Am Schluss der gutbe­such­ten letzt­jäh­ri­gen städti­schen Veran­stal­tung des Heimat­ver­eins »Senio­ren im Schil­ler­haus« (SiS No. 18) am 18. Oktober 2010 übergab mir die erst kürzlich verstor­be­ne Frau Helene Bosch, die Gattin des vor 32 Jahren verstor­be­nen Altbür­ger­meis­ters von Oberko­chen, Gustav Bosch, (1914 – 1979) ein Kuvert als Spende für den Heimat­ver­ein, das zum einen ein gedruck­tes Gedicht aus der Feder Ihres Mannes mit dem Titel »Gruß und Dank« enthielt, in welchem sich Bosch für die zahlreich erhal­te­nen Wünsche und Lobes­wor­te bedankt, die er anläss­lich seines silber­nen Amtsju­bi­lä­ums erhal­ten hatte.

Zum anderen befand sich in dem Kuvert ein damals vor 124 Jahren, also im Jahr 1886, gedruck­tes Gedicht, das ein Loblied (anläss­lich der Fertig­stel­lung des 10.000sten Mikro­skops) auf Carl Zeiß (1816 – 1888), Robert Koch (1843 — 1910), Ernst Abbé (1840 – 1905), den »jungen Herrn Roderich« (ältes­ter Sohn (1850 – 1919) von Carl Zeiß und Mitbe­grün­der der späte­ren Firma, die bereits 1846 als »Mecha­ni­sches Atelier« in Jena angemel­det war), und Otto Schott (1851 – 1935) im Origi­nal­druck von 1886 enthielt. — Es war leicht auszu­rech­nen, dass dieses Gedicht übers Jahr 125 Jahre alt wird. Bei unseren Nachfor­schun­gen stell­ten wir fest, dass im Jahr 1875 bereits das 3000ste Mikro­skop herge­stellt worden war.

Wir veröf­fent­li­chen nun heute das Gedicht, ein sogenann­tes Tafel­lied, das heute auf den Tag genau vor 125 Jahren, am 24. Septem­ber 1886, anläss­lich der Herstel­lung des 10.000sten Mikro­skops durch die Firma Carl Zeiß im Rahmen eines Festakts vorge­tra­gen wurde. Weder der Verfas­ser sind uns bekannt, noch derje­ni­ge, der das Gedicht damals vorge­tra­gen hat. Mögli­cher­wei­se ist dies bei Inter­es­se über das Carl-Zeiss-Archiv festzu­stel­len. Gedruckt ist das Gedicht in der Buchdru­cke­rei B. Engau, Jena.

Um die patrio­ti­schen und aus heuti­ger Sicht nicht nur stolzen sondern überheb­li­chen Passa­gen in diesem Gedicht verste­hen zu können, ist es unerläss­lich, zumin­dest einen kurzen Blick in die Geschich­te Deutsch­lands vor 125 Jahren zu werfen. 1870/71, also nur wenige Jahre vor der Entste­hung des Gedichts, hatte der sogenann­te »Deutsch-franzö­si­sche Krieg« statt­ge­fun­den, der, mit Helmuth von Moltke als Heerfüh­rer von Deutsch­land unter König Wilhelm I (später Kaiser) gewon­nen worden war. Dieser Krieg war durch die aufge­kom­me­ne Indus­tria­li­sie­rung der erste Krieg, der mit Hilfe moder­ner Techni­ken und Maschi­nen geführt wurde. Der Lauf der Geschich­te vor diesem Krieg hatte dazu geführt, dass die Deutschen Frank­reich als den »Erbfeind« betrach­te­ten. Umso größer wurde die Selbst­herr­lich­keit der Deutschen des damali­gen Reichs durch den – aus heuti­ger Sicht — ersten und letzten gewon­ne­nen Krieg, den sogenann­ten »Siebzi­ger-Krieg«.

Wie weit die Deutschen diesen Dünkel des »Besser-Sein-Wollens« und den der Allmacht hinter sich lassen mussten, zeigen die Ergeb­nis­se des ersten Weltkriegs (1914 – 1918) und vor allem die katastro­pha­len Folgen des verlo­re­nen zweiten Weltkriegs (1939 – 1945).

Anderer­seits muss gesehen werden: Seit Adenau­er und de Gaulle sind die beiden »Erbfein­de« erfolg­reich bemüht, das entsetz­li­che Bild »Erbfeind« in »Freund­schaft« umzuwan­deln. Dies ist ein Prozess, der über die Politik von oben her, aber erfreu­li­cher­wei­se sehr bald auch durch Aktio­nen auf der kommu­na­ler bürger­li­chen Ebene von unten her (Partner­schaf­ten) in jahrzehn­te­lan­ger Arbeit weitest­ge­hend erfolg­reich wurde. — Inzwi­schen ist zudem eine zweite, ja bereits eine dritte Genera­ti­on von Jugend­li­chen heran­ge­wach­sen, die teilwei­se den Kontakt in die Geschich­te durch einfa­ches »Nie-gelernt-Haben« und deshalb auf ganz andere Art nämlich per »Nicht-wissen« verlo­ren hat, was der Gegen­wart auf fast perver­se andere Weise auch gut tut.

Entschei­dend ist: Wir suchen und finden die Freundschaft!

In diesem Sinne bitten wir dieses folgend abgedruck­te Gedicht zu verste­hen, das vor 125 Jahren, im Taumel der Sieges­freu­de über den vermeint­li­chen »Erbfeind« Frank­reich, aber auch, wie dem Gedicht im vorletz­ten Vers zu entneh­men ist, desglei­chen im unbehag­li­chen Gefühl eines mögli­chen techni­schen Vorsprungs der »Briten« (Britten) geschrie­ben ist.

Wir danken Frau Bosch für die Überlas­sung des Gedichts, das aus einer der geisti­gen Schatz­tru­hen ihres 1979 verstor­be­nen Gatten stammt. Wir danken Frau Bosch auch für ihre nimmer­mü­de Treue zum Heimat­ver­ein und zu der städti­schen Veran­stal­tung „SiS“. Wir werden sie sehr vermissen.

Dietrich Bantel

Oberkochen

Tafel-Lied

zur
Feier der Fertig­stel­lung
des
10,000. Micro­sko­pes
am 24. Sept. 1886

Melodie: »Sind wir vereint zur guten Stunde« etc.

Aus des Herzens tiefs­tem Grunde
Dränge sich empor das Lied,
Daß es von der Tafel­run­de
Brausend in die Ferne zieht.
Warum nach der Arbeit meiden
Lauter Freude Rosen­pfad?
:,: “Nur die Lumpe sind beschei­den,
Doch Brave freuen sich der That :‘:

Das Fest, das heute wir begehen,
Ist ein Triumph für Geist und Fleiß:
10,000 Mikro­sko­pe stehen
In aller Landen von Carl Zeiß,
So weit des Forschers Fuß gedrun­gen
Durch Sonnen­brand, durch Eis und Schnee,
:,: Verkün­den auch gelehr­te Zungen
Der Instru­men­te Renommé. :‘:

Koch fand dereinst in faulen Stoffen
Den Chole­ra-Bacill durch sie,
Durch sie steh’n jetzt dem Auge offen
Gebie­te, wie zuvor noch nie.
Und deutscher Geist hat‘s ausge­klü­gelt
Deutsch ist das schaf­fen­de Genie,
:,: So haben Deutsche überflü­gelt
Der andern Völker Industrie. :‘:

Dem Gründer, der in unserm Kreise
Am heut’gen Abend fröhlich weilt,
Und noch mit immer regem Fleiße
Mit uns die Müh‘ und Arbeit theilt,
Der einst in trüben Herbs­tes­ta­gen
Sich an das große Werk gemacht,
:,: Durch Nacht zum Licht sich durch­ge­schla­gen,
Dem sei das „erste Glas“ gebracht. :‘:

Dem geist’gen Schöp­fer neuer Ziele,
Profes­sor Abbé, sei geweiht
Bei Hörner­klang und Flöten­spie­le
Das „zweite Glas“ aus Dankbar­keit.
Und nach demsel­ben laßt erklin­gen
Das „dritte“ hell und feier­lich,
:,: Das wollen wir in Liebe bringen
Dem jungen Herrn, dem Roderich. :‘:

Daß niemals von dem Glas der Britten
Abhängt die Fabri­ka­ti­on,
Da wurde zu dem Werk geschrit­ten,
Das jetzt schon bringt der Mühe Lohn.
Der Schmel­ze­rei laßt uns geden­ken
Beim „vierten Glase“ und am End‘
:,: Laßt uns dabei die Blicke lenken
Auf Dr. Schott, den Dirigent. :‘:

Zum „letzten Male“ sollt Ihr heben
Das Glas auf freund­li­ches Geheiß:
„Auf, laßt bei seinem Klange leben
Die opt’sche Werkstatt von Carl Zeiß,
Sie möge wachsen noch und blühen,
Wenn manch‘ Jahrzehnt vorüber­zog,
:,: Darauf laßt Eurem Mund entflie­hen
Jetzt ein gewal­tig dreifach Hoch“! :‘:

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