In Bericht 544 vom 6.Februar 2009 berich­te­ten wir unter dem Titel „Fast ein Krimi“ ausführ­lich über die außer­ge­wöhn­li­che Geschich­te der „Schee­rer-Madon­na“. Der letzte Satz unserer Repor­ta­ge hieß, dass die etwa 500 Jahre alte vom Zahn der Zeit kräftig angenag­te kleine Skulp­tur dringend einer Restau­rie­rung bedarf.
Nach vieler­lei in viele Richtun­gen gelau­fe­nen Erkun­di­gun­gen wurde uns über das Württem­ber­gi­sche Landes­mu­se­um der Restau­ra­tor Hans Westhoff (Friolz­heim) empfoh­len. In Bericht 558a vom 13. Oktober 2009 berich­te­ten wir.
Vor kurzer Zeit ist die nur ca. 30 cm große spätgo­ti­sche Madon­na hervor­ra­gend restau­riert wieder in Oberko­chen einge­trof­fen. Unser Photo zeigt Herrn Westhoff bei der Überga­be der Figur an den Ehren­vor­sit­zen­den des Heimat­ver­eins. Wie verspro­chen blieb die für die umfang­rei­chen und schwie­ri­gen Arbei­ten angefal­le­ne Gesamt­sum­me knapp unter den von unserem Mäzen Hans Betzler/Balingen für diesen Zweck gestif­te­ten 1000 Euro. Die Versi­che­rungs­sum­me liegt im 5‑stelligen Bereich. Besten Dank nochein­mal an unser Altober­ko­che­ner „Mäzen“.

Oberkochen

Die im Einzel­nen durch­ge­führ­ten Arbei­ten und die beim Restau­rie­ren gemach­ten Beobach­tun­gen sind

  1. Breites, etwas pausbä­cki­ges Gesicht – typisch für die Ulmer Schule des spätgo­ti­schen Bildhau­ers Mauch (1477 — 1540)
  2. Frühe Arbeit – um 1505. Lindenholz.
  3. Eher als kleiner priva­ter Einzel­auf­trag und nicht als Teil eines kleinen Hausal­tars einge­stuft, da auch rücksei­tig bearbei­tet. Gleich­wohl ist das vorder­sei­ti­ge Haar liebe­vol­ler und aufwän­di­ger als das rücksei­ti­ge gearbeitet.
  4. Die Knitter- und Brücken­fal­ten stehen noch in der gotischen Tradition
  5. Die sicht­ba­ren Äste unter dem rechten abgebro­che­nen Arm und minima­le Farbres­te sprechen dafür, dass die Figur urprüng­lich „gefasst“, also bemalt war. Reste von rot an den Lippen, Blauspu­ren im Gewand.
  6. Minima­le Goldres­te auf dem Gewand, auf weißer Grundie­rung, und die roten Farbres­te auf der Innen­sei­te sowie der Lippen der Maria, gehören zur orgina­len Bemalung.
  7. Reste einer Überma­lung wohl im 19. Jahrhun­dert konnten nachge­wie­sen werden.
  8. Wäre die Figur „holzsich­tig“, also unbemalt, geplant gewesen, ist davon auszu­ge­hen, dass der Bildhau­er astfrei­es Holz (Linden­holz) gewählt hätte.
  9. Marien­ge­wand und Mondsi­chel (Symbo­lik siehe Apoka­ly­se) überschnei­den sich in ungewöhn­li­cher Weise
  10. Die weißen Klebe­stoffspu­ren in dem Dübel­loch für den ursprüng­lich „eingspitz­ten“ aber leider verlo­re­nen rechten Arm der Maria wurden entfernt.
  11. Dassel­be gilt für den rechten Arm des Kindes. Auch der linke Arm des Kindes ist verloren.
  12. Die Maria hatte keine Krone auf dem Haupt, sondern ein „Kronrad“. Dieses war stark beschä­digt. Die Reste sind nachgearbeitet.
  13. Einige Gewand­fal­ten, insbe­son­de­re die große, die gotische S‑Linie betonen­de weit ausgrei­fen­de Falten­spit­ze links unten (von der Figur aus gesehen) wurden durch Kunst­holz­auf­bau ergänzt, wodurch die Figur wieder ihr ursprüng­li­ches Volumen erhielt.
  14. Ungezähl­te Löcher, die vom Holzbock stammen, wurden gefüllt, die Umgebung entspre­chend einge­tönt. Der Holzbock ist mit Sicher­heit nicht mehr aktiv.
  15. Aus bis heute sicht­ba­ren Spuren in Kopfka­lot­te (Gabel) und Stand­flä­che ist erkenn­bar, dass die Figur liegend in eine Bildhau­er­bank einge­spannt geschnitzt wurde.
  16. Gearbei­tet wurde vorwie­gend mit Hohl und Flach­ei­sen­mes­ser, für das Haar der Geisfuß.
  17. Die jahrhun­der­te­al­te Schmutz­schicht auf Figur wurde nach Abschluss der Restau­rie­rungs­ar­bei­ten abgewa­schen und mit Leimwas­ser (Hautleim) leicht einge­las­sen, wodurch die ausge­laug­te Oberflä­che wieder holzfar­ben, natür­lich und leben­dig erscheint.
  18. Eine Mauch-Spezia­lis­tin stell­te fest, dass nicht klar gesagt werden könne, dass die Figur von Daniel Mauch persön­lich gefer­tigt wurde. Aller­dings stammt sie mit Sicher­heit aus seiner Ulmer Werkstatt.

Die am häufigs­ten gestell­te Frage nach den Berich­ten vom letzten Jahr war die: Wie kommt einen Marien­fi­gur in die Mühle, die sich in protes­tan­ti­schem Besitz befand? Diese Frage ist leicht zu beant­wor­ten: Die erste urkund­li­che Erwäh­nung der „Unteren Mühle“ (= Schee­rer­müh­le) datiert ins Jahr 1358. Das ist nur wenige Jahre nach der ersten urkund­li­chen Erwäh­nung Oberko­chens im Jahr 1335. Die Schee­rer­ma­don­na datiert um 1505. Diese Marien­fi­gur war mit großer Sicher­heit von allem Anfang an im Besitz der Müller der „Unteren Mühle“ — das heißt, „unsere“ Maria stammt aus der Zeit vor der Refor­ma­ti­on, die in Oberko­chen 1553 von Herzog Chris­toph durch­ge­führt wurde. Somit existier­te die Frage „katho­lisch“ oder „protes­tan­tisch“ noch nicht. Die Maria gehör­te seit Jahrhun­der­ten zur „Unteren Mühle“. Insofern ist es nicht weiter wunder­sam, dass unsere Madon­na als Teil der Mühle irgend­wann „evange­lisch“ wurde.

Da es sich bei dieser Skulp­tur, auch wenn sie noch so klein ist, um ein exklu­si­ves Stück Geschich­te handelt, überrascht es nicht, dass das Württem­ber­gi­sche Landes­mu­se­um sich schon vor über 30 Jahren für einen Ankauf der Schee­rer­ma­don­na inter­es­sier­te. Den Geschwis­tern Hans und Elsbeth Schee­rer ist hoch anzurech­nen, dass sie sich für den Verbleib des kleinen aber bedeu­ten­den Kunst­werks in Oberko­chen entschie­den haben.

Die „Schee­rer­ma­don­na“ wird demnächst in der bereits bei der Planung des Heimat­mu­se­ums vorge­se­he­nen Vitri­ne zusam­men mit anderen Dokumen­ten, wie dem Mühlen­buch von 1751 und einigen Mahlbü­chern, die auf den Heimat­ver­ein gekom­men sind, in der „Schee­rer­müh­len-Vitri­ne“ im Raum 4 des Heimat­mu­se­ums ausge­stellt werden.

Dietrich Bantel

Oberkochen

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