Bilder aus dem Dorf. – Ehe der Mai zu Ende ist, müssen in unserer heimat­kund­li­chen Bericht­erstat­tung endlich einmal wieder zwei Alt-Oberko­che­ne­rin­nen zu Wort kommen. Den ersten Bericht mit der Überschrift »Valeria« erhielt ich schon vor mehr als 2 Jahren von Luitgard Hügle, geb. Grupp – seit über 50 Jahren in Itali­en lebend. Den zweiten mit der Überschrift »Luitgard« erhielt ich anfangs dieses Jahres von Valeria Franz, geb. Burghard, Oberko­chen – gewis­ser­ma­ßen als Ergän­zung zum ersten Bericht. – Manche Namen wurden einge­fügt, manche blieben weg; denn es trifft echt zu: All dieje­ni­gen, die diese beiden Berich­te inter­es­sie­ren, wissen eh, von wem die Rede ist, – und den anderen ist es egal – Sollten letzte­re an den Namen wirklich inter­es­siert sein, so werden sie mit Sicher­heit Mittel und Wege finden, um das Notwen­di­ge zu erfahren.

Dietrich Bantel

»Valeria« – von Luitgard Hügle

Mit 14 Jahren kommt man aus der Schule – für die meisten Kinder aus unserem Dorf war die 8. Volks­schul­klas­se die letzte, bevor der »Ernst des Lebens« begann. Manche began­nen eine Lehre, andere gingen gleich als Hilfs­kräf­te in die Fabrik. Valeria kam als Haushalts­hil­fe zu uns. Ich war damals 10 Jahre alt und freute mich, sozusa­gen, eine ältere Schwes­ter zu bekom­men. Valeria war lustig, sie sang bei der Arbeit. Wenn sie abwusch, gab sie mir das Geschirr­tuch in die Hand und begann zu erzäh­len. Ihre beste Freun­din war die Lisbeth, aber da waren noch die Marlies, die Lissy und die Liddy. Und die Buben aus ihrer Klasse. Den Lehrer hatten sie manches Mal geärgert, dem Herrn Pfarrer (Hager) hatten sie sogar mal einen Schnul­ler am Rücken an den Rock gehef­tet und er verstand lange nicht, warum alle so freund­lich lachten und schmunzelten.

Wenn der Abwasch fertig war, schlug sie den Teppich ein, und ich setzte mich auf den Tisch, während Valeria den Boden wisch­te und erzähl­te: Gestern Abend war ich im Kino, es gab »Bitte­rer Reis« mit Anna Magna­ni. Valeria berich­te­te den ganzen Filmver­lauf. Es roch nach Putzmit­tel, – ich aber sah mich mit den wunder­schö­nen Film-Mädchen im kalten Wasser stehen und die kleinen Pflänz­chen in den Schlamm drücken. Barfuß, mit hochge­krem­pel­ten Hosen und mit einem Tuch auf dem Kopf singen sie italie­ni­sche Lieder und werden doch ausge­schimpft. Nach der Arbeit treffen wir uns in den Schlaf­sä­len, sind lustig und verges­sen die Mühen des Tages. Ich war auf einmal schon ganz groß und gehör­te dazu.

Am Abend ging ich mit Valeria Milch holen. Wir nahmen die Milch­kan­ne und gingen zur »Molke«, der Sammel­stel­le. Der Weg führt vorbei am »Draiher« (Draiher = »Dreher«, ist der Hausna­me von Josef Wingert, dem späte­ren Amtsbo­ten. Der Name »Draiher« bezieht sich auf »Dreher« an der großen Drehbank in seiner Werkstatt. DB), der bei offener Tür in seiner Werkstatt saß und Klein­ge­rä­te für die Bauern herstell­te und Stühle reparier­te. Im nächs­ten Haus, dem »Hugaschrei­ner« saßen in der oberen Stube die Schrei­ne­rin und ihre Töchter beim Stricken. Die Fenster gingen zum Kocher hin, der dicht am Haus vorbei fließt. Das wusste ich; auch für mich hatten sie schon gestrickt.

Oberkochen

»Die Molke«. Das Gebäu­de steht noch heute.

Oberkochen

Dieses Foto vom Haus des Schus­ters Trittier zeigt eine längst dem Bulldoz­zer zum Opfer gefal­le­ne etwas versteck­te Idylle, ganz in der Nähe der »Molke«.

Wir überquer­ten die Kocher­brü­cke und waren im Hof der Milch­sam­mel­stel­le. Auf der einen Seite brach­ten die Bauern ihre Riesen­kan­nen voll Milch, die der Molker vom oberen Stock in die Anlage leerte. Vom unteren Raum aus konnten wir sehen, wie die Milch über viele Metall­rol­len nach Unten lief und aufbe­rei­tet in die Kannen der Käufer gefüllt wurde. Die Frau des Molkers Gold oder ihre Tochter Maria saßen hinter einem Schal­ter mit Schie­be­fens­ter und kassier­ten den Milch­preis. Wenn man aus dem gekachel­ten Raum raus kam, standen im Hof immer Leute rum und ein Gespräch kam schnell in Gang – oder ein Scherz erhei­ter­te alle. Valeria zumin­dest traf sicher den einen oder anderen Schul­ka­me­ra­den. Einer, Adolf (Hausmann), zeigte mir, wie man die Milch­kan­ne hoch seitlich am Kopf vorbei schwenkt, ohne dass auch nur ein Tropfen Milch verlo­ren geht.

Wir machten uns auf den Heimweg. Zuerst das Gässle hinauf zur Haupt­stra­ße. Links wohnte der Grazer (Grazer = Famili­en­na­me. Auch »Kratzer«. Angeb­lich, aber nicht belegt, nach dem 30-jähri­gen Krieg aus »Graz« einge­wan­dert) ein kleiner Mann und seine Frau mit tiefschwar­zen Haaren und einem Knoten. Sie werkel­ten im Stall bei den Kühen oder »hinten raus«, wo bis runter zum Kocher viel Gerüm­pel stand: Sachen eben, die man nicht mehr brauch­te – aber wer weiß, für was noch gut sein können.

Auf der anderen Seite der Straße war rechts das »Rössle«. Die Wirtin (Maier) hatte alles im Blick, was sich auf der Straße und überhaupt »im Dorf« beweg­te. Sie passte auch auf die Kinder auf, und mich hat sie einmal sehr ausge­schimpft, als ich unvor­sich­tig über die Straße gerannt war und auf der Kühler­hau­be eines der damals noch selte­nen Autos gelan­det bin.

Oberkochen

Das »Rössle« stand Ecke Heiden­hei­mer Straße und Dreißen­tal­stra­ße an der Stelle, wo heute die Kocher­tal-Apothe­ke steht.

Auf der linken Seite kam nach dem Uhl ein Haus, dessen Bewoh­ner am Abend immer aus dem Fenster schau­ten – ein Kissen auf dem Sims und darauf die Arme gestützt. Auch ihnen entging nichts von allem, was am Abend los war. Danach kam das Bauern­haus vom Georg Jooß. Käthe, meine Schul­ka­me­ra­din, war aus dieser Familie und so war ich einige Male mit ihr in der Küche und im Stall gewesen.

Gegen­über gab es noch nicht lange, seit Anfang der 50er, den Fleury, bzw. die Nieder­las­sung seiner Kondi­to­rei. Was gab es dort für lecke­re Sachen! Beson­ders Mohren­köp­fe hatten es mir angetan.

Valeria half mir auch, ein Kostüm für das Kinder­fest 1951 zu machen. Wir sollten alle Blumen darstel­len und so schnit­ten Valeria und ich große Blumen­blät­ter aus Krepp-Papier und machten ein Röckchen daraus.

Oberkochen

Kinder­fest­zug 1951 vor dem Haus von Landwirt »Weber«.

Damals ging man beim Kinder­fest vom Schul­haus (Dreißen­tal­stra­ße) zu Fuß in Reih und Glied, eine Klasse nach der anderen, zum Sport­platz, seiner­zeit im »Spitz­tal« beim Segel­flie­ger­häus­le. Dort wurden Spiele gemacht und man bekam einen Wecken und etwas zum Trinken. Es gab einen Kletter­mas­ten und meistens kam auch ein Eisver­käu­fer. Das Eis war recht­eckig am Stiel, Schoko­la­de und Vanil­le, und koste­te 20 Pfenni­ge. Das Eis war in einem Karton, aus dem es heraus­dampf­te, wenn er aufge­macht wurde. Am Sonntag war Skisprin­gen in Unter­ko­chen. Natür­lich gingen wir da hin, auch Valeria. Ich traf sie, als sie mit ihren Freun­din­nen unter­ge­hakt unten beim Auslauf der Schan­ze stand. Bist du auch gekom­men –, mit dem Zug, oder zu Fuß, fragte sie mich. Ja, Ausflü­ge machten wir zu dieser Zeit vor allem zu Fuß oder mit dem Fahrrad, im Winter per Schi. Gerne hätte ich mal einen Ausflug mit Valeria gemacht, aber schon bald ist sie woanders hingegangen.

Luitgard Hügle

»Luitgard« – von Valeria Franz

Mit 14 Jahren kam ich aus der Schule. Ich selbst durfte keinen Beruf erler­nen und kam somit zu der Familie Grupp (Gruppa-Paul, Schuh­grupp) »in Stellung«, wie man damals so sagte.

Im Haushalt waren, neben den Eltern, 3 Kinder. Luitgard war ein liebes, geschei­tes und auch ein sehr wissbe­gie­ri­ges Mädchen. Meine Welt war damals das Kino. Alle Filme, die ich sah, musste ich danach Luitgard im Detail genau erzäh­len. »Was für ein Buch liest du gerade?« Antwort: »Ludwig Gangho­fer«. Oder auch etwas anderes. Schon sahen und hörten wir nichts anderes mehr, steck­ten unsere Köpfe zusam­men und erzähl­ten, erzählten…

Herbert (Hätte­re) war ein liebens­wer­ter Lausbub, der manchen Streich spiel­te. Wurde ich gefragt, was er wieder angestellt hat, war meine Antwort immer »Ich weiß von nichts«.

Paul, oder auch Paule, war ein zartes und auch sehr liebes Klein­kind. Ich musste mit ihm einmal zum Impfen gehen. Er weinte sehr, worauf ich noch mehr weinen musste. Schluch­zend kamen wir beide nach Hause. Ich wurde deswe­gen natür­lich ausgelacht.

Wir alle vertru­gen uns unter­ein­an­der sehr gut, außer der Gockel (Hahn) vom Hühner­stall, der mich, wenn ich im Garten war, immer anfiel. Mit der Bohnen­stan­ge, die ich immer zur Abwehr dabei hatte, traf ich ihn verse­hent­lich am Kopf. Er lag leblos am Boden, als Herr Grupp dazukam. »Jetz isch’r hee? meinte Paul Grupp. Jedoch der Gockel hatte sich schnell wieder erholt und trieb somit sein Spiel­chen mit mir weiter.

Von der Familie Grupp wechsel­te ich danach zu der Familie Fritz Leitz.

Valeria Franz

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