Ihre Herkunft und frühe Geschich­te bis zum Unter­gang des Thüringerreiches

In diesem vierten und letzten Beitrag zur alten Thürin­ger Geschich­te stellt der Verfas­ser, unser Vorstands­mit­glied Herr Dr. Jochen Kämme­rer, fest, daß bereits schon einmal, und zwar vor über 1450 Jahren im Zusam­men­hang mit dem Unter­gang des Thürin­ger Reiches im Jahre 531, Thürin­ger in Schwa­ben eine neue Heimat gefun­den haben, — so zum Beispiel in Schretz­heim im Kreis Dillin­gen und in Neres­heim-Kösin­gen. Dies wurde bei Grabun­gen, die vor ca. 10 Jahren durch­ge­führt wurden, nachge­wie­sen. Es ist zumin­dest nicht ausge­schlos­sen, daß eines Tages, wenn die Funde unserer Alaman­nen­gra­bung aus dem Jahre 1980 ausge­wer­tet sein werden, ein solcher Bezug auch nach Oberko­chen herge­stellt werden kann.

Wir bedan­ken uns bei Herrn Dr. Kämme­rer nochmals für die große Arbeit, der er sich unter­zo­gen hat, um seinen am 25.11.1988 in der Stadt­bi­blio­thek gehal­te­nen Vortrag nun auch noch druck­reif gemacht zu haben.

Dietrich Bantel

Fortset­zung und Schluß
4. und letzte Folge
Die Belegung zahlrei­cher thürin­gi­scher Reihen­grä­ber­fel­der hörte damals auf, insbe­son­de­re östlich der Saale, aber auch westlich des Flusses, so daß man auf Abwan­de­rung schlie­ßen muß. Mögli­cher­wei­se waren die abwan­dern­den Gruppen an der Bildung des bairi­schen Stammes im Donau­ge­biet betei­ligt. Wegen der wieder­hol­ten Aufstän­de der Thürin­ger sind aber auch Stammes­tei­le in das alaman­nisch-fränki­sche Gebiet depor­tiert worden. Nicht erst nach dem 2. Weltkrieg fanden Thürin­ger in Schwa­ben eine neue Heimat! Wir finden Thürin­ger schon auf manchem Alaman­nen­fried­hof unserer Region, nachge­wie­sen z.B. im Reihen­grä­ber­feld von Schretz­heim im Kreise Dillin­gen, nachge­wie­sen wohl auch im alaman­ni­schen Gräber­feld von Neres­heim-Kösin­gen; die Belegung des Kösin­ger Gräber­fel­des beginnt zeitgleich mit dem Unter­gang des Thürin­ger­rei­ches. Matthi­as Knaut vom Landes­denk­mal­amt schreibt in einem im »Heiden­hei­mer Jahrbuch 1985÷86« veröf­fent­lich­ten Vorbe­richt über die Gräber­fel­der von Neres­heim und Neres­heim-Kösin­gen: »Die Kösin­ger Siedlungs­grün­der lassen in ihrer materi­el­len Hinter­las­sen­schaft deutli­che Bezie­hun­gen zum thürin­gi­schen bzw. östlich­me­ro­win­gi­schen Bereich allge­mein erken­nen, so daß man anneh­men darf, daß ähnlich wie in Schretz­heim am Unter­lauf der Egau im Zusam­men­hang mit der Einglie­de­rung der Thürin­ger ins fränki­sche Reich (531 n. Chr.) vielleicht thürin­gi­sche Famili­en hierher umgesie­delt wurden.« Näheres können wir sicher aus seiner Disser­ta­ti­on erfah­ren, die noch in diesem Jahr veröf­fent­licht werden soll. Als haupt­säch­li­ches Indiz für die Herkunfts­be­stim­mung nannte mir Matthi­as Knaut die handge­mach­te Keramik, die gerade in Neres­heim, Kösin­gen und in Schretz­heim deutli­che Paral­le­len im thürin­gi­schen Gebiet hat. Über die von Ursula Koch durch­ge­führ­ten Schretz­hei­mer Grabun­gen liegt ein ausführ­li­cher, überaus inter­es­san­ter Bericht aus dem Jahre 1977 vor. Ursula Koch zieht aus der Grabung den folgen­den Schluß über die Siedlungs­grün­der: »Die Frage, wann die Siedlung gegrün­det wurde, ist leicht zu beant­wor­ten, wenn man voraus­set­zen darf, daß das Reihen­grä­ber­feld keines­falls der merowin­gi­sche Bestat­tungs­platz einer schon länger bestehen­den Siedlung ist.

Da sich die erste im Reihen­grä­ber­feld bestat­te­te Genera­ti­on überwie­gend aus Thürin­gern sowie mindes­tens einer fränki­schen Familie und nur zu einem sehr gerin­gen Teil aus Alaman­nen, die im Donau­ge­biet bereits heimisch waren, zusam­men­setzt, handelt es sich zweifel­los um eine Neugrün­dung und kaum um den Zuzug der fremden Famili­en in eine bestehen­de Siedlung.

Oberkochen

Die Gründer­ge­nera­ti­on lebte in der ersten Hälfte des 6. Jahrhun­derts. Die ältes­te thürin­gi­sche Frauen­tracht, die aus Grab 247 stammt, wurde vermut­lich schon im ersten Viertel des 6. Jahrhun­derts gearbei­tet. Die meisten thürin­gi­schen Fibeln aus Schretz­heim sind jedoch jünge­re Typen, deren Laufzeit von B. Schmidt mit dem zweiten Drittel des 6. Jahrhun­derts angege­ben wird. Der Zeitpunkt der Einwan­de­rung wird etwa zwischen 530 und 550 zu suchen sein.

Beach­tet man nicht nur die ethni­sche Zusam­men­set­zung, sondern auch die sozia­len Unter­schie­de, so ergibt sich, daß den sieben, z.T. schwer bewaff­ne­ten, thürin­gi­schen Kriegern mit den z.T. in reicher thürin­gi­schen Fibel­tracht geklei­de­ten Frauen ein fränki­scher Reiter mit einer aus Nordfrank­reich stammen­den Frau gegen­über­steht. Die drei fränki­schen oder alaman­ni­schen Krieger, die jeweils nur eine Angriffs­waf­fe besaßen, und der nur mit Pfeilen ausge­stat­te­te Mann aus Grab 424 waren vermut­lich abhän­gi­ge Leute des daneben liegen­den Reiters. Zumin­dest trifft diese Annah­me wohl für den in gerin­ger Tiefe bestat­te­ten und nur mit einer Lanze bewaff­ne­ten Mann aus Grab 371 zu.

Die verhält­nis­mä­ßig große Siedlung an der Donau wurde demnach durch thürin­gi­sche Famili­en gegrün­det, ob unter dem Schutz des fränki­schen Reiters oder durch Zwang, muß dahin­ge­stellt bleiben. Da die Thürin­ger 531 von Franken besiegt wurden und ihr König Hermi­n­af­ried 534 in Zülpich ermor­det wurde, ist die Umsied­lung von Thürin­gern auf Grund fränki­scher Initia­ti­ve in der Zeit nach 531 gut vorstell­bar. Die Grabaus­stat­tun­gen der Thürin­ger in Schretz­heim zeigen deutlich, daß diese trotz der Umsied­lung keine Einbu­ßen an Ansehen und Wohlstand erlit­ten, sondern beides in der darauf folgen­den Genera­ti­on noch zu mehren verstanden.«

Ob auch zur Oberko­che­ner Alaman­nen­sied­lung Thürin­ger gehör­ten, wissen wir noch nicht. Das Landes­denk­mal­amt konnte derzeit keine verläß­li­chen Angaben zu dieser Frage machen, da das Fundma­te­ri­al aus dem Oberko­che­ner Gräber­feld aus Kapazi­täts­man­gel noch nicht restau­riert und ausge­wer­tet werden konnte. Auf das Ergeb­nis darf man jeden­falls gespannt sein.

In der Tat gibt es vielfäl­ti­ge Verflech­tun­gen zwischen den germa­ni­schen Volks­stäm­men, die Thürin­gen und Schwa­ben besie­del­ten. Gemein­sam ist ihnen die elbger­ma­ni­sche Herkunft und die Zugehö­rig­keit zur suebi­schen Völker­fa­mi­lie, denn die Hermun­du­ren, die Vorfah­ren der Thürin­ger, bilde­ten zusam­men mit den ihnen bluts­ver­wand­ten Semno­nen auch den Kern der im Jahre 213 erstmals erwähn­ten Alaman­nen. Gesichert ist auch auf Grund der Funde ein weite­rer Zuzug thürin­gi­scher Bevöl­ke­rungs­grup­pen in das nordala­man­ni­sche, fränkisch beherrsch­te Gebiet nach dem Unter­gang des Thürin­ger­rei­ches; diese Gruppen treten auch als Siedlungs­grün­der in unserer Region auf. So läßt sich der Schluß ziehen, daß zwischen Thürin­gern und Schwa­ben von alters her eine engere Stammes­ver­wandt­schaft besteht, als gemein­hin angenom­men wird.

Dr. Jochen Kämmerer

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