Dieses Jahr 1989 ist in kultu­rel­ler Hinsicht weithin geprägt vom 200. Geburts­tag der Franzö­si­schen Revolution.

Dem 100. Jahres­tag des Sturms auf die Bastil­le verdankt Paris sein wohl berühm­tes­tes Wahrzei­chen, den Eiffelturm.

Mit seiner Errich­tung wurden damals jedoch auch Ziele verfolgt, die über die Erinne­rung an die Große Revolu­ti­on hinausgingen:

Der genia­le Turm des Ingenieurs Gustave Eiffel (1832 — 1923), was 15.000 vorge­fer­tig­ten Eisen­tei­len gitter­för­mig zusam­men­ge­nie­tet, mit bis dahin unvor­stell­ba­ren über 300 Metern das höchs­te Bauwerk der Welt, sollte der absolu­te Clou der an Super­la­ti­ven ohnehin nicht armen Weltaus­stel­lung von 1889 auf dem Pariser Marsfeld werden.

Gustave Eiffel, der vorher schon Großbrü­cken in wegwei­sen­der Eisen­kon­struk­ti­on gebaut hatte, dokumen­tier­te die ungeahn­ten Möglich­kei­ten des begin­nen­den techni­schen Zeital­ters. Daß diese auch heute noch erstaun­li­che techni­sche Großtat einher­ging mit einer zwar durch und durch ratio­na­len, doch von vollende­ter Eleganz bestimm­ten Linien­füh­rung, macht den andau­ern­den Ruhm und auch den Reiz des Eiffel­turms aus.

Doch was uns heute gerade­zu als Symbol für franzö­si­schen Esprit gilt, was wir auch als schön empfin­den, veran­laß­te bereits ab 1895, also nur 6 Jahre nach der Errich­tung des Eiffel­turms, zahlrei­che Künst­ler und Intel­lek­tu­el­le zu einer beispiel­lo­sen Kampa­gne gegen dieses ihrer Ansicht nach scheuß­li­che Monument der Ingenieur­bau­wei­se und gegen die seelen­lo­se Techni­sie­rung der Archi­tek­tur, die — weil aus der Sicht dieser Künst­ler gegen den Menschen gerich­tet — nie und nimmer als Kunst angese­hen werden könne, und deshalb aus dem Stadt­bild ausge­merzt werden müsse.

Heute, 100 Jahre später, ist diese Kontro­ver­se zwischen techni­schem Fortschritts­glau­ben und der Bewah­rung der mensch­li­chen Dimen­si­on zum General­the­ma unserer Zeit geworden.

Die radikals­ten der Eiffel­turm­geg­ner forder­ten den totalen Abriß, andere befaß­ten sich mit »humane­ren«, symbo­lis­ti­schen Umgestaltungsideen.

Wir möchten hier in einem gemein­sa­men Beitrag des Heimat­ver­eins Oberko­chen und des Vereins für Städte­part­ner­schaft den Umgestal­tungs­ent­wurf des tsche­chi­schen Jugend­stil­künst­lers Alfons Maria Mucha (1860 — 1939) aus dem Jahr 1897 vorstel­len, der den Eiffel­turm bis zur ersten Etage abbre­chen wollte, um daraus und darauf einen »Pavil­lon de l’Hom­me«, ein der Erde und dem Menschen gewid­me­tes und gegen die Techni­sie­rung gerich­te­tes Denkmal, zu errichten.

Es muß uns nachdenk­lich stimmen, daß Mucha mit seinen diesbe­züg­li­chen Ideen schon vor 100 Jahren den Menschen in den Mittel­punkt stell­te, — zu einer Zeit, in der alles nach Technik rief. Gerade in Oberko­chen sollte der Gedan­ke, daß Technik viel, jedoch nicht alles ist, noch viel starker ins Bewußt­sein rücken, vor dem Hinter­grund, daß exakt in jener Zeit auch hier in Oberko­chen die grund­sätz­li­chen Weichen für eine Indus­tria­li­sie­rung und eine Techni­sie­rung gestellt waren und wurden, — genau­so­sehr jedoch auch vor dem Hinter­grund einer höchst­ent­wi­ckel­ten moder­nen Technik in vieler­lei Bereichen.

Zu den Aufga­ben des Heimat­ver­eins gehört es auch, darauf hinzu­wir­ken, daß die wenigen übrig­ge­blie­be­nen Zeugnis­se der Oberko­che­ner »Gründer­zeit« wie man die Zeit nach 1879/71 nannte, erhal­ten bleiben. So vieles ist schon für immer verschwunden.

Oberkochen

Der Jugend­stil­künst­ler Mucha ist übrigens in der inter­es­san­ten Plakat­aus­stel­lung »Die Frau in der Werbung« der Staats­ga­le­rie, die im Augen­blick im Rathaus­foy­er gezeigt wird, mit beson­ders sinnli­chen Plaka­ten vertre­ten. Mucha stell­te die Frau jedoch nicht wegen ihrer Werbe­wirk­sam­keit in den Mittel­punkt seiner Kunst, sondern aus dem Bewußt­sein heraus, daß die Frau in der Natür­lich­keit ihrer Symbol­ge­hal­te der beste Ausdruck im Wider­stand und im Kampf gegen die zerstö­ren­de Technik sei.

Wir bringen hier eine Abbil­dung des zweiten Entwurfs von Mucha für die Umgestal­tung des Pariser Eiffel­turms von 1897; die Origi­nal­zeich­nung befin­det sich in der Prager Natio­nal­ga­le­rie. In der Beschrei­bung der Entwurfs­zeich­nung bezie­hen wir uns auf die 1980 anläß­lich der Mucha-Ausstel­lung auf der Mathil­den­hö­he in Darmstadt verleg­ten Retro­spek­ti­ve »Jahre des Ruhms 1895 — 1905«, S. 172.

Die Grund­idee Muchas ist, den unteren Teil des Eiffel­turms als Grund­la­ge für ein neues Gebäu­de zu benut­zen, das mit gigan­ti­schen Statu­en geschmückt und von einem Globus überwölbt wird, dessen kolos­sa­ler Maßstab in der Relati­on zu den winzi­gen Silhou­et­ten der Besucher erkenn­bar wird. Gewal­ti­ge relief­ge­schmück­te Mondsi­cheln überspan­nen die Eingän­ge des zentra­len Globus-Kuppel­raums. Das Programm der allego­ri­schen Skulp­tu­ren: In der Mitte der Fassa­de erhebt sich ein Mensch aus der Erde, »er perso­ni­fi­ziert die arbei­ten­de Natur, den geball­ten, noch nicht von den niedri­gen Instink­ten befrei­ten Auftrieb der mensch­li­chen Kräfte«, oben ragt der »Genius der Erde« empor, der den Schutz der Gottheit anruft. Die anderen Skulp­tu­ren: Der noch unbewuß­te Mensch, dessen Blick mit einer Augen­bin­de verschlos­sen bleibt; der Genius an seiner Seite mustert ihn mitlei­dig. Etwas weiter hat der Mensch seine Binde verlo­ren, er beginnt, sich selbst zu erken­nen. Auf der anderen Seite des Monuments: Der Tod — eine Frau fällt ins Nichts zurück, ihre Seele fliegt davon; eines der Reliefs auf der Mondsi­chel ist sympto­ma­tisch für das humanis­tisch gepräg­te Weltbild Muchas: Es zeigt die Genesis der mensch­li­chen Wesen, die aus dem Schlamm kommen, um das Erhabe­ne zu erreichen.

Oberkochen

Wie sollten wir, die wir heute schon die von Mucha geahn­ten Schat­ten­sei­ten der Techni­sie­rung erfah­ren, sein Grund­an­lie­gen nicht verste­hen! Und dennoch: Wer wollte schon sich auch nur vorstel­len mögen, an Stelle der filigra­nen, im silbri­gen Pariser Licht changie­ren­den Silhou­et­te des Eiffel­turms erhöbe sich heute das bedeu­tungs­schwe­re Monument Muchas?

Rudolf Heite­le
Dietrich Bantel

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