Von einem seit zig-Jahren mit einer Uralt-Oberko­che­ne­rin verhei­ra­te­ten Thürin­ger könnte man theore­tisch erwar­ten, dass er weiß, was man in Oberko­chen unterm »Grambohl« versteht. Er wusste es nicht, aber es sei ihm verzie­hen. Dass hinwie­der­um sein ihm angetrau­tes einge­bo­re­nes Origi­nal-Oberko­che­ner Eheweib dieses Wissens bis heute nicht mächtig ist, das ist schon ein bemer­kens­wert schwie­ri­ger Fall. Mir als aus der Landes­haupt­stadt nach hierher ins damali­ge Dorf von Amtes wegen versetz­tem Studi­en­as­ses­sor sind Wort und Bedeu­tung des Begriffs »Grambohl« samt sämtli­chen Inhal­ten und Unter­in­hal­ten seit den Sechzi­ger­jah­ren bekannt.

Damals jeden­falls schon erfuhr ich anläss­lich einer der berühm­ten Nachsit­zun­gen nach der »Alten­weih­nacht« von keinem Gerin­ge­ren als von Bürger­meis­ter Bosch persön­lich, was es mit dem »Grambohl« auf sich hat. Die alten »Alten­weih­nach­ten« waren übrigens deshalb so berühmt, weil sie eigent­lich immer erst richtig anfin­gen, wenn sie beendet waren — denn, wenn sie so gegen 22 Uhr offizi­ell vorbei waren, bilde­ten sich an den Tischen markan­te sogenann­te »harte Kerne« heraus, an denen heiße Gesprä­che erwuch­sen, in deren Verlauf der Umgangs­ton immer lauter und auch rauher wurde, was Bürger­meis­ter Bosch einmal zu der eher beiläu­fig geäußer­ten Bemer­kung »Da geht’s ja bald zu »wie em Grambohl« veranlasste.

Als Stutt­gar­ter Reige­schmeck­ter konnte ich damals natür­lich noch nicht wissen, was mit »Grambohl« gemeint war, weshalb ich als fast noch grüner aber durch­aus wissbe­gie­ri­ger Jungschul­meis­ter in gründ­li­chem Pflicht­be­wusst­sein fragte, was »Grambohl« bedeutet.

»Au«, sagte der Schul­thes mit massi­vem Augen­auf­schlag, — »das ist eine heikle Sache, und ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen das so einfach erklä­ren soll und darf. Da Sie aber als Schul­meis­ter einen gewis­sen Anspruch auf alte Oberko­che­ner Wahrhei­ten haben, will ich’s Ihnen sagen.«

So erfuhr ich, dass man in Oberko­chen unter »Grambohl« den oberen linken Teil der »steilen Mühlstra­ße« versteht. Was im steilen Teil des Sträß­chens weiter unten liegt, gehört schon zum »Bronkl« oder »Brunkl« (Brenn­quell). Auch das ganzobers­te linke aus der Art fallen­de Gebäu­de, das mit einem Walmdach gedeck­te Haus des vorma­li­gen Wasser­meis­ters Stadel­mai­er, gehört nicht eigent­lich zum »Grambohl«.

Oberkochen

Der berühmt­be­rüch­tig­te obere fast noch ebene linke Teil der steilen Mühlstra­ße hinge­gen sei das echte »Grambohl« und dieser Teil der dreitei­li­gen Mühlstra­ße, habe ganz früher im Volks­mund sogar »s’Gram­bohl­gäss­le« gehei­ßen. Unser Foto 1 zeigt eines der letzten Orginal-Grambohl-Häuser.

Auf meine Frage, woher das Wort »Grambohl« denn komme, und was es bedeu­te, erhielt ich — nach einem weite­ren Vierte­le — von Bürger­meis­ter Bosch die Auskunft, dass sich das Wort vom Franzö­si­schen »Caram­bo­la­ge« ablei­te, was so viel bedeu­tet wie »Zusam­men­stoß«, wobei in diesem Falle aller­dings Zusam­men­stö­ße zwischen Menschen und nicht solche zwischen Fahrzeu­gen gemeint waren.

Diese »Zusam­men­stö­ße« seien vornehm­lich zwischen den Bewoh­nern der oberen linken Häuser erfolgt, häufig aufgrund erhöh­ten Mostge­nus­ses, aber auch bloß so. Dabei sei es immer sehr laut und heftig herge­gan­gen — in Oberko­chen habe es früher sogar das Wort »gramboh­len« oder (hochschwä­bisch »krambo­len«) gegeben, oder »herum­gram­boh­len«, worun­ter man »laut herum­brül­len«, auch »herum­schla­gen« und sogar »gewalt­tä­tig herum­prü­geln«, unter Anwen­dung meist lauthals geäußer­ter und weniger salon­fä­hi­ger Ausdrü­cke, verstan­den habe.

Sämtli­che Namen der Anrai­ner vom alten »Grambohl« sind beim Heimat­ver­ein akten­kun­dig, werden hier jedoch aus leicht nachvoll­zieh­ba­ren Gründen nicht genannt. Die Alten, die’s wissen, die wissen’s eh, und die andern gat’s, so denke ich, nex ah. Wer partout mehr wissen will als er bis jetzt weiß, soll’s machen wie ich, indem er Wissen­de befragt.

Überlie­fert ist auch ein Gedicht, das die habhaf­ten Vorgän­ge im Grambohl zum Inhalt hat, ein Gedicht, in welchem auch Namen vorkom­men. Jedoch wollen wir auch dieses Gedicht lieber im Archiv des Heimat­ver­eins unter Verschluss halten.

Einiges Zusätz­li­che zum Wort »Grambohl« erfährt der inter­es­sier­te Leser, wenn er im Inter­net bei »Google« das Wort »Grambohl« in der hochschwä­bi­schen Schreib­wei­se »Krambol« eingibt. Da erfährt er zum Beispiel in der Allens­ba­cher Chronik, dass einige Herren »mit großem Krambol« in den Hohen Rat gewählt worden sind. Im Rheini­schen Wörter­buch erfährt man, dass man unter »Krambol« Lärm versteht, und, dass man auch unter »Karam­bol« nachschla­gen möge. Über »Karam­bol« erfährt man von Caram­bol­bü­chern — und landet dann tatsäch­lich zuletzt beim Billard­spiel und der »Caram­bo­la­ge« der Kugeln, wo man unter »caram­bo­lie­ren« das Zusam­men­tref­fen zweier Kugeln mit der Spiel­ku­gel versteht.

Im alten Franzö­sisch-Lexikon André von 1899 bereits wird das Wort »caram­bo­la­ge« mit »Zusam­men­stoß« übersetzt.

Auslö­sen­des Moment für diesen Bericht war, dass der eingangs erwähn­te Thürin­ger aus einem neben­säch­li­chen Grund den »Schwä­bi­schen Schimpf­wort­ka­len­der« von Thaddae­us Troll (Dr. Hans Bayer, 1914 ‑1980. Thaddae­us Troll war mit »Deutsch­land, Deine Schwa­ben« litera­ri­scher Bestand­teil des Stadt­er­he­bungs­pro­gramms 1968) vorleg­te, in welchem unter dem Datum des 8. Septem­bers das Wort »Krambo­ler« als schwä­bi­sches Schimpf­wort aufge­führt ist. Wer jetzt noch nicht weiß, was ein »Krambo­ler« ist, der ist selber schuld dran.

Oberkochen

Fest steht heute, dass das alte Oberko­che­ner »Grambohl« heute — bei aller Liebe zur Heimat mit Verlaub gesagt — nicht gerade Pluspunk­te zum städti­schen, leider auch nicht zum histo­ri­schen Erschei­nungs­bild Oberko­chens beiträgt. Da sich die Haupt-Baumas­se des »Restgram­bohls« in städti­schem Besitz befin­det, darf damit gerech­net werden, dass dieser Bericht 532 in unserer Serie »Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag« sich alsbald vom echten Alltag zu echter Geschich­te verwandelt.

Aber bitte mit »G« geschrie­ben. Mit einem klein­wür­zi­gen Gedenk­schild:
Hier befand sich einst das »Grambohl«.

Dietrich Bantel

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