„Oroasa“ — (Bericht 550)
„Wiesraus“ u. Flur’s Karl — (Bericht 546)

Zu unserem Bericht 550 vom 12.06.2009 , in dem wir versucht haben, dem schwä­bi­schen Wort „Oroasa“ auf die Spur zu kommen, haben wir Ende letzten Jahres eine inter­es­san­te Zuschrift aus Balin­gen erhal­ten. Dr. Roland Groner, der sich inten­siv mit dem schwä­bi­schen Dialekt beschäf­tigt, teilt uns mit:

Oraosa u.ä.

Aus dem Bereich Aalen wird angefragt, woher das Wort „Oraosa“, das auf der Ostalb bekannt ist, stamme. Als Erklä­rung wurde angefügt, dass das Wort etwas mit Krümel und Essens­res­ten zu tun habe. — Nun, zunächst denkt man, wenn man Krümel hört, an Brösel und Brosa­men und versucht, auf dieser Schie­ne zu einer Klärung zu kommen. In Fischers Schwä­bi­schem Lexikon wird Brösel mit der schwä­bi­schen Ausspra­che „Braosl“ in den Bedeu­tun­gen Brotkru­me und anderes fein Zerstü­ckel­tes wie Abfall von Holz, Torf u. dgl. angezeigt. Das Problem bei „Braosl“ ist jedoch der Anfangs­laut „b“, der nicht zu dem nasalen „o“ bei „Oraosa“ passt. Möglich aber doch eher unwahr­schein­lich wäre eine Verwi­schung des „b“ zu „o“ infol­ge einer unkla­ren Aussprache.

Als mir der Frage­stel­ler einen Auszug aus einem Wörter­buch nachreich­te, in dem die Sprech­wei­sen „Oraosa, Aorosa, Duroa­sa und Urausa“ darge­stellt waren, musste die Suche von neuem begin­nen. Und tatsäch­lich – es fand sich das so heiß ersehn­te Stamm­wort. Wieder­um ist es Fischers Wörter­buch, das Hilfe in der Not leistet. Das zuletzt erwähn­te „Urausa“ legt die Spur zu „Urasen“ mit einer Vielzahl von schwä­bi­schen Sprach­for­men, u.a. auch „Oraosa“. Und was alles bedeu­tet dieses Wort: „Überres­te, insbe­son­de­re beim Essen; teils ungenieß­ba­re Teile wie Kartof­fel­scha­len…; auch Abfäl­le vom Futter der Tiere; dann Überbleib­sel, Abfall, Ausschuss.

Inter­es­sant ist die Herkunft dieses Wortes. Auskunft gibt das Grimm’sche Wörter­buch, und zwar bei der alten Form „Urasz“. Im Althoch­deut­schen hieß das Stamm­verb „urezzan“, das u.a. bedeu­tet (Zitat): „zu essen aufhö­ren aus überdrusz daran, eszba­res wähle­risch übrig­las­sen“. Außer­dem ist „vom verstreu­ten heu, das vom vieh wähle­risch verwor­fen“ die Rede. Und auch „reste beim tuchma­chen, beim spinnen; abfäl­le von scher­ben, steinen, holzstü­cken, die beim werfen der erde durch das sieb zurück­blei­ben“ werden genannt.

Zu den oben erwähn­ten Sprech­for­men gehört auch „durosa“, und mancher Leser wird fragen, wie dieses Wort hierher passt. Zunächst ist der Anfangs­laut „d“ zu unter­su­chen, was einfach zu erklä­ren ist, da er als verkürz­ter Artikel „die“ auftritt, der sich in der Ausspra­che mit dem Wort verbun­den hat: „d‘urosa“. Das offene „o“ ist die lautli­che Nachfol­ge zum „ao“. Übrigens: Wer Essens­res­te auf dem Tisch lässt, sorgt für „a Orausade“.

Soweit der Bericht von Dr. Roland Groner aus Balin­gen (siehe. Inter­net) Unser Bericht 550 zielte also in exakt der richti­gen Richtung, wenn man von den phantas­ti­schen eher ironisch bemüh­ten „Rosen“ einmal absieht…- Dafür können wir in Oberko­chen mit der herrli­chen in einer übertra­gen verwen­de­ten Bedeu­tung des Worts aufwar­ten, derzu­fol­ge Kinder, wenn man ihnen mahnend sagen wollte, dass sie keinen „Blödsinn“ oder „Fissi­ma­dent­le“ machen sollten, früher in Oberko­chen auch sagte: „Kendr,- on dass’r oos fei koine „Oraosa“ machat“…

Wiesraus

Auf unseren Bericht 546 vom 17.04.2009 zum „Wiesraus“ übersand­te uns unser Mitglied Franz Uhl auf unsere Bitte hin, der ein Gespräch voran­ge­gan­gen war, folgen­de Ergänzung:

Dr Flur’s Karl

Von meiner Mutter Rosa Uhl (verwit­we­te Gold (1916 — 2003) weiß ich, dass ihr erster Mann, Karl Gold (*1910, gef. 1945) zwar der „Flur’s Karl“, gleich­wohl jedoch nie Feldschütz war. Dessen Vater, ebenfalls namens Karl (1881 – 1943) war auch schon der „Flur’s Karl“. Es war sozusa­gen der Hausna­me des landwirt­schaft­li­chen Anwesens Aalener Straße 9. Um die vielen „Golden“ ausein­an­der halten zu können, hat man ihnen früher eben Hausna­men gegeben. Dieser ältere „Flur’s Karl“ war offen­sicht­lich neben­her Feldschütz und „Begrün­der“ dieses Hausna­mens. Dessen Vater Sebas­ti­an Gold (Lebens­da­ten auf die Schnel­le nicht zu finden) war Förster und Waldschütz hier in Oberko­chen. Durch die turbu­len­ten Nachkriegs­jah­re, sowie die Heirat meiner Mutter mit Karl Uhl und ihren Umzug nach Heiden­hei­mer Straße 20, spätes­tens aber durch den Abriss des Anwesens Aalener Straße 9 im Jahr 1963 und den Neubau unseres heuti­gen Wohn- und Geschäfts­hau­ses an gleicher Stelle, ist der Hausna­me „Flur’s Karl“ wohl in Verges­sen­heit geraten. Das kann auch meine Schwes­ter Angela Brunn­hu­ber, geb. Gold bestätigen.

Keiner der nachfol­gen­den Feldschüt­zen soll meines Wissens expres­sis verbis als „Flur’s Karl“ bezeich­net worden sein, geschwei­ge denn diesen Hausna­men geführt haben. Ob es aller­dings überhaupt noch einen Feldschüt­zen mit dem Vorna­men Karl gegeben hat, entzieht sich meiner Kennt­nis. Im Oberko­che­ner „Bevöl­ke­rungs­mund“ war der amtie­ren­de Feldschütz nur der „Flur“ (ohne Namens­zu­satz) – berühmt berüch­tigt. Der „Flur“ war ein Wort, dessen Klang nicht nur bei uns Kindern Unbeha­gen bzw. sogar Frösteln ausge­löst hat. „Der Flur“ war eine Insti­tu­ti­on, ein „Umstand“, der wie nur wenige in der Lage war, auf vielschich­ti­ge Art und Weise den Bewegungs- und Freiheits­drang von uns Dorfkin­dern im Grund­schul­al­ter in Wald und Wiesen erheb­lich einzu­schrän­ken. Meine Tante Franzis­ka (später Pfarr­haus­häl­te­rin bei Onkel Canisius in Enders­bach) hat uns hin und wieder exakt so gewarnt: „Bassat auf, dao kommt dr Flur, der nemmt uich mit ond schberrt uich ens Arreschd ei.“ — Mit „Arreschd“ war die Arrest­zel­le im alten Rathaus gemeint, deren kleines Gitter­fens­ter uns Tante Franzis­ka gezeigt hat. Dieses kleine Gitter­fens­ter hat natür­lich die kindli­che Phanta­sie erheb­lich beflü­gelt. „Der Flur“ war also gefürch­tet und (anony­mer­wei­se) inten­siv von uns Kindern gehasst. Auch bei Erwach­se­nen soll er Urheber so mancher „wüster Strei­te­rei­en“ gewesen sein. Erwischt hat er uns nie. Aber manch­mal haben wir ihn von weitem gesehen (grüne Uniform mit Schild­kap­pe). Irgend­wann war er dann „abgeschafft“.

Soweit die Zuschrift von Franz Uhl.

In unserem Bericht 546 ist die Uniform des „Flurs“ abgebil­det. Sie befin­det sich im Heimat­mu­se­um in unserem Raum 7 („Vom Dorf zur Stadt“). In der „Rathaus-Vitri­ne“ im gleichen Raum 7 befin­det sich auch der Schlüs­sel zu der in Franz Uhls Bericht erwähn­ten berüch­tig­ten Arrest­zel­le, den ich in einer Art Heimat­mu­se­ums­vor­ah­nung 1967 wenige Sekun­den, ehe die letzten Mauern des alten Rathau­ses einge­ris­sen wurden, prophy­lak­tisch abgezo­gen und gebor­gen habe. Er wurde spezi­ell für diesen Bericht abfotografiert.

Oberkochen

Zur genau­en Lage vom „Arreschd“ befragt, antwor­te­te Franz Uhl: „Zur Raodh­aus­dir nei, d‘Drebb nauf, rechts nom. Jetzt befin­den wir uns im ersten Stock hinten links (von der Heiden­hei­mer Straße aus gesehen). Hier lag dr Arreschd. D’s Giddrfeesch­drle hat am Giebl Richdong „Herrgotts­häf­ner“ nom guggt ond isch, wemma vor am Giebl geschd­an­da isch, bragdisch lenks oba g’wesd.“ Das Foto vom Abbruch des alten Rathau­ses entstand am gleichen Tag, an dem der „Schlüs­sel zom Arreschd“ vor dem siche­ren Unter­gang geret­tet wurde. Die Giebel­wand mit’m „Arreschd“ steht noch.

Oberkochen

Abbruch des alten Rathau­ses, 1967

Es wäre zu schön, wenn sich einer unserer ganz „Alten“ noch daran erinnern würde, dass er einmal im Oberko­che­ner „Arreschd“ geses­sen hat — und vor allem auch, weshalb. — In der Regel geschah das damals aufgrund von sehr überschau­ba­ren „Ordnungs-Verstö­ßen“, nach denen heute kaum ein Hahn mehr kräht…. – unter anderem vielleicht , weil mutige priva­te Ordnungs­hü­ter, und sogar die moder­ne Polizei, damit rechnen müssen, dass sie beim aktiven Einschrei­ten oder in der Ausübung des Berufs tätlich angegrif­fen werden…. Die Zeiten, wo das nure Auftau­chen eines Polizis­ten sowie Zurecht­wei­sun­gen oder das Einschrei­ten von Mitbür­gern zum Respekt vor der Ordnung und deren Hüter genügt hat, sind Opfer falsch verstan­de­ner Freiheit geworden.

Dietrich Bantel

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