In unserem Bericht 44 vom 25.11.1988 berich­te­ten wir ausführ­lich über »Das alte evange­li­sche Schul­haus« in der Aalener Straße 19, das heute »Schil­ler­haus« heißt, und in dem sich das Heimat­mu­se­um Oberko­chen befin­det. Das Gebäu­de wurde 1860 in der damali­gen »Kirch­gass« errichtet.

Wir haben damals auch den Grund- und den Aufriß des unter Schult­heiß Wingert entstan­de­nen Schul­hau­ses veröffentlicht.

Heute geht es um die beiden myste­riö­sen Nischen, die sich im 1. OG jeweils zwischen den beiden ersten und zweiten Fenstern von links und von rechts in der Front zur Straße hin befin­den. Vielen Bürgern, inter­es­san­ter­wei­se auch Alt-Oberko­che­nern, die seit Jahrzehn­ten daran vorüber­ge­hen, sind sie noch nicht aufge­fal­len. – Verglei­chen wir den Plan von 1860 mit dem Foto von 1958, (Foto 1) so stellen wir fest, dass die linke Hälfte des Gebäu­des anders gebaut wurde, als es die Planung vorge­se­hen hatte, nämlich um eine Fenster­se­quenz zu kurz. Am besten ist das im 1. OG zu erken­nen: Dort befin­den sich im Plan sechs Festeröff­nun­gen, während die Bauaus­füh­rung nur fünf dersel­ben hat. Außer­dem ist festzu­stel­len, dass der Origi­nal­plan die beiden rätsel­haf­ten Nischen gar nicht ausweist. Offen­bar hat es vor Baube­ginn noch gravie­ren­de Änderun­gen in der Baupla­nung gegeben.

Oberkochen

Zu den beiden Nischen. Eines scheint ziemlich klar zu sein: Die Nischen waren ursprüng­lich für zwei Figuren, entwe­der Plasti­ken (Figuren, die aus Materi­al durch Hinzu­fü­gen aufge­baut werden) oder Skulp­tu­ren (Figuren, die durch Wegneh­men von einer block­ähn­li­chen festen Gesamt­mas­se entste­hen), vorge­se­hen. Jedoch: Wir haben uns mit negati­vem Erfolg seit jenem bereits vor 24 Jahren geschrie­be­nen Bericht 44 bemüht, Näheres zu den leeren Nischen heraus­zu­fin­den, — - — jegli­che Nachfra­ge bei Altober­ko­che­nern endete in der Feststel­lung, dass die Nischen seit Menschen­ge­den­ken leer sind. Gleich­zei­tig sind alle Befrag­ten mit mir der Meinung, dass, wenn überhaupt einmal ein »Inhalt« in die Nischen geplant war, es sich defini­tiv um Skulp­tu­ren oder Plasti­ken gehan­delt haben muss, wobei mir Vorschlä­ge unter­schied­li­cher aber eigent­lich in Bezug auf den Verwen­dungs­zweck des Gebäu­des »Evange­li­sche Schule« nicht verwert­ba­rer Art unter­brei­tet wurden. Die Vorschlä­ge der Oberko­che­ner gingen von »Schil­ler und Goethe« über »Adam und Eva« und »Chris­tus und Maria« bis zu »Bilzhan­nes und König Fried­rich I von Württem­berg«, und, konfes­sio­nell beson­ders unlogisch, auch »St. Peter und Paul« (mit der noch unlogi­sche­ren Begrün­dung: »weil die Kirche St. Peter und Paul gegen­über steht« ….). – Eine ganze Reihe von weite­ren Vorschlä­gen, die sich über die Jahrzehn­te angesam­melt haben, wollen wir lieber gleich gar nicht veröffentlichen.

Aller­dings sollte nicht verges­sen werden, dass sich in der alten evange­li­schen Kirche mindes­tens bis zum Jahr 1973, also ca. 100 Jahre lang, in zwei großen Halbrund­bo­gen-Glasfens­tern in der Giebel­wand dem Rodstein zu zwei kleine runde farbi­ge Glasfens­ter befan­den, die männli­che Perso­nen­büs­ten darstell­ten. Das linke Bildnis stell­te den Mose (AT) mit den Geset­zes­ta­feln dar, das rechte stellt den Paulus (NT) dar, — nicht mit einem Buch, sondern in der späte­ren Symbo­lik mit dem Schwert. (Foto 2 – im Album von Herrn Stelzen­mül­ler, das dieser in den Besitz des HVO gestif­tet hat, ins Jahr 1955 datiert).

Oberkochen

1973 wurde die Kirche an die Stadt verkauft. In einem langen Hin und Her wurde unter Anderem auch der Abriss der Kirche disku­tiert. Ich kündig­te damals an, dass ich mich, um den Abbruch zu verhin­dern und die »Schoko­la­den- und belieb­tes­te Postkar­ten­an­sicht« von Oberko­chen zu erhal­ten, bei Abbruch­be­ginn in der Kirche nieder­las­sen würde. – In dieser kriti­schen Zeit ab 1973 verwahr­los­te die Kirche komplett. Eine Zeitlang dienten Gemein­de­saal und Sakris­tei als provi­so­ri­sches Jugend­haus. Einige der Jugend­li­chen schreck­ten in einer unerklär­li­chen Zerstö­rungs­wut vor nichts zurück. Die jungen Leute nächtig­ten ungestat­te­ter­wei­se per Einbruch auch in der Kirche und schlu­gen dort inner­halb dieser Zeit alles kurz und klein – mögli­cher­wei­se mit dem Argument, dass der Bau doch nie wieder als Kirche verwen­det werden würde. Beispiels­wei­se wurden sämtli­che Wangen der Bänke abgeschla­gen und verheizt. Es gibt eine noch schau­ri­ge­re Geschich­te, die ich vorerst jedoch nur dem Archiv des HVO anver­traue. – Das linke der beiden Fenster, der Mose, war, wie später festge­stellt, dem damali­gen Vanda­lis­mus bereits zum Opfer gefal­len, als ich den Schaden an den Fenstern von der Straße her bemerk­te und bei der Stadt vorstel­lig wurde. Der Paulus wurde dann auf meine Bitte hin von der Stadt tatsäch­lich noch recht­zei­tig durch eine Überbret­te­rung geschützt und hat sich auf diese Weise glück­li­cher­wei­se bis heute erhalten.

Das runde Glasge­mäl­de im Fenster befin­det sich unmit­tel­bar hinter der großen geschwun­ge­nen Treppe, mittels dersel­ben unser Oberko­che­ner »Treppen­papst« Willi­bald Mannes eine elegan­te Verbin­dung vom EG ins OG der Biblio­thek geschaf­fen hat. Den Kronleuch­ter der alten evange­li­schen Kirche habe ich in letzter Minute dem Herrn Pfarrer Kurz vom Schrott­hau­fen herun­ter »abgeschwatzt« und ihn solcher­ma­ßen vor dem siche­ren endgül­ti­gen Aus auf dem Zahnberg geret­tet. Er, der Leuch­ter, lag, von den Jugend­li­chen von der Decke geris­sen und zusam­men­ge­quetscht, in üblem Zustand und schon zur Abfuhr bereit auf einem Schutt­hau­fen am Straßen­rand vor der Kirche, als der Gemein­de­rat den Zustand der Kirche besich­tig­te. Der Herr Pfarrer meinte, als ich mit meiner »Beute« loszog, ich könne der Kirche dann ja eine Spende machen, für den Kronleuch­ter vom Schrott­hau­fen. Ich erklär­te ihm dann aber erfolg­reich, dass für den bereits als Schrott dekla­rier­ten Leuch­ter meiner Ansicht nach keine Spende erfor­der­lich sei, und nahm den geschrot­te­ten Kronleuch­ter einfach mit. – Er lager­te dann viele Jahre bei uns in der Garage, bis meine Frau, die uns an dem kostba­ren Schrott wieder­holt Kratzer ins Auto gefah­ren hatte, darauf bestand, dass dieser raus aus der Garage muss. – Heute befin­det sich der Kronleuch­ter auf der Bühne über der Bühne im Heimat­mu­se­um und wartet immer noch auf einen fähigen und unserer Vereins­kas­se gegen­über wohlwol­len­den Restau­ra­tor. Der »Bär« wollte das veran­las­sen. Auf unserem Foto 2 ist der Leuch­ter gut zu sehen. – Den Kanzel­stock rette­te übrigens Otto Schaupp auf ähnli­che Weise vom gleichen Schutt­hau­fen herun­ter. Der Kanzel­stock steht heute als symbo­li­sches Element der Ökume­ne in der Kolping­hüt­te, die Otto Schaupp entwor­fen hat, und dient dort als Glocken­trä­ger. (Siehe auf dieser Homepage Punkt 11, Geschich­ten und Anekdo­ten, Geschich­te 12 »Luthe­ri­sches Holz in der katho­li­schen Kolping­hüt­te«. 1981 wurde dann in dem geschichts­träch­ti­gen Gebäu­de »Alte evange­li­sche Kirche« die Stadt­bi­blio­thek eröff­net. Ohne Mose – aber immer­hin bis zum heuti­gen Tag mit dem Origi­nal-Paulus, der inzwi­schen fast 137 Jahre alt ist.

Zurück zu unseren Figuren: Meiner Ansicht nach kann nicht ausge­schlos­sen werden, dass eben diese beiden Glasfens­ter-Figuren der alten Evange­li­schen Kirche, »Mose und Paulus«, die 1875 stell­ver­tre­tend für das alte und das neue Testa­ment in die Fenster aufge­nom­men wurden, zuvor auch für die Nischen des 1860 errich­te­ten Evange­li­schen Schul­hau­ses gedacht gewesen sein könnten. Damit wäre natür­lich die andere Kernfra­ge, weshalb die Nischen leer blieben, noch lange nicht beantwortet.

Nun wollte es der Zufall, dass ich kürzlich in der Hüttlin­ger Haupt­stra­ße, unweit der Kirche, ein statt­li­ches Backstein­ge­bäu­de entdeck­te (Foto 3), das ich, wie einige weite­re Backstein­bau­ten Oberko­chens (Ochsen, abgebro­che­nes Oppold-Verw.-Gebäude, Dreißen­tal­schu­le (Fuchs­bau), Bgm-Frank-Gebäu­de, katho­li­sche Kirche St. Peter und Paul u.a. auf die Erbau­ungs­zeit um 1900 plusmi­nus einschätz­te. Dieses Hüttlin­ger Gebäu­de weist an exakt der gleichen Stelle genau diesel­ben Nischen auf, wie wir sie im Oberko­che­ner Schil­ler­haus, sprich, der alten Evange­li­schen Schule, haben. Im Gegen­satz zu den leeren Nischen in der Schil­ler­haus­fas­sa­de befin­den sich in dem Hüttlin­ger Gebäu­de jedoch an just den beschrie­be­nen Stellen im Oberge­schoss nicht nur genau diesel­ben Nischen wie sie das »Schil­ler­haus« in Oberko­chen aufweist, sondern in den Hüttlin­ger Nischen steht – im Gegen­satz zu Oberko­chen – jeweils eine Figur. Bürger­meis­ter Ensle bestä­tig­te, dass das Gebäu­de 1895 entstan­den ist. In der Liste der unbeweg­li­chen Bau- und Kunst­denk­ma­le ist zu dem Gebäu­de notiert: »Ehema­li­ge Handar­beits­schu­le, Backstein­bau mit Werkstein­glie­de­rung und Nischen­fi­gu­ren, Ende 19. Jahrhun­dert.« Um welche Art von Figuren, eine männli­che und eine weibli­che, es sich handelt – mit einiger Sicher­heit ebenfalls um Figuren weitge­hend sakra­len Inhalts – wird in abseh­ba­rer Zeit gefun­den sein. Ob uns das Ergeb­nis weiter­führt, bleibt indes offen. – Bis zum nächs­ten Bericht werden wir den Glasfens­ter­fi­gu­ren der alten Evange­li­schen Kirche (erbaut 1875) – heute Stadt­bi­blio­thek – und den Hüttlin­ger Nischen­fi­gu­ren (erbaut um 1900), sowie den Figuren in der alten Oberko­che­ner evange­li­schen Kirche (erbaut 1860) weiter nachge­hen, und vor allem der Theorie, dass letzte­re mögli­cher­wei­se in einem geistig-virtu­el­len Zusam­men­hang mit den wohl nie vorhan­den gewese­nen Figuren im evange­li­schen Schul­haus von Oberko­chen (erbaut 1860) – heute Schil­ler­haus – zu sehen sein könnten.

Oberkochen

Träfe diese Hypothe­se zu, so wären die Hüttlin­ger Figuren natür­lich anderen thema­ti­schen Ursprungs.

Dietrich Bantel

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