Selten ist ein Bericht auf so viel Inter­es­se gesto­ßen und noch selte­ner hatten wir so viele Rückkop­pe­lun­gen wie zu unserem Bericht »Der Motschen­bach« (Wilhelm Georg Motschen­bach) in BuG 584 vom 22.07.2011 erhalten.

Im Folgen­den können wir diesen Bericht um viele inter­es­san­te Details ergän­zen, und weite­re Vorur­tei­le und Fehler korri­gie­ren, — Infor­ma­tio­nen zu einem vielleicht einfa­chen aber dennoch markan­ten Bürger Oberko­chens aus vermeint­lich längst vergan­ge­ner Zeit.

»Der Motschen­bach« stammt, wie Kurt Linert berich­tet, aus Neuern Kreis Klatt­au in der ehema­li­gen CSR (heute Klato­vy, CR). Seine Eltern hatten dort eine Apothe­ke (kein Augen­op­ti­ker­ge­schäft). Schon als kleiner Junge half er im Geschäft und im Labor aus, das zum elter­li­chen Geschäft gehör­te. Er experi­men­tier­te gerne, auch ohne Erlaub­nis, mit diver­sen Chemi­ka­li­en aus den hinters­ten Schub­la­den des elter­li­chen Geschäfts herum, bis er sich eines Tages durch eine Unacht­sam­keit beim Hantie­ren mit einem Reagenz­glas eine Säure ins Gesicht spritz­te, was ihn fast 80% der Sehkraft des linken Auges koste­te. Auch das rechte Auge hatte starken Schaden genom­men. Im Lauf der Jahrzehn­te war er auf dem linken Auge praktisch blind, die Sehkraft des rechten Auges betrug noch um die 15%. Nach eigener Aussa­ge habe er die letzten Jahre nur noch »wie eine Biene« gesehen. Herr Herbert Hahn schreibt: »Von der leeren Augen­höh­le gab das geschlos­se­ne etwas einge­fal­le­ne Augen­lid nur einen schma­len Spalt frei.« Dass der Motschen­bach eine Captain-Flint-ähnli­che Augen­klap­pe getra­gen hat, ist, wie bereits im letzten Bericht festge­stellt, ein reines Gerücht.

Wann der Motschen­bach genau nach Oberko­chen gekom­men ist, konnte nicht ganz klar festge­stellt werden – es muss aber wohl bald nach Kriegs­en­de gewesen sein. Fest steht, dass man im Inter­net, wenn man »Neuern- Kreis Klatau« eingibt, aus einem umfang­rei­chen Augen­zeu­gen­be­richt zu den Jahren 1945/1946 von den katastro­pha­len Zustän­den vor und während der Vertrei­bung der Deutschen bis zum Einmarsch der Ameri­ka­ner in Neuern erfährt. Bereits Ende 1946 sei der »Vorgang der Vertrei­bung der Sudeten-Deutschen« in Neuern abgeschlos­sen gewesen.

Es gibt zwar eine Aussa­ge, derzu­fol­ge »der Motschen­bach« zunächst im Oberko­che­ner »Armen­haus« (wo heute auf der rechten Kocher­sei­te die Gebäu­de Müller/Glaser stehen) unter­ge­bracht war. Diese Erinne­rung eines Zeitzeu­gen konnte jedoch niemand sicher bestä­ti­gen. Dagegen gibt es zwei Zeitzeu­gen, (Frau Elisa­beth Erbe und Kurt Linert) die wissen, dass Wilhelm Motschen­bach in der Heiden­hei­mer Straße im Bereich der alten kleinen Häuser gewohnt hat, die in den Fünfzi­gern einem Fabrik­ge­bäu­de der Firma Bäuerle (heute Norma) weichen mussten. Frau Erbe, die von 1947 – 1950 bei Zeiss in der Buchhal­tung beschäf­tigt war, berich­tet sehr anschaulich:

»Als im Juni 1948 die Währungs­re­form kam, wurde von der Firma Carl Zeiss das halbe Junige­halt bzw. Lohn in Reichs­mark ausbe­zahlt, die 2. Hälfte in DM. Eine Kolle­gin bat mich, einen Umschlag mit den restli­chen RM zu Herrn Motschen­bach zu tragen. Dieser wohnte damals in der Heiden­hei­mer Straße in einem Haus, das es jetzt nicht mehr gibt… Ich betrat das alte Haus und kam in ein noch ein älter wirken­des dunkles Zimmer, in dem H. Motschen­bach saß. Mir war in dem düste­ren Raum schon etwas mulmig zumute, zumal H.M. mich auch noch anbrumm­te. Beim Verlas­sen des Hauses guckten mich auch die Leute vielsa­gend an. — Herr Motschen­bach muß also im Jahr 1947/48 bei Zeiss gearbei­tet haben.«
Dass M. in der Gieße­rei bei Bäuerle gearbei­tet hat, konnte niemand bestätigen.

Kurt Linert erinnert sich, dass »der Motschen­bach« im Sommer oft nur mit Badeho­se und Gummi­stie­feln angetan zwischen dem Haus Löffler und dem Haus Merzen­sepp in der Hdh. Straße heraus­ge­kom­men sei, mögli­cher­wei­se vom Armen­haus her kommend. Ca. 1950 sei er in die Baracke in der oberen Dreißen­tal­stra­ße umgezo­gen. Diese Baracke, — auf unserem Foto ist bereits das etwas später errich­te­te erste Haus des Staren­wegs erkenn­bar – nannte man das »Iserta­ler Haus«. (Foto 1) – Gearbei­tet habe M. damals für eine Aalener Baufir­ma, — unter anderem habe er beim Bau der Kanali­sa­ti­on der »Coburg-Siedlung« (Foto 2), ferner in der Panora­ma­stra­ße sowie bei einem Kanal­bau am Kocher und anderen Tiefbau­ar­bei­ten mitge­wirkt. Die »Kolle­gen« der Baufir­ma hätten ihn immer »verarscht«. Er wollte aber keinen Streit und sagte oft: »Ach, lasst mir doch meine Ruhe«. Beim Vespern habe er sich immer zuerst die Hände gewaschen und sich dann in ca.10 m Entfer­nung abseits von den Kolle­gen an den Kanal­rand gesetzt. Er habe immer ein kleines Tuch auf den Knien ausge­brei­tet, worauf er sein Vesper legte, wogegen die anderen mit ihren schmut­zi­gen Händen geves­pert hätten. – M. sei zwar immer einfach, aber nie schmut­zig geklei­det gewesen, und habe schnel­ler und gründ­li­cher gearbei­tet als der Rest der Arbei­ter. — Später im Staren­weg 9 sei er haupt­säch­lich von den Parlow­kin­dern geärgert worden, die sogar »Schdo­i­ner« gegen die Tür und in sein kleines akkurat gepfleg­tes Stück Garten gewor­fen hätten. Deren Eltern hätten die Kinder gewäh­ren lassen – so habe er zumin­dest die Fenster dadurch geschützt, dass er sie zeitwei­se mit Brettern verna­gelt habe.

Oberkochen

»Der Motschen­bach« wird durch­weg, vor allem Erwach­se­nen gegen­über, als menschen­scheu bezeich­net. Nur wenige haben ihn sprechen hören. – Anderer­seits gibt es auch ein Beispiel, das zeigt, dass er, wenn man ihn in Ruhe ließ, sehr nett sein konnte, spezi­ell zu Kindern, und zu diesen auch sprach, wenn sie anstän­dig zu ihm waren.

Hierzu eine nette Geschich­te, die uns Herbert Hahn mitteil­te. Es ging darum, dass ein Schul­freund und Herbert den Versuch starte­ten, ein sogenann­tes »Büchsen­te­le­fon« zum Funktio­nie­ren zu bringen. Die Konstruk­ti­on — je ein Loch in den Boden von 2 Büchsen, eine länge­re Schnur durch den Boden der Büchsen ziehen, die Enden verkno­ten, spannen — und fertig war das Telefon gewesen. Nun im Zitat: »Damit aber beim Test alles mit rechten Dingen zugehe und nicht geschum­melt werden könne (von den Lippen ablesen z.B.), hockten wir uns nieder – einen Zaun zwecks Sicht­schutz zwischen uns. Die Schnur hatten wir über den Zaun gelegt. Trotz aller Bemühun­gen klapp­te es nicht – das Telefon blieb stumm. Plötz­lich stand der »Motschenbach(er)« neben uns. Er hatte unser Tun offen­sicht­lich beobach­tet, denn er erklär­te uns, dass die »Telefon­schnur« nirgends auflie­gen dürfe, sondern frei gespannt werden müsse, damit die Töne bzw. die akusti­schen Schwin­gun­gen nicht verlo­ren gehen – sonst könne man am »Hörer« (Büchse) nichts hören.« — All das sagte er ruhig – zwar ernst, aber durch­aus freundlich..«

Mit dem Gehen, so Kurt Linert, tat er sich mit der Zeit wegen des fast völli­gen Sehaus­falls immer schwe­rer. Er habe seinen Weg quasi mit dem Stock ertas­tet, und genau gewusst: 30 Schrit­te gerade­aus, dann 50 Schrit­te rechts, dann 60 Schrit­te wieder gerade­aus — und so fort. – Er habe zwar sparsam gelebt, aber so zwischen­durch habe er sich später vom Postbo­ten Kieweg, so Norbert Ulrich, auch mal »was Rechts« einkau­fen lassen,- einen guten Wein oder sogar Sekt oder ein gutes Rauchfleisch.

Mitte der Achzi­ger habe ihm der Bürger­meis­ter eine Wohnung im Ort angebo­ten, was er aber mit der Begrün­dung, dass es sich auf seine alten Tage nicht mehr verpflan­zen lassen wolle, ausge­schla­gen habe. Ab 1986 etwa, so Kurt Linert, habe er »den Motschen­bach« nicht mehr gesehen und dann 1987 erfah­ren, dass er gestor­ben ist.

Während seiner letzten Lebens­jah­re, etwa ab 1982, das heißt, die letzten 5 Jahre, war der Motschen­bach tatsäch­lich zuneh­mend auf fremde Hilfe angewie­sen. Ernst Kieweg, unser bekann­ter Postbo­te, dessen Eltern zufäl­lig auch aus Neuern stammen, war es, der sich seiner beson­ders freund­schaft­lich annahm. Er ging für ihn einkau­fen und besorg­te ihm aller­lei Lebens­not­wen­di­ges, obwohl M. immer erken­nen ließ, dass er sich eigent­lich gar nicht gerne helfen lasse. »Sein Sach« wollte er grund­sätz­lich vom Konsum haben. Ernst Kieweg hat M bis zuletzt, auch noch im Kranken­haus, besucht. »Der Motschen­bach« war unheil­bar krank gewor­den — - — und das sei dann ziemlich schnell zu Ende gegan­gen mit ihm. – Sein Grab wird von der katho­li­schen Kirchen­ge­mein­de gepflegt.

Unser Dank gilt den Infor­man­ten: Manfred Höfla­cher, Stadt Oberko­chen, Frau Gentner, kath. Pfarr­amt, Volker Beythi­en (Neustadt, verst.), Elisa­beth Erbe, Ingrid Fischer (»Fische­rin vom Boden­see«), Valeria Franz, Herbert Hahn, Evi Hassin­ger (Frank­reich), Inter­net-Google, Ernst Kieweg, Kurt Linert, Maria Möhrle, Andy und Hugo Neuhäu­ser, José Perez (Ludwigs­burg), Norbert Ulrich, Helga Zipfel.

Dietrich Bantel

Oberkochen

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