Unser Bericht Nr. 48 v. 23.12.88 streif­te auch kurz das Wollen­loch; Die wenigen Zeilen haben einen alten WCO’ler, Herrn Günter Müller, veran­laßt, dem Heimat­ver­ein eine Reihe von alten Negati­ven mit Bildern aus den frühen Fünfzi­ger-Jahren zur Verfü­gung zu stellen. Freund­li­cher­wei­se erklär­te sich Herr Müller bereit, einen Bericht aus der Zeit des WCO, als, gerau­me Zeit nach dem tödli­chen Unfall vom 23.10.1949, die Arbei­ten wieder aufge­nom­men worden waren, bis eine Verfü­gung des Kreis­bau­amts und des TÜVs weite­re Betäti­gun­gen am Wollen­loch mit Wirkung vom 26.7.1954 unmög­lich machte.

Herr Müller bittet »Alte WCO’ler«, sich mit ihm in Verbin­dung zu setzen, da er daran inter­es­siert ist, die damali­ge Zeit wieder leben­dig werden zu lassen, — nach seinen Vorstel­lun­gen möglichst vollständig.

Das Wollen­loch ist in der Fachli­te­ra­tur erst 1824 zum ersten Mal erwähnt; 1854 findet es Aufnah­me in der damals erschie­nen Oberamts­be­schrei­bung. Die erste dokumen­tier­te Gesamt­be­fah­rung fand am 25.6.1898, die erste wissen­schaft­li­che Dokumen­ta­ti­on schrieb O. Fraas nach einer Befah­rung am 20.7.1898. Erst 1930 berich­tet Walter Schrei­ber wieder übers Wollen­loch, — und auch danach war Pause, bis zur Gründung des Oberko­che­ner Wollen­loch­clubs im Jahr 1949. Die Geschich­te des Wollen­lochs ist im Heimat­buch exakt beschrie­ben (S. 283 — 287), bis zu den Befah­run­gen der Höhlen InGO in den frühen Achziger-Jahren.

Um das Wollen­loch kreisen immer wieder Gemar­kungs­grenz­ge­rüch­te. Tatsa­che ist, daß das Wollen­loch — Herr FDir. Schurr berich­te­te uns persön­lich darüber, — zu 95% auf Oberko­che­ner Gemar­kung liegt. Es ist also lt. Herrn Schurr eine etwas anekto­di­sche Erfin­dung, daß Herr FDir. Pfitzen­may­er seiner­zeit gesagt haben soll, der oben erwähn­te tödlich Abgestürz­te sei auf der Essin­ger Seite der Höhle abgestürzt. Der Grund­be­sit­zer des Wollen­lochs ist das Land Baden-Württem­berg — Fiskus Forst­ver­wal­tung, Forst­amt Oberko­chen. Die Essin­ger Waldun­gen gehören der dorti­gen Realgenossenschaft.

Befah­rungs­wün­sche, — eine Höhle wird nicht began­gen, sondern »befah­ren«, — sind beim Forst­amt anzumel­den, — auch wenn das bei der Höhle aufge­stell­te Schild lautet: »Befah­ren auf eigene Gefahr — Bürger­meis­ter­amt Oberkochen.«

Wer den Bericht von Herrn Günter Müller gelesen hat, wird verste­hen, wie weh es den alten WCO’lern tut, wenn sie, nach 35 Jahren, wissen, daß durch Unwis­sen­heit und Unver­nunft ein Großteil der damals geleis­te­ten Arbeit dadurch zunich­te gemacht wurde, daß über all die Jahre Unmen­gen von Holz und Steinen ins Wollen­loch beför­dert wurden. Deshalb ergeht auch hier wieder die Bitte: Glauben Sie dem beim Wollen­loch aufge­stell­ten Schild: Das Wollen­loch ist 58 m tief, — und es wird dadurch, daß man Steine hinab­wirft, nicht tiefer!

Dietrich Bantel

Wollen­loch -
ein Name, der an Stamm­ti­schen immer wieder auftaucht, wenn es sich um Abenteu­er der kleine­ren Art handelt. Ein Abenteu­er war es aber auch, über dem 80 — 90 m tiefen Loch zu schwe­ben. Schon das Einstei­gen in die Trans­port­ton­ne, sei es auf dem Laufsteg oder bereits an der Seite, an der die heraus­trans­por­tier­te Höhlen­fül­lung gelagert wurde, verur­sach­te ein Kribbeln im Bauch. Wie mag es erst den Anfän­gern dieser Wollenloch-»Forscher«-Gruppe gegan­gen sein, wenn sie in das Trans­port­ge­stell, ähnlich den sehr alten Skilift­sit­zen, saßen und einzeln über dem Abgrund schwebten.

Es wurde seiner­zeit nur seitlich einge­stie­gen, mit dem Trans­port­sitz bis über das Loch gefah­ren. Nun war der kriti­sche Punkt erreicht, bei dem die Laufkat­ze stehen­blieb und nach einem Umschal­ten der Sitz (später die Trans­port­ton­ne) sich nach unten beweg­te. Dieses Umschal­ten war die empfind­li­che Stelle, die viel Unbeha­gen erzeug­te. Ist doch in der Vorläu­fer­grup­pe ein Mitglied verun­glückt. Das Trans­port­seil ist durch einen Scher­vor­hang gekappt worden. Bei der drama­ti­schen Rettungs­ak­ti­on konnte der Verun­glück­te nur noch tot gebor­gen werden.

Oberkochen

Nach dem deutlich hörba­ren Klick der Umschal­tung senkte sich die mit 2 — 3 Mann besetz­te Trans­port­ton­ne. Ein letztes Winken zum Maschi­nis­ten, der hinter dem stabi­len Dreibein stand und den Motor bedien­te. Es empfing uns eine kegel­för­mi­ge Vertie­fung, dicht mit Gräsern bewach­sen. Der Grund des Kegels war die Öffnung, die in die Tiefe führte. Die Gräser waren so dicht am Trans­port­be­häl­ter, daß noch schnell ein Blümchen gepflückt und an die Mütze oder den Helm gesteckt wurde. Nach ca. 20 m war ein Vorsprung an der Höhlen­wand. Der an dieser Stelle stehen­de Insas­se drück­te die Trans­port­ton­ne mit der Hand von der Wand, um ein unnöti­ges Schwan­ken zu vermei­den. Auf diesem Vorsprung saß auch mal ein Molch, der noch schnell einge­fan­gen und mit dem nächs­ten Trans­port wieder nach oben geschickt wurde.

Oberkochen

Mit einem Telefo­nat wurde ein Lebend­trans­port angekün­digt. Diese Trans­por­te sind behut­sa­mer durch­ge­führt worden. Unser Maschi­nist mag nicht schlecht gestaunt haben, als er den Molch in der auf das Erdreich geleg­ten Mütze gefun­den hat.

Der Behäl­ter mit der Besat­zung senkte sich weiter. Die ersten Tropf­stei­ne wurden sicht­bar und glänz­ten im letzten Tages­licht. Es wurde dunkler, die Lampen sind einge­schal­tet. Die vorbei­glei­ten­de Wand glitzert naß. Das Einstieg­loch ist durch erwähn­ten Vorsprung optisch klein gewor­den, das Tragseil geht ohne Strei­fen durch. Ein kleiner Ruck, die Abwärts­be­we­gung wurde langsa­mer. An dem Trans­port­seil ist eine Markie­rung angebracht, die den derzei­ti­gen Höhlen­bo­den anzeigt. Ein weite­rer Ruck und die Tonne steht auf lehmi­gem Erdreich. Dunkel­heit umgibt die einge­fah­re­ne Gruppe, die mitge­brach­ten Lampen tasten die Umgebung ab. Auf der einen Seite der Höhle ist ein Einschnitt, der an ein geneig­tes Seiten­schiff einer gotischen Kirche erinnert. Dort sind auch die meisten Tropf­stei­ne, Kristal­le funkeln im Lampenlicht.

Das mitge­brach­te Feldte­le­fon wird angeschlos­sen und ein erstes orien­tie­ren­des Gespräch nach oben geführt. Die Batte­rie für das Telefon sowie der Treib­stoff für die Winde sind mit dem Fahrrad oder Rucksack den Berg hinauf gebracht worden. In der Regel fuhren 3 Mann ein, einer ist der »Capo«. Schau­fel und Pickel werden ausge­teilt. Der unter dem Loch arbei­ten­de setzt Helm auf, blickt nochmal nach oben und die Arbeit geht los. Das nach oben zu trans­por­tie­ren­de Erdreich ist eine zähe lehmi­ge Masse, im oberen Bereich noch mit vermo­der­tem Holz durch­setzt. Die Arbeit ist beschwer­lich, da man kaum eine Arbeits­platt­form schaf­fen kann. Schwe­re Steine müssen heraus­ge­he­belt und in die flach­ge­leg­te Tonne gekul­lert werden. Der Trans­port von sperri­gen Holzres­ten erfor­der­te Aufmerk­sam­keit, galt es doch, an der erwähn­ten Engstel­le durchzukommen.

Der an der tiefs­ten Stelle Arbei­ten­de ist durch ein Seil gesichert worden. Denn der Sinn dieser Grabung war es, durch den Pfrop­fen, der den Siphon versperr­te, durch­zu­kom­men. Es konnte ja plötz­lich das Erdreich nachge­ben und sich ein gähnen­der Abgrund öffnen. Man hoffte täglich durch­zu­sto­ßen. Immer wieder wurde das langsam lehmig gewor­de­ne Ohr auf den Boden gedrückt. Jeder wollte das Rauschen des unter dem Pfrop­fen fließen­den Wassers gehört haben. Vielleicht war es aber auch nur der Effekt, den die Kinder mit den ans Ohr gedrück­ten Muscheln hören und glauben an Meeres­rau­schen. Eine Öffnung bestand aber zweifel­los. Durch Farbver­su­che ist nachge­wie­sen, daß eine Verbin­dung zum Ziegel­bach (Ziegel­hüt­te) besteht. Jeder leg nährte die Hoffnung, endlich durch­zu­sto­ßen. Man glaub­te an eine Spalte in Richtung Essin­gen. Der Verfas­ser dieser Zeilen hat den Augen­blick nicht erlebt. Vielleicht gelingt es der nächs­ten Genera­ti­on. Nur sind die Explo­rer heute dünner gesät und mit der Wollen­loch­grup­pe kaum zu vergleichen.

In jeder Arbeits­grup­pe gab es zumin­dest einen »Forscher«, der jeden gefun­de­nen Knochen einem Säbel­zahn­ti­ger oder Wollnas­horn zuord­nen wollte. Diese Relik­te wurden kurz betrach­tet und schon mahnte der Capo mit den Worten: »Da hat ein Schäfer sein verreck­tes Schaf reinge­wor­fen« zur Weiter­ar­beit. Heute wissen diese Neufor­scher, daß zum Auffin­den von Eiszeit­res­ten andere geolo­gi­sche Verhält­nis­se herrschen müssen. Aber diese gefun­de­nen Reste waren letzt­lich doch vor langer Zeit verun­glück­ten Rehen und Dachsen zuzuord­nen. Auch grobkno­chi­ge hunde­ar­ti­ge Reste wurden gefun­den, vielleicht war es einer der letzten Wölfe, die unser Gebiet durch­streift haben. Die so in Lehm einge­bet­te­ten Knochen haben mit Sicher­heit Jahrhun­der­te überdauert.

Selbst­ver­ständ­lich gab es auch Pausen; Bier war damals auf den Baustel­len auch schon vorhan­den. Butter­bro­te wurden ausge­packt und schon sprach man darüber, wann man denn endlich durch­sto­ßen würde. Zwischen­durch klingel­te das Telefon. Oben war man neugie­rig auf den Fortgang der Arbei­ten. Die Mannschaft, die das Auslee­ren des Kübels, Motor­be­die­nung und die stets neugie­ri­gen Wande­rer mit Antwort zu bedie­nen hatte, wollte ja möglichst jeden Spaten­stich miterleben.

In der Zwischen­zeit saß »PX« (Herr Fischer) in der Wollen­loch­hüt­te vor einer Liste der benötig­ten Arbeits‑, Trans­port- und Betriebs­mit­tel und hat die spärli­chen Finan­zen gut eingeteilt.

Kurzum, es war eine Zeit wie man sie so wohl kaum mehr erleben wird. Es gibt bestimmt jetzt noch ähnli­che Erkun­der, die arbei­ten aber alle mit Sponso­ren oder Verwal­tun­gen im Hinter­grund. Diese Hinter­grund­grup­pen sind meistens nicht selbst­los. Man sieht wohl in der Regel einen Vorteil bei der Sache, und sei es nur ein Firmen­na­me, der aufge­wer­tet wird. Die kleine Wollen­loch­grup­pe konnte die Aufla­gen nicht erfül­len, die eine Weiter­ar­beit möglich gemacht hätten. — Es ist still gewor­den ums Wollen­loch. Aus vorbei­zie­hen­den Wander­grup­pen hört man ab und zu: »Da waren welche drunten.«

Der Schrei­ber dieser Zeilen war auch unten. Er ist sich aber im klaren, daß er nur einen sehr kleinen Teil der Begeben­hei­ten mitbe­kom­men hat. Wunsch dieses Schrei­bens ist, Infor­ma­tio­nen zu bekom­men, die einen lücken­lo­sen Bericht um das Wollen­loch zulassen.

Günter Müller

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