auf dem Rodstein bestün­de die Gefahr der Entwick­lung einer Art Einöd-Siedlung, während derje­ni­ge, der auf der »Heide« einmal wohnt, auf Schritt und Tritt spüren werde, daß er zu der Gemein­de Oberko­chen gehört.

Zu dem da und dort gemach­ten Einwand, mit einer Siedlung auf dem Rodstein könne man das Härts­feld anbin­den, erklär­te Bürger­meis­ter Bosch, daß der unmit­tel­ba­re Anschluß des Härts­fel­des an Oberko­chen nach wie vor erwünscht sei, daß man sich jedoch eine nennens­wer­te Einspa­rung beim Straßen­bau nicht verspro­chen hätte. Die Gemein­de könne die Landes­pla­nung nur bitten, daß sie sich im Landes­ent­wick­lungs­plan für eine Verbin­dungs­stra­ße zum Härts­feld ebenso einset­ze wie auch für eine Verbin­dungs­stra­ße nach Essingen.«

Es war die Zeit der fast unbegrenz­ten Planun­gen. Im Rahmen der vieler­lei Refor­men, — Verwal­tungs­re­form, Gebiets­re­form, Regio­nal­pla­nung, — blieb Oberko­chen übrigens zuletzt als einzi­ge Stadt das, was sie war: unabhän­gig und nieman­dem verpflich­tet, — »solo integer«, — wie Bürger­meis­ter Bosch seiner­zeit formu­lier­te, »als einzi­ge ohne Makel, unver­sehrt«. Wie sich in der Folge­zeit zeigte: zum Vorteil der Stadt.

Die Knüppel des Forst­rats Pfitzen­may­er haben mit dazu beigetragen.

Dietrich Bantel

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