»I sag‘ nex‘ noa komm‘ I au en nex nei«, das ist der Wahlspruch von Erich Hahn. Aber jetzt ist er »net nur in äbbes neikom­me, sondern au romkom­ma«. Und zwar bis nach Schtuag’rt ond driie­ber naus in’d Zeitung. Wer hätt‘ au des denkt. Auf der anderen Seite kein Wunder – stehen da doch 166 Jahre geball­te Friseur­kunst der alten Schule bereit, dem Wildwuchs auf dem Kopf Einhalt zu gebie­ten, sprich Fasson zu geben. So will der Heimat­ver­ein es nicht versäu­men, quasi als Hommage, an die Kunst der beiden Brüder, die Repor­ta­gen der Stutt­gar­ter Zeitung und der Aalener Nachrich­ten als geneh­mig­ten Nachdruck zu veröffentlichen.

Ich kann natür­lich nicht verheh­len, dass mir als ehema­li­ger jugend­li­cher Beatles-Anhän­ger die Fasson-Kunst der Hahns in den Sechzi­gern nicht ausreich­te. Hatte Erich doch immer das Bestre­ben, es meinem Vater recht zu machen, anstatt mir, obwohl es doch um meine Haare ging. Na ja, kein Wunder, beide sind und waren Härts­fel­der und da hatte ich keine Chance meinen Willen in Zenti­me­tern durch­zu­set­zen. Heute, in reifen Jahren, trage ich meine Haare offen, mit extrem langen 6 mm und lasse das zu Hause von meiner Frau erledi­gen. Aber die Zeitschrift STERN verdankt den Hahns einen jahrzehn­te­lan­gen Leser, denn das beste war die lange Bank mit den vielen Zeitschrif­ten und wenn ich mit dem STERN beschäf­tigt war, ließ ich gerne andere Kunden vor, um die Zeitschrift erst fertig­zu­le­sen, bevor mich Erich nach meines Vaters Maßstab am Haupte beschnitt.

Der Autor Robin Szuttor und der Fotograf Gottfried Stoppel schufen eine wunder­schö­ne Beschrei­bung des Friseur­sa­lons der Brüder Hahn in der Lerchen­stra­ße, der immer auch ein wichti­ger Nachrich­ten­um­schlag­platz war und noch ist – bis die letzte Sträh­ne fällt. Viel Spaß beim Lesen über ein Friseur­ge­schäft, das die Zeit, zur Freude ihrer Stamm­kun­den, einfach verges­sen hat.

PS: Die Repor­ta­gen des Autors Robin Szuttor in der Stutt­gar­ter Zeitung sind wärms­tens zu empfeh­len und können im Inter­net nachge­le­sen werden.

Repor­ta­ge aus der Stutt­gar­ter Zeitung vom 5. Januar 2013 mit dem Titel »Schön wie Micha­el Stich«…

Oberkochen

Die Taschen­lam­pe mit dem einge­bau­ten Radio war mal der neues­te Schrei. Früher spiel­te es Hits von Freddy, Gus Backus, Chris Roberts. Begleit­me­lo­dien zu Facon­schnit­ten und Föhnwel­len. Heute kommt im Grunde gar keine Musik mehr raus, das Ding rauscht nur noch vor sich hin. Ein neues würde sich nicht lohnen, meint Erich Hahn, der alte Figaro. Mit dem zerzaus­ten Pinsel aus den Sechzi­gern Schaum in den Nacken gestri­chen, das Rasier­mes­ser aus den Siebzi­gern, scharf wie eh und je, angelegt: auf dem Friseur­stuhl sitzt Herr Schmidt, mit seinen 75 Jahren »auch ein ganz alter Denger«, wie er sagt. Er hat immer noch volles Haar, seine Frisur ist noch die gleiche wie nach der Geburt. Nur weiß ist Herr Schmidt gewor­den mit den Jahren. »Aber deswe­gen sind die Haare auch nicht schwe­rer zu schnei­den«, sagt sein Friseur. Hahn musste sich nie umstel­len: durch­stu­fen, kräftig schei­teln, hinten ausra­sie­ren. Schmidt wohnt zwei Straßen weiter, seit 57 Jahren ist er treuer Kunde – mit zwei, drei Ausnah­men, damals während der Bundes­wehr­zeit. Bis zur Rente stand der Metzger bei Tengel­mann an der Fleisch­the­ke. Am nächs­ten Tag bekommt er die Golde­ne Meister­na­del verlie­hen: »Da muss man sich ja ein bisschen rausput­zen.« Fertig. Der Handspie­gel: »Recht so, Otto?« – »Prima!« – »So kannsch sprenga, morga.« Erich Hahn kehrt noch schnell die weißgrau­en Haarfet­zen zusam­men, andere Farben fallen hier nicht mehr an. »Wart, i gäbb dir no a Kalen­der­le mit.« Der Salon Hahn liegt in einem ruhigen Wohnge­biet der 8000-köpfi­gen Ostalb­ge­mein­de Oberko­chen. Seit einer Ewigkeit schnei­den hier die Hahn-Brüder: der 84-jähri­ge Erich und der zwei Jahre jünge­re Helmut. Ihren Ruhestand haben sie irgend­wie verpasst. Eigent­lich wollten sie den Salon langsam auslau­fen lassen, diese Phase zieht sich jetzt schon zwei Jahrzehn­te hin. Die Kunden sterben ihnen weg. Die Schau­fens­ter­fo­to­gra­fien mit Frisu­ren, wie man sie früher schätz­te, sind bläulich verbli­chen. Das Friseur­schild, das auf dem Gehweg immer so schön in der Sonne blitz­te, hing schon lang nicht mehr draußen. Bloß keine neuen Kunden mehr. Vor einem Jahr verirr­te sich ein junger Mann in den Salon, trat dann aber – Gott sei Dank – gleich flucht­ar­tig den Rückzug an. Hahns Stamm­kun­den finden auch ohne das Schild her. Es werden immer weniger, er ist ständig auf Beerdi­gun­gen. »Jedes Jahr sterben uns 20, 30 weg.« Sie seien beide noch fit, sagt Erich Hahn. Ab und zu setzt er sich beim Schnei­den auf einen Barho­cker, die Bandschei­be macht ihm zu schaf­fen, in seinem Alter sei das schwer zu operie­ren. Die Feinmo­to­rik funktio­niert noch wunder­bar, nur läuft die Schere nicht mehr ganz so flink in der Hand. Hier hat es keiner eilig.

Oberkochen

Der Salon Hahn ist ein Tempel der Entschleu­ni­gung. Geöff­net ist mittwochs und donners­tags, manch­mal auch freitag­mor­gens. Ein Schnitt kostet zwölf Euro, egal welcher. Den Preis aufschla­gen lohne sich nicht mehr, meint Erich Hahn. Termi­ne werden keine verge­ben. Einer der Brüder ist meistens da. Wenn beide wegmüs­sen, hängen sie halt die »Heute geschlossen«-Tafel hin. Erich Hahn begann 1946 seine Friseur­leh­re in Aalen. Nach Feier­abend frisier­te er daheim bis in die Nacht Oberko­che­ner Köpfe, sein Bruder guckte sich die Handgrif­fe ab, ging später zur Meister­schu­le nach Hamburg. Arbeit gab’s genug damals, »nach dem Krieg ist ja im Ort kein Friseur mehr übrig geblie­ben«. Mitte der Fünfzi­ger eröff­ne­ten sie ihren Salon im Eltern­haus. Der Vater war Heizer im Kaltwalz­werk, die Söhne dufte­ten nach »Tabac und Brisk«. Das Geschäft lief glänzend, auch wegen der Leute vom Zeiss-Werk. Die kamen einfach während der Arbeits­zeit rüber. Einer nahm immer die zusam­men­ge­kehr­ten Zotteln mit für seinen Rohbau – mit Haaren drin reißt der Beton nicht so schnell. Früher hatten sie zwei Wochen Betriebs­fe­ri­en, reisten mit der örtli­chen Volks­bank in die Norman­die, nach Malta, Zypern und wer weiß wohin.

Früher waren der Mittwoch und der Samstag reine Rasier­ta­ge, jeder hatte sein mit Namen verse­he­nes Seifen­schäl­chen bei Hahn stehen. Der ocker­brau­ne Laminat­bo­den ist noch der erste. Um die Frisier­stüh­le ist er halbkreis­för­mig bis auf den Grund durch­ge­wetzt – die Lebens­bah­nen der beiden Brüder, könnte man pathe­tisch sagen. Zeitwei­se hatten sie fünf Angestell­te, da herrsch­te ein Betrieb wie im Bienen­stock, von wegen Entschleu­ni­gung. Die Herren gingen zu Erich, Helmut machte neben­an den Oberko­che­ner Damen die Haare schön, ondulier­te, zauber­te ihnen Wasser­wel­len aufs Haupt, wickel­te ihnen saure Dauer­wel­len in die Schnitt­lauch­lo­cken, setzte sie unter die Schwarz­kopf-Hauben, Typ »Rapid«, die heute noch tadel­los funktio­nie­ren. Seit zehn Jahren ist der Damen­sa­lon zu. »Bei den Frauen muss man immer auf dem neues­ten Stand bleiben, bei den Männern ist immer alles gleich geblie­ben«, sagt Helmut Hahn. Das Edelweiß aus dem Garten, das er »zur Zierde« in ein Väschen auf das Wasch­be­cken gestellt hat, hätte bei den Damen sicher mehr Anklang gefun­den. Ein Frisier­stuhl aus den Anfangs­jah­ren steht noch da. Das ausge­klü­gel­te Wende­pols­ter garan­tiert, dass sich der Kunde nicht auf den vorge­wärm­ten Platz seines Vorsit­zers nieder­las­sen muss. Wo findet man heute noch solche Raffi­nes­sen? Auf dem museums­rei­fen Kinder­sitz stellt man sich unwill­kür­lich Jungs mit Matro­sen­an­zü­gen, Mädchen mit Rüschen­kleid­chen und Lackschu­hen vor. Ein Bekann­ter hat Hahn immer wieder gedrängt, die Sessel, an denen seitlich schon der Füllstoff rauslugt, doch mal richten zu lassen. – »Peter, i steck in den Lada nix mehr nei«. Im Salon Hahn fragt man Kunden nicht nach ihren Wünschen. Man fragt nicht einmal: »Wie immer?« Man fängt einfach an zu schnei­den. »Wenn jemand eine neue Frisur will, dann sagt er’s schon.« Erich Hahn schnei­det Herrn Maul mit der Effilier­sche­re, Helmut Hahn legt Herrn Neuhäu­ser den Krepp­kra­gen an. Alte Kunden. Auf der einen Seite unter­hält man sich über eine Arztpra­xis: »Isch die Schwarz no dranna, wo die Termi­ne annimmt?« Auf der anderen Seite geht es um die Jagd: »Dem isch a ganzes Rudel Wildsäu onda naus.« Und manch­mal, wenn mal nicht geredet wird, wenn das Radio ganz schweigt und nur das Klacken der Schere, das Schaben des Rasier­mes­sers, das Klatschen von Kölnisch Wasser in die Handflä­chen zu hören ist, während draußen fette Flocken vom Himmel schnei­en, hat der Salon etwas von der Weltver­lo­ren­heit eines Zen-Klosters. Helmut Hahn drückt Herrn Neuhäu­sers Haare mit den Händen glatt wie eine Kapuze. Ein Sprit­zer Sebor­in-Haarwas­ser, der Klassi­ker. »Und sonsch geht’s gut?« – »Ja. Eich au?« – »Ja.« – »Sagsch an Gruß an dei Frau« – »Du au.« Am anderen Stuhl tritt Erich Hahn aufs Gummi­pe­dal und lässt den Gast zurück auf die Erde sinken. Den Umhang vorsich­tig abneh­men, Haare aus dem Nacken pinseln. Der Handspie­gel: »Gut?“ – »Wonder­bar.« Hinter einem schwe­ren Wollvor­hang hängen dezent die Frisier­um­hän­ge in Lila, Schwarz, Orange. Die Tapete ist ein bräun­lich rnamen­ta­les Design­wun­der­werk. Die robus­ten Kittel der Altmeis­ter haben die gleiche Farbe – und stammen aus der gleichen Zeit. Sie hätten auch gut in ein DDR-Landma­schi­nen­kom­bi­nat gepasst. Über dem großen Wandspie­gel kann man Schwarz-Weiß-Bilder mit duften Schnit­ten von früher bewun­dern, aus Friseur­zei­tun­gen ausge­schnit­ten, zu Colla­gen verar­bei­tet und gerahmt. Ein Foto von Micha­el Stich, dem Tennis­spie­ler, ist auch dabei: ein flotter Look mit Mittel­schei­tel – »so wollten früher viele ausse­hen«. Ein kleines Ölgemäl­de zeigt den Volkmars­berg über dem Kocher­tal mit seinen weiten Wäldern und Wachol­der­hei­den. Hier arbei­te­te Erich Hahn jahrzehn­te­lang als Hütten­wart. Früher war er Mitglied in dreißig Verei­nen, als Friseur im Ort konnte man sich kaum entzie­hen. Jetzt konzen­triert er sich auf den Albver­ein, die Natur­freun­de und den Sänger­bund. Donners­tags macht er immer um halb vier Feier­abend. Bei der Probe des Altmeis­ter­chors braucht man seine Stimme. Der Herren­sa­lon wird zur Garage. Herr Gillmei­er sitzt schon auf der Warte­bank. »Gerhard, suchsch a bestimm­te Zeitung?« – »Ja, oine mit nackte Fraua dren.«

Gillmei­er kommt schon seit sechzig Jahren. Er war Modell bei Erichs ersten Schnitt­ver­su­chen. Damals noch mit hellblon­den Haaren, die er seit seiner Jungvolk­zeit zurück­ge­kämmt und hinten kurz trägt. Als der Krieg zu Ende ging, war Gillmei­er zwölf. Er hat noch Hunger kennen­ge­lernt. Dass sein Enkel einmal in China studie­ren und er ihm regel­mä­ßig E‑Mails nach Hinter­asi­en schrei­ben würde, hätte er sich auch nicht träumen lassen. Dass aus den Kindern keine Coiffeu­re werden, war den Hahn-Brüdern schon früh klar. Eine Tochter ist Lehre­rin im Schwarz­wald, die andere Erzie­he­rin in Regens­burg. Helmuts Sohn schafft als Ingenieur bei Kärcher. Es gibt schon Zukunfts­plä­ne: Aus dem Herren­sa­lon soll mal eine Garage werden, der Damen­sa­lon zum Hausflur. Nächs­tes Jahr öffne er vielleicht nur noch einen Tag. Oder er höre ganz auf und berei­te sich aufs Sterben vor, sagt Erich Hahn. Er arbei­tet nicht wegen des Geldes. Für ihn ist es ein Vergnü­gen. Sein Salon ist Treff­punkt, so wie der Ochsen und das TSV-Vereins­heim unten im Dorf – nur ohne Vierte­le. »Im Salon bin ich lustig und fröhlich, daheim bei meiner Frau weniger«, sagt Erich Hahn. Muss man extra erklä­ren, dass er Spaß macht? Herr Glatt­ing ist 77, ein Donau­schwa­be in groß karier­ter Wollho­se und burgun­der­far­be­nen Leder­stie­fe­let­ten. Seine Familie war, erzählt er, schon seit 1750 im Banat ansäs­sig, bis sie dann vor dem Tyran­nen Ceauses­cu floh. Dem Ausrei­se­an­trag folgte die Verban­nung in die rumäni­sche Steppe. »Mit leerem Magen lernt man denken«, sagt Herr Glatt­ing. Er hat Philo­so­phie studiert und das Schnei­der­hand­werk gelernt. Und Akkor­de­on. Sein Reper­toire umfasst Volks­lie­der, Operet­ten­me­lo­dien, alte Schla­ger, demnächst tritt er im Samari­ter­stift auf. Helmut Hahn massiert ihm die Kopfhaut, glättet das Haar mit der großen Bürste. Der Handspie­gel: »Danke, schon recht.« »Jetzt muss i bahna«, sagt Erich Hahn. Der Gehweg liegt voll Schnee. Danach macht er Mittag, seine Frau hat Bratwürs­te, Sauer­kraut und Knöpf­le gekocht. Dann legt er sich ein Stünd­chen hin. Mal sehen, ob am Nachmit­tag einer vorbei­kommt. Wenn nicht, ist auch nicht schlimm.

Kurzbio­gra­phie des Fotogra­fen Gottfried Stoppel
Er kommt aus dem Allgäu (das mit den grünen Wiesen, glück­li­chen Kühen und den Bergen) genau­er gesagt aus Leutkirch (Bj. 1966). Nach der Ausbil­dung zum Chem.-Techn.-Assistenten kam das Fotovo­lon­ta­ri­at in Waiblin­gen und seitdem arbei­tet er als Freier Fotograf. Anfangs als Sport­fo­to­graf, später für die unter­schied­lichs­ten Print­me­di­en und Magazi­ne und seit 1998 auch für die Stutt­gar­ter Zeitung. 2003 hat er den »Robert Bosch Preis« für eine Beila­ge zum Ehren­amt gewon­nen und 2005 den »Konrad Adenau­er Preis«.

Kurzbio­gra­phie des Autors Robin Szuttor
Geboren 1967 bei Schwä­bisch Hall. Studi­um der Germa­nis­tik und der Geogra­fie in Würzburg und Stutt­gart. Volon­tär und Wirtschafts­re­dak­teur bei der »Ostsee-Zeitung« in Rostock, danach Redak­teur bei der »Bild-Zeitung«, Stutt­gart. Seit 2002 bei der Stutt­gar­ter Zeitung, zunächst in der Redak­ti­on Waiblin­gen, seit Septem­ber 2006 im Ressort Region, Schwer­punkt Reportage.

…und dann zogen die Aalener Nachrich­ten am 19. Januar mit folgen­dem Bericht nach.

Oberkochen

Seit 1955 betrei­ben die Brüder ihren Friseur­sa­lon in Oberko­chen – Retro-Charme inklu­si­ve (von Sandra Raspe, Foto Raspe)

Ans Aufhö­ren denken Erich und Helmut Hahn noch lange nicht. In Oberko­chen betrei­ben die beiden über 80-Jähri­gen immer noch ihren Friseur­sa­lon. Es ist Punkt neun Uhr und keine Frage: Zeit, den Salon zu öffnen! Schlen­dri­an gibt es nicht im Hause Hahn. Im Erdge­schoss des Eltern­hau­ses der Geschwis­ter gelegen, öffnet sich mit Betre­ten des Ladens eine andere Welt. Der Salon Hahn ist anders und versprüht einen ganz beson­de­ren Charme, dem man sich kaum entzie­hen kann. Welch‘ herrli­che Entschleu­ni­gung in der heuti­gen Zeit, mag wohl mancher da denken. Braun­tö­ne, eine gemüt­li­che Warte­bank auf der schon so manches Schwätz­chen gehal­ten wurde und urige Friseur­stüh­le, die aus den 1960er Jahren stammen. An den Wänden sind Bilder der Heimat, angepinn­te Grußkar­ten der Kundschaft und Werbe­bild­chen, die einer Zeitrei­se gleichen. Mitten­drin zwei sympa­thi­sche Figaros, die das Uropa-Alter längst erreicht haben. Für das Mobili­ar würden Sammler ohne Frage ein Vermö­gen ausge­ben. Die sympa­thi­schen Hahns dagegen sind unbezahl­bar, zwei echte Typen eben. »Bei uns funktio­niert sogar noch alles«, lacht der 82-jähri­ge Helmut und zeigt die Trocken­hau­be Marke Rapid, die einst im Damen­sa­lon treue Diens­te tat. Retro pur! Seit beina­he 58 Jahren betrei­ben die beiden Friseur­meis­ter Erich und Helmut Hahn ihren Laden in der Lerchen­stra­ße. Ans Aufhö­ren denkt hier niemand, obwohl die Brüder jenseits der achtzig sind. Ihren Absprung haben sie irgend­wie verpasst, geste­hen die Zwei und schnei­den weiter fleißig Männer­haa­re. »Es gibt noch genügend Stamm­kun­den, die immer wieder einen frischen Schnitt brauchen«, schmun­zelt der 84-jähri­ge Erich, der um ein Haar Polizist statt Friseur gewor­den wäre. »Ich war einen Zenti­me­ter zu klein«, erzählt er. 1944 und 1946 fingen beide ihre Lehre bei Gregor Schnee in Aalen an, um dann Anfang der 1950er Jahre in Hamburg und Biber­ach ihren Meister zu machen. 1955 folgte dann die Eröff­nung des gemein­sa­men Salons für Damen und Herren. »Wir waren ja eine Zeit lang der einzi­ge Laden in ganz Oberko­chen. Und da kamen immer recht viele Leute vom Zeiss«, erinnern sich die Brüder an rappel­vol­le Tage, wo bis spät in die Abend­stun­den geschafft wurde. »Vor allem in den 70er und 80er hatten wir viel zu tun und sogar bis zu drei Angestell­te«, sagt Erich Hahn. Helmut hat sich um die Damen geküm­mert und sein Bruder war bei den Herren an der Schere. Obwohl vor zehn Jahren der Damen­sa­lon aufge­ge­ben wurde, liegen noch Handtü­cher parat, als wenn es gleich wieder losge­hen könnte. »Ich mach ja meiner Frau schließ­lich noch die Haare«, erklärt Helmut. Es ist die reins­te Leiden­schaft, die die Geschwis­ter antreibt und das hält sie zweifels­frei fit. Geöff­net ist zwar nur noch mittwochs, donners­tags und am Freitag­vor­mit­tag, aber das planen die Kunden eben ein. Die sind allesamt 50 plus und teilwei­se schon seit Jahrzehn­ten und Genera­tio­nen mit den Hahns verbun­den. Die Ehefrau­en Hahn haben sich inzwi­schen damit abgefun­den, dass ihre Männer noch berufs­tä­tig sind. Auch in der Freizeit sind aktiv und liegen nicht auf der faulen Haut. Albver­ein, Natur­freun­de, Sänger­bund, Kolpings­fa­mi­lie oder Turnen beim TSV Oberko­chen lässt die rüsti­gen Brüder nicht rosten. Wie lange sie noch weiter­ma­chen? »Ach, so lange es eben geht. In unserem Alter kann es ja schnell vorbei sein«, lachen Erich und Helmut Hahn und halten sich die Zukunft offen.

Wer die beiden aller­dings erlebt, stellt nicht in Frage, dass die Brüder ihre Diaman­te­nen-Meister­brie­fe zum 60. noch in den eigenen Geschäfts­räu­men überreicht bekommen.

Kurzbio­gra­phie der Autorin Sandra Raspe
Geboren in Essen. Nach dem Abitur Tätig­keit als Buchhänd­le­rin in Essen und Ellwan­gen. Ab 2010 als freie Mitar­bei­te­rin bei den Aalener Nachrich­ten tätig.

Wilfried Müller

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