Wer in die franzö­si­sche Partner­stadt Dives-sur-Mer kommt, der kennt die reizvol­le Landschaft des Pays d’Auge in der Norman­die. Der herbe Charme dieser Landschaft animiert zu Ausflü­gen in die umlie­gen­den Städte und Dörfer, und vielen sind die schönen Küsten­städ­te, wie z.B. Deauville, Trouville oder Honfleur an der Blumen­küs­te, der Côte Fleurie, ein Begriff.

Fährt man von Dives-sur-Mer aus etwa 30 km in südöst­li­che Richtung, so kommt man in die Stadt Lisieux, am Flüss­chen Touques gelegen. Lisieux hat rund 23.000 Einwoh­ner und ist Sitz der Unter­prä­fek­tur des gleich­na­mi­gen Arron­dis­se­ments. Bekannt ist die Stadt aber weniger als Verwal­tungs­sitz, sondern vielmehr als Wallfahrts­ort mit einer berühm­ten Basili­ka, der Basili­ka Sainte There­se. Nur wenige hierzu­lan­de wissen, dass Lisieux nach Lourdes der zweit­größ­te Wallfahrts­ort in Frank­reich mit jährlich fast einein­halb Millio­nen Pilgern und Besuchern ist. Mit dem Bau der Basili­ka wurde 1929 begon­nen; 1954 war die Einwei­hung. Sie ist eine der größten Kirchen, die im 20. Jahrhun­dert gebaut wurden.

Oberkochen

Die Basili­ka in Lisieux (Norman­die)

Betritt man die Basili­ka, so gelangt man über das Haupt- bzw. Mittel­schiff in das Zentrum mit seiner riesi­gen Kuppel. An dieser Stelle kreuzt ein sog. Querschiff und führt links und rechts in zwei Seiten­schif­fe, die jeweils in Form einer großen Apsis angelegt sind. Betritt man die rechte Apsis, so gelangt man zu einem Seiten­al­tar, über dem ein großes Kruzi­fix angebracht ist. Der Altar selbst ist von schmie­de­ei­ser­nen Gittern umgeben, an denen verschie­de­ne, in Bronze gegos­se­ne wappen­ähn­li­che Symbo­le angebracht sind. Darun­ter befin­det sich auch ein Wappen, das dem der Stadt Oberko­chen nicht nur ähnelt, sondern bis ins Detail identisch ist. Auf bronze­nem Wappen­schild sind dort drei fünfblätt­ri­ge Rosen­blü­ten in einem Dreieck darge­stellt, genau­so wie im Oberko­che­ner Stadt­wap­pen, das Dietrich Bantel im Jahr 1968 anläss­lich der Stadt­er­he­bung entwarf.

Nun ist natür­lich nicht beabsich­tigt, Dietrich Bantel des Plagi­ats zu bezich­ti­gen. Er hat, zumin­dest zum damali­gen Zeitpunkt, sicher­lich nichts davon gewusst, dass sich in der nordfran­zö­si­schen Basili­ka von Lisieux ein identi­sches Wappen mit drei fünfblätt­ri­gen Rosen­blü­ten befin­det. Gerade deshalb stellt sich aber die Frage: wie kommt das Oberko­che­ner Wappen in die Basili­ka von Lisieux?

Oberkochen

Das Wappen mit den drei Rosen­blü­ten in der Basili­ka in Lisieux

Die Antwort auf diese Fragen gibt die Basili­ka selbst, die nach einer Ordens­schwes­ter des Karme­li­ter­or­dens benannt wurde, der heili­gen Théré­se von Lisieux. Marie-Francoise Théré­se Martin, wie sie mit weltli­chem Namen hieß, wurde am 02. Januar 1873 in Alencon in der Norman­die geboren. Bereits im Alter von 15 Jahren trat sie 1888 in den Orden der sog. Unbeschuh­ten Karme­li­tin­nen in Lisieux ein. Der Orden, der im 16. Jahrhun­dert entstand, geht auf den im 13. Jahrhun­dert gegrün­de­ten Karme­li­ter­or­den zurück, der nach dem heili­gen Berg Karmel im heuti­gen Israel benannt wurde.

Marie-Francoise Théré­se Martin war ein sehr schüch­ter­nes und intro­ver­tier­tes Kind. Ihre tiefgläu­bi­ge Mutter, Zélie Martin, erzog sie und ihre übrigen fünf Geschwis­ter religi­ös. Alle fünf traten übrigens später einem kirch­li­chen Orden bei, so auch Marie-Francoise Thérése.

Oberkochen

Marie-Francoise Théré­se Martin, die später von Papst Pius XI heilig gespro­chen wurde

Das Ordens­le­ben war streng. Hinzu kamen Ängste und Krank­hei­ten, die die junge Nonne ihr kurzes Leben lang quälten. Während ihrer Zeit im Karme­li­tin­nen­or­den ging sie den Weg der Einfach­heit, der Kontem­pla­ti­on und der innigen Hinga­be zu ihrem Gott. Sie nannte ihn »den kleinen Weg zur Heilig­keit«. Dieser »kleine Weg« besagt, dass man keine Heili­gen­ta­ten vollbrin­gen oder als Märty­rer sterben muss, um eine Heili­ge zu werden. Mit anderen Worten: man muss keine großen Taten vollbrin­gen, um den Weg zu Gott zu finden. Den kleinen Weg gehen bedeu­tet, Demut und Nächs­ten­lie­be zu üben und die alltäg­li­chen Dinge so zu tun, wie es Gott gefällt: eine Arbeit verrich­ten, die keiner tun möchte; denen ein Lächeln schen­ken, die es der eigenen Meinung nach nicht verdient haben; sich mit denje­ni­gen beschäf­ti­gen, die man eigent­lich meiden möchte; alltäg­li­che Dinge tun und Arbei­ten verrich­ten, um anderen zu helfen, ihnen Arbeit abzuneh­men und so Gottes Liebe durch andere zu erfah­ren. Ihre Einfach­heit drückt sich auch in der eigenen Beschrei­bung ihrer Gebete aus: »Außer beim Gottes­dienst… habe ich nicht den Mut, in den Büchern nach schönen Gebeten zu suchen. Ich mache es wie die Kinder, die noch nicht lesen können, ich sage dem Herrn einfach alles, was ich will und Er versteht mich.« Mit diesem »kleinen Weg zur Heilig­keit«, der auch für andere begeh­bar ist, wurde die junge Marie-Francoise Théré­se Martin später zur Volks­hei­li­gen in Frank­reich und darüber hinaus.

Am 30. Septem­ber 1897 starb sie im Alter von nur 24 Jahren an den Folgen einer Tuber­ku­lo­se­er­kran­kung. In den Monaten vor ihrem Tod versprach sie, ihren Himmel damit zu verbrin­gen, auf Erden Gutes zu tun und nach ihrem Tod einen Rosen­re­gen vom Himmel fallen zu lassen. Tatsäch­lich sprach man ihr bereits kurz nach ihrem Tod eine Vielzahl von Wunder­ta­ten und Spontan­hei­lun­gen todkran­ker Menschen zu, die ihre geheim­nis­vol­len Worte »Nach meinem Tod will ich es Rosen regnen lassen« im Nachhin­ein mit Bedeu­tung zu füllen schienen.

Marie-Francoise Théré­se Martin wurde am 29. April 1923 durch Papst Pius XI selig gespro­chen. Bereits zwei Jahre später, am 17. Mai 1925, fand vor 500.000 Pilgern in Rom die Kanoni­sie­rung, also die Heilig­spre­chung, ebenfalls durch Papst Pius XI, statt. Papst Johan­nes Paul II erhob sie am 17. Oktober 1997 zur Kirchenlehrerin.

Unter der Kuppel der Basili­ka von Lisieux befin­det sich heute ein Schrein mit den Reliqui­en der Heili­gen Théré­se von Lisieux. Hierhin pilgern viele Menschen, um ein beson­de­res Gebet vorzubringen:

O kleine Théré­se vom Kinde Jesus, bitte pflück’ für mich eine Rose von den himmli­schen Gärten und schick’ sie mir als Botschaft der Liebe.
O kleine Blume Jesu, bitte Gott, die Gnade zu erwei­sen, die ich nun vertrau­ens­voll in deine Hände lege.
Heili­ge Théré­se, hilf mir, dass ich immer so an Gottes Liebe zu mir glauben kann wie du es getan hast, so dass ich jeden Tag deinen »kleinen Weg« gehen kann.

In diesem Gebet ist wieder­um die Rede von Rosen. Die meisten Bilder, Gemäl­de und Statu­en zeigen die Heili­ge Théré­se mit einem Rosen­strauß oder Rosen zu ihren Füßen oder einer Rose in der Hand. Sie hat ihr Leben lang Rosen geliebt, und mit ihrem Verspre­chen, nach ihrem Tod Rosen regnen zu lassen, wollte sie ihre Liebe auch nach ihrem Tod weitergeben.

Allge­mein stehen Blumen als Symbol gegen das Verges­sen und der Vergäng­lich­keit des Lebens. In der christ­li­chen Symbo­lik gelten Rosen als Zeichen der Zunei­gung, der Liebe und Treue über den Tod hinaus. Auch die dreiecki­ge Anord­nung, wie man sie z.B. in der Basili­ka von Lisieux sehen kann, hat in der christ­li­chen Symbo­lik eine Bedeu­tung, denn hierdurch wird die Dreifäl­tig­keit in beson­de­rer Weise ausgedrückt.

Das Wappen­schild mit den drei fünfblätt­ri­gen Rosen­blü­ten in der Apsis der Basili­ka erinnert daran. Und so kommt das Oberko­che­ner Stadt­wap­pen in die Basili­ka von Lisieux.

Nachsatz

Der obige Bericht hat den ehema­li­gen Stadt­rat und 1. Vorsit­zen­den des Heimat­ver­eins, Dietrich Bantel, der vor genau 40 Jahren das Wappen der Stadt Oberko­chen gestal­te­te, zu ein paar Bemer­kun­gen zur Geschich­te dessel­ben veran­lasst. Lange Zeit ist man nämlich davon ausge­gan­gen, dass die drei Rosen­blü­ten quasi eine »Erfin­dung« des damali­gen Bürger­meis­ters Gustav Bosch seien, der seiner­zeit anreg­te, besag­te Rosen­blü­ten in das neue Oberko­che­ner Stadt­wap­pen aufzu­neh­men in Anleh­nung an das Wappen der ehema­li­gen Herren von Kochen, die drei Wagen­rä­der in ihrem Schild führten.

Vor zwei Jahren konnte Dietrich Bantel jedoch den schlüs­si­gen Beweis erbrin­gen, dass ein »abweich­le­ri­scher« Ritter der vielen Herren von Kochen, nämlich Ritter Görig (Georg) von Kochen, die drei Rosen bereits vor ziemlich genau 600 Jahren in seinem Wappen geführt hatte. Ob dies zu Zeiten der Stadt­er­he­bung in Oberko­chen bekannt war, kann nicht mit Bestimmt­heit gesagt werden. In den Beratun­gen im Gemein­de­rat um das neue Stadt­wap­pen im Jahr 1968 wurde das ausge­fal­le­ne Unter­ko­che­ner Rosen­wap­pen jeden­falls nie erwähnt.

In diesem Zusam­men­hang wird auf die Ausfüh­run­gen von Dietrich Bantel zum Wappen vor Oberko­chen im Bericht Nr. 493 Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag, in der Ausga­be de Amtsblatts »Bürger und Gemein­de« vom 24. Febru­ar 2006 verwiesen.

Bürger­meis­ter Peter Traub

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte