Im Besitz der Geschwis­ter Schee­rer (Müller auf der »Unteren Mühle« = Schee­rer­müh­le zu Oberko­chen) befand sich von alters her eine uralte kleine Marien-Statuette.

Aus einem Schrift­ver­kehr mit dem Württem­ber­gi­schen Landes­mu­se­um geht hervor, dass ein Dr. Meurer vom WLM diese Madon­na bereits 1977 gesehen und spätes­tens 1987 sein Inter­es­se an dersel­ben fürs WLM bekun­det hatte. Dr. Meurer stell­te fest, dass die knapp 30 cm große Marien­fi­gur im Jahr 1505 (Riemen­schnei­der­zeit) von einem Ulmer Bildhau­er namens Daniel Mauch gefer­tigt wurde.

Mit Datum vom 7. Septem­ber 1987 teilte Frau Elsbeth Schee­rer in Vertre­tung ihres Bruders Hans Schee­ter dem WLM u. a. schrift­lich mit,.. »Wir möchten am liebs­ten, dass die Figur in unserer Mühle oder in einem Heimat­mu­se­um unter­kommt.« Eine Diebstahl­si­che­rung wurde voraus­ge­setzt, andern­falls würde die Madon­nen­fi­gur ins WLM gegeben.

Das von Schee­rers angeführ­te Stich­wort »Heimat­mu­se­um Oberko­chen« war erst kurz zuvor im Juni des gleichen Jahres 1987 anläss­lich der Gründung des Heimat­ver­eins Oberko­chen aufgekommen.

Im Testa­ment der Geschwis­ter Schee­rer befin­det sich eine weite­re Notiz, aus der hervor­geht, dass »alle Uhren, Klavier, Madon­na, und Latern­le im Museum unter­ge­bracht werden sollen«.

Am 12. Septem­ber 1995 verstarb Elsbeth Schee­rer (geb. 19. Septem­ber 1914).

Einem mit 31. Januar 1996 datier­ten Schrei­ben von Harald Gentsch, der als Nachlass­ver­wal­ter des Anwesens Schee­rer bestellt worden war, geht hervor, dass dieser sich an das WLM gewandt hatte, weil sich eben diese nicht unbedeu­ten­de Figur offen­sicht­lich nicht mehr beim Erbgut der Schee­rers befand.

Herr Dr. Meurer vom WLM teilte Herrn Gentsch mit Datum vom 5. Febru­ar 1996 die oben genann­ten und weite­re Daten mir, im Übrigen aber befin­de sich die Madon­na nicht beim WLM. Dr. Meurer wörtlich »Es wäre schade, wenn die Figur unter­ge­taucht wäre«.

Hierauf wandte sich Herr Gentsch mit der Frage an mich (dem Schrei­ben war ein Foto der Maria angefügt), ob sich die »Mutter­got­tes« eventu­ell bereits im Besitz des Heimat­ver­eins befin­de, was leider nicht der Fall war.

Seit diesem Zeitpunkt kamen die abenteu­er­lichs­ten Theorien auf, was mit der Schee­rer-Madon­na gesche­hen sein könnte. Vor allem lag nahe, dass die Figur, da sie so klein war, von Unbefug­ten leicht aus der Mühle hätte entfernt werden können.

Da die Madon­na auf den Heimat­ver­ein Oberko­chen geschrie­ben stand, war es mir ein großes Anlie­gen, sie für unser Museum wiederzuentdecken.

Im März 2002 wurde mir von Verwand­ten der Elsbeth Schee­rer mitge­teilt, dass die Madon­na ans evange­li­sche Pfarr­amt gegeben worden sei, was sowohl mir als auch Herrn Gentsch etwas merkwür­dig vorkam. Harald Gentsch schrift­lich und wörtlich: »Eine Madon­na hat eigent­lich in einer evange­li­schen Kirche nicht viel verloren«.

Aller­dings gehör­ten die Schee­rers ja irgend­wie zu etwas, was man im Rückblick »alten evange­li­schen Ortsadel« nennen könnte.

Eine Nachfra­ge bei Pfarrer Thier­fel­der ergab dann auch, dass diese Meldung tatsäch­lich unzutref­fend war.

Aus diesem Grund befrag­te ich dann einen der Erben, Herrn Walter Borst, der mir zusicher­te, dass seine ererb­ten Dinge, »soweit sie museal inter­es­sant sind, der Heimat­ver­ein erhält«.

Die Madon­na befand sich indes nicht unter diesen Objekten.

Etwas später, am 9. Febru­ar 2003 erhielt ich kurz nach Mitter­nacht einen Anruf von Herrn Borst, — er habe über die Madon­na nachge­dacht. Er wisse, dass in den letzten Jahren, während der Elsbeth Schee­rer pflege­be­dürf­tig war, »Creti und Pleti«, auch wechseln­des Zivi-Perso­nal, in der Mühle aus- und einge­gan­gen seien. Für ihn stehe fest, dass die Madon­na gestoh­len worden sei. Da diese Aussa­ge jedoch nicht durch Fakten belegt werden konnte, führte sie, sowie ergän­zen­de Aussa­gen von Walter Borst, auch nicht weiter. Bald darauf verstarb auch Walter Borst.

Ich hatte die Hoffnung, noch auf eine Spur der Marien-Statu­et­te zu stoßen, eigent­lich aufge­ge­ben. Bis Ende des Jahres 2008.

Anfang Novem­ber 2008 hatte mich ein in Canada leben­der Nachfah­re einer Oberko­che­ner Familie namens Baker/Ebacher festzu­stel­len gebeten, ob eine Elisa­be­tha Ebacher (1668 — 1731), in den Kirchen­bü­chern der Katho­li­schen Kirche Oberko­chen beleg­bar ist.

Am 20. Novem­ber 2008 sprach ich dieser­halb bei Frau Gold im Katho­li­schen Pfarr­amt vor. So inter­es­sant die Erkennt­nis­se zu den Ebachers sind — sie spielen hier keine Rolle.

Viel spannen­der ist, dass ich nur wenige Augen­bli­cke, nachdem ich das Pfarr­bü­ro an diesem Tag betre­ten hatte, auf einem niedri­gen Schränk­chen, auf dem der Kopie­rer steht, eine kleine Madon­na entdeck­te, in der ich sofort und ziemlich zweifels­frei die seit 12 Jahren unent­schul­digt abwesen­de Schee­rer-Madon­na erkannte.

Frau Rosema­rie Gold, die erst wenige Jahre im Pfarr­bü­ro arbei­tet, wusste nur zu sagen, dass diese Figur während ihrer Amtszeit schon immer da steht.

Frau Irma Zimmer­mann, die zuvor lange Jahre im Pfarr­bü­ro gearbei­tet hatte, entsann sich auf meine Frage, dass vor ewig langer Zeit »irgend­je­mand« die Figur auf dem Pfarr­bü­ro abgege­ben habe. Wenig später teilte mir Frau Zimmer­mann, die auf meine Bitte hin meiner Frage weiter nachge­gan­gen war, mit, dass Frau Adelin­de Baumann, die als langjäh­ri­ge Pfarr­haus­häl­te­rin die Geschich­te des Pfarr­hau­ses bestens »gespei­chert« hat, wusste, dass dieser »irgend­je­mand« niemand Gerin­ge­res als Frau Elsbeth Schee­rer persön­lich gewesen sei.

Um letzte Klarheit zu erhal­ten, setzte ich mich in Verbin­dung mit Pfarrer Scheu­er­mann, Neu-Ulm. Dieser stell­te klar, dass Frau Schee­rer die Madon­na mit den Worten »Die Madon­na gehört zum Pfarrer« ihm persön­lich überge­ben habe. Zum Zeitpunkt der Überga­be sei niemand im Pfarr­haus gewesen. Seither stehe sie immer am gleichen Ort im Pfarr­bü­ro. Genau genom­men gehöre sie ihm, er habe jedoch nie irgend­wel­che Besitz­an­sprü­che angemel­det. Anläss­lich seines Wegzugs von Oberko­chen habe er die Madon­na an ihrem angestamm­ten Platz stehen lassen. Seine Meinung sei, dass sie dem Heimat­mu­se­um überge­ben werden solle.

So wurde mit dem Kirchen­ge­mein­de­rats­vor­sit­zen­den Paul Tritt­ler verein­bart, dass die Statu­et­te am Mittwoch, 14. Januar 2009 an den Heimat­ver­ein, resp. das Oberko­che­ner Heimat­mu­se­um überge­ben wird.

Bei der Überga­be am 14.1. kam die Frage auf, wie eine Madon­na, die doch eigent­lich etwas »Katho­li­sches« sei, in eine Mühle geraten ist, die sich seit urdenk­li­cher Zeit in evange­li­schem Besitz befindet.

Diese Frage ist leicht zu beant­wor­ten: Die »Untere Mühle« zu Oberko­chen ist im Jahr 1358, nur 23 Jahre nach der ersten urkund­li­chen Erwäh­nung Oberko­chens, zum ersten Mal urkund­lich genannt. Oberko­chen wurde 1553 refor­miert. Wenn die Marien­fi­gur im Jahr 1505 gefer­tigt wurde steht fest, dass sie aus uraltem vorre­for­ma­to­ri­schem Mühlen-Besitz stammt, einer Zeit, da es weder evange­li­sche noch katho­li­sche Chris­ten, sondern nur Chris­ten gab. Ein weites Feld.

Immer­hin lässt sich auf diese Weise belegen, dass sich diese kleine Marien­fi­gur, seit es sie gibt — also über ein halbes Jahrtau­send hinweg — durch­ge­hend im Besitz der Müller der »Unteren Mühle« in Oberko­chen befun­den hat.

Die »Schee­rer-Madon­na« befin­det sich leider in einem desola­ten Zustand. Ihr rechter Unter­arm sowie beide Arme des Kindes und ein größe­res Stück einer Mantel­fal­te sind abgebro­chen und fehlen; ferner fehlen die Krone und die Flinte der Figur, die laut WLM aus einem größe­ren Zusam­men­hang stammen könnten. Die fehlen­de Stand­flä­che ist sicher mit ein Haupt­grund dafür, dass die Figur, die deshalb leicht »umfällt«, immer wieder »etwas abbekom­men« hat.

Vor allem liegt jedoch ein gravie­ren­der Holzbock­be­fall im Linden­holz vor. Spuren einer Fassung (Bemalung) sind denkbar.

Der Heimat­ver­ein plant nun, die Madon­nen-Statu­et­te, bei der es sich um eine spätgo­ti­sche, das heißt spätmit­tel­al­ter­li­che Skulp­tur mit der für diese Zeit typischen »gotischen S‑Lini­en-Kompo­si­ti­on« handelt, restau­rie­ren zu lassen. Dr. Meurer vom WLM, zwischen­zeit­lich im Ruhestand, ist uns in dieser Angele­gen­heit freund­li­cher­wei­se behilflich.

Nach ihrer Restau­rie­rung wird die Schee­rer-Madon­na im Heimat­mu­se­um zu sehen sein.

Dietrich Bantel

Oberkochen

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