Seit Jahrzehnten gehe ich, gehen wir – ohne dass wir diese richtig wahrnehmen – am Mühlbergele einer ungewöhnlich mächtigen Stützmauer entlang, die anlässlich des Baus der katholischen Kirche St. Peter und Paul von 1899 bis 1900 errichtet wurde. Manchem fallen die uralten in diese Mauer aufgenommenen Grabplatten, Relikte des alten katholischen Friedhofs, auf. Aber die Mauer selbst? Sie birgt mit Sicherheit noch viel mehr spannende Oberkochener Geschichte in sich.
Auf einer Zeichnung, die der Architekt der neuen Kirche, Claus Beisbarth, jun. (1848 — 1903) von der Oberkochener Vorgängerkirche vor deren Abbruch gefertigt hat, belegt, dass es am Mühlbergele gegen den alten Friedhof, der im Zuge des Neubaus um 1900 überbaut wurde, zwar auch schon eine Mauer gegeben hat. Die heutige Mauer jedoch hat mit dieser Mauer wenig bis nichts zu tun. Die alte Mauer ist aus wesentlich kleineren Quadern errichtet, als wir sie in der neuen Mauer finden und zeigt auch einen anderen Verlauf.

Die Kirche St. Peter und Paul kurz vor dem Abbruch Ende des 19. Jahrhunderts. Zeichnung des Architekten Carl Beisbarth (Architektengemeinschaft Beisbarth und Früh)
So entsteht zunächst automatisch die Frage, woher die riesigen verschiedenartigen vielfach mächtigen Stützmauer-Quader kommen, die sich von denen, die beim Kirchenneubau Verwendung fanden, insgesamt deutlich unterscheiden. Die plausibelste Antwort ist, dass diese teilweise gewaltigen Quader, die aus sehr unterschiedlichem Material und Farbe, mit sehr unterschiedlicher Oberflächenbearbeitung und sehr unterschiedlicher Größe vom Mauerwerk der abgebrochenen Vorgängerkirche, und möglicherweise noch älterer Mauerreste stammen, aufgrund ihrer Unterschiedlichkeiten nicht in das Ebenmaß des Entwurfs für die neue Kirche passten. So wurden sie, da noch bestens verwendbar, für die gewaltige neue Stützmauer entlang dem Mühlbergele und vis-à-vis der Mühle entlang der Passage Richtung »Klein Venedig« verbaut. Auch im weiteren Verlauf einer alten Mauer in Klein-Venedig Richtung »Hirsch« sind bis zu 1 Meter lange sehr große ähnliche Steine nachzuweisen. – In der Beisbarth’schen Zeichnung sind an den Stellen, an denen der Putz abgebrochen ist, solch große Steine zu erkennen, die deren Wiederverwendung beim Mauerbau bestätigen könnten.
An anderer Stelle wird zu untersuchen sein, um was für eine große ungefähr 5 Meter hohe Gewandfigur es sich handelt, die auf die chor- und fensterlose Außenostwand der alten Kirche gemalt zu sein scheint, – eine Figur, die wohl ein Kind auf dem Arm trägt, und die sich an der Stelle befindet, an der man eigentlich ein Fenster erwartet. Vor allem der Hinweis des Architekten auf den bis heute erhaltenen »romanischen« Turm der jetzigen Kirche, (gemeint ist der massive Sockel im unteren Bereich) weist darauf hin, dass gesichert zumindest ein romanisch-mittelalterlicher Vorgängerbau, wenn nicht ein noch älterer mittelalterliche Bau an der Stelle der heutigen Kirche St. Peter und Paul gestanden hat. Bislang gehen wir davon aus, dass es sich bei letzterer um einen spätromanischen Bau aus dem 13./14. Jahrhundert handelt.
Besonders auffallend ist ein Quader, der – wie ein übrig gebliebenes Unikat – etwa gegenüber dem Eingang zur Mühle im unteren Bereich der Mauer wie verloren in etwa 1 Meter Höhe verbaut ist.

Kleiner Buckelquader in der Maueraußenseite im Vendiggässle gegen Süd-Ost (Scheerermühle)
Aus der grob bearbeiteten Sichtfläche dieses nicht allzugroßen Quaders ragt deutlich erkennbar ein kräftiger Buckel aus der Wandfläche. Nicht weit davon entfernt gibt es einen weiteren nur leicht gebuckelten Quader. – Die Verschiedenartigkeit auch der anderen teilweise auffallend großen Quader fällt gerade in diesem Bereich besonders auf. Handelt es sich bei den beiden genannten Quadern um echte »Buckelquader«?
Beim weiteren Studium der Mauern um die Kirche fiel mir in der Innenseite der Mauer gegen das erste Klein-Venedig-Haus schräg gegenüber der Scheerermühle – wir nennen es »Das alte Haus von Rocky Docky« – ein extrem großer Quader auf, in diesem Fall wahrhaft ein monumentales Musterexemplar von »Buckelquader«. –

Riesiger Buckelquader in der Mauerinnenseite gegen Süd-West (Rocky-Docky-Haus)
Um ihn zu finden muss man zwischen der Kirche und dem Edith-Stein-Haus hindurch bis zum Ende des geteerten Platzes gehen, rechts die Backsteinwand, in die viele beachtenswerte Grabsteine des alten Friedhofs eingelassen sind, links der Südeingang zur Kirche, dann durch ein kleines nicht verschlossenes Eisengatter hindurch und ein paar Stufen abwärts in einen wie verwunschenen und in der Regel völlig unbeachteten Teil des alten Friedhofs hinabsteigen, der rechts von einer hohen »zweistockigen« Mauer begrenzt ist. Dieses verlassene Eck unterm Chor der Kirche birgt Überraschungen. – Der obere Teil der Mauer ist eine Backstein-Mauer, der untere, wohl ältere Teil der Mauer ist eine aus grob behauenen mittelgroßen Steinquadern und nur wenig behauenen Steinen gesetzte verbundlose Trockensteinmauer, in der der beschriebene riesige Buckelquader nur wenig über der Rasenebene eingefügt ist. Er hat die unglaublichen Abmessungen einer Breite von ca. 100 cm und eine Höhe von ca. 80 cm. Der Buckel ist in der Form einer flach gedrückten fast 40 cm (!) aus der Mauerebene herausragenden leicht geschwungenen Pyramide behauen und muss eine Tiefe haben, die mindestens dem Maß der Höhe des Quaders entspricht. Die Buckel werden auch »Wimpfen« oder »Bosse« genannt. – Da an »unserem« Buckelquader keine Spuren einer Randbehauung festzustellen sind, müsste es sich um einen frühen Buckelquader, also einen aus der Zeit des 12. Jahrhunderts handeln; das heißt, er müsste mit einiger Sicherheit also älter sein als der von Beisbarth dargestellte Vorgängerbau. – Rechts neben diesem Buckelquader ist ein vergleichsweise flach behauener jedoch noch längerer riesiger Stein (110 cm), jedoch kein Buckelquader, seltsam schräg liegend in die Mauer eingefügt. Die beiden Kolosse wirken wie Fremdkörper im Rest der Mauer.
Es braucht wenig Phantasie um zu dem Schluss zu kommen, dass diese beiden Steine, vor allem der Buckelquader, einst an anderem Orte einem anderen Zwecke dienten – nur, welchem? – Auch Frau Dr. Arnold vom Landesdenkmalamt stellt in ihrem Schreiben vom 20.11.2012 fest:
» … Ihr Buckelquader ist durchaus eindrucksvoll, aber über seine Herkunft kann halt nur spekuliert werden. Es ist aber wohl sicher, dass man ihn nicht von weit her holte. – Bloß von wo ???…«
Ich gehe wie gesagt davon aus, dass er von einem wohl profanen Vorgängerbau der alten Kirche stammt, der in uralter (staufischer) Zeit am heutigen Platz der Kirche gestanden hat. Die Anhöhe, gleichzeitig die höchste Stelle zwischen Katzenbach und Gutenbach, genannt »Bühl« (Bühl = althochdeutsch: »buhil« = Hügel, – mittelhochdeutsch »bühel») war mit Sicherheit von jeher prädestiniert für markante Bauten. In diesem Zusammenhang sei auf das 2700 Jahre alte irdene Gefäß verwiesen, das vor 15 Jahren bei Erdarbeiten in der Aalener Straße gegenüber der Katholischen Kirche gefunden wurde (Bericht 308, 1997). – Wenn wir davon ausgehen, dass die Vorgängerkirche der heutigen Kirche St. Peter und Paul spätmittelalterlich war, dann kann wie gesagt nicht ausgeschlossen werden, dass sich an dieser Stelle ein noch früherer Bau befunden hat.
Zur Zeit der Buckelquader sagt das Internet:
»Buckelquader im hochmittelalterlichen Profanbau: Buckelquader fanden zwischen der Mitte des 12. und der Mitte des 13. Jahrhunderts insbesondere im süddeutschen Sprachraum große Verbreitung an den Ringmauern und Burgen«.
Der Buckelquader-»Findling« in der Mauer gegen das Rocky-Docky-Haus müsste, seiner Bearbeitung nach, aus dem 12. Jahrhundert stammen. – Es muss ja nicht gleich eine Burg an dieser Stelle gestanden haben – die wäre mit großer Sicherheit in irgendeiner Form urkundlich belegt, was leider bislang nicht der Fall ist. Frau Dr. Arnold führt hierzu aus: »Und auch sonst sind zu Oberkochen ja die schriftlichen Quellen (von den archäologischen reden wir erst gar nicht) äußerst dünn: Ein auf Oberkochen zu beziehender Ortsadel ist bis dato nicht bekannt. 1147 werden ein »Rudolf et frater eius (Bruder desselben) de Cohen« genannt, der aber bisher mit der Kocherburg in Zusammenhang gebracht wird.« – Eine Burg im späteren Oberkochen also bislang: nein. – Aber ein Turm, für welchen Zweck auch immer, wäre auch schon was.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auf einen interessanten Bericht in den »Blättern des Schwäbischen Albvereins – 4÷2012« (»Rätsel um Buckelquader« von Helmut Hecht). Eine instruktive Abbildung aus diesem Bericht fügen wir unserem Bericht mit Erlaubnis der Redaktion bei. (www.archpfefferkorn.de) – Wilfried Pfefferkorn »Buckelquader an Burgen der Stauferzeit in Württemberg«. Hsg. Öffentliche Bausparkasse Württemberg, Stuttgart, 1977.

Buckelquader-Bergfried von Hohengundelfingen / Münsingen. Deutlich ist der Randbeschlag der Buckelquader zu sehen, den es bei unsem älteren Oberkochener Buckelquader noch nicht gibt.
Eine weitere Überraschung in dem abgelegenen Stück des ehemaligen Friedhofs befindet sich in einer Nische des Chorunterbaus der Kirche St. Peter und Paul: Eine ca. 150 cm hohe Madonna mit Kind, die sicher irgendwann noch einen Platz im offiziellen Kirchenführer finden wird. Hierüber sowie für Informationen zu der Architektengemeinschaft »Beisbarth und Früh«, die Planer der denkmalgeschützten Kirche St. Peter und Paul in Oberkochen, ist in absehbarer Zeit ein gesonderter Bericht vorgesehen. Dies gilt auch für das geheimnisvolle Portal Ecke Mühlbergele und Venediggässle mit der Jahreszahl MDCCCIV, das wie aus der monumentalen Stützmauer herausgeschnitten aussieht.
Dietrich Bantel