In unserem dritten Bericht im Rahmen der heimatkundlichen Berichterstattung zur Geschichte der Landeswasserversorgung geht es um den Osterbuchstollen selbst. Der erste Strang wurde, wie berichtet, zwischen 1912 und 1917 unter nicht einfachen äußeren Bedingungen gebaut: 1. Weltkrieg von 1914 – 1918. Das Wasser kommt aus dem Donauried. Es wird — ehe es „von selbst“ durchs Remstal nach Stuttgart läuft und auf der gesamten Strecke über ein Rohr- und Stollennetz 250 Gemeinden und Städte, das sind rund 3 Millionen Menschen, die pro Sekunde mit 5.200 Liter Wasser versorgt werden — auf den höchsten Punkt, den Osterbuchstollen auf 540m über Meereshöhe, hinaufgepumpt. Dieser Stollen fasst 52.000 cbm Wasser, und liegt in einer Länge von 1,8 Kilometern ungefähr zur einen Hälfte auf Oberkochener, zur anderen auf Aalener Gemarkung.
Den Behälter muss man sich tunnelförmig vorstellen. Die richtige Bezeichnung für den Stollen ist „Scheitelbehälter“. Dieser ist in der Mitte in zwei im Scheitel 2.70 Meter hohe Hälften unterteilt, die normalerweise beide bis in eine Höhe von ca. 1.80 Meter mit Wasser gefüllt sind. – Auf der Dauerwanger Seite befinden sich 2 große unterirdische Speicher . Auf aparte Weise eindrucksvoll ist, dass gewisse Verbäuche auf die Minute genau festgestellt werden können, so zum Beispiel, wenn bei einem Weltmeisterschafts-Fußballspiel die Halbzeit-Pause ist: Der Wasserspiegel eines großen Reservoirs sinkt dann innerhalb einer Viertelstunde um 10 cm, weil alles mal kurz wohin springt….

Einlauf Wasserhäusle Oberkochen
Foto 1 zeigt den Einlauf des Wassers in die rechte Hälfte im Oberkochener Wasserhäusle. Zur Reinigung (per Ausschrubben) lässt man die Hälften im Wechsel leerlaufen. Seit Inbetriebnahme im Jahr 1917 ist der Osterbuchstollen als „Freispiegelgerinne“ betrieben, das heißt, das Wasser läuft nicht in Rohren. Das Gefälle ist mit nur 30 cm auf 1,8 km (!) äußerst gering, was bewirkt, dass das Wasser ungefähr 6 Stunden benötigt, um vom Einlauf Wasserhäusle Gunderstal bis zum niedriger gelegenenen Auslauf in Essingen/Dauerwang zu gelangen. Unser Foto 2 zeigt Martin Grupp, der für die Betriebsstelle Essingen zuständig ist vor zwei Plänen von 1913 und aktuellen Schnitten. Der Stollen darf nur in Spezialanzügen und mit Gummistiefeln begangen („befahren“, wie es in der Fachsprache der Spelaeologen und auch hier richtigerweise heißt) werden.

Martin Grupp — Betriebsleiter Dauerwang / Essingen
Der unbeleuchtete Stollen ist mit größter Präzision gebaut – mit guten Augen kann man schon bald nach dem Einstieg den Ausstieg als winzigen hellen Punkt in mehr als 1,5 Kilometer Entfernung. erkennen. Während die gegen den Felsen aufgebrachte Betonschicht eine einfache Stein-Beton-Mischung ist, ist die innere Stollenschicht bester Eisenbeton, der mit einer unglaublich haltbaren Glattstrichschlemme übertüncht ist, deren Bestandteile zwar analysiert wurden, ohne dass allerdings schlüssig geklärt werden konnte, wie es kommt, dass diese Schicht 95 Jahre ohne jegliche Ausbesserung überstanden hat.

An einigen winzigen Stellen dringen niederschlagsbedingt periodisch minimalste Mengen von Bergwasser ein, — wie es aussieht nur an Stellen, an denen die wasserdichte Glattstrichschlemme beim Anbringen von Halterungsklammern für ein Kabelrohr verletzt wurde. Dort bilden sich nach dem Prinzip von Stalaktiten und Stalagmiten zarteste Tropfsteingebilde in Form von hohlen „Makkaroni-Tropfsteinen“. (Foto 3). Wir haben sie „Ostberbuchstollenmakkaronistalaktiten“ genannt. Wie es kommt, dass, obwohl in beiden Stollen fast ständig ein 1.80m hoher Wasserstand besteht, der sich zudem noch, wenn auch langsam, aber immerhin mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von ½ km/h essingenwärts bewegt, sowohl flach an den Wänden ein Kalkbelag, wie vor allem vom Boden her sich nach Art der Stalagmiten deutlich ein Kalkaufbau bildet, der – wenn auch wenig — in Richtung auf die Makkaroni-Stalaktiten wächst.- Dieses Phänomen wurde bislang weder von Geologen noch von Speläologen noch von Hydrologen gelöst. Wer kann helfen?
Derzeit wird, um bislang in den Freispiegelgerinnen allerdings nur hypothetisch bestehende Wassertrübungen durch Fremdwasser auszuschließen, geprüft, ob der bestehende nicht verrohrte Scheitelstollen, das heißt die beiden Freispiegelgerinne, durch eine Verrohrung der beiden Scheitelstollenhälften ersetzt werden sollen. Hierbei ist geplant, die Rohre in den Stollen einzuschwemmen, das heißt, die zunächst vorne und hinten noch verschlossenen Rohrteile können schwimmend an ihren Platz gebracht und dann abgelassen und später verschweißt werden.

Schnitt durch den Stollen
Foto 4 zeigt einen Schnitt durch den Stollen, rechts als Freispiegelrinne, links verrohrt. Fest steht, dass in der fast 100 jährigen Geschichte der LW durch perfekte Vorratshaltung in Stollen und Speichern, sowie parallelverlegte Hauptrohre noch niemals auch nur kurzzeitig kein Wasser geliefert werden konnte.
Der Quell-Stollen in Dives-sur-Mer
Im Oktober letzten Jahres war anlässlich des 25. Geburtstags des Bestehens der Städtepartnerschaft zwischen Dives-sur-Mer und Oberkochen eine Oberkochener Delegation in die Normandie gefahren. Das von Brüssel vorgegebene Leitthema des Gedankenaustauschs war für 2009 das Thema „Wasser“ gewesen. Fast noch mehr als von der riesigen in Bau befindlichen neuen Kläranlage für Dives und Cabourg war ich von einem unscheinbaren Keilstein beeindruckt, der sich oben im Bogen des Eingangs zur Quellfassung von Chaudemouche befindet, — der Wasserversorgung von Dives-sur-Mer.

Keilstein Stollen Dives
Mit dem Keilstein, in dem etwas schwer erkennbar oben „Dives“ und unten „1915“ eingraviert ist, hat es folgende Bewandtnis: Genau zu der Zeit, da in Oberkochen französische Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs am Osterbuchstollen arbeiteten, 1915, arbeiteten, wie wir erfuhren, deutsche Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs am Quellfassungsstollen von Chaudemouche bei Dives. Eine unvergessliche Symbolik, die ihresgleichen sucht.

Leider zeigt mein Foto 5 die Inschrift nur sehr undeutlich – sie ist deshalb leicht nachretuschiert. Foto 6 zeigt Diver und Oberkochener Freunde bei der Besichtigung der Diver Quellfassung von Chaudemouche.
An europäischen Schulen läuft derzeit ebenfalls ein Projekt zum Thema „Wasser“,- das sogenannte „Comenius-Projekt“. Seitens des Ernst-Abbé-Gymnasiums ist Francois Boé zuständig, der sich auch der Symbolik annehmen wird, die „unseren“ Osterbuchstollen mit der Diver Chauemouche-Quellfassung verbindet.
Dietrich Bantel