Unser Aufruf vom 29. Oktober brach­te zahlrei­che und wertvol­le neue Erkennt­nis­se zu Dr. Alfred Hilde­brandt und seinen Angehö­ri­gen. Die wir allesamt an den Hilde­brandt-Forscher Herrn Alexan­der Kauther ( www.johflug.de ) nach Berlin weiter­ge­lei­tet haben und auch weiter­hin weiter­lei­ten werden – denn auch der mit 14 Tagen Verzö­ge­rung gebrach­te Bericht in der „Schwä­bi­schen Post“ vom 15. Novem­ber brach­te neue Infor­ma­tio­nen. — Mittler­wei­le kann gesagt werden, dass Hilde­brandt eine Persön­lich­keit war, die die Geschich­te Oberko­chens gegen Kriegs­en­de und die unmit­tel­ba­re Nachkriegs-Geschich­te des damali­gen Dorfs kräftig berei­chert. Dr. Hilde­brandt, so stell­ten die Zeitzeu­gen überein­stim­mend klar, kam nicht bereits in den Dreißi­ger­jah­ren, sondern erst im August 1944 im Zeichen der sogenann­ten „Evaku­ie­rung“ nach Oberko­chen, und zwar ins Haus der Familie Wilhelm Sauer­brey, die in der alten „Villa Walter“, später unter dem Namen „Röchling­vil­la“, Aalener Straße 52 bekannt, wohnte.

August 1944 bedeu­tet, dass die Hilde­brandts den Einmarsch der Ameri­ka­ner in Oberko­chen am 24.4.1945 hautnah mitbe­kom­men und erlebt haben müssen. Wie und weshalb kamen die Hilde­brandts nach Oberkochen?

Dr. Alfred Hilde­brandts Bruder, Prof. August Hilde­brandt, war mit Wilhelm Sauer­brey, dem Techni­schen Leiter der Firma Röchling Kaltwalz­werk, befreun­det. Die Freund­schaft geht auf eine gemein­sa­me Zeit in Goslar zurück. — Glück­li­cher­wei­se gibt es die Röchling-Villa, (Abbil­dung) die ursprüng­lich von Fabri­kant Walter (Abbil­dung: Plan von 1907) erbaut und 1928, zusam­men mit der Walter’schen Fabrik, von Röchling übernom­men worden war, noch. Die markan­te Villa wurde erst im letzten Jahr als Praxis für Kranken­gym­nas­tik von Thomas Böttcher erwor­ben; sie war unter den Vorzei­chen einer bevor­ste­hen­den Bebau­ung abbruch­ge­fähr­det, konnte jedoch glück­li­cher­wei­se vor der Zerstö­rung geret­tet werden.

Oberkochen

Planzeich­nung der Villa Walter vom August 1907

Oberkochen

Villa Röchling 2009
Weiter sagten sämtli­che Zeitzeu­gen überein­stim­mend aus, dass Dr. Hilde­brandt – entge­gen einer ursprüng­li­chen Vermu­tung — mit Sicher­heit keine Berüh­rung mit dem Rüstungs­be­trieb Fritz Leitz hatte. Nicht zuletzt der Sohn des Schwie­ger­sohns von Fritz Leitz, Hannes Seyfried, dessen Vater und Schwie­ger­sohn zu Fritz Leitz den Betrieb nach dessen frühem Tod im Jahr 1942 übernom­men hatte, unter­mau­er­te diese Feststellung.

Nicht weniger als ungefähr 10 Oberko­che­ner – weite­re Perso­nen, die ihn gekannt haben, wurden genannt — erinnern sich noch lebhaft an Dr. Hilde­brandt, der als ruhig und zurück­hal­tend bis schweig­sam geschil­dert wird, eher verschlos­sen aber durch­aus angenehm und korrekt nach „alter Schule“. — Oft habe man ihn in einem langen Solda­ten­man­tel spazie­ren gehen sehen.

Frau Hilde­brandt wird als „feine Frau“ geschil­dert, sehr nett, rege und aufge­schlos­sen. Eine Alt-Oberko­che­ne­rin charak­te­ri­sier­te sie schwä­bisch als „a wuasa­ligs Weib“. Sie lebte nach dem Tod ihres Mannes im Karls­stift (Alten­pfle­ge­heim) in Schorn­dorf und wurde nach ihrem Tod (18.5.1956), in Oberko­chen in dem heute aufge­lös­ten Grab ihres Mannes beigesetzt. Emil Elmer, gute 80 Jahre alt, entsinnt sich sehr wohl an Alfred Hilde­brand, der jetzt 140 Jahre alt wäre. Josef Rosen­ber­ger, späte­rer Chef beim Röchling KWW Oberko­chen, hat „als Stift beim KWW“ bei Hilde­brandts den Strom in der oberen Wohnung der Röchling-Villa abgele­sen. Herr Rosen­ber­ger konnte für uns, resp. Herrn Kauther/Berlin, den Kontakt zu Herrn Hermann Sauer­brey, dem Sohn des alten Firmen­chefs (Techni­scher Leiter des KWW Oberko­chen), herstel­len. Inzwi­schen hat sich durch dessen Vermitt­lung auch der Enkel von Dr. Alfred Hilde­brandt, Wolfgang Hilde­brandt, bei Herrn Kauther in Berlin gemel­det. – Das heißt, dass wir mit Sicher­heit bald noch weite­re Details zum Leben und Wirken des Luftfahrt­pio­niers erhalten.

Oberkochen

Frau Hilde Wingert und Frau Sabine Schüt­ze — letzte­re besitzt sogar ein Foto aus den Vierzi­gern: Enkel Wolfgang auf der Treppe der Villa Röchling — haben persön­li­che Erinne­run­gen an die Familie, die aller­dings von Enkel Wolfgang Hilde­brandt teilwei­se richtig­ge­stellt wurden. — Beide Söhne des Ehepaars Dr. Alfred und Erna Hilde­brand waren früh ums Leben gekom­men. Wolfgang, der Ältere der beiden Söhne, geb. 1910, kam 1937 bei einem Autoun­fall ums Leben. Horst, der Jünge­re, geb. 1912, ist 1944 in der Ukrai­ne gefal­len. Seine Frau Brigit­te war nicht, wie von Oberko­che­nern angege­ben oder vermu­tet, eine Franzö­sin, hatte aber einen franzö­sisch klingen­den Geburts­na­men (Caille). – Im gleichen Jahr 1944 kam Sohn Wolfgang, also der bereits erwähn­te und „aufge­spür­te“ Enkel von Dr. Alfred und Erna Hilde­brandt, auf die Welt. Dieser lebt heute im Saarland. Mutter Brigit­te war es angeb­lich, die, nachdem ihr Mann Horst 1944 in der Ukrai­ne gefal­len war, in diesem Jahr den Wechsel der Familie von Berlin nach Oberko­chen „betrie­ben“ hatte. Frau Wingert wusste zudem, dass der Firmen­chef Sauer­brey verspro­chen hatte, sich um die Krieger­wit­we zu kümmern. Brigit­te Hilde­brandt, Schwie­ger­to­cher des Ehepaars Dr. A. und E. Hilde­brandt, ist, wie wir soeben von ihrem Sohn Wolfgang erfah­ren, erst im letzten Jahr im Alter von 87 Jahren verstorben.

Unter die Haut geht eine andert­halb­sei­ti­ge vom stell­ver­tre­ten­den Bürger­meis­ter Josef Schmid unter­zeich­ne­te „Bedürf­tig­keits-Erklä­rung“ vom 20. März 1946, ausge­stellt auf den Namen „Dr. Alfred Hilde­brandt aus Berlin-Charlot­ten­burg, seit dem 3.8.1944 evaku­iert nach Oberko­chen“. Dort werden nicht nur gravie­ren­de körper­li­che Schäden wie Gehirn­er­schüt­te­run­gen und Verlet­zun­gen durch Bomben­split­ter bei einem Luftan­griff, sondern auch 7 Knochen­brü­che, verur­sacht durch „12 Bruch­lan­dun­gen von Ballo­nen und Flugzeu­gen“ aufge­führt. Die monat­li­che Unter­stüt­zung vom Fürsor­ge­amt Aalen von leihwei­se 82.- RM reiche nicht aus, die notwen­digs­te Existenz zu fristen, weshalb der Antrag auf Hilfe gestellt wird, zumal die Geldin­sti­tu­te die in der russisch besetz­ten Zone befind­li­chen Altgut­ha­ben sowie das Ruhehalt vor entspre­chend abgeschlos­se­nem Entna­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren nicht ausbe­zah­len. Da zu diesem Zeitpunkt auch Frau Hilde­brandt als schwäch­lich und hilfs­be­dürf­tig bezeich­net wird, wird ferner festge­stellt, dass das Ehepaar Hilde­brandt nicht ohne fremde Hilfe (Haushalts­ge­hil­fin) auskom­men kann.

Frau Marian­ne Zick, die schräg gegen­über der Röchling­vil­la wohnt, wusste von einer Haushalts­hil­fe namens „Hannchen“, das von Berlin mitge­bracht worden war, später jedoch heira­te­te. Alsdann habe Frau Marscha­lek, Frau des langjäh­ri­gen SPD-Gemein­de­rats Marscha­lek, als Reinma­chefrau geholfen.

Weite­res Ungemach, auf das hier nicht näher einge­gan­gen wird, entstand Hilde­brandt – wie durch einen minuti­ös geführ­ten dicken Akten­ord­ner (Landes­ar­chiv des Staats­ar­chivs Ludwigs­burg) belegt ist — durch seine Mitglied­schaft in der NSDAP, der er von 1933 – 1938 (1940?) angehör­te, jedoch aufgrund eigener Aussa­ge als „Hochg­rad­frei­mau­rer“ und zudem als Vorsit­zen­der der Ortsgrup­pe Goslar der „Demokra­ti­schen Partei“ nie richtig in der „Partei“ aufge­nom­men wurde.

Offen­bar war er nur nolens-volens Mitglied in der NSDAP. — Fest steht, dass das Verfah­ren gegen ihn, das bei der Spruch­kam­mer Aalen anstand, durch die sogenann­te Weihnachts­am­nes­tie v. 6.2.1947, an dessen Ende er als „Mitläu­fer“ einge­stuft wurde, einge­stellt wurde. Zahlrei­che Freun­de hatten Hilde­brandt entlas­tet, darun­ter auch der Ballon­fah­rer und Tiefsee­pio­nier Augus­te Piccard, der ihm bereits mit Datum vom 28.7.1946 schrift­lich „eine ausge­spro­che­ne Antipa­thie gegen die Hitler­ban­de“ bestä­tigt hatte. Piccard war wohl auch derje­ni­ge, durch dessen Vermitt­lung Hilde­brandt als eine der ersten deutschen Persön­lich­kei­ten bald nach dem Krieg zu einer inter­na­tio­na­len Tagung in die Schweiz einge­la­den wurde. Oberst­leut­nant Hilde­brandts Berufs­be­zeich­nung lautet in der genann­ten Akte „Schrift­stel­ler“. Die Liste seiner Veröf­fent­li­chun­gen ist sehr umfang­reich. In einem von Kurt Ruthe, Holzmin­den, verfass­ten und im Inter­net veröf­fent­lich­ten Nachruf ist die Rede von „Tausen­den von Veröf­fent­li­chun­gen in wissen­schaft­li­chen Zeitschrif­ten, Büchern und Zeitun­gen“. — Herbert Fritze, wohnhaft auf der Oberko­che­ner Heide, machte uns auf das in seinem Besitz befind­li­che Buch „Geschich­te der Luftfahrt“ aufmerk­sam, in dem ein Beitrag über Hilde­brandts Wirken als Luftschif­fer-Haupt­mann enthal­ten ist.

Das Archiv der „Schwä­bi­schen Post“ besorg­te dem Heimat­ver­ein in dankens­wer­ter Weise einen Nachruf der wenige Tage nach dem Tod Dr. Hilde­brandts (24.2.1949) erschien. Am besten fasst dieser Nachruf vom 3.3.1949 die Bedeu­tung Dr. Hilde­brandts zusammen:

Luftfahrt­pio­nier Dr. Hilde­brandt gestorben

Oberko­chen. Mit Haupt­mann a.D. Dr. A Hilde­brandt verstarb einer der ältes­ten und begeis­terts­ten Pionie­re der Luftschif­fe­rei. Über 50 Jahre lang hat sich Hilde­brandt in prakti­scher Arbeit wie als Schrift­stel­ler für die Belan­ge der Fliege­rei einge­setzt. Beson­ders Graf Zeppe­lins lenkba­rem Luftschiff galt sein ganzes Inter­es­se, und auch nach dem (1.) Weltkrieg war Hilde­brandt einer der ersten, die sich für die Wieder­auf­nah­me des Zeppe­lin­baus einsetz­ten. Während seiner Solda­ten­jah­re war er Angehö­ri­ger der ersten aufge­stell­ten Luftschif­fer­trup­pe gewesen. Seine beson­de­re Anteil­nah­me galt der Idee der Aeoro­ark­tik, deren Bedeu­tung er frühzei­tig erkann­te und durch Geldsamm­lun­gen nachdrück­lich beton­te. Dr. Hilde­brandt führte eine Expedi­ti­on ins nördli­che Eismeer durch und hatte wesent­li­chen Anteil an der Errich­tung der Rosto­cker Luftwar­te. Seinen Bemühun­gen blieb auch die äußere Anerken­nung nicht versagt. Schwe­den ehrte ihn durch Verlei­hung des Nordstern­or­dens für seine wissen­schaft­li­che Arbeit auf dem Gebiet der Luftfahrt. Enge persön­li­che Bezie­hun­gen verban­den ihn mit dem bekann­ten Strato­sphä­ren­for­scher Prof. Piccard, der ihn laufend über seine kürzlich abgebro­che­nen Tiefsee­tauch­ver­su­che orien­tiert hatte. Er wurde auch durch eine Einla­dung zu einer 1947 in der Schweiz zusam­men­ge­tre­te­nen Tagung über Luftfahrt einge­la­den und war damit wohl einer der ersten Deutschen, die wieder zu inter­na­tio­na­len Tagun­gen hinzu­ge­zo­gen wurden.

Alexan­der Kauther wird seine Dokumen­ta­ti­on über Haupt­mann a.D. Dr. Alfred Hilde­brandt noch in diesem Jahr abschlie­ßen und dann dem Archiv des Heimat­ver­eins ein Exemplar seiner Arbeit zukom­men lassen, was er auch im Gäste­buch unserer Homepage www.heimatverein-oberkochen.de ankündigte.

Dietrich Bantel

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