Unser treues nach Itali­en ausge­wan­der­tes Mitglied namens Luitgard Hügle, echtes Altober­ko­che­ner Blut, hat uns wieder einmal aus heite­rem Himmel eine wunder­ba­re Geschich­te geschrie­ben, die mehr als eine Geschich­te – nämlich echte Geschich­te ist. — Herzli­chen Dank.

Dietrich Bantel

Die Zeit der Selbst­ver­sor­gung von Luitgard Hügle, Italien

»Wir haben daheim noch echte Kernsei­fe«, sagte Gertrud, meine Freun­din. Sowas hatten wir nicht mehr, aber wir haben in diesen ersten Nachkriegs­jah­ren nicht wirklich Hunger gelit­ten. Wenig bekam man zwar mit den zugeteil­ten Lebens­mit­tel­mar­ken, aber da von meinen Großel­tern noch ein paar Äcker da waren, bekamen wir Milch von den Bauern, die diese bewirtschafteten.

Jede Woche wurde ich am Mittwoch­abend in den »Ochsen« geschickt, eine leere Maggifla­sche in meiner Einkaufs­ta­sche. Damals kaufte man alles, auch Maggi offen im Laden, da wurden die kleinen Maggi­fläsch­chen aus der großen Flasche aufge­füllt – und so eine große vierecki­ge Flasche bekam ich mit, um sie mit Milch füllen zu lassen. Der »Ochsen« war Gastwirt­schaft und Landwirt­schaft zugleich. Ich ging in die Küche und stand an der Tür, bis mir jemand die Milch gab. Oft eine Stunde und mehr musste ich warten, schon deshalb ging ich gar nicht gerne hin. Aber langwei­lig war es nicht. Da war Anna, die am Herd stand und in großen Kacheln kochte. Immer wieder nahm sie einen Löffel und probier­te ihre Gerich­te. Dann kam die Bäuerin heim. Die hatte offene Füße und setzte sich in eine Ecke, um ihre Füße neu zu verbin­den. Der Bauer kam und holte sich seinen Stiefel­zie­her hinter dem Schrank hervor und zog damit seine klumpi­gen Arbeits­stie­fel aus. Dann kam der Kellner aus der Gaststu­be, eine Servi­et­te über dem Arm und fragte nach dem bestell­ten Gulasch. Als er diesen bekam, nahm er seine Servi­et­te vom Arm und wedel­te damit über dem Teller. »Scheiß Flies­chen, sitzen den ganzen Tag beim Nachbarn auf der Miste, aber kaum gibt’s was zu essen, sind sie da«.

Ganz anders war’s bei der Hägele-Bäuerin. Dahin wurde ich am Samstag­mor­gen geschickt. Es war zwar ein weiter Weg zum letzten Haus am Ortsen­de und ich war ja erst 6 oder 7 Jahre alt, aber ich ging dort gerne hin. Frau Hägele war sehr nett. Sie ging mit mir über den Hof, der war, wenn’s gereg­net hatte, d.h. meistens, ganz schlam­mig. Wir gingen zu den Ställen und sie zeigte mir die Hühner und ganz kleine Kücken oder auch neu gebore­ne Kätzchen. Manch­mal schenk­te sie mir ein Ei. Dann gingen wir zurück ins Haus und sie gab mir die Milch, die ich dann zufrie­den und glück­lich heim brachte.

Beson­ders im Sommer waren wir gut dran, denn wir hatten hinter dem Haus einen Garten mit Salat und Gemüse. Und Beeren gab es und Rhabar­ber, den aßen wir als Kompott zum Brei oder zu Pfann­ku­chen, wenn Mama genügend Fett hatte, um welche zu backen. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstel­len, wie Eltern kämpfen mussten, um die Familie satt zu bekommen.

Aber auf dem Land ging das schon. In der schlimms­ten Zeit gingen viele Frauen zum Hamstern aufs Härts­feld. Zu Fuß mit einem Rucksack oder mit dem Fahrrad. Natür­lich war es gut, wenn sie etwas zum Tauschen dabei hatten. Kleider zum Anzie­hen bekam man mit etwas Mühe schon hin. Mancher alte Kittel wurde gewaschen und gewen­det, um daraus was fürs Kind zu schnei­dern. Ganz proble­ma­tisch war es jedoch, zu Schuhen zu kommen. Durch einen Tausch gelang es meinem Vater, 2 Paar Schäf­te für Kinder­stie­fel zu kriegen. Nun musste ein Schus­ter gefun­den werden, der die Sohlen beisteu­er­te und wirklich Kinder­stie­fel daraus machte. In Schnait­heim war ein Schus­ter bereit, und wir fuhren mit dem Fahrrad hin. Ich bekam schöne braune Stiefel in Größe 28, mein kleine­rer Bruder lebte »auf großem Fuß« und bekam Größe 32. Was der Schus­ter dafür bekam, das weiß ich nicht – es muss wohl Ende 1946 gewesen sein, auf jeden Fall vor der Währungs­re­form, denn mit Geld konnte man nichts kaufen.

Oberkochen

Blick in die alte Schus­ter­werk­statt im Heimat­mu­se­um Oberkochen

Der Schuh­ma­cher war natür­lich sowie­so ganz wichtig. Damit die Sohlen lange hielten, wurden sie genagelt oder bekamen ein Eisele unter die Schuh­spit­ze und am Ende des Absat­zes. Geh’ zum Holza-Schus­ter, sagte man mir. Zu dem ging ich ganz gerne. Er wohnte oben und schus­ter­te unten in einem schma­len Haus in der Grambol­gaß. Es war dunkel drinnen, nur dort wo der Schus­ter auf seinem Schemel saß, wurde es hinter seinem Kopf heller. Da war ein kleines Fenster, durch das man in sein Gärtle sah, in dem alles wild durch­ein­an­der wuchs. Er hatte einen dicken specki­gen Leder­schurz an, der bis zum Boden ging, und seine Brille hing ihm ganz vorne auf der Nase. Vor sich einen stähler­nen Fuß, auf den er den zu reparie­ren­den Schuh zog und daneben seinen Schus­ter­tisch. Links die bereits reparier­ten und rechts Haufen mit »ungemach­ten« Schuhen. Doch was lag da nicht alles auf dem Tisch, der einen Rand hatte, damit nichts runter­fal­len konnte. Hämmer in allen Formen und Größen, Ahle und Zangen, Holznä­gel und Stahl­nä­gel, ein Blech­ge­fäß, geschlos­sen bis auf einen Pfropf in der Mitte, der angezün­det werden konnte, gefähr­lich ausse­hen­de Messer gab es und Spach­tel, Eisele und Absatz­fle­cke in verschie­de­nen Größen und Formen – und wenn der Schus­ter gut aufge­legt war, dann begann er zu erzäh­len. Er wäre viel lieber Pfarrer gewor­den, dann hätte er den Leuten aber die Meinung gesagt. Da stand er sogar auf und prokla­mier­te laut. Ich hätte ihm damals schon gewünscht, dass er Pfarrer hätte werden dürfen.

Man behalf sich in vielem. Klopa­pier wurde aus Zeitun­gen geschnit­ten. Zeitun­gen waren auch nützlich um sie für Einle­ge­soh­len zuzuschnei­den. Gesam­melt wurde alles: Spitz­we­ge­rich und Hagebut­ten waren gut für Tee. Himbee­ren und Heidel­bee­ren für Gsälz, aus Schle­hen wurde Sirup gemacht und aus Tannen­lym­phen eine Art Honig. Aber das war eigent­lich verbo­ten, denn die Tännchen wuchsen dann ja nicht weiter.

Um den Winter gut zu überste­hen, musste geheizt werden. Für das nötige Holz erstei­ger­te Papa einen Schlag und einige FM Holz im Wald. Dann zog die ganze Familie in den Wald, um Reisig zu bündeln und Äste zu zersä­gen und aufzu­häu­fen. Das Holz ließen wir von einem Bauern abholen, der es hinter dem Haus ablud. Dann kam der Säger. Er hatte eine fahrba­re Bandsä­ge, kam auf Bestel­lung und sägte die langen Teile in „Möggel“. Diese mussten dann auf dem Holzblock gespal­ten werden. Das war viel Arbeit, die mein Vater mit seiner knapp­ten Freizeit – auch am Samstag war er im »G’schäft« und abends bis spät, nicht allein bewältigte.

Dem Helfer, der dann kam, mussten wir Kinder zur Hand gehen. Danach aber kam das Aufwen­digs­te, nämlich das gespal­te­ne Holz auf die Bühne, den Dachbo­den, zu bringen. Unten luden wir die »Scheit­le« in die Körbe und hängten sie an das Seil, das oben am Bühnen­fens­ter einer bedien­te. Aber auch auf dem Balkon musste jemand stehen, um den Korb gut über das Gelän­der zu beför­dern. Und auf der Bühne mussten natür­lich die Körbe geleert und zu ordent­li­chen »Beigen« geschich­tet werden.
Wie froh waren wir, wenn wir das Holz trocken unters Dach gebracht hatten. Korb für Korb wurde es im Winter dann wieder herun­ter geholt zum Heizen.

Auf einmal hieß es: jetzt kommt die Währungs-Reform. Dann kann man wieder alles kaufen! Und ein Kotelett essen und einen ganz „schmot­zi­gen“ Grumbier­asa­lat mache ich dann dazu, sagte eine Tante. 200 DM Kopfgeld bekam unsere Familie. Zum Leidwe­sen meiner Mutter kaufte mein Vater, der sonst ja so sparsam war, gleich einen Radio. Um Nachrich­ten zu hören. Was los war, inter­es­sier­te ihn immer sehr: hörte er ein Flugzeug, dann riss er schnell das Fenster auf und schau­te nach oben. Von dem neuen Geld bekamen auch wir was, z.B. 5 Pfenni­ge, das war ein grüner Schein, oder 10 Pfenni­ge, das war ein blauer Schein. Münzen gab es erst viel später.

Luitgard Hügle, Italien

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