Oberko­chens natür­li­che und künst­li­che Unter­wel­ten sind viel größer und spannen­der als bekannt. Im März dieses Jahres erst hat die Stadt einem kleinen Kreis von Inter­es­sen­ten Zugang zu einem in großer Tiefe im Bereich der Aalener Straße auf der Seite beim ehema­li­gen Gebäu­de KWO gelege­nen und weitge­hend verges­se­nen alten Eiskel­ler verschafft, in dem von Mitglie­dern des NABU (Ottmar Bihlmai­er, Oberko­chen, Markus Schmid. Heiden­heim) Fleder­mäu­se vermu­tet wurden. Der Heimat­ver­ein war mit von der Partie. Früher stand in dieser Gegend eine riesi­ge Kasta­nie in der Böschung. Heute ist es dort kahl – und es wird kähler und kähler. Weiter unten in der Aalener Straße wurde unlängst der alte Park hinter der schmu­cken Villa Walter, später Röchling Kaltwalz­werk, entsorgt. Glück­li­cher­wei­se blieb die Villa selbst erhal­ten (wir berich­te­ten). Die einsti­ge grün einge­wach­se­ne Böschung rechts entlang der Aalener Straße ist aber kaum mehr zu erkennen.

Der Zugang zu dem Eiskel­ler befin­det sich jedoch nach wie vor in dieser Böschung und sieht aus wie eine winzi­ge mit einer doppel­ten Holztür verram­mel­te Garage. Gleich hinterm Eingang führen ca. 20 enge steile Stufen in die Tiefe einer beein­dru­cken­den Vielfalt von Flach­de­cken- und Gewölbe-Kellern.

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eines der Kellergewölbe

Ein gespens­tisch anmuten­der Schie­nen­auf­zug sitzt oben in eine kleine Platt­form einge­ros­tet vor der Treppe und nimmt über den gesam­ten Treppen­ab­gang die Hälfte der Stufen­brei­te ein. Auf diesem unheim­li­chen Gerät müssen wohl seit langen Jahren schon so gegen Mitter­nacht, in kalkig weiße Tücher gehüll­te Kellerklap­per­ge­rip­pe grinsend in die Tiefe rauschen, um dort unten makabre längst unmodern gewor­de­ne, aber, wie man sehen wird, in leicht älteren Kreisen noch nicht ganz in Verges­sen­heit gerate­ne, Orgien zu feiern.

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einge­ros­te­ter Schienenaufzug

Treppe und Aufzug führen ganz unten noch weiter in eine im Keller­bo­den vertief­te Ladegru­be. Schau­ri­ge Watte­pil­ze wachsen aus dem Boden und ein paar uralte Gerät­schaf­ten sowie ein Sack- oder Eisbol­lenkar­ren sind gegen eine Wand gelehnt. In Kellern dieser Art wurde früher das in den Eiswei­hern »angebau­te« Eis für die zahlrei­chen Oberko­che­ner Braue­rei­en gehor­tet. Der »Hirsch« oder »Nagel­kel­ler«, (ich kann mich noch gut an die in großen Buchsta­ben auf der Rückfront des »Hirschs« aufge­mal­te Aufschrift »Hirsch­braue­rei« gegen den Mühlka­nal hin erinnern – und im Heimat­mu­se­um gibt es sogar noch eine Origi­nal Bierfla­sche mit ins Flaschen­glas einge­brach­ter Schrift »Hirsch­braue­rei Oberko­chen«, ja, dieser Keller ist nicht der tiefs­te mir bekann­te Eiskel­ler. Es gibt Hinwei­se darauf, dass er bis nach dem Zweiten Weltkrieg in Benut­zung war. Heute gibt es dort kein elektri­sches Licht mehr. Dafür aber gibt es uralte krimi­nell anmuten­de Aufputz­lei­tun­gen an Decken und Wänden,

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krimi­nel­le Gewöl­be und Stromleitungen

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gruse­li­ge Wände und Aufputzleitungen

die die besten Krimik­el­ler­si­tua­tio­nen in den Schat­ten stellen und neben­bei davon zeugen. dass es im letzten Jahrhun­dert noch Strom in diesem Keller gab.

Fleder­mäu­se haben wir nicht gefun­den. Für sie gibt es zu wenig kleine höher­ge­le­ge­ne Verste­cke in den verlas­se­nen Verlie­sen. Was wir statt Fleder­mäu­sen fanden, kommt indes einer speläo­lo­gi­schen Sensa­ti­on gleich. Von der flachen Decke eines dieser Keller wachsen seit Jahrzehn­ten – das lässt sich alters­mä­ßig hervor­ra­gend berech­nen – spaghettidün­ne Stalak­ti­ten – ein Wunder­werk einer künst­li­chen Natur, – so zerbrech­lich zart, dass man unwill­kür­lich leise spricht, ja fast zu atmen aufhört in ihrer Nähe. Die längs­ten dieser Gebil­de sind über 2 Meter lang (!) und über 50 Jahre alt (!!!). Vom Keller­bo­den wächst dem längs­ten von ihnen ein kümmer­li­ches Stalag­mit­chen entgegen.

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Spaghet­tista­lak­ti­ten

Ich habe dieses phantas­ti­sche Foto einer ehema­li­gen Schüle­rin als Oster­rät­sel gesandt mit der Frage, »In welchem Teil der Oberko­che­ner Unter­welt könnten diese Gebil­de sich befinden«?

Hier kommt die unver­än­der­te Antwort dieser ehema­li­gen Schüle­rin – wohlge­merkt mit deren Einver­ständ­nis – in unserer heimat­kund­li­chen Serie zur Veröffentlichung:

Email vom 2. April 2013:
Im Heimat­ver­ein werde ich noch öfter rumstö­bern. Das, was ich auf die Schnel­le gesehen habe, war wunderbar!!!

Meine Vermu­tung zu dem Oster­bild: meine Jugend­er­in­ne­run­gen sagen mir, dass es Nagels Keller ist. Sehr viele Erinne­run­gen sind daran verknüpft – viele fröhli­che und eine weniger gute.

Hans hat damals seine Eltern überre­den können, uns den Keller als Party­kel­ler zur Verfü­gung zu stellen bzw. einen Teil davon. Was haben wir da nicht für tolle Partys gefei­ert und zwar nicht abends sondern nachmit­tags. Es war sehr roman­tisch: viele Kerzen, ein Miniplat­ten­spie­ler­le – und einer musste immer Platten aufle­gen. Jeder brach­te seine neues­ten Errun­gen­schaf­ten mit und dazu gab’s Salzsten­gel und Fanta und Cola. Es war einfach toll!!!

Wer von den Eltern davon wusste, weiß ich nicht – meine zumin­dest nicht. Mein Vater hätte das niemals erlaubt (nachmit­tags lernt man und feiert keine Partys). Es ging alles gut bis auf einmal, da hätte ich Nachhil­fe bei Trude Hermann gehabt. Mein Vater glaub­te, ich wäre dort und ihr hab ich wohl irgend­was erzählt, warum ich nicht kommen kann, – aber sicher nichts von der Party. Und wie es halt so ist, haben sich die beiden, die Trude Hermann und meine Mutter, an dem Nachmit­tag getrof­fen und sich beide gewun­dert, wo ich bin. Na ja, da war für mich erst mal die Party­zeit schlag­ar­tig beendet.

Also, es scheint dieser Keller zu sein. Aber in der Zwischen­zeit ist er wohl nicht mehr mit Luftschlan­gen, sondern mit Spaghet­tischnü­ren geschmückt. Schade, so ne Party alter Art hätte was für sich.

Wenn ich da so denk, was wir alles angestellt haben, um das tun zu können, was wir wollten. Einmal wollten Birgit und ich abends in die Eisdie­le, aber das durften wir nicht: da sind wir halt ins »Hallen­bad«, das war ja erlaubt. Dann sind wir in die Eisdie­le, haben jede einen Marti­ni getrun­ken und sind hinter­her wieder heim. Unter­wegs fiel uns dann ein, dass unsere Badean­zü­ge ja noch trocken sind. Da haben wir sie einfach in den Katzen­bach getunkt, fest rumge­schwenkt – na ja, ab und zu war noch ne Stelle trocken, das konnten wir ja in der Dunkel­heit nicht sehen. Zu Flause hat’s dann glück­li­cher­wei­se nur meine Mutter bemerkt, die es mit Humor nahm, und mich fragte, seit wann es im Hallen­bad denn Stein­chen habe. Es waren eben noch ein paar Kiesel­stein­chen vom Katzen­bach­un­ter­grund drin – aber wenigs­tens keine Fische.

Seid ganz herzlich gegrüßt und lasst es endlich Frühling werden.
Sonja

Sehr beacht­lich, dass Sonja den »Nagel­kel­ler« nach so langer Zeit wieder erkannt hat – und »Kiesel­stei­ne im Badean­zug« passt ganz gut zu ihrem damali­gen Namen.

Oberkochen

Es handelt sich bei unserem Oberko­che­ner watte­ähn­li­chen Eiskel­ler-Pilz (Abbil­dung Foto DB) um einen in feuch­ter Luft entste­hen­den Schim­mel­pilz. Augen­zwin­kernd meint unser Fachmann, dass es sich auch bei dem Weltkul­tur­er­be der »Höhlen­ma­le­rei­en von Lascaux« um einen Schim­mel­pilz handelt, der durch das Einwir­ken des Menschen bedingt die 17.000 Jahre alten kulti­schen Malerei­en zu zerstö­ren droht.

siehe auch Presse­be­richt vom 20.06.2013

Dietrich Bantel

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