Vor einiger Zeit hatte ich über das Schlei­cher­sche Kino in Oberko­chen und dabei auch über Erna Schlei­cher (geb. Kaufmann) aus Utzmem­min­gen berich­tet (Bericht 538). Die Neben­sit­ze­rin von Erna Kaufmann war damals, während der Schul­zeit in Utzmem­min­gen, Lydia Fleck. Das spannen­de daran ist, dass sich beide Frauen später in Oberko­chen wieder begeg­ne­ten. Die eine hat den umtrie­bi­gen Albert Schlei­cher aus Pflaum­loch und die andere den schwä­bi­schen Spani­er José Sogas aus Stutt­gart gehei­ra­tet. José Sogas aus Katala­ni­en und Lydia Fleck vom Ries — eine beson­de­re Mischung. Diese Liebe zwischen José und Lydia hielt ein Leben lang, nur mit dem Makel behaf­tet, dass José viel zu früh starb. Bis die zwei aber in Oberko­chen ein Geschäft und eine Familie gründen und in Oberko­chen Spuren hinter­las­sen konnten, die heute noch sicht­bar sind, war es ein langer Weg, den ich nachfol­gend gerne beschrei­be. Beglei­ten Sie mich zurück in die 50er Jahre des letzten Jahrhun­derts — Vamos companeros!

Oberkochen

Lydia Fleck wurde am 12. April 1923 in Utzmem­min­gen geboren, besuch­te dort 7 Jahre lang die Schule und war eine Zeitlang Neben­sit­ze­rin von Erna Schlei­cher (geb. Kaufmann), bevor diese die Schule verließ und ins Inter­nat Kloster Wallen­stein wechsel­te. Lydia musste damals nach der Schul­zeit ein sog. Pflicht­jahr absolvieren.

Die Alter­na­ti­ven für diese Zeit waren entwe­der »in eine kinder­rei­che Familie« oder »in eine Bauern­fa­mi­lie« zu gehen. Lydia entschied sich für die kinder­rei­che Familie. Nach diesem Pflicht­jahr verließ Lydia das Ries und zog in die Stadt — nach Aalen.

Oberkochen

Sie fand Beschäf­ti­gung im »Café Amman« (heute Kondi­to­rei Amman, Herstel­ler des »Aalener Spion­le« seit 1927) in Aalen, in dem sie 13 Jahre lang bedien­te und, für damali­ge Verhält­nis­se, gutes Geld verdien­te. Da werden sicher viele heuti­ge Bedie­nun­gen neidisch werden: Es gab 10% Bedie­nungs­geld, das Trink­geld durfte behal­ten werden und die Tätig­keit war sozial­ver­si­che­rungs­pflich­tig. Für Lydia war das eine gute Arbeit und eine gute Zeit, denn sie konnte »gut mit Menschen«. Es muss wohl 1950 gewesen sein, als sich José und Lydia, natür­lich im Café Amman (wo auch sonst), kennen­ge­lernt haben. War es Liebe auf den ersten Blick? Jeden­falls muss es zwischen den beiden schon arg »geschnackelt« haben und von nun an ging es mit den beiden aufwärts und ein Leben voller Arbeit begann für die beiden.

Oberkochen

Nun aber zu José. Woher kam dieser gutaus­se­hen­de Spani­er, der die Lydia aus Utzmem­min­gen für sich begeis­tern konnte? Die Familie Sogas stammt aus einem kleinen katala­ni­schen Dorf in der Nähe von Barce­lo­na. Der alte José der Vater von unserem José, kam nach Stutt­gart, heira­te­te eine echte »Schtuaga­te­rin«, kam später nach Aalen und eröff­ne­te den »Spani­schen Garten«. Das Haus steht heute noch mit der Namens-Inschrift in Aalen in der Fußgängerzone.

Der alte José hatte zwei Söhne: Den Juan und den José, der 1916 in Stutt­gart geboren wurde. Da José jun. aber Spani­er war, wenn auch in Stutt­gart geboren, musste auch er als Soldat in den spani­schen Bürger­krieg ziehen, den er Gott sei Dank unbescha­det überstand. Später hat José bei seinem Vater im »Spani­schen Garten« in Aalen gearbei­tet und dafür gesorgt, dass die »Oalemer« Südfrüch­te und südlän­di­schen Wein, der in Flaschen abgefüllt wurde, kaufen konnten und somit die Familie Sogas die ersten Bananen und Datteln auf die Ostalb brach­ten. Als José jun. sich zusam­men mit Lydia selbstän­dig machte, half Juan noch seinem Vater, bis dieser 1958 starb.

Oberkochen

José Bruder Juan hat dann den »Spani­schen Garten« noch bis 1962 weiter­be­trie­ben, bevor er nach Ellen­berg »ausge­wan­dert« ist.

1951 war es dann soweit. Lydia und José heira­te­ten. Was war das aller­dings für eine Überra­schung auf dem Standes­amt, als Lydia erfuhr, dass sie die deutsche Staats­bür­ger­schaft verlie­ren würde und einen spani­schen Pass bekäme, wenn sie José heira­ten würde. Das war zwar ein Problem, aber für die Lydia kein ernst­haf­tes Hinder­nis, zumal Lydias Familie mit José dem spani­schen Schwa­ben, kein Problem hatte. Er war schließ­lich ein Josef, gar ein Sepp. Einen schwä­bi­sche­ren und katho­li­sche­ren Männer­na­men kann man sich kaum vorstel­len. Das bedeu­te­te auch, dass sie ihr Wahlrecht verlor, aber das nahm sie alles in Kauf, um mit ihrem José eine Familie zu gründen. Lydia hat heute noch ihren spani­schen Pass mit unbefris­te­ter Aufenthaltsgenehmigung.

Oberkochen

Sie starte­ten ihr Lebens­mit­tel­ge­schäft »EDEKA Sogas« bei den »Hägeles« in der Heiden­hei­mer Straße in Oberko­chen und nahmen es mit der einge­ses­se­nen Konkur­renz auf, dem GUBI, dem Gaiss­mai­er, dem Kopp und dem Konsum. Aber wer konnte schon mit einem solchen Highlight aufwar­ten: Ein Obststand vor dem G’schäft zwischen »2 Misthäu­fen«, so dass die Leut sagten: »Jetz koasch scho auf d’r Straoß eikaufa«. Das Geschäft hatte eine Verkaufs­flä­che von ca. 30 qm und die Öffnungs­zei­ten waren Mo. bis Fr. von 07:00 bis 19:00 Uhr, sowie Samstag­vor­mit­tags. In Alt-Oberko­chen herrsch­te früher ein eiser­nes Gesetz: »Wer etwas verkau­fen wollte, musste sonntags in die Kirche gehen — sonst drohte Geschäfts­schä­di­gung«. Natür­lich war sonntags nicht geöff­net, aber der eine oder die andere Kirch­gän­ge­rin wollten partout noch nach »d’r Mess’« einen Vanil­le­pud­ding oder ein Backpul­ver (wahrschein­lich entstand dieser Kunden­wunsch erst während der Predigt vom Pfarrer Forster). Da mussten Lydia und José schon flexi­bel sein – denn auch der katho­li­sche Kunde ist König. Das Geschäft entwi­ckel­te sich gut, da Lydia aus ihrer Zeit beim Café Amman viele I.eute kannte und auch die Oberko­che­ner Geschäfts­leu­te kauften gerne etwas teurer bei der EDEKA ein. Wachs­tum war die Devise in dieser Zeit und so wuchs auch die Familie, Carmen wurde 1953 und Juan 1955 geboren. Natür­lich gab es auch in dieser Zeit helfen­de Hände in dem kleinen, aber regen Geschäft: Lydias Schwes­ter Anna, Erika Steck­bau­er, Sieglin­de Betzler, Doris Schmau­der, Rosl Beck, die Schwes­ter von Bauer Weber u.a. Während der ersten Monate fuhren Lydia und José immer morgens und abends mit dem Zug von und nach Aalen in ihr »G’schäft ond widdr hoim«. Wobei sie oft vom damali­gen Bahnhofs­vor­ste­her, dem BB-Oberse­kre­tär Anton Feil, angespornt wurden, schnel­ler zu laufen: »Kommat, d’r Zug isch fei scho doa.« Und das kam häufig vor, weil es schon damals Leute gab, die um 19 Uhr noch unbedingt einkau­fen wollten.

Dann kam die Stunde der Entschei­dung. Hägeles wollten umbau­en und kündig­ten daher den Mietver­trag. Sie hatten zwar die Zusiche­rung, nach der geplan­ten Umbau­zeit von 6 Monaten wieder einzie­hen zu können, aber das würde bedeu­ten »auf der Straße zu stehen«. Das konnte, das durfte nicht sein.

Und wie das im Leben oft so ist, kommt eins zum anderen und die Proble­me lösen sich, wenn man ein Wagnis eingeht. Fabri­kant Schramm, ein treuer Sogas-Kunde verkauf­te der Familie Sogas das Haus Dreißen­tal­stra­ße 56 mit dem dazuge­hö­ri­gen Grund­stück. Nun wurde im Frühjahr und Sommer 1957, in 6‑monatiger Bauzeit, ein moder­nes EDEKA-Geschäft in unserem Viertel gebaut. Als 5‑jähriger Bub war das damals eine spannen­de Zeit, in der ich beobach­ten konnte, wie aus einer Wiese und einem großen Erdloch ein schönes neues Geschäft entstand.

Oberkochen

Im Herbst 1957 war es dann soweit. Das neue Geschäft war fertig. Für uns Kinder gab es vor dem Geschäft einen Bubble­gum-Automa­ten für Kaugum­mi und Klein­spiel­zeug (ähnlich wie die späte­ren Überra­schungs­ei­er) und glitzern­den Ringen für die Mädchen. Wir übten uns darin, dem Gerät ohne die obliga­to­ri­schen 10 Pfenni­ge beizu­kom­men und die Schät­ze kosten­los zu heben. Lydia führte das Geschäft in der Heiden­hei­mer Straße und José leite­te das neue Geschäft im Dreißen­tal. Der Paral­lel­be­trieb wurde ca. 4 Jahre aufrecht­erhal­ten. Danach ging Lydia auch ins Dreißen­tal und beide mussten jetzt lernen, das Geschäft mitein­an­der zu betrei­ben, was sicher zu gelegent­li­chen Reibun­gen führte (katala­ni­scher Stolz und schwä­bi­sche Beharr­lich­keit ist sicher eine beein­dru­cken­de Mischung).

Was zeich­ne­te SOGAS damals aus? Schwer­punk­te waren frisches Obst und Gemüse, gute Weine, freund­li­che Bedie­nung und Hauslie­fe­run­gen durch José. Ich erinne­re mich noch daran, dass ich Wurst norma­ler­wei­se bei »Betzens« in der SONNE zu holen hatte (Bericht 562), aber bestimm­te Sorten, wie Bierschin­ken, immer beim SOGAS holen musste. Das EDEKA-Konzept »Gute Quali­tät zu guten Preisen« hat damals schon funktio­niert und zieht auch heute noch viele Kunden an. Später kam dann noch ein offener Milch­ver­kauf in einem beson­de­ren Raum mit separa­tem Zugang (hinter dem Geschäfts­ge­bäu­de) dazu.

Ein Zugang über das Geschäft war behörd­lich verbo­ten. Um offene Milch anbie­ten zu können, musste José einen 4‑wöchigen Kurs (!) in Stutt­gart machen. Danach kannte José sicher »die Kuh« von Kopf bis Schwanz in- und auswen­dig. Das waren damals noch andere Zeiten, da musste man noch lernen, lernen, lernen – auch wenn das für den Verkauf völlig unbedeu­tend, aber Vorschrift war. José war ein agiler freund­li­cher Mann, der auch den Weg in den Aufsichts­rat von EDEKA fand und dort seinen Mann stand.

Jedoch, es gab auch schlech­te Zeiten. José wurde 1981 sehr krank und verstarb 1984 im Alter von nur 68 Jahren. Lydia führte das Geschäft dann noch bis 1983 weiter, aber dann war es genug. Ausver­kauf und Verkauf des Inven­tars waren dann im Dezem­ber 1983 das offizi­el­le Ende von EDEKA-Sogas und wieder wurde das Dreißen­tal um ein gutes Geschäft ärmer. Die Liegen­schaft gehört heute noch der Familie Sogas und in den Entschei­dun­gen diese Immobi­lie betref­fend, hat Lydia auch heute noch das letzte Wort. Lydia und José waren ein gutes Gespann und haben in Oberko­chen Spuren hinter­las­sen. Wir denken gerne an sie zurück.

Wilfried Müller

Oberkochen
Oberkochen
Oberkochen
Oberkochen
Oberkochen

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte