Anfangs der Fünfziger-Jahre erschien ein heute leider vergriffenes Heimatbüchlein mit dem Titel »Fried’ und Unfried« und mit dem Untertitel »Unsere Heimat in vergangenen Zeiten« von Hans Pfletschinger, illustriert von Kunstmaler Pörner und herausgegeben von der Schwabenverlag-Druckerei in Ellwangen. Das Büchlein deckt natürlich fast ausschließlich den Ellwanger Bereich ab — es findet sich darin jedoch auch eine höchst ergötzliche Geschichte, die Oberkochen betrifft. Es handelt sich um die Geschichte mit dem Titel »Die Klapperschlange«. Sie ist in dem Büchlein, das dem Heimatverein von Herrn Hans Gold (Murksle) überlassen wurde, auf Seite 160 abgedruckt und lautet:

Die Klapperschlange
Schildbürgerstreiche gibt es in unserem Lande mehr als genug, allerdings ist bei den meisten dieser Streiche zweifelhaft, ob sie sich tatsächlich auch zugetragen haben, oder ob sie nicht den Betreffenden von irgend einem Nachbarn böswillig angehängt und nachgesagt worden sind. Von einer ergötzlichen Geschichte, die sich im Jahre 1824 in unserem Kreis ereignet hat, wissen wir aber bestimmt, daß sie nicht erdichtet wurde:
Es war, wie schon gesagt, im Jahre 1824, und zwar in der Zeit, in der allerorts Kirchweihen abgehalten wurden. Ein junger Hafner und ein Wagnergeselle aus Oberkochen waren nach Hofherrnweiler gewandert, um auch dort einmal die Kirbe zu erleben. Und wie es eben so kommt — nüchtern waren sie beide nicht mehr, als sie sich spät in der Nacht wieder auf den Heimweg machten. Über Osterbuch und Finstertäle ging es auf etwas unsicheren Beinen nach Oberkochen zurück. Den beiden angeheiterten Burschen war alles andere als wohl zumute, als sie so mitten in der Nacht durch den dunklen, einsamen Wald trabten. Der Herbstwind fegte durch die Wipfel und pfiff den beiden höhnisch um die Ohren. Denen wurde es immer unheimlicher. Auch das laute Singen befreite sie nicht von ihrer Furcht. Als sie gerade den Waldabhang zum Wolfertstal hinabstampften, schrie der junge Hafner plötzlich auf.
»Guck, gerade vor uns hängt eine fürchterliche Schlange!« Und wirklich! Vor dem Gesicht seines Freundes sah der Wagner etwas Langes, Glänzendes von einem Baum herabhängen, das sich raschelnd und klappernd hin und her bewegte. Mit einem mächtigen Satz brachte er sich erst einmal in Sicherheit. Dann erst kümmerte er sich um den Hafnergesellen. Der stand zitternd da. Der Mond beschien sein bleiches Gesicht. Mit einem schmerzlichen Lächeln zeigte er dem Kameraden seine Hand. Die blutete. »O weh, o weh! Das Ungeheuer hat mich schon gebissen. Ich bin verloren! Ich muß sterben!« Nachdem sich der also Verletzte sein Taschentuch um die blutende Hand gewickelt hatte, setzten die beiden so schnell sie konnten ihren Marsch nach Oberkochen fort. Dabei sangen sie mit weinerlicher Stimme an einem fort Todeslieder, daß es schaurig durch die Nacht schallte. Im Dorf angekommen, schleifte der Wagner seinen Freund sogleich zum Bader, holte diesen aus dem Bett und berichtete, was sich zugetragen. Das Gesicht des Baders wurde immer bedenklicher, als er das entsetzliche Unglück vernahm und die Wunde an der Hand des armen Hafners sah. Trotzdem versprach er dem Todgeweihten, alles zu tun, um ihm die furchtbaren Schmerzen bis zu seinem qualvollen Tode zu mildern.
Noch ehe der Tag graute, war schon im ganzen Dorf bekannt, daß der junge Hafnergeselle im Walde von einer bösen Klapperschlange angefallen und gar übel zugerichtet worden sei. Entsetzt forderten die ängstlichen Bürger Oberkochens ihren Schultes auf, diese schreckliche Begebenheit an das Oberamt zu berichten. Solches ward dann auch sofort getan. Das Oberamt ordnete daraufhin umgehend an, daß die betreffende Waldstelle, an der sich vermutlich das gefährliche Reptil aufhalte, unverzüglich zu untersuchen sei. So machten sich also über ein Dutzend Waldhüter und Holzfäller, nachdem sie von ihren weinenden Angehörigen schmerzbewegt Abschied genommen hatten, mit Flinten, Büchsen, Beilen, Säbeln und schweren Holzprügeln bewaffnet, vom Wagner geführt, auf den Weg. Und wirklich — als sie an der Stelle, an welcher das Unglück passierte, angelangt waren, hing da noch immer das Schlanke, Glänzende und Klappernde vom Baum herab. Und jetzt sahen sie, daß sie nicht gegen eine Klapperschlange aufgeboten worden waren, sondern gegen einen — abgebrochenen Birkenast, der im Winde lustig hin und her schwankte. Auf diese Blamage hin wurde nun der Hafner, der es verständlicherweise vorzog, trotz seiner schnell heilenden harmlosen Rißwunde noch etliche Tage das Haus zu hüten, in Zukunft der »Klapperschlangenseff« genannt. Soweit die Geschichte in »Fried’ und Unfried«.

Im Oberkochener Heimat- und Stadtbuch befindet sich auf Seite 444 eine Kurzform dieser altüberlieferten Geschichte. Hier wird »das Kind beim Namen genannt« — und zwar, für Insider, schon im Titel, der da lautet: »Der Klapperschlangenseff«. »Seff« ist Kochemer-Schwäbisch für »Josef« und mit Josef ist gemeint der »furchtsame Hafnergeselle Josef Hug«, der, um den Sticheleien seiner Kameraden zu entgehen, sich von hier fortgemacht habe, um sich nach Dischingen zu verheiraten.
Dietrich Bantel