Kürzlich stiftete uns eine Oberkochener Familie ein im „Spielfundus“ der Familie aufgefundenes, wie uns der Stifter mitteilte, „uraltes, sehr christliches Würfelspiel“, das er „höchst amüsant fand, da es die Frömmigkeit und Glaubenshörigkeit der katholischen ländlichen Bevölkerung vor plusminus 100 Jahren deutlich macht“. – Das auf kräftigen Karton aufgezogene Spiel ist 52 auf 42 cm groß und per Leinwandfalz doppelt faltbar auf die handliche Größe von 26 auf 21 cm zusammenklappbar.

Leider ist kein Verlag feststellbar. Ein großes „A“ in einem Kreis mit dem Text „Der glücklichen Jugend — Fröhliche Spiele“ und „Nachahmung untersagt“ – ist alles, was auf eine Herkunft hinweist.
Auf einer konzentrischen rechteckigen Mäanderspirale führt der Weg vom Beginn „Erde“ über 100 Spielfelder zum „Himmel“. Die Ecken des Spielbretts sind mit Blumenranken geschmückt. Die Spielfelder wechseln in blauen Feldern = Tugenden, gelben Feldern = Untugenden, roten Feldern ohne Bedeutung und weißen Feldern mit katastrophaler Bedeutung ab. – Tugendfelder werden belohnt, Untugendfelder bestraft, — eine fürchterliche Strafe ist das Feld 94 (= Fegfeuer = Ort der Buße = 6 mal nicht werfen). Der absolute Untergang ist das Feld 47 (= Hölle = keine Erlösung = Spieler spielt nicht mehr mit).
Als Überschrift steht der Spieltitel „Reise in die Ewigkeit“. In der Spielmitte befindet sich ein großes Rechteck mit den Spielregeln, die wir hier aufführen:
Regeln:
Die Spieler verständigen sich auf die Höhe des Einsatzes; sodann wird durch einen Probe-Wurf mit 2 Würfeln die Reihenfolge der Mitspielenden entschieden, nach welcher auch die Sitze einzunehmen sind.
Jede Tugend führt aufwärts (in den Himmel = Feld 100), jede Untugend rückwärts oder zieht auch noch Strafe nach sich, wie bei 94, 10, 45 usw.
Wer zuerst auf 100 wirft, erhält die Hälfte des Einsatzes, der 2. und der 3. Gewinner je die Hälfte des Restes; die Übrigen gehen wegen ihrer Langsamkeit leer aus.
Wer 94 erreicht hat, spielt noch mit einem Würfel, wer über 100 hinaus wirft, zählt die übrigen Ziffern zurück und gelangt oft nach langer Mühe erst zur Belohnung.
Auch ohne Einsatz, immer ist das Spiel sehr unterhaltend.
Glückliche Reise.
Der Reihe nach die blauen Felder, das heißt die „Tugenden“:
4) Andächtiges Gebet – auf 13
8) Demut – auf 31
12) Kindliche Einfalt – auf 24
14) Bescheidenheit – auf 36
17) Ordnungsliebe – auf 29
25) Abtötung – auf 39 (DB: Der Begriff der „Abtötung“ steht veraltet für das Abtöten des „Ichs“ (des „Egos“), also den Verzicht auf jegliche Form von Egoismus, Selbstverwirklichung und Selbstbefriedigung)
28) Wandel in Gottes Gegenwart – auf 35
31) Barmherzigkeit – auf 48
34) Gehorsam – auf 43
37) Dankbarkeit – auf 44
40) Überwindung – auf 52
50) Hochachtung gegen Eltern und Vorgesetzte – auf 61
52) Ertragung der Beleidigungen – auf 64
59) Friedfertigkeit – auf 74
62) Nächstenliebe – auf 80
69) Sanftmut – auf 81
72) Gottvertrauen – auf 84
79) Geduld – auf 85
83) Sehnsucht nach dem Himmel – auf 97
Der Reihe nach die gelben Felder, das heißt die „Untugenden“:
10) Buße – der Spieler darf 3 mal nicht werfen (DB: bemerkenswert erscheint, dass die Buße zu den Untugenden gerechnet wird – es muss sich also rein um den Zeitaufwand während des Büßens handeln).
20) Naschen – auf 7
30) Schwatzhaftigkeit – 2 mal nicht werfen
42) Eitelkeit – auf 11
45) Zorn – auf 3. 2 mal nicht werfen
54) Nachlässigkeit – auf 32
56) Ungehorsam – auf 16
63) Trägheit – auf 1
65) Mißgunst – auf 19
67) Ungeduld — 3 mal nicht werfen
76) Eigensinn – auf 11
82) Zanksucht – auf 32
87) Neugierde – auf 48
89) Lüge – auf 21
92) Stolz – auf 63
100), der Himmel, wird in diesem Spiel als „Die Krone der Vergeltung“ bezeichnet.
„Vergeltung“ im positiven Sinne von „Dank“ ist bis heute in der veralteten Dankesbezeigung „vergelt’s Gott“ erhalten. Im heutigen Sprachgebrauch hat das Wort „Vergeltung“ mit dem Inhalt „Rache“ das Gegenteil seiner ursprünglichen Bedeutung eingenommen.
Über dieses Spiel ließe sich, auch unter den Vorzeichen im Brief des Paulus an die “Galater 5/22“ gar munter diskutieren. Wir haben das Spiel hier so ausführlich abgehandelt, um aufgeschlossene Leser in Nachdenklichkeit in eine vergessene Jugendwelt (… „Der glücklichen Jugend“ …) zurückzuführen.
Ein Oberkochener Familienspiel aus alter Zeit.
PS 1: Zu Bericht 585 erhielten wir zahlreiche Kommentare und Anfragen. Am 28. Juni 2013 teilte uns Frau Rosa-Maria Krebs aus Südwestfalen mit, dass das Spiel neuaufgelegt wurde und beim Diözesan-Museum Freising unter http://www.dimu-freising.de/reise-in-die-ewigkeit um 25,– Euro bestellt werden kann. Herzlichen Dank an Frau Krebs für diese Mitteilung.
Dietrich Bantel
PS 2: Zu unserem Bericht 584 „Motschenbach“: Wir haben zu diesem Bericht so zahlreiche und aufschlussreiche Zuschriften und Anrufe erhalten, herzlichen Dank, dass wir an einem zweiten Bericht arbeiten, der wohl als Bericht 586 erscheinen wird.