Aus unserer Sonder­bei­la­ge zum Jabo-Überfall auf den KZ-Häftlings­trans­port am 1. April 1945 ergaben sich für unseren Ansprech­part­ner bezüg­lich des KZs Neckarelz, Herrn Arno Huth aus Mosbach, einige Fragen, von denen wir inzwi­schen drei beant­wor­ten können.

Frau Valeria Franz, geb. Burkhard, und eine andere Oberko­che­ne­rin stellen fest, dass es sich bei der von Zeitzeu­gen aus dem Häftlings­trans­port genann­ten „Diako­nis­sin“, die sich in Oberko­chen um Verletz­te geküm­mert hat, nicht um eine solche gehan­delt haben kann, da es zu dieser Zeit noch keine Diako­nis­sin­nen in Oberko­chen gegeben hat. Dagegen erinnert sich Frau Franz daran, dass sie gesehen hat, wie sich Schwes­ter Aspedia nach dem Angriff beim kocher­ab­wärts gelege­nen Armen­haus um einen Schwerst­ver­letz­ten geküm­mert hat („dem quollen die Einge­wei­de zum offenen Bauch heraus“). Schwes­ter Aspedia habe sie und ihre Freun­din aufge­for­dert, weiter­zu­ge­hen. Es kann also davon ausge­gan­gen werden, dass diese in Oberko­chen später sehr bekann­te Schwes­ter mit einer „Diako­nis­sin“ verwech­selt wurde. Schwes­ter Aspedia (mit weltli­chem Namen Walbur­ga Maurer) erhielt übrigens für ihr heraus­ra­gen­des sozia­les Engage­ment im Jahr 1977 die Verdienst­me­dail­le des Verdienst­or­dens der Bundes­re­pu­blik Deutschland.

Ferner konnte inzwi­schen belegt werden, dass bei dem Angriff vom 1.4.45. einige verletz­te Häftlin­ge von Oberko­chen tatsäch­lich nach Aalen in ein Kranken­haus oder Lazarett kamen. Demnach sind „2 unbekann­te Insas­sen eines Konzentrationslagers…am 1.4.1945 in Aalen im Lazarett (Parkschu­le) verstor­ben und wurden auf dem Fried­hof in Aalen begra­ben“. – Dieser Bericht deckt sich mit der mehre­re Jahre alten Aussa­ge von Emil Elmer, derzu­fol­ge „Verletz­te mit einem Opel Blitz abtrans­por­tiert worden seien, vermut­lich nach Aalen ins Krankenhaus“.

Dr. Sußmann

Beson­ders berüh­rend ist eine weite­re Aufklä­rung:
Auf die BuG-Sonder­bei­la­ge vom 24.09.2010 hin erhiel­ten wir unter zahlrei­chen Anrufen auch einen von Frau Bertha Hahn, nach deren Aussa­ge es sich bei dem gesuch­ten unbekann­ten „jungen, human gesinn­ten Militär­arzt aus dem Lazarett Heiden­heim..“ mit sehr großer Wahrschein­lich­keit um Dr. Eberhard Sußmann gehan­delt habe, der sich um diese Zeit als erster prakti­scher Arzt und Geburts­hel­fer in Oberko­chen nieder­ließ. Frau Hahn vermit­tel­te die Freibur­ger Anschrift und die Telephon-Nummer von Tochter Renate Lüdtke, geb. Sußmann, wodurch ein langes und herzli­ches Gespräch zustan­de kam in dessen Verlauf Frau Lüdtke bestä­tig­te, dass ihr Vater ihr von diesem schlim­men Ereig­nis erzählt hatte. Außer­dem erklär­te sie sich bereit, einen kleinen Bericht über ihren Vater zu schrei­ben. Dieser Bericht inzwi­schen in hier eingetroffen.

Oberkochen

Hier der Brief:
Vater ist am 6.6.1916 in Magde­burg geboren. Einzel­kind, Vater im Krieg gefal­len. Mutter hat ihn zielstre­big und streng erzogen. Er war ein streb­sa­mer guter Schüler und studier­te Medizin in Marburg. Kaum Examen musste er als Stabs­arzt in den Krieg, Haupt­ein­satz in Südfrank­reich auf einem Flieger­horst bei Sête. Rückkehr 1944 gerade recht­zei­tig zur Geburt seines ersten Kindes Jürgen Ende Juli.
Er war dann Assis­tenz­arzt bei Dr. Walz, schwer­punkt­mä­ßig wohl auch Gynäko­lo­gie.
Ab 1945 (?) erster und einzi­ger Arzt in Oberko­chen, Bahnhof­stra­ße 5 in der Bäuerle Villa. 1946 Geburt Renate.

Als Geburts­hel­fer hat er an die 100 Kinder mit zur Welt gebracht, zusam­men mit den Hebam­men Holz und Hauber. Ein Blind­darm entpupp­te sich als stram­mer ausge­wach­se­ner Junge. Viele Anekdöt­chen gab‘s, die ich leider nicht mehr weiß. Wurst und Eier gab‘s fürn Doktor immer, manch­mal anstel­le einer Entloh­nung. Wir litten nie Hunger.

Er liebte es, zu Kuchen­back­zei­ten Kranken­be­su­che zu machen und nasch­te gerne Teig! Des Schwä­bi­schen war er nicht mächtig und mancher Okoner nahm ihm seine preußi­schen Worte übel.

Vater war auch Reise­dok­tor; mehrmals im Jahr war deshalb seine Praxis zu. Dr. Borst, Dr. Jordan, Dr. Schwarz kamen als Kolle­gen dazu. Ich glaube kurz (?) war er auch Betriebs­arzt bei Zeiss – bin mir aber nicht ganz sicher. Er war Versehr­ten­arzt und ging jeden Mittwoch mit ihnen im Heiden­hei­mer Bad schwim­men. Flieger­arzt, Sanitäts­arzt beim DRK, Gründung­mit­glied beim Schwimm­ver­ein Oberko­chen, und glaub auch Vorstand dessel­ben. Außer­dem war er Sport­arzt beim Boxver­ein, wo er die heißen Kämpfer und die eventu­ell Verletz­ten betreute.

1984 machte er die Praxis dicht und reiste sofort mit Flug, Schiff und Mumien­bus durch Südame­ri­ka. Schon als Student hatte er sich als Reise­lei­ter bewährt und somit sein Studi­um finan­ziert. Er fuhr auch mit dem Fahrrad von Magde­burg über den Boden­see, Höllen­tal bis Frank­furt, damals ein abenteu­er­li­ches Unter­neh­men. Mit dem Paddel­boot gings die Elbe abwärts und auf dem Frach­ter per Hucke­pack wieder zurück.

Oberkochen

Als Sanitä­ter hoch zu Ross im militä­ri­schen Einsatz

Segeln und Segel­flie­gen waren seine weite­ren Leiden­schaf­ten. Auf der Wasser­kop­pe hat er seinen ersten Flugschein erobert. An einem Freitag, dem 13. stürz­te er am Heuberg aus gerin­ger Höhe ab und kam mit einer Gehirn­er­schüt­te­rung davon . Von da an war er abergläubig.

Später hat ihn das Wasser mehr angezo­gen als die Luft; vor allem am Boden­see war er aktiv mit seinem immer ein wenig wachsen­den Segel­boot – schöner Kommu­ni­ka­ti­ons­punkt für Freunde.

Skifah­ren begeis­ter­te ihn schon früh und bis ins hohe Alter von 85. Bergtou­ren mit Führer und tollen Tiefschnee­ab­fahr­ten. Ein Einkehr­schwung zur Mittags­zeit, ein Vierte­le, und schon war er locker für die Abfahrt ins Tal. Sauna und gutes Essen, gute Weine, gute Bücher, Philo­so­phie, Hobbie­fil­mer und Schach­spie­ler. Zu medizi­ni­schen Vorträ­gen ging er solan­ge er Autofah­ren konnte: 80. Unermüd­lich inter­es­siert. Spazier­gän­ge, lange, auch das bis ins hohe Alter.

Vater starb am 5.12.2008 mit 92 ½ Jahren nach einem inhalts­rei­chen, spannen­den, erfüll­ten Leben im Alten­heim in Oberko­chen, wo er die letzten 3 Jahre mit Marga gut versorgt wurde – und sehr geschätzt.
Soweit Dr. Eberhard Sußmanns Tochter Renate.

Zu den schlim­men Ereig­nis­sen am 1.4.1945 schreibt Renate Lüdtke noch extra: „….ich weiß, dass dieser Einsatz gefähr­lich, und die Sorge, erwischt zu werden, groß war. Vater hatte viel Zivilcourage…“

Insofern ist dieser Bericht ein nicht alltäg­li­cher und umso wertvol­le­rer Bericht in unsere Weihnachtszeit.

Mittler­wei­le sind 65 Jahre vergan­gen, seit Dr. Eberhard Sußmann, der „Ebbe“, wie ihn seine engeren Freude nannten, unter tragi­schen Umstän­den zum ersten Mal als Arzt in Oberko­chen gewirkt hat. Und wenn man heute an der Sußmann’schen Praxis in der Bahnhof­stra­ße gegen­über dem Katho­li­schen Fried­hof vorüber­geht, könnte man meinen, die Zeit sei stehen geblieben.

Korrek­tu­ren, Ergän­zun­gen und beson­de­re Erinne­run­gen an Dr. Sußmann wenn möglich bitte schrift­lich an den Heimatverein.

Oberkochen

Als DRK’ler aktiv bei einem Umzug”. (Wer weiß, wann?)

Dietrich Bantel

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